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Ein Gespräch mit Diane Keaton: "Ich mag nur mein Lachen"

Diane Keaton ist eine der größten Filmstars unserer Zeit. Sie hat alle wichtigen Preise gewonnen und fühlt sich trotzdem als Hochstaplerin. Wie kann das sein?

Diane Keaton sitzt in der Lobby des Hotels "Casa Del Mar" am Strand von Santa Monica. Sie steht auf, reckt sich wie nach einem Langstreckenflug und sagt: "Hi, Verzeihung, musste sein, ich sitze schon den halben Tag hier. Hatten Sie eine lange Reise?" Und noch bevor man Gelegenheit hat, ihr elegantes Outfit zu bewundern - camelfarbener Designermantel mit breitem Gürtel zu knöchellangen Hosen, unter denen schwarze Strümpfe mit weißen Tupfen hervorblitzen -, steckt man mitten in einem Gespräch über Diane Keatons Lieblingsthema: die Angst vorm Fliegen. Ob Beruhigungspillen helfen oder doch besser Rotwein? Oder beides?

Diane Keaton bei der Premiere zum Film "Mad Money" in Los Angeles.
Diane Keaton bei der Premiere zum Film "Mad Money" in Los Angeles.
© McCarten / Reuters

Dann bemerkt sie, wie ich sie mustere, streckt die Hände aus, zeigt ihre Nägel, die passend zu ihren Strümpfen schwarz-weiß gepunktet sind, und sagt: "Habe ich heute Morgen selbst draufgeklebt, mir fehlt einfach die Geduld für eine richtige Maniküre." Dann lässt sich die 67-Jährige in den Sessel fallen und fragt mich so interessiert aus, als sei ich der faszinierendste Mensch, den sie je getroffen hat. Sie hört zu, ohne mir einmal ins Wort zu fallen. Kein Wunder, dass Woody Allen nicht ohne sie konnte und Al Pacino sie verehrte. Gute Zuhörer sind entwaffnend. Besonders im eitelsten Geschäft der Welt.

BRIGITTE WOMAN: Sie gelten als Rebellin. Bei den Oscars traten Sie im Anzug auf, Sie haben nie geheiratet, sind mit über 50 Mutter geworden. Welche Rolle spielen Sie heute?

Diane Keaton: Die Gefangene der Freizeitaktivitäten meiner halbwüchsigen Kinder. Und Hosen trage ich immer noch lieber.

BRIGITTE WOMAN: Ist Ihr Leben nach Plan verlaufen?

Diane Keaton: Es gab keinen.

BRIGITTE WOMAN: Und warum wollten Sie Schauspielerin werden?

Diane Keaton: Ich bin wohl Schauspielerin geworden, weil ich von allen geliebt werden wollte.

BRIGITTE WOMAN: Hätte die Liebe eines Mannes nicht auch gereicht?

Diane Keaton: Wenn ich einem Mann verfallen war, dann immer mit Haut und Haaren. Aber nie für immer. Ich verwechselte wohl oft auch Liebe mit Leidenschaft. Heute interessiert mich beides nicht mehr.

BRIGITTE WOMAN: Die Gelassenheit des Alters?

Diane Keaton: Mein Lieblingsthema! Leider habe ich keine weisen, allgemeingültigen Ratschläge fürs Älterwerden. Dafür ändere ich meine Meinung zu oft. Entgegen der landläufigen Ansicht kann man sich nämlich auch im Alter noch ganz erstaunlich verändern. Ich jedenfalls gehöre nicht zu den Menschen, die starrsinnig an ihren Prinzipien festhalten.

BRIGITTE WOMAN: Von welchem Prinzip haben Sie sich in den vergangenen Jahren verabschiedet?

Diane Keaton: Vom Prinzip Zweisamkeit. Mit 60 hatte ich eine Phase, in der ich dachte, es könnte noch der Richtige kommen. Inzwischen finde ich die Vorstellung absurd. Der Zug ist abgefahren, und ich weine ihm keine Träne nach.

BRIGITTE WOMAN: Gab es einen bestimmten Anlass für diese Einsicht?

