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Leben auf Zeit

Dunkle Rosen
© bofotolux / Shutterstock
Wer gesund ist, befasst sich nicht mit dem Tod, schiebt das Thema weg, bis es unausweichlich wird. Drei Berichte von Menschen, die wissen, dass sie bald sterben werden.

Wenn Maria König* es sich aussuchen könnte, würde sie gern an einem Herzinfarkt sterben. Kann sie aber nicht. "Wahrscheinlich werde ich ersticken", sagt sie. Über ihr schmales Gesicht huscht ein Ausdruck von Bedauern, für einen Moment, dann lächelt sie. Maria König ist 42 Jahre alt, sie hat Mukoviszidose, CF, cystische Fibrose, eine tödliche Erkrankung der Lunge, genetisch bedingt. Sie ist eine von rund 8000 Patienten in Deutschland. Übermäßige Schleimproduktion ist die Folge, auch die Bauchspeicheldrüse ist betroffen, daher leidet sie zusätzlich an Diabetes. Man könnte Maria König als Methusalem unter Mukoviszidose-Kranken bezeichnen; viele von ihnen erleben ihren 30. Geburtstag nicht.

Maria König hat lange blonde Haare, ein feines Gesicht, große blaue Augen, doch die Krankheit hat die Schönheit verbannt: Die Ringe unter ihren Augen sind tief, zwei ausgeprägte Falten führen von der Nase zu den Mundwinkeln; und sie hat die Statur der Mukoviszidose-Kranken: abgezehrt, ausgemergelt, ähnlich einer Magersüchtigen. Manche lassen sich eine neue Lunge transplantieren, ein neues Leben, heißt es. Maria König will keine Transplantation, obwohl sie damit vielleicht ein paar Jahre dazugewänne.

Von der Natur sind Ersatzteile nicht vorgesehen.

"Aber was wäre das für ein Leben", sagt sie, "ich müsste täglich starke Medikamente nehmen, Immunsuppressiva, müsste noch besser auf mich aufpassen und hätte doch keine Garantie, dass mein Tod vertagt wäre." Für ihre Meinung wird sie oft angegriffen, zumal von den Eltern junger Patienten, die sich an jede Hoffnung klammern. "Ich verteufle eine Transplantation ja nicht", erklärt sie, nur für sich selbst habe sie diese Möglichkeit ausgeschlossen. "Von der Natur sind Ersatzteile nicht vorgesehen." Gott habe ihr diesen Körper gegeben, diese Lungenflügel – und diese Krankheit. Und dies sei ihre Aufgabe, ihr Paket, das sie mit sich trage. So dachte sie nicht immer. Im Jahr 1996 erlitt sie eine lebensbedrohliche Infektion und war kurz davor, sich auf die Warteliste für eine neue Lunge setzen zu lassen. Doch als das Schlimmste ausgestanden war, entschied sie sich dagegen.

Maria König inhaliert drei-, viermal am Tag. Morgens ist der Schleim zäh und hartnäckig, eine Stunde dauert es, ihn auf ein erträgliches Maß zu bringen. "Ich werde nie leer werden", sagt sie. In beide Nasenlöcher ragen die Enden eines Sauerstoffkabels. Es ist um die Ohren geschlungen, damit es nicht verrutscht; reicht hinab zum Boden, durch die Wohnung, bis ins Badezimmer. Dort steht Maria Königs Atemhilfe, ihre Lebenshilfe: ein Gerät, das den Sauerstoff aus der Luft anreichert und brummt wie ein Rasenmäher.

Todkrank und trotzdem zufrieden

Seit 2000, dem Jahr ihrer Scheidung, kommt sie ohne zusätzlichen Sauerstoff nicht mehr aus. Mehr als die derzeitige Dosis kann ihr Körper dabei aber nicht aufnehmen, die Lunge arbeitet schlechter und schlechter. Sie habe öfters Kopfschmerzen von dem Sauerstoffmangel, berichtet sie. Maria König spricht mit belegter, tiefer Stimme, wie eine Kettenraucherin. Dabei räuspert sie sich häufig, muss alle drei, vier Minuten die Nase schnäuzen. Sie plant nur noch bis zur jeweils nächsten Woche; Verabredungen muss sie oft kurz zuvor absagen, weil sie sich einfach nicht gut fühlt. Und doch: "Ich bin zufrieden", sagt sie, "ich habe viel Glück gehabt im Leben." Die Krankheit sei nie das Wichtigste gewesen.

