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Kekse direkt aus dem Himmel

Mandelkekse auf weißem Teller
© kuvona / Shutterstock
Dieses Mandelgebäck aus Sizilien schmeckt einfach himmlisch. Und die Zubereitung ein gut gehütetes Geheimnis. Bisher jedenfalls. Ein paar Tipps der heiligen Schwestern.

Erice liegt auf halbem Weg in den Himmel. Auf vielen Serpentinen erreicht man den mittelalterlichen Ort im Westen Siziliens. Der Blick von dem 750 Meter hohen Berg ist spektakulär: Mächtige Berge, das Meer mit den drei Ägadischen Inseln, die Hafenstadt Trapani – mit etwas Glück sieht man sogar die afrikanische Küste. Was man aber immer und überall sieht, sind Mandelbäume. Denn Sizilien ist die Insel der Mandeln. Schon im Februar, wenn es bei uns kalt ist, blühen die Bäume wunderschön, und man fühlt sich wie im ersten Frühlingsrausch.

Kunst am Keks: Mandelgebäck

In Agrigent wird das berühmte Mandelblütenfest gefeiert. Die Früchte der Bäume haben die Sizilianer schon im Mittelalter zu Marzipan verarbeitet und exportiert. Sie lieben bekanntermaßen Süßes – muss wohl am arabischen Einfluss liegen. Knapp 200 Jahre haben sich die Araber auf der Insel breit gemacht. Jetzt sind es die Touristen. Im Sommer verknäulen sich Gruppen in den engen Gassen, und auch Sizilianer suchen hier Zuflucht vor der Hitze. Sie essen ein Gelato oder kaufen die berühmten Mandelkekse bei Giacoma Pirro oder ihrer Tante Maria Grammatico.

Beide Frauen haben ihren eigenen Laden, die Produkte sind die gleichen. Wer unter Entscheidungsschwäche leidet, hat es im kleinen Laden von Giacoma Pirro schwer. Sollen es 250 Gramm "Lingue di suocera" (Schwiegermutter-Zungen) sein, feines längliches Mürbe-Gebäck? Oder lieber "Belli e Brutti", Keksklumpen auf der Basis von Mandeln, nicht hübsch anzusehen, aber ausgesprochen lecker? Oder "Sospiri" (Seufzer), mit Puderzucker bestäubte Mandelbällchen? Touristen lassen sich auch gern den Klassiker einpacken, glänzende Marzipanfrüchte. Aber zwei der Bananen oder Kaktusfeigen am Nachmittag, und man kann das Abendessen vergessen . . . Auf großen Schalen sind die handgefertigten Kalorienbomben liebevoll drapiert und gut ausgeleuchtet – Kunst am Keks.

Giacoma, 38-jährige Chefin und Mutter von drei Töchtern, liebt ihre Kreationen. Isst viel davon, auch schon zum Frühstück, probiert neue Rezepte aus, schuftet im Sommer häufig von morgens bis in die Nacht. Ihre Hände sind ziemlich groß für den zierlichen Körper. Mit den Jahren hat sie schlechte Zähne bekommen – die Rache der Leidenschaft. In der Hauptsaison arbeiten bei ihr bis zu 15 Leute, meist Frauen. Die Chefin, die außer Rom kaum etwas von der Welt gesehen hat, wirkt entschieden, aber nicht autoritär.

Das Geschäft läuft gut, sie und ihre Tante exportieren bis nach Amerika und Japan. Die Mandeln kaufen sie im Süden der Insel, direkt vom Bauern. Im Winter, wenn die Pasticceria für ein paar Monate schließt, wird Giacoma unruhig, ihr fehlt die weiche Masse zwischen den Fingern. Woher kommen die Rezepte? Das ist eine verrückte Geschichte, fast ein Romanstoff. Giacoma lacht. Wir sitzen in der Backstube, vor uns auf dem Tisch liegen dicke Rollen aus Marzipan.