Diane Keaton: Nur Realismus. Seien wir doch ganz ehrlich, ab 40 tendiert die Chance auf eine weiße Hochzeit gegen null.

BRIGITTE WOMAN: Wenn ich dagegenhalten darf: Ich habe erst mit 41 geheiratet.

Diane Keaton: Gratuliere. Sind Sie glücklich?

BRIGITTE WOMAN: Schon.

Diane Keaton: Fantastisch. Die amerikanische Feministin Gloria Steinem hat sogar mit 66 Jahren zum ersten Mal geheiratet. Ich sage ja nicht, dass es unmöglich ist. Nur für mich wäre es unvorstellbar. Als ich auf die Idee kam, mit einem Mann mein Leben verbringen zu wollen, war ich bereits zu alt, um einen an Land zu ziehen (sie lacht). Ich war mit großartigen Männern zusammen. Aber sie zu heiraten wäre einfach nicht ehrlich ihnen und meinen Lebensumständen gegenüber gewesen.

BRIGITTE WOMAN: Lebensumstände können sich anpassen.

Diane Keaton: Ich fürchte, Anpassung ist nicht meine Stärke.

BRIGITTE WOMAN: Sie wussten schon sehr früh in Ihrem Leben sehr genau, was Sie wollten. Woher kam dieser Freiheitsdrang?

Diane Keaton: Ich war nicht so frei, wie es aussieht. Ich hatte meinen eigenen Kopf, aber natürlich wollte ich auch gefallen, sonst hätte ich mir einen anderen Job gesucht. Mein Streben nach Publikum war der Ersatz für Nähe. Und ich hatte schon früh verstanden, was eine Ehe bedeuten kann. Meine Mutter lebte es mir vor.

BRIGITTE WOMAN: Ihre Mutter, schreiben Sie in Ihren Memoiren "Damals Heute", hatte sich als junge Frau als "Mrs. America" beworben und träumte von einer Karriere als Fotografin.

Diane Keaton: Meine Mutter verschwand oft in ihrer Dunkelkammer. Schon als kleines Mädchen bemerkte ich, dass sie unter einer unerfüllten Sehnsucht litt. Sie war eine Künstlerin ohne Medium. So wollte ich nicht enden. Ich wollte Applaus und auf gar keinen Fall von einem Mann abhängig sein.

BRIGITTE WOMAN: Muss eine Beziehung denn zwingend in eine Abhängigkeit münden?

Diane Keaton: Natürlich ist Unabhängigkeit auch in einer Ehe möglich. Aber dafür muss man anders gepolt sein als ich. Ich neige zur Obsession. Außerdem schreckte mich das Beispiel meiner Mutter ab. Das Wichtigste in ihrem Leben waren ihre vier Kinder. Sie hatte keine Ausbildung und war eine sehr schöne Frau. Sie hatte keine Chance auf Unabhängigkeit.

BRIGITTE WOMAN: Macht Schönheit unfrei?

Diane Keaton: Die Generation meiner Mutter schon. Mir hat es später vielleicht sogar geholfen, dass ich nie ein Pin-up-Girl war.

BRIGITTE WOMAN: Aber Sie sind auch nicht gerade hässlich.

Diane Keaton: Im Vergleich zu meinen Idolen durchaus. Wenn ich schon keine Audrey Hepburn sein konnte, musste ich mit anderen Attributen auf mich aufmerksam machen. Das Einzige, was ich immer an mir mochte, sind mein Lachen und mein Humor. Woody Allen sagte immer: Für Komödien wirst du niemals zu alt sein.

BRIGITTE WOMAN: Ihr neuer Film "The Big Wedding" ist eine Komödie. Am Ende sind Sie die Einzige, die nicht unter die Haube kommt. Jeder liebt jemanden, sagen Sie im Film, aber ich liebe alle.

Diane Keaton: So ist es. Man könnte mir vorwerfen: Schon wieder eine Rolle, in der ich eine Variante meiner selbst spiele. Aber zu Robert De Niro als Ex-Ehemann konnte ich einfach nicht Nein sagen.