Mit 13 Jahren erfuhr Maria König ihre Diagnose. Die Eltern versuchten danach bewusst, sie nicht anders zu behandeln als ihre drei Schwestern; das Mädchen sollte ein halbwegs normales Leben führen. Heute lebt sie in steter Angst vor Infektionen, der Schleim ist ein Hort von Keimen, eine Bronchitis könnte den Tod bringen. Gerade erst war sie in der Klinik, bekam Antibiotika, intravenös, viele Mittel helfen nicht mehr, die Bakterien sind resistent.

* Name geändert

1996 musste sie ihren Beruf als Rechnungsprüferin aufgeben und ist seitdem Frührentnerin. Nur selten verlässt sie die Erdgeschosswohnung in Bonn. Sie ist zu müde, zu schlapp; und wenn sie nach draußen geht, dann trägt sie eine kleine Sauerstoffflasche mit sich. Bummeln in Geschäften war sie lange nicht mehr. Sie hat den Anschluss verloren an Mode, Trends, auch an manche Bekannte. Bisweilen fährt Maria König zu den Eltern, mit einem alten Audi 80, zwanzig Minuten dauert die Fahrt. Doch meist kommen Mutter, Vater oder eine der Schwestern zu ihr, helfen in Haushalt und Garten. "Ohne meine Familie ginge es mir lange nicht so gut", sagt sie. Und auch die Nachbarn geben Acht, ob jeden Morgen die Rollläden aufgehen. Ob Maria König noch lebt.

Vor dem Tod selbst habe ich keine Angst, aber vor dem Sterben.

Sie telefoniert oft mit den Freunden, die geblieben sind, den Eltern, den Schwestern. Und sie liest viel, die Bücher von Elizabeth George, Siegfried Lenz, Heinrich Böll – und die Harry-Potter-Romane. "Ich will unbedingt noch den siebten Band lesen", sagt sie mit fester Stimme.

Wenn sie eines Tages zu schwach sein wird zum Laufen, wird sie wahrscheinlich ausziehen aus der eigenen Wohnung, zurück zu den Eltern. Mutter und Vater wollen nicht darüber sprechen, beide sind über 70 Jahre alt und ertragen den Gedanken nicht, dass ihr Kind vermutlich vor ihnen wird gehen müssen. Der Vater sage nur: "Das sehen wir dann, wir finden schon eine Lösung." Ihr Begräbnis plant sie nicht, "mir ist egal, wie ich beerdigt werde, tot ist tot". Und: "Ich bräuchte keinen Grabstein – aber vielleicht meine Eltern." Nur eines hat sie vor, eigentlich, sagt sie, hätte sie längst damit beginnen sollen: Abschiedsbriefe schreiben an ihre Liebsten. "Aber das schiebe ich vor mir her – ich weiß ja nicht, ob ich in zwei Jahren noch genauso denke wie heute."

Vor dem Tod selbst hat sie keine Angst, aber vor dem Sterben. Wenn der Tag kommt, möchte sie nicht intubiert werden, um ihr Leben zu verlängern. Aber weil es ein langer, schmerzhafter letzter Kampf ist, das Ersticken, wünscht sie sich, man möge ihr dann Beruhigungsmittel verabreichen.

Sterben - das ist die Auseinandersetzung mit dem vergehenden Leben

"In den letzten Jahren haben sich die Möglichkeiten der Medizin rasant verbessert", sagt der Berliner Sterbeforscher Bernhard Jakoby. "Wir leben länger." Dadurch, dass die Ärzte in Sterbeprozesse eingriffen, verlängerte sich aber auch das Sterben. "Die Ängste der Menschen vor dem Tod rühren daher, dass sie sich ausgeliefert und entmündigt fühlen. Die wenigsten wollen eine Maximalbehandlung – denn oft bedeutet dies, ohne Bewusstsein zu vegetieren, mit Nahrung versorgt über eine Sonde." Dennoch: Er spricht sich gegen aktive Sterbehilfe aus, da man einem Kranken das natürliche Ende nähme, die Auseinandersetzung mit dem vergehenden Leben: "Dinge, die im Diesseits nicht erledigt sind, müssen woanders erledigt werden."

