Anzeige

Der Sprung allein ins neue Leben

Zerbrochener Ehering
© zimmytws / Shutterstock
Trennung und Scheidung oder Kompromisse und laue Gefühle? Viele Frauen wagen ersteres - und nehmen dafür viel in Kauf.

Was willst du denn hier?", fragte sie ihren Mann im mürrischen Ton, als er einen Tag früher als erwartet von einer Dienstreise nach Hause kam. Martina Grundmann* zuckte innerlich zusammen. Hatte sie das wirklich gesagt? Fand sie es tatsächlich schon so unerträglich, mit ihm unter einem Dach zu leben? Die Antwort war erstaunlich einfach: Ja. Ihr Mann war entsetzt, packte seine Koffer und zog in ein Hotel. In diesem Moment realisierte die 51-Jährige, dass ihre Ehe nach 24 Jahren endgültig zu Ende war.

Schon lange hatte sie das Gefühl, in der Beziehung zu ersticken, hatte immer wieder versucht, mit ihm darüber zu reden. Aber vergeblich. Ihr Mann blockte jedes "Problemgespräch" schon im Ansatz ab. Und jetzt verstand er die Welt nicht mehr. Sie waren doch immer das Vorzeigepaar gewesen: Heirat mit Mitte 20, drei Kinder, beide Ehepartner berufstätig, die Arbeit zu Hause teilten sie sich auf. Harmonie pur.

Keine Veränderung kann zu spät sein

Doch nach 20 Ehejahren begann sich ihr gemeinsames Leben zu verändern: Nacheinander zogen die Kinder aus, und Martina Grundmann nahm nach Jahren freiberuflicher Arbeit als IT- Trainerin eine feste Stelle an, war abends wieder regelmäßig zu Hause. Ihr Mann fand das wunderbar. Aber sie nicht. Sein größtes Glück bestand nämlich darin, gemeinsam mit ihr vor dem Fernseher zu sitzen. Irgendwann wollte sie nur noch raus. "Ich habe mich gefragt, was noch an gemeinsamer Substanz da ist" - und sie war erschüttert, als sie feststellte, "dass es da nichts mehr gab".

Vier Jahre lang quälte sie sich. Am Ende war die Sehnsucht, sich selbst und das Leben neu zu entdecken, stärker als der Schmerz, ihren Mann zu verlassen, und die Angst, allein dazustehen.

Jede dritte Ehe in Deutschland endet vor dem Scheidungsrichter - diese Statistik ist nicht neu. Neu allerdings: Immer mehr Ehen zerbrechen heute kurz vor oder nach der Silberhochzeit. Die Zahl der Scheidungen ist bei älteren Paaren in den vergangenen sieben Jahren um 70 Prozent gestiegen. Alte Liebe rostet eben doch. Und mehrheitlich sind es die Frauen, die das nicht akzeptieren.

Frauen arrangieren sich nicht mit Kompromissen.

"Männer arrangieren sich oft mit einer unerfüllten Ehe", sagt Dr. Insa Fooken, Psychologieprofessorin an der Universität Siegen. "Frauen dagegen wollen klare Verhältnisse." Es hat sich eben viel verändert. Für unsere Mütter war Scheidung noch ein Tabu. Klagte früher eine über ihre Ehe, hieß es nicht selten: "Er säuft nicht, er schlägt dich nicht. Was willst du mehr?" So genügsam sind die Frauen heute nicht mehr: Sie weigern sich, in kläglichen Kompromissen zu verharren.

"Ich war Ehefrau, Trainerin und Mutter, aber ich wusste nicht, wer ich bin", sagt Martina Grundmann. Den Entschluss, sich scheiden zu lassen, hat sie keine Sekunde bereut. Obwohl es schrecklich war, die Familienwohnung allein auszuräumen und 24 gemeinsame Jahre zu entsorgen. Auch dass ihre jüngste Tochter auf die Trennung panisch und fassungslos reagierte und fürchtete, die Familie würde sich komplett auflösen, belastete sie enorm.