BRIGITTE WOMAN: Ist das vielleicht Ihr Erfolgsgeheimnis, dass Sie auch im Film immer Sie selbst sind?

Diane Keaton: Nun ja, ich war ja nicht durchgehend erfolgreich. Es gab einige Durchhänger. Aber im Rückblick waren auch die sinnvoll, denn ich konnte in den Pausen meinen anderen Interessen nachgehen. Ich schätze, dass ich in meinem Leben mehr mit Immobilien verdient habe als mit der Schauspielerei.

BRIGITTE WOMAN: In Los Angeles haben Sie ein halbes Dutzend Häuser im altspanischen Stil gekauft, renoviert und mit hohem Gewinn weiterverkauft - eines sogar an Madonna.

Diane Keaton: Die spanische Architektur in Kalifornien hat es mir angetan. Spanische Häuser sind so familienfreundlich. Ihre simple Eleganz berührt mich. Vielleicht, weil meine Kindheit in Orange County von dieser Architektur geprägt war. Ich habe mich in alle meine Häuser verliebt, meist auf den ersten Blick. Und wenn ich verliebt bin, will ich besitzen und mich kümmern. Hätte ich dazu Gelegenheit gehabt, wenn ich einen Oscar nach dem anderen gewonnen hätte? Vermutlich nicht. Verwirklichte Träume können auch eine Bürde sein.

BRIGITTE WOMAN: Oder wollten Sie sich unterbewusst nicht zu sehr von Ihrer großen Leidenschaft, der Schauspielerei, abhängig machen?

Diane Keaton: Interessante Frage. Ich habe ja jahrelang auf der Couch gelegen, aber das ist mir nicht in den Sinn gekommen. Ich bin froh, kein großer Hollywoodstar zu sein. Weil damit auch wieder Verpflichtungen einhergehen, zu denen ich nicht bereit bin. Und es nie war, wenn ich's genau betrachte.

BRIGITTE WOMAN: Von außen betrachtet, erfüllen Sie alle Anforderungen an einen Filmstar. Sie haben sämtliche Filmpreise gewonnen, vom Oscar bis zum Golden Globe ...

Diane Keaton: ... aber tief in meinem Inneren hielt ich mich für eine Hochstaplerin. Ich dachte, dass ich nur für den Oscar nominiert wurde, weil Woody Allen und Warren Beatty das Beste aus einer mittelmäßigen Schauspielerin herausgeholt hatten. Was war das für eine Leistung? Ruhm bereitete mir eher Schuldgefühle.

BRIGITTE WOMAN: Haben Sie deshalb jahrelang unter Bulimie gelitten?

Diane Keaton: Es gibt keine einfache Antwort auf diese Frage. Ich war nie dick, hatte keine familiären Probleme und war zu dieser Zeit glücklich mit Woody Allen liiert. Aber irgendetwas brachte mich dazu, mir mein eigenes Gefängnis zu bauen. Unsicherheit, vielleicht. Hunger nach Anerkennung. Aber wieso konnte ich die Anerkennung nicht genießen? Ich wünschte, ich wäre früher in Therapie gegangen. Das Reden hat mir geholfen. Reden und Zuhören. Ich höre heute mit demselben Hunger zu, mit dem ich als junge Frau gegessen habe.

BRIGITTE WOMAN: Ernähren Sie sich heute besonders gesund?

Diane Keaton: Mein Verhältnis zum Essen ist leidenschaftslos. Ich habe seit 25 Jahren kein Fleisch angerührt und esse seit fünf Jahren nicht mal mehr Fisch. Keine Ahnung, wie das anfing. Ich mag einfach keine Tiere mehr essen. Ich ernähre mich bewusst, kann aber auch einen Rotwein genießen. Ich möchte gesund und aktiv bleiben.

BRIGITTE WOMAN: Und schlank?

Diane Keaton: Ach was. Schauen Sie sich die Hollywood-Figuren von heute an. Da hätte ich auch als 20-Jährige nicht mithalten können.