Bärbl-Lis Leybold hat bereits viel geregelt. Sie steht auf dem Friedhof in Feldafing am Starnberger See, stützt sich mit der einen Hand auf ihr "Gehwagerl", und mit der anderen streicht sie zärtlich über die Steinplatte, welche die Urnengrabstätte ihrer Eltern und des Bruders abdeckt. Drei Namen sind darin eingraviert, Ludwig, Elisabeth und Tönnes Leybold. Darunter ist noch Platz für einen weiteren – ihren Namen.

Bärbl-Lis Leybold ist 91 Jahre alt, vor zwei Jahren hat sie die Grabstelle gekauft, die drei Urnen umbetten und hineinstellen lassen. Und weil sie schlecht laufen kann, ist es jetzt das erste Mal, dass sie sieht, wo auch sie begraben sein wird. Sie weint ein wenig, dann strafft sie den Rücken, dreht sich um und schaut über den See zu den Bergen. Die Sonne scheint. "Eine schöne Aussicht hat man von hier", murmelt sie.

Seit 17 Jahren lebt sie in einem Seniorenheim in Starnberg – gut und gern, wie sie sagt. Bärbl-Lis Leybold zog dorthin, nachdem der Bruder 60-jährig gestorben war. Ihr eigenes Ableben organisieren zu können war für die Seniorin ein langer Weg: "Ich wollte damit nichts zu tun haben, allein bei dem Gedanken wurde mir anders." Zu Hause habe man nie übers Sterben gesprochen, erinnert sie sich. Erst beharrliche Gespräche der Mitarbeiter im Seniorenheim brachten sie dazu, sich mit dem eigenen Tod zu beschäftigen.

Bärbl-Lis Leybolds Gesicht ist leicht gebräunt, die weißen Haare leuchten. Mit wachen Augen beobachtet sie ihr Umfeld, sie interessiert sich für Kunst, Theater und vor allem für Mode – früher war sie Gewandmeisterin und Kostümbildnerin, arbeitete an Theatern in Klagenfurt und Linz, Salzburg und München. Später, als Rentnerin, ist sie dann viel gereist, nach Australien und England, Kroatien und Ungarn. Und bis vor fünf Jahren radelte sie sogar noch an den Starnberger See. Doch das geht nicht mehr, die Beine sind zu müde, oft überfällt sie ein schwindeliges Gefühl. So ist ihr jetziger Radius begrenzt auf die Umgebung des Seniorenheims.

Vor mir mussten Billionen sterben, es wird mir auch gelingen.

"Ich bin ja nun nicht alt, sondern uralt", sagt sie, grinst, und wenn sie spricht, wackeln ihre langen Ohrringe, als würden sie zur Bestätigung nicken. Sie ängstigt sich nicht vor dem Tod: "Vor mir mussten Billionen Menschen sterben, es wird mir schon auch gelingen." Nur dass es schnell gehen möge, hofft sie; sie hat bestimmt, dass keine Geräte sie am Leben erhalten sollen. "Eine Patientenverfügung ist wichtig, jeder sollte im Vorfeld regeln, was geschehen soll, falls er irgendwann nicht mehr Herr seiner Sinne ist." Vor sechs Jahren hat sie ihre Verfügung unterschrieben.

Die letzten Angehörigen Bärbl-Lis Leybolds, ein Patenkind und ein Vetter, leben in Berlin und Australien. Sie hat keine eigenen Kinder, hat nie geheiratet. Nachdem ihr Verlobter nicht mehr aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrt war, konnte sie sich für keinen anderen erwärmen. Bis heute gilt er als vermisst, bis heute trägt sie seinen Ring, golden mit einem grünen Wappen. Dieses Andenken an ihn, sagt sie, werde sie mitnehmen ins Grab.

Bärbl-Lis Leybold hat Diabetes und Herzrhythmusstörungen, jüngst kam ein leichter Schlaganfall dazu. Ihr Optimismus, sagt sie, habe ihr aber immer geholfen, an solchen Schicksalsschlägen nicht zu verzweifeln: "Das Leben ist uns gegeben, da müssen wir durch. Und dann müssen wir wieder gehen, sonst würde die Welt ja platzen." Das heißt aber nicht, dass sie auf den Tod wartet. Sie strickt viel, fädelt bunte Ketten aus Glasperlen zusammen, schaut fern, gern die Soap-Opera "Verbotene Liebe" – "es ist herrlich anzuschaun, was diese jungen Leute immer für einen Blödsinn machen". Solange sie sich noch selbst beschäftigen kann, möchte sie auch leben.

Dass dabei alles geregelt ist, empfindet sie als "äußerst beruhigend". 5000 Mark hat sie selbst vor sieben Jahren für eine Feuerbestattung im Voraus bezahlt; noch einmal 190 Euro dafür, dass auf der Grabplatte ihr Name eingraviert wird. "Es wäre wunderschön, wenn es ein Leben danach gäbe", sagt Bärbl-Lis Leybold, nur glaube sie nicht so recht daran: "Dieser Christus ist ja erst in neuester Zeit aufgetreten – für mich persönlich ist die Evolutionstheorie wahrscheinlicher."

Sterben - der Übergang von einem Zustand in einen anderen

"Bestimmte Elemente und Phänomene beim Sterben treten immer wieder auf, weltweit und unabhängig von Kultur oder religiöser Prägung", sagt Bernhard Jakoby. "Eine Rückschau auf das Leben und der Übergang in die andere Welt durch einen langen, dunklen Tunnel, an dessen Ende sich ein helles Licht befindet und paradiesische Landschaften warten." Die berühmte Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross hat ein Modell von fünf Phasen entwickelt, die beinahe jeder Sterbende im Wechsel durchlebe: das Nicht-wahrhaben-Wollen, Auflehnung mit Wut und Zorn, Depression über Unerledigtes, Verhandeln mit dem Schicksal um Aufschub, schließlich Akzeptanz des Todes.

Es scheint, als durchlebe Stefanie Wieczorek, 29, diese Phasen stellvertretend für ihre Tochter Alina. Vor zehn Jahren, das Kind war gerade vier Monate alt, eröffneten ihr die Ärzte, es habe eine Stoffwechselstörung: Zellweger-Syndrom, eine genetische Mutation. Schwerste körperliche und geistige Behinderungen seien die Folge, die Lebenserwartung betrüge maximal zwei Jahre. In diesem Moment verlor Stefanie Wieczorek den Glauben an Gott. Man sagte ihr, da hätte sie auch Lotto spielen können, die Wahrscheinlichkeit auf sechs Richtige sei genauso groß wie die, mit einem Mann ein Kind zu zeugen, das ausgerechnet diesen Gendefekt aufweise. Alina, bald elf, lebt noch – wie lange, traut sich heute keiner mehr vorauszusagen. Sie spricht nicht, ist fast blind, befindet sich in der Entwicklung auf dem Stand eines sechs Monate alten Säuglings.

Das Kind braucht auf die Minute pünktlich seine Medikamente; im vergangenen Jahr durchlitt es eine so genannte Edison-Krise – ein Mangel an Kortison im Körper führte zu einer Insuffizienz der Nebennierenrinden, Herzversagen drohte. Dass Alina überlebte, ist für Stefanie Wieczorek ein kleines Wunder. Die Ausbildung als Zahnarzthelferin brach sie ab; aber sie spricht in medizinischen Fachausdrücken, als sei sie selbst die Ärztin. Als sie von einem anderen Mann erneut schwanger wurde, ließ sie sich beraten, ihre Angst, auch dieses Kind könne schwer krank sein, war riesengroß, man riet ihr zu einer Genuntersuchung. "Doch bis alle Zellen kultiviert gewesen wären, wäre ich im sechsten Monat gewesen", empört sie sich, "da treibt man doch nicht mehr ab! Als ich das hörte, habe ich einfach gewartet."

Natürlich hadere ich manchmal mit meinem Schicksal.