Und trotzdem ist Martina Grundmann heute glücklich über ihr neues Leben ohne den Ehemann. "Ich halte das Ruder jetzt in der Hand und lasse mich immer wieder von mir selbst überraschen." Wenn Menschen nach vielen Jahren den Schritt aus einer unglücklichen Ehe wagen, kann das viele Gründe haben. Psychologin Insa Fooken hat dazu 122 Scheidungspaare befragt, die im Schnitt 25 Jahre miteinander verheiratet waren, und herausgefunden, dass es typische Auslöser für eine späte Trennung gibt: wenn die Kinder aus dem Haus gehen und das Paar auf sich zurückgeworfen ist. Wenn einer arbeitslos wird oder in Rente geht und plötzlich rund um die Uhr zu Hause ist. Wenn ein Partner sich weiterentwickelt, der andere dagegen im alten Fahrwasser bleibt. Und wenn Paare sich erst nach Jahren eingestehen können, dass sie die ganze Zeit in einer Illusion von Gemeinsamkeit gelebt und Unvereinbarkeiten geleugnet haben.

Allein sein nach Scheidung und Trennung

Katja Schmidt trennte sich nach 22 Jahren. Ohne Vertrauensbruch, ohne Eklat, ohne größere Erschütterung. Die 50-jährige Produktmanagerin und ihr Mann Thomas waren ein eingespieltes Team. Sie hatten eine schöne Wohnung, lebten ohne finanzielle Sorgen und fühlten sich aufgehoben in ihrem gemeinsamen Freundeskreis. Das Ende kam schleichend, von beiden unbemerkt. "Ich fühlte mich von ihm als Frau überhaupt nicht mehr wahrgenommen. Er hat mich zwar liebevoll bekocht, aber mir fehlte die Erotik." Auf Partys war ihr Mann charmant, sprühend, zugewandt. Kaum waren sie allein zu Hause, blieb davon nichts mehr übrig. Lange glaubte sie, es läge an ihr. Weil sie eben nicht toll genug sei, um begehrt zu werden, nichts Besseres verdient habe. Gedanken, die sie heute absurd findet. Als sie das erste Mal an Trennung dachte, fühlte sie Panik in sich aufsteigen. "Ich hatte schreckliche Angst, allein zu sein." Aber alle Versuche, über das zu sprechen, was sie in ihrer Partnerschaft vermisste, scheiterten. "Für Thomas war alles in Ordnung. Ihm hat nichts gefehlt."

Der Hamburger Paartherapeut Michael Cöllen begegnet in seiner Praxis täglich Ehemännern, die nicht verstehen, warum ihre Frauen unzufrieden sind und sich von ihnen zurückziehen: "Sie sind häufig vollkommen überrascht, wenn die Partnerin sie mit ihrer Unzufriedenheit konfrontiert. Viele finden den Weg zur Beratung erst, wenn die Frau schon beim Anwalt war."

Männer sind oft überrascht.

Auch Katja Schmidt hat sich immer wieder arrangiert. Zehn Jahre dauerte es, bis sie wagte, den Schlussstrich zu ziehen. Der Auslöser war ein Jobangebot in einer anderen Stadt. Zwar hatten ihr Mann und sie sich gemeinsam für den Neuanfang entschieden, doch während der Umzug auf sie wie eine Vitaminspritze wirkte, fand er alles schrecklich. Er hatte anfangs noch keinen Job und ließ sie seine schlechte Laune täglich spüren. "Bei mir lief es richtig gut", erzählt Katja Schmidt. "Zum ersten Mal fand ich neben dem Beruf Zeit, mich mit mir selbst zu beschäftigen, habe Seminare besucht, Reisen gemacht und mich weiterentwickelt." Weil sie keine Lust mehr hatte, sich für jeden Workshop und jeden neuen Rock vor ihrem Mann zu rechtfertigen, forderte sie schließlich getrennte Konten und setzte sich durch - gegen seinen Widerstand. Ein Befreiungsschlag. Endlich konnte sie sagen: "Es ist mein Geld, und ich mache damit, was ich will." Vorher hatte sie sich ständig kontrolliert gefühlt.

Finde ich wieder einen Partner?

Seit einem Jahr ist Katja Schmidt von ihrem Mann geschieden - und er fehlt ihr nicht. Genau wie Martina Grundmann freut sie sich immer wieder über ihren Mut und ist stolz darauf, dass sie ihr Leben jetzt allein meistert. "Es redet mir keiner mehr rein. Und das fühlt sich richtig gut an."