"Meine Mutter und meine Tante haben ihren Vater früh verloren, meine Oma war mit sechs Kindern überfordert. So kamen die beiden Mädchen ins Kloster San Carlo in Erice, das auch Waisenkinder aufnahm." Die Nonnen, erzählt Giacoma, haben Mandelkekse hergestellt und verkauft. Allerdings wollten sie ihre Rezepte für sich behalten. Die Mädchen mussten den Teig kneten und Kekse formen, durften den Kopf jedoch nicht heben – sie sollten nicht sehen, welche Zutaten in welcher Menge verwendet wurden. "Meine Tante hat jedoch spioniert. Als sie 1962 das Kloster verließ, kannte sie alle Rezepte."

Zwei Jahre später eröffnete Maria Grammatico in Erice ihren eigenen Laden. Da sie unverheiratet war, wurde sie von bösen Zungen immer wieder als „Prostituierte“ beschimpft. Aber die Mandel-Unternehmerin ließ sich nicht beirren. Und der Laden, in dem auch Giacomas Mutter mitarbeitete, machte Gewinn. „Sie hat den Nonnen ihre Rezepte geklaut“, sagt Giacoma zufrieden, „und sie an mich weitergegeben.“ Heute ist das Kloster geschlossen. Maria, inzwischen 66, steht immer noch von morgens bis abends in ihrem Laden. Sie hat keine Kinder, dafür aber Giacoma, die sie über alles liebt und geräuschvoll abschmatzt, wenn die beiden Frauen sich sehen. Zum Mittagessen. Zum Reden – über Gott, Gebäck und die Welt.

Als Kind hat Giacoma gelegentlich von den Kloster- Geschichten gehört. Von den unerbittlichen Schwestern, dem eintönigen Kloster-Essen, den geheimen Rezepten. Das hat ihre Fantasie beschäftigt, klar. Aber auch ihren ausgesprochenen Pragmatismus begründet. „Meine Tante und meine Mutter mussten früh ran, da war es für mich als Kind selbstverständlich, bei Maria mitzuarbeiten“, sagt Giacoma. Schon mit neun stand sie nach der Schule hinterm Tresen – auf Zehenspitzen – und bediente Kunden. „Das hat mir Selbstbewusstsein gegeben, vorher war ich ziemlich schüchtern.“ Mit 14 verließ sie die Schule. Ihre Eltern wollten nicht, dass die Tochter die weiterführende Schule im 15 Kilometer entfernten Trapani besuchte, zu weit für ein junges Mädchen . . . Giacoma besorgte sich Bücher über Literatur und Geschichte und las nach der Arbeit zu Hause weiter. Lernte ihren Mann kennen, als der im Laden Mandelkekse kaufte – auch er ist ein Marzipan-Maniac. Sie heiratete mit 18, bekam drei Töchter, machte 1995 ihre eigene Pasticceria in Erice auf. Da sie mit ihrer Familie in Trapani lebt, fährt sie jeden Tag die Serpentinen hoch zu ihrer Backstube auf dem Berg.

Die Tradition lebt weiter

Neben ihr im Auto sitzt dann ihre 18-jährige Tochter, die nach der Tante Maria heißt. Auch sie interessiert sich für die Rezepte der strengen Bräute Gottes. Mit 16 wollte sie nicht mehr zur Schule gehen, sondern lieber Teig kneten. Giacoma war dagegen, Maria sollte etwas lernen, schließlich hatte sie selbst diese Chance nicht gehabt. Maria jedoch war starrköpfig wie ein Esel und vom Marzipan nicht abzubringen. Also bekam auch sie ihren Platz in der Backstube – und die Mandel-Passion geht bereits in die dritte Generation. Muss wahrscheinlich in den Genen liegen.

Reise-Information: Sizilien

Straße in der Altstadt von Erice
© Goncharov Mikhail / Shutterstock

ÜBERNACHTENHotel E limo: Kleines, elegantes Hotel in Erice, spektakuläre Terrasse; DZ ab 110 Euro (Via Vittorio Emanuele, 23, Tel. 00 39/09 23 86 93 77, Fax 09 23 86 92 52, Hotel E limoAzienda A grituristica Duca di Castelmonte: Herrlicher Agriturismo bei Trapani Garten, Schwimmbad und Tiere erfreuen Kinder. Sehr gute Küche mit viel Gemüse; Nebensaison: 38 Euro pro Person mit Frühstück, Halbpension 55 Euro. Hauptsaison: 45 bis 65 Euro (Via Salvatore Motisi, 3, Xitta, Tel. 00 39/09 23 52 61 39, Fax 09 23 88 31 40, Duca di Castelmonte

ESSENElimo Hotel Ristorante: Gutes Antipasti-Buffet, fantasievolle Gerichte (Erice, siehe Übernachten). Hotel Moderno Erice. Gute regionale Küche, ausgezeichneter Fisch (Erice, Via Vittorio Emanuele, 63, Tel. 00 39/09 23 86 93 00).