BRIGITTE WOMAN: Kennen Sie Spanx, die Zauberwäsche der Stars? Das tragen doch jetzt alle, oder?

Diane Keaton: Glauben Sie mir, auf dem roten Teppich sind keine Mieder im Spiel. Und ich selbst benötige sie nicht. Ich trage ja schon lange keine Abendkleider mehr. Sie haben mir noch nie gestanden. Als mir einmal eine Stylistin sagte, meine Schultern seien zu schmal für ein trägerloses Kleid, da war der Traum vorbei. Tja, so viel zu meinem Selbstvertrauen.

BRIGITTE WOMAN: Aber da stehen Sie doch inzwischen drüber!

Diane Keaton: Ich würde gern sagen, dass ich darüberstehe. Aber ich tue es nicht. Ich tauge nicht als Aushängeschild für würdevolles Altern.

BRIGITTE WOMAN: Sondern?

Diane Keaton: Wie gesagt, ich fand mich nie hübsch. Hübsch zu sein ist eh nichts anderes als das Versprechen auf Perfektion. Perfektion aber bedeutet Stillstand. Ich lechze nach neuen Ideen und Erfahrungen und könnte trotzdem manchmal nur schreien: O Gott! Wie werde ich das durchstehen und dabei ein Minimum an Authentizität bewahren? Und dann denke ich wieder: Wer will darüber richten?

BRIGITTE WOMAN: Sie haben mit über 50 Jahren zwei Kinder adoptiert. Warum so spät?

Diane Keaton: Ich war schlicht und ergreifend erst damals reif genug für Kinder. Das könnte man natürlich als puren Egoismus auslegen. Ich denke, meine Kinder haben mich davor bewahrt, allzu selbstsüchtig zu werden.

BRIGITTE WOMAN: Was ist die größte Herausforderung für Sie als Mutter?

Diane Keaton: Das Loslassen. Meine Tochter Dex ist jetzt 17, mein Sohn Duke elf. Ein aufregendes und anstrengendes Alter. Ich liebe meine Kinder abgöttisch und verspreche, sie aus dem Würgegriff zu entlassen, bevor es zu spät ist.

BRIGITTE WOMAN: Und dann?

Diane Keaton: Ich kann mich beschäftigen. Gerade habe ich meinen zweiten Architektur-Bildband herausgebracht. Und ich arbeite an einer Essay-Sammlung über Schönheit.

Mit Woody Allen
Mit Woody Allen
© imago/United Archives

BRIGITTE WOMAN: Das Thema lässt Sie nicht los.

Diane Keaton: Ja. Aber mir geht es um die gängigen Maßstäbe von Schönheit. Schönheit hat so viele Facetten. Für mich kann damit auch ein Song von Frank Ocean gemeint sein. Kennen Sie ihn?

BRIGITTE WOMAN: Den Hiphop-Sänger?

Diane Keaton: Genau. Als ich sein Lied "4 Tears" zum ersten Mal hörte, wunderte ich mich darüber, dass es mich so berührt. Dann verstand ich, dass es mich an eine längst vergangene Zeit in meinem Leben erinnerte.

BRIGITTE WOMAN: Das klingt sentimental.

Diane Keaton: Ist das nicht das Recht der Älteren? Nein, ich wünsche mich wirklich nicht zurück. Es ist ganz schön, nicht mehr besessen zu sein. Von einem Mann, von der Karriere. Ich übe mich darin, den Moment zu genießen. Jeden Morgen, wenn ich zu den Klippen vor meinem Haus laufe und auf den Pazifischen Ozean blicke, ermahne ich mich, an nichts anderes zu denken. Nur den Himmel und das Meer zu sehen und nicht daran zu denken, wen ich vielleicht dringend anrufen muss und dass ich eigentlich heute noch Sport machen sollte. Einfach mal zehn Minuten loslassen. Das ist es doch, wonach wir alle streben. Aber es ist trotzdem furchtbar schwer. Können Sie's?

Biografie

Diane Keaton wurde am 5. Januar 1946 in Los Angeles geboren. Ihr Vater war Bauingenieur, ihre Mutter