Anfangs war da ab und zu noch die Angst, nie wieder einen Partner zu finden, für immer allein leben zu müssen. Aber irgendwann sei ihr klar geworden, dass diese Gedanken sie in eine Sackgasse führten, und "seitdem sind sie verschwunden".

Schwerer wiegt für viele Frauen die Sorge ums Geld: Noch immer verdienen die meisten Ehefrauen weniger als ihre Männer. Und vor allem Frauen, die wegen der Familie ihren Beruf aufgegeben haben, fürchten - vielfach zu Recht -, bei einer Scheidung schlecht dazustehen. Maren Köhler musste nach der Trennung von ihrem Mann Klaus bei null anfangen. Als ihre erste Tochter auf die Welt kam, hatte sie ihren Job als Bankkauffrau gekündigt. Dass sie irgendwann allein mit drei Kindern dastehen würde und um einen Job kämpfen müsste, hätte sie sich nie träumen lassen. "Ich dachte, wir seien das ideale Paar: Ich war der Kopfmensch, er der Emotionale, ich war die Pragmatische, er der Künstler. Wir haben uns wunderbar ergänzt." 22 Jahre lang hielt Maren Köhler ihre Beziehung für innig und stabil, selbst als das dritte Kind schwerstbehindert zur Welt kam. "Aber scheinbar haben wir es doch nicht so gut gepackt, wie ich dachte."

Als die älteste Tochter zwölf war, kam heraus, dass ihr Mann seit Monaten eine Geliebte hatte. "Ich fühlte mich entsetzlich." Wie in Trance ging sie die nächsten Monate durch ihren Alltag. Er beteuerte, dass er sie über alles liebe, mit einer Einschränkung: Es müsse einen kleinen Raum für die andere Frau geben. "Er wollte die Familie als sicheren Hafen und dazu eben noch ein Sahnehäubchen." Maren Köhler war fassungslos. Der Gedanke, dass er sich im Atelier regelmäßig mit seiner Geliebten traf, machte sie fertig - von freier Liebe hatten sie schließlich nie gesprochen. Und ständig musste sie sich anhören, dass die andere berufstätig und interessant sei und sein Selbstbewusstsein aufbaue, das angeblich durch die Behinderung des jüngsten Kindes gelitten habe.

Treffen vor Gericht

Dreimal besuchten sie eine Paarberatung. Ohne Ergebnis. Es folgte ein quälendes Jahr voller Hin und Her: Die Geliebte machte Schluss, er wollte mit Maren zusammenbleiben, beteuerte, er habe sich für die Familie entschieden. Und dann traf er sich doch wieder mit der Geliebten. Am Weihnachtsabend erzählte er Maren von seinem größten Wunsch, "dass wir Frauen sogar beste Freundinnen werden". Sie spürte eine ungeheure Wut. Und das war gut so. Endlich hatte sie die Kraft, ihn vor die Tür zu setzen. Und doch: "Die Trennung zu verarbeiten, empfand ich als schwerer, als damals mein behindertes Kind anzunehmen." Ihr Mann zahlte zwar Unterhalt, aber unzuverlässig. Das Geld einzuklagen, fand sie entwürdigend. Sie wollte auf eigenen Füßen stehen - auch im Beruf. Ihr alter Arbeitgeber winkte allerdings höflich ab. Sie war zu lange raus aus dem Bankgeschäft.

Nach einigen Jobwechseln kam sie durch eine Urlaubsvertretung endlich zu ihrem Traumjob als Verlagssekretärin - da war sie 55. "Ich wusste plötzlich ganz genau, was ich wollte, und habe wie eine Löwin dafür gekämpft", sagt Maren Köhler. Dass sie jetzt finanziell auf eigenen Beinen steht, macht sie stolz. Und dass sie heute mit ihrem Mann ganz ruhig reden kann, wenn sie ihn auf den Geburtstagen der Kinder trifft, auch. Denn inzwischen weiß sie, dass es richtig war, den Absprung zu wagen: "Ich habe einen wunderbaren Freundeskreis, ich bin viel offener als früher, gestalte mein Leben so, wie es mir Spaß macht und ich es mir leisten kann", sagt sie. "Und das macht mich unglaublich zufrieden."

