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Sex ohne Verlieben? Nein, danke!

Paar küsst sich im Bett
© fizkes / Adobe Stock
Lange standen vor allem Männer auf unverbindliche One-Night-Stands. Das hat sich geändert. Aber Sex ohne Verlieben? BRIGITTE-Redakteurin Nikola Haaks meint: Wir sollten es gar nicht erst versuchen.
Sex ohne Verlieben? Nein, danke!
© Mehrdad Zaeri

Wenn man sich etwas intensiver mit den aktuellen Veröffentlichungen zum Thema Sexualität beschäftigt, gewinnt man den Eindruck, dass die lässigste Attitüde, die eine urbane, emanzipierte Single-Frau ab 35 mit sich herumtragen kann, ihre Libido ist. Man hat Sex. Und zwar mit wem und wann man Lust hat. Und vor allem: ohne mit der Wimper zu zucken - außer vor Erregung natürlich. Sex ohne emotionale Nachwirkungen scheint das It-Attribut schlechthin zu sein. Auch - oder gerade - ein paar Jahre nach "Sex and the City".

Das in Amerika kürzlich am heißesten diskutierte Buch heißt "What do women want?" (Was wollen Frauen?), wurde von einem männlichen Autor verfasst und kommt zu dem Schluss, dass Frauen mindestens genauso wilde, animalische und vor allem unverbindliche Lust verspüren wie Männer. Dass Frauen viel weniger monogam sind als angenommen und dass weibliche Lust durchaus narzisstische Züge hat. Sex ist also der neue Coffee to go in einer immer eitler und egozentrischer werdenden Gesellschaft. Man sucht sich seine Lieblingssorte aus, nimmt ihn im Vorbeigehen mit und trinkt ihn hastig aus. Verbindlichkeit? Liebe? Irgendwelche Gefühle in dieser Richtung? Das war gestern.

Gestern, also sagen wir in den fünfziger, sechziger Jahren, ging das ja so: Da hat man sich kennen gelernt, verliebt, dann hat man es vertieft, und schließlich, wenn das Ganze so richtig schön verbindlich war, hatte man Sex. Ist vielleicht auch nicht immer die optimale Reihenfolge gewesen, aber man konnte sich zumindest drauf verlassen, dass das Oxytocin, das man nach dem Beischlaf ausgeschüttet hat, nicht auf leeren Boden fiel. Heute dagegen lernt man sich kennen und muss nach dem ersten Sex "mal schauen, was draus wird". Schlechtestenfalls bekommt man nicht mal mehr eine SMS.

Gefühle? Sex ist der neue Coffee to go!

Nicht, dass der Eindruck aufkommt, ich hätte gern die fünfziger Jahre zurück - ich mag und schätze diese neuen Freiheiten. Aber die meisten Single-Frauen, die ich kenne, stecken leider in einem ziemlichen Dilemma, wenn sie spontanen Sex mit jemandem hatten. Und ich frage mich, ob das heutige Gebot zur sexuellen Coolness nicht ein existenzieller Rückschritt ist.

Weil wir nämlich selbstbewusste, reflektierte, leidenschaftliche Frauen sind, gucken wir uns die Männer genau an, die uns näher kommen. Selbst wenn wir ein paar Gläser Wein getrunken haben. Wenn es sich also anbahnt, dass wir mit jemandem im Bett landen könnten, finden wir ihn in der Regel schon mal ganz nett. Da wir nicht den Eindruck erwecken wollen, wir seien verklemmt, zieren wir uns nicht unnötig, sondern lassen den Dingen ihren natürlichen Lauf. Meistens ist der Sex dann ziemlich gut - und das Drama beginnt.

Der Berliner Autor und Kolumnist Malte Welding vertritt, nicht ganz unbegründet, die Theorie, dass die Emanzipation den Männern in diesem Falle mehr geholfen hat als den Frauen. Denn nachdem wir so frei, unabhängig und lässig mit den Männern Sex hatten, gehen die meistens schön befriedigt und entspannt nach Hause. Bei vielen von uns dagegen schießen die Bindungshormone - und was weiß ich sonst noch alles - in die Adern, als wär's eine intravenöse Injektion. Wir verzehren uns nach einem Anruf, einem Treffen, einer weiteren Nacht. Wir wollen mehr von diesem Mann!

"Wir haben immer ungeschützten Geschlechtsverkehr"

Es mag natürlich Frauen geben, die Sex und Verlieben trennen können - ich kenne keine. Warum ist das so? Vielleicht kenne ich die falschen Frauen. Vielleicht ist es aber auch so, wie der Berliner Sexualpsychologe Christoph Joseph Ahlers kürzlich in einem Interview gesagt hat: "Wir sind auf Bindung programmiert, und das ist es, worum es auch beim Sex im besten Fall geht: Erlösung durch Überwindung von Vereinzelung." Lust, so Ahlers weiter, könne sich mittlerweile jeder selber machen, und Fortpflanzung könne man vom Sex abkoppeln. "Das Einzige, was wir nicht allein hinkriegen, ist das Gefühl, angenommen zu sein." Das ist die schönste Liebeserklärung, die man dem Sex machen kann - und die ganze Wahrheit. Sex ist und bleibt die innigste und intensivste Form der Kommunikation zwischen zwei Menschen. Egal, ob diese zwei Menschen sich eben erst in einer Bar das erste Mal unterhalten haben oder schon ein Date hatten. Wir können noch so sehr versuchen, den Sex zu entemotionalisieren und ihm mit Abstand zu begegnen: Gegen unser innerstes Programm kommen zumindest wir Frauen nicht an. Und das hat nichts mit Kinderwunsch und biologischer Uhr zu tun. Ganz sicher nicht. "Wir haben immer ungeschützten Geschlechtsverkehr", sagt sogar der Mann, Malte Welding. Und meint damit: Sex verändert etwas zwischen zwei Menschen - immer. Nur leider sehen die meisten Männer das Ganze etwas mechanischer als wir Frauen. Und das liegt sicher auch am extrem unterschiedlichen Einsatz, den Männer und Frauen betreiben müssen, um zum Höhepunkt zu kommen.

"Für Männer", so die Münchener Sexualtherapeutin Irmi Jaud, "muss Sex in allererster Linie funktionieren. Und wenn dann alles klappt, ist es schon mal richtig gut gewesen." Wir Frauen dagegen müssen so viel mehr tun, um einen Orgasmus zu kriegen - gerade beim ersten Mal. Das ist filigrane Schwerstarbeit und hat sehr viel mit Hingabe zu tun, auch wenn das altmodisch klingt. Aber wir wollen auch nicht unter unseren Möglichkeiten bleiben. Und wenn wir es dann mit einer neuen Bekanntschaft tatsächlich schaffen, zum Höhepunkt zu kommen, kann schon mal so etwas wie ein tiefes Gefühl der Verbundenheit entstehen. Sorry.

Wie auch immer: Diese Schieflage ist unbefriedigend. Die israelische Soziologin Eva Illouz sieht daher auch nicht umsonst uns Frauen ganz klar als "Verliererinnen der Paarungskultur". In ihrem aktuellen Essay "Die neue Liebesordnung" schreibt sie, der Mann hätte gelernt, Sexualität von Liebe und anderen Gefühlen abzukoppeln, weil er im Laufe des 20. Jahrhunderts dahingehend umgeformt worden sei, möglichst viele sexuelle Erfahrungen zu sammeln. Wir Frauen dagegen setzen Sex immer noch zu sehr mit Bindung gleich und stehen - wenn überhaupt - noch ganz am Anfang dieser Transformation.

Aber ganz ehrlich: wozu? Es ist ein Kampf gegen Windmühlen. Und der Preis ist zu hoch. Manchmal muss man auch umkehren, wenn man merkt, dass man auf dem falschen Weg ist. Wir lügen uns in die Tasche, wenn wir so weitermachen. Der Schmerz, nach einer innigen Nacht abgelehnt zu werden, ist unfassbar. Wir mutieren zu einem zweifelnden, wartenden Häufchen Elend, weit entfernt von der Frau, die ein paar Abende zuvor souverän leidenschaftlich geküsst hat. Wir rappeln uns wieder auf, sagen uns selbst, dass es nicht an uns liegt und dass wir nur noch etwas mehr üben müssen, lässig Sex zu haben, dann wird es schon klappen. Das ist verrückt. Nur: Wie kommen wir da raus? Indem wir den Mund aufmachen.

Bin ich spießig, wenn ich von Sex auch Verbindlichkeit erwarte?

Die Freiheit, die wir errungen haben, ist zu Teilen auch eine Überforderung", sagt Irmi Jaud. Denn je mehr alles möglich ist, desto mehr sind wir gefragt, die Regeln in uns selber zu finden. Uns Grenzen zu setzen, die wir auch nach außen hin vertreten: Wie weit bin ich bereit zu gehen? Falle ich aus der Norm, wenn ich nicht so lässig mit meinen Gefühlen umgehen kann wie andere? Bin ich spießig, wenn ich von Sex auch Verbindlichkeit erwarte? Und was mache ich mit meinen Sehnsüchten? "Wenn Frauen eine Bindung möchten und nicht unverbindlichen Sex, müssen sie das sagen - auch wenn sich das vielleicht in dem Moment uncool anfühlt", so Jaud. Viele hätten Angst, sich zu offenbaren, weil sie dadurch sehr verletzlich werden. Aber in jeder Verletzbarkeit steckt auch eine enorme Stärke.

Es gibt also nur einen Weg: Wir müssen Stellung beziehen. Auch wenn unsere Mütter Jahre darauf verwendet haben, uns einzubläuen, die Gefühle bei jeder neuen Männerbegegnung ("Willst du was gelten, mach dich selten!") erst mal hinter dem Berg zu halten: Authentisch ist das neue Sexy.

Das werden viele Männer jetzt nicht gern hören, denn es bestätigt natürlich das alte Vorurteil, dass Frauen nach dem Sex immer was wollen. Aber Jungs, so ist es leider: Frauen wollen nach dem Sex (vorausgesetzt natürlich, er war gut) immer was. Fast immer. Aber um das ein- für allemal klarzustellen: Sie wollen nicht euer Versprechen fürs Leben. Sie wollen euch nur wiedersehen. Zumindest so oft, bis sie herausgefunden haben, dass es im echten Leben nicht so gut passt wie im Bett. Und das kann manchmal auch ganz schnell gehen.

Text: Nikola Haaks Illustration: Mehrdad Zaeri aus BRIGITTE 18/2013

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