Das Kind, ein Junge, ist gesund, ihr zweiter Sohn ebenfalls. Sie sind acht und fünf Jahre alt. Der ältere wohnt inzwischen bei seinem Vater, der jüngere bei Stefanie Wieczorek, ihrem neuen Mann und Alina in Essen – anders würde sie das Familienleben nicht bewältigen können. Stefanie Wieczoreks Tag ist bestimmt von der Pflege ihrer Tochter: waschen, wickeln, Tee oder Flüssignahrung an die Magensonde hängen. Sie spricht mit Alina, kitzelt sie, kuschelt mit ihr, bettet sie um in einen Schaukelstuhl, spielt ihr Musik vor und ist sich sicher: "Alina bekommt das mit." Wenn das Kind sitzt und lacht, dann wisse sie, wofür sie sich aufreibe. "Ich bin nicht die perfekte Super-Pflege-Mami", sagt sie, "natürlich hadere ich manchmal mit meinem Schicksal." Stefanie Wieczorek ist dünn, viel zu dünn, sie trägt lange blonde Haare, die Nase tritt spitz aus ihrem Gesicht hervor. Obwohl sie viel raucht, wirkt sie jünger, als sie ist. Ihre Stimme ist tief, Traurigkeit liegt über ihr wie ein Schleier.

Drei-, viermal im Jahr machen Alina und ihre Familie Urlaub voneinander. Das Mädchen verbringt dann ein paar Tage im Kinderhospiz "Arche Noah" in Gelsenkirchen. In dieser Zeit erholt sich Stefanie Wieczorek, widmet sich den Söhnen und dem Ehemann, die sonst häufig zurückstecken müssen. Die Urlaubstage sind auch auch ein Training für die junge Mutter, sich an ein kommendes Leben zu gewöhnen – ein Leben ohne die kranke Tochter: "Alina baut ab, sie wird langsam gelb." Die Leber. "Mein Albtraum ist, dass sie eines Morgens tot ist." Eine Krise kann jederzeit kommen, sagt sie. Und dann: "Wenn ich ihr nur das Sterben abnehmen könnte."

Nicht immer spürte sie diese tiefe Liebe zu ihrem Kind; kurz nachdem sie die Diagnose bekommen hatte, wies Stefanie Wieczorek Alina zurück, tat nur das Notwendige, füttern, wickeln, baden. "Ich hatte Angst, sie immer mehr zu lieben, Angst vor dem Leid, das auf mich zukommt, wenn sie mich dann verlässt." Erst ihre Mutter konnte sie zur Besinnung bringen, indem sie sagte, das Baby könne nichts dafür, sei schutzlos, krank. "Da bin ich aufgewacht", gesteht sie.

Beim Sterben ist das Heute wichtig, nicht das Morgen

Kürzlich hat Stefanie Wieczorek die Patientenverfügung ausarbeiten lassen, von einem Rechtsanwalt. Sie selbst will nicht die Entscheidung treffen müssen, ob man ihrem Kind eines Tages die lebenserhaltenden Geräte abstellt. Sie wünscht sich, dass ihre "Puppa" zu Hause stirbt, nicht im Krankenhaus oder im Hospiz. Dann soll ihr Kind auf dem Frillendorfer Friedhof in Essen begraben werden. Ein weißer Kindersarg, weiße Luftballons, weiße Lilien. Auch wenn sie selbst mit Gott abgeschlossen hat, möchte sie Alina von dem Pfarrer beerdigen lassen, der sie selbst vor 16 Jahren konfirmierte. Die Andacht wird ohne Predigt sein, mit einer Minute des Gedenkens, das "Ave Maria" soll erklingen.

"Meine persönliche Stunde null", sagt Stefanie Wieczorek, sie krümmt den Rücken, schlägt ein Bein über das andere und wickelt es drum herum – als könne sie sich vor dem Gedanken verstecken, wenn sie sich nur klein genug macht. Sie will nicht an die Zukunft denken. "Das Heute ist wichtig, nicht das Morgen. Wir feiern jeden Geburtstag, jedes Weihnachten, jedes Ostern, als gäbe es kein nächstes Mal."

Was danach sein wird, weiß sie noch nicht genau. Stefanie Wieczorek möchte ihren Ältesten zu sich nehmen, und sie möchte wieder arbeiten. Vielleicht als Altenpflegerin – wenn sie eines bestimmt könne, sagt sie, dann pflegen.

Text: Mareike Fallet

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