* Namen der Ehepaare geändert

Das aktuelle Recht zu Trennung und Scheidung

Seit 1. Januar 2008 ist das viel diskutierte Gesetz in Kraft. Sein zentraler Gedanke: Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Und: Verheiratete und unverheiratete Paare werden gleich behandelt. Hier die wichtigsten Änderungen

Unterhalt ist nicht mehr selbstverständlich Nach dem dritten Geburtstag des jüngsten Kindes muss Betreuungsunterhalt nur gezahlt werden, wenn das der "Billigkeit" entspricht. Das heißt: Niemand kann vorhersagen, ob und wie lange ein Gericht dem Ex-Partner Unterhalt zugesteht. Eine Frau muss auch nach langer Ehe jede Arbeit annehmen, die ihrer Ausbildung entspricht. So ist es zum Beispiel für eine geschiedene Arzt-Ehefrau im Zweifel zumutbar, wieder als Sekretärin zu arbeiten, wenn das ihr erlernter Beruf ist. Ihr Gehalt wird dann als ausreichende, angemessene Lebensgrundlage angesehen - selbst wenn ihr Lebensstandard unter dem liegt, den sie in der Ehe hatte. Wer allerdings nachweisen kann, dass er beruflich wesentlich weiter gekommen wäre, wenn er Single geblieben wäre, kann Ausgleich durch Unterhalt verlangen. Das gilt ebenso für sehr lange Ehen. Dabei muss besonders berücksichtigt werden, inwieweit sich die Ehe auf die Möglichkeit ausgewirkt hat, für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Zum Beispiel wenn sich das Paar bewusst für eine Zweiteilung - einer kümmert sich um die Familie, der andere um das Geld - entschieden hat. In diesem Fall empfiehlt der Gesetzgeber, den Unterhaltsanspruch nach und nach "abzuschmelzen". Wer seine Berufsausbildung während der Ehe abgebrochen hat, kann Unterhalt für eine Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung verlangen.

Kinder haben grundsätzlich Vorrang Hat der Ex-Partner inzwischen eine neue Familie gegründet, erhalten zuallererst die minderjährigen Kinder finanzielle Unterstützung, egal ob sie aus der neuen oder der alten Beziehung kommen. Dann erst die Partner und Ex-Partner. Das gilt auch, wenn ein Ehevertrag geschlossen wurde, aber das Geld nicht reicht.

Rentenansprüche werden direkt geteilt Wie bisher werden bei einer Scheidung die Rentenansprüche, die während der Ehe erworben wurden, halbiert. Nur das Verfahren hat sich geändert: Vorher wurden die Ansprüche nach hoch komplizierten Berechnungen ausgeglichen. Außerdem konnten sie erst geltend gemacht werden, wenn beide Geschiedenen in Rente waren. Heute werden alle Versorgungen im jeweiligen System getrennt und hälftig geteilt. Das Geld bekommen die Ex-Partner jetzt direkt vom Versorgungsträger - bei einer Betriebsrente von einem Konto, das bei der Scheidung von der Firma eingerichtet werden musste. Die Rente, zum Beispiel an die Frau, muss dann ein Leben lang gezahlt werden, auch wenn sie ihren Ex-Mann viele Jahre überlebt.

Interview: "Frauen sind entschlossener und radikaler in der Liebe"

Warum fällt es Paaren trotz vieler gemeinsamer Jahre so schwer, die Herausforderungen einer langen Ehe zu meistern? BRIGITTE-Woman-Mitarbeiterin Birgit Schönberger sprach darüber mit dem Hamburger Psychologen und Paartherapeuten Michael Cöllen

BRIGITTE WOMAN: Frauen, die sich nach 20 oder 30 Jahren Ehe getrennt haben, berichten häufig, ihre Männer seien aus allen Wolken gefallen. Wie kann das sein?

Michael Cöllen: Es ist statistisch erwiesen, dass nach sechs Jahren Ehe bereits 80 Prozent der Frauen unzufrieden sind, bei den Männern sind es nur 20 Prozent. Das zeigt, dass Frauen und Männer eine Beziehung sehr unterschiedlich erleben. Ich kenne den Fall eines Mannes, der wie vom Schlag getroffen war, als seine 48-jährige Frau auf einer Party wortlos mit einem anderen Mann wegging und jede Auskunft verweigerte. Später stellte sich heraus, dass sie ihn jahrelang erfolglos mit ihrem Ehefrust konfrontiert hatte. Ich habe in meiner Praxis auch 60-Jährige, die ihren Männern sagen: "Ich trenne mich von dir, so will ich nicht mehr weiterleben."