EINKAUFENErice: Antica pasticceria del convento. So heißt das Geschäft von Giacoma Pirro (Via Guarnotta, 1). La Pasticceria di Maria G rammatico gehört ihrer Tante (Via Vittorio Emanuele, 14, Amria GrammaticoTrapani: Colicchia. Kennt in der Stadt jeder. Mandelkekse, Marzipanfrüchte und im Sommer „granita“ (Wassereis), auch mit Mandelgeschmack (Via delle Arti, 6/8 – Via Carosio, 30/32). Bar 900 Filingeri: Große Auswahl an Marzipanfrüchten und Keksen. An der Bar gibt es dazu Getränke (Via G. B. Fardella, 84).

Rezept: Marzipan

Marzipanfrüchte in Bäckerei ausgestellt
© ingridagrants / Shutterstock

für 700 g Marzipanmasse 400 g geschälte Mandeln, 300 g feinster Zucker, 1 Päckchen Bourbon-Vanillezucker, evtl. etwas Puderzucker • Mandeln, einige Esslöffel Zucker und Vanillezucker portionsweise im Blitzhacker ganz fein zerkleinern. • Mandel-Zucker-Mischung und den restlichen Zucker in eine Rührschüssel geben und mit den Knethaken des Handrührers zu einer krümeligen Masse verarbeiten. Wenn der Teig nicht zusammenhält, eventuell einige Esslöffel Wasser zufügen. • Marzipan auf einer Arbeitsplatte mit den Händen kräftig kneten. Falls es sehr klebt, zusätzlich noch etwas Puderzucker unterkneten. • Das Marzipan in Frischhaltefolie wickeln und kühl stellen. Tipp: Nur ganze Mandeln verwenden, frisch mahlen und gleich weiterverarbeiten. Vorgemahlenes Mandelmehl trocknet schnell aus und verliert dabei einen Teil des Aromas.

Rezept: Sospiri ("Seufzer"-Kekse)

etwa 75 Stück 1 Rezept "Marzipan" (siehe oben), 1?2 Bio-Zitrone, 1 TL flüssiger Honig, 2 Eiweiß (von kleinen Eiern); Puderzucker zum Bestäuben • Einmal das Rezept "Marzipan" wie oben beschrieben zubereiten. • Zitrone heiß abspülen, trocken tupfen und die Schale fein abreiben. • Zitronenschale, Honig und Eiweiß zunächst mit den Knethaken des Handrührers, dann mit den Händen unter die Marzipanmasse kneten. • Backofen auf 160 Grad, Umluft 140 Grad, Gas Stufe 2 vorheizen. • Marzipanteig mit den Händen zu etwa kirschgroßen Kugeln rollen und mit 3 cm Abstand auf mit Backpapier ausgelegte Backbleche legen. Kugeln mit den Fingern eventuell etwas flach drücken. • Die Marzipankugeln im Ofen etwa 20 Minuten backen. Die Sospiri sollten nicht braun werden. Herausnehmen, kurz abkühlen lassen und mit Puderzucker be- stäuben. Pro Stück ca. 50 kcal, E 1 g, F 3 g, KH 5 g. Tipps: • Wenn der Teig sehr klebt, einfach über Nacht in den Kühlschrank stellen. Er wird dann fester und lässt sich einfacher zu Kugeln rollen. • Sospiri erst abkühlen lassen und dann vom Backpapier nehmen. Sie sind innen weich und zerbrechen schnell, wenn sie noch warm sind.

Text: Franziska Wolffheim<br/><br/>Fotos: Lilian Henglein, Thomas Neckermann

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