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Nina Straßner Wechseljahre im Job

Kolleg:innen sitzen gemeinsam am Tisch und diskutieren
© fizkes / Adobe Stock
Nina Straßner arbeitet im Management eines Dax-Unternehmens und hat dort das Thema Wechseljahre auf die Agenda gesetzt. Hut ab!

"Die Verwandlung einer angenehmen Frau in eine spitzzüngige Karikatur ihrer selbst ist eins der traurigsten menschlichen Spektakel", schrieb der Arzt Robert Wilson 1966 in seinem Buch "Feminine Forever" über die Wechseljahre, und ich kann gut verstehen, wenn du jetzt mit Schaum vor dem Mund weiterliest. 

Ich nutze die erhöhte Aufmerksamkeit, um mich der Fantasie hinzugeben, wie unsere heutige Arbeitswelt aussehen würde, wäre sie die letzten Jahrhunderte hinweg von Frauen statt von Männern geprägt worden. Welche Tabus und Schamgrenzen würden uns umgeben? Welche Gesetze, Arbeitsabläufe und Schutzmechanismen würden fehlen, was würden wir als gerecht, was als übertrieben, lächerlich oder anmaßend empfinden oder zumindest als dringlicher, als das Thema des männlichen Alterungsprozesses und seine Anforderungen an einen inklusiven Arbeitsplatz?

Vermutlich würden wir in Workshops über das Anbringen von Pissoirs im Rahmen von männerfreundlicher Bürogestaltung sprechen und nicht mit Geschäftsführern über Tamponspender auf Toiletten diskutieren, als wären die Wattetorpedos ein Luxusprodukt, das man nicht unbedingt braucht, wenn man spontan Blut verliert. Kämpferische Kolumnisten würden ausführen, dass glänzende Herrenglatzen keineswegs bedeuten, dass man nicht trotzdem ein glänzender Karrieremann sein kann. Wir würden bei Schampus und Canapés die "50 over 50 – Powermänner der deutschen Wirtschaft" auszeichnen, die es trotz schwindendem Kampfgeist wegen sinkender Testosteronwerte und trotz Nasenhaaren in Überlänge geschafft haben, in einer Schlangengrube voller zyklusorientiert arbeitender Frauen zu bestehen. Viele Nachteile würden auf einem Versorgerinnen-Modell aus den 1950ern basieren, als die Kinderaufzucht Männersache war, weil die Frauen die Kinder schon ausgetragen und geboren haben.

Nein, es wäre keine gerechtere Welt und keine, die ich mir wünsche. Aber diese Dystopie zeigt, dass die körperlichen Lebensrealitäten von Frauen im Beruf und in politischen Debatten noch immer ein bizarres Dasein führen, obwohl sie wahrlich keine Minderheit betreffen. Wir alle machen uns peinlich, wenn wir länger den Fachkräftemangel wie eine Monstranz vor uns hertragen und parallel riskieren, dass uns Kolleginnen aus vermeidbaren Gründen wegfallen. Zahlen aus Großbritannien zeigen: Eine von zehn Frauen gibt ihren Job wegen der Wechseljahre auf, jede vierte geht deswegen vorzeitig in den Ruhestand. 

Neun Millionen Frauen zwischen 45 und 55 befinden sich in Deutschland aktuell in der Perimenopause. Und dass die meisten von uns jetzt "Perimenopause" googeln, illustriert das Problem, denn was wir nicht wissen, können wir nicht einfordern. Und was man nicht hört, kann man schwerlich verändern.

Das System muss sich anpassen

Daher haben wir bei SAP in Deutschland diese Gespräche geführt, Wissen vermittelt, Manager und Kollegen geschult und Verantwortliche identifiziert. Länder wie UK oder Korea machen es politisch vor, die Bank of Ireland beispielsweise hat sich für zehn Tage bezahlte Freistellung als Lösungsansatz entschieden. Eine Schablone gibt es nicht, dafür sind die Rechtssysteme, die Kulturen und auch die Berufsbilder zu unterschiedlich, aber alle Lösungen haben gemeinsam, dass sich das System an die Frauen angepasst hat und nicht länger die Frauen an das System.

Die ältere Generation steht dem Thema am Arbeitsplatz nachvollziehbar kritisch gegenüber, geprägt von negativen Erfahrungen aus der Vergangenheit, wenn sie weibliche Bedürfnisse rund um Kinder, Pflege oder ihren Körper anmeldeten. Nun kommen wir daher und möchten über Gedächtnislücken, Schweißausbrüche und Schlafstörungen reden? Die jüngere Generation nahm die Debatte im Unternehmen nahezu begeistert auf, verbuchte sie als Zeichen, dass man sie auch jenseits der 50 fördern und befördern möchte. Honorieren tun es jedoch letztlich alle, sei es mit gestiegener Betriebstreue und besonderem Engagement.

Wir dürften uns daher einig sein, dass Schweißausbrüche und ein paar schlaflose Nächte auf Seiten der Unternehmen, der Arbeitgeber und in politischen und juristischen Debatten durchaus legitim sind. Das können wir aushalten, wenn wir Angebote schaffen und Hürden gemeinsam abbauen. Das ist eins der sinnvollsten menschlichen Spektakel. 

Nina Straßner
Nina Straßner ist beim Softwarekonzern SAP Global Head of People Initiatives, Anwältin für Arbeitsrecht und im Vorstand des "Charta der Vielfalt e.V.".
© PR
Brigitte

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