BRIGITTE WOMAN: Warum kämpfen die Männer nicht rechtzeitig um die Liebe?

Michael Cöllen: Oft sind sie durch den Beruf so ausgelaugt, dass sie für die Beziehung keine Kraft mehr haben...

BRIGITTE WOMAN: Viele der Frauen sind ja nicht weniger belastet.

Michael Cöllen: Natürlich, aber sie bewahren sich noch eine gewisse Privatzone. Die Männer empfinden die Erwartungen der Frauen häufig als zusätzliche Belastung - auch weil sie es nicht gelernt haben, in die Welt der Gefühle einzutauchen. Viele Männer kommen nach Hause, sind müde, setzen sich vor den Fernseher. Das machen die heute 50-jährigen Frauen nicht mehr mit.

BRIGITTE WOMAN: Weil sie so selbstbewusst sind, dass sie sich ihre Erfüllung woanders holen oder sich trennen?

Michael Cöllen: Ja. Sie sind auch nicht mehr bereit, die gesamte Beziehungsarbeit allein zu machen. Spätestens, wenn die Kinder aus dem Haus gehen, hören sie damit auf. Sie pflegen intensive Freundschaften zu anderen Frauen und suchen in ihrem neuen Selbstbewusstsein eigene Wege - auch unabhängig von den Männern.

BRIGITTE WOMAN: Hat die steigende Zahl der späten Scheidungen auch damit zu tun, dass die heutige Frauengeneration grundsätzlich höhere Erwartungen an die Liebe hat?

Michael Cöllen: Ganz sicher. Die Frauen geben sich nicht mehr mit Liebe auf Magerkost zufrieden. Sie lesen sehr viel über Partnerschaft, entdecken ihre Lust und möchten sie auch leben.

BRIGITTE WOMAN: Zur Scheidung kommt es oft, wenn sich das gemeinsame Leben verändert. Was macht es so schwer, diese Übergänge zu meistern?

Michael Cöllen: Beziehungen laufen in Phasen ab, und etwa alle zehn Jahre beginnt eine neue: Am Anfang steht die Hingabephase, danach kommen die Aufbauphase, die Lebensmitte, und mit 50 beginnt die Altersphase: Die Kinder gehen aus dem Haus, gleichzeitig hat man im Job oft den Zenit erreicht. Plötzlich ist das Paar auf sich gestellt und muss eine Neuorientierung finden.

BRIGITTE WOMAN: Und an diesem Punkt driften dann viele auseinander?

Michael Cöllen: Wenn die Belastung durch die Kindererziehung weg ist und der berufliche Druck nachlässt, haben viele Frauen Lust, sich und das Leben neu zu entdecken und werden aktiv, während sich die Männer zurückziehen. Jahrelang haben sie klare Ziele verfolgt, an ihrer Karriere gearbeitet, ein Haus gebaut, die Kinder unterstützt, und nun sitzen sie allein mit ihrer Frau da. Für diese Phase gibt es wenig gesellschaftliche Regeln. Früher war alles durch die Konvention geregelt. Umso wichtiger wäre es heute, vielmehr miteinander zu reden, denn die Gefühle können oft nicht ausgetauscht werden.

BRIGITTE WOMAN: Beobachten Sie Unterschiede in der Art, wie Frauen und Männer sich nach langer Ehe trennen?

Michael Cöllen: Frauen sind entschlossener und radikaler in der Liebe. Sie verlangen mehr und suchen die Auseinandersetzung. Sie gehen das Risiko ein, allein zu bleiben und sind sogar bereit, einen sozialen Abstieg auf sich zu nehmen. Männer gehen tendenziell erst, wenn sie eine neue Partnerin haben. Was im Moment bei Frauen in und nach der Lebensmitte stattfindet, ist eine fast lautlose Revolution, die gewaltige Veränderungen für das Zusammenleben von Mann und Frau mit sich bringt.

*Michael Cöllen ist Diplom-Psychologe und Paartherapeut in Hamburg (www.michaelcoellen.de). Zuletzt erschien von ihm "Liebe deinen Partner wie dich selbst. Wege für Paare aus narzisstischen Krisen". (255 S., 22,95 Euro, Gütersloher Verlagshaus)

Text: Birgit Schönberger Bild: Getty Images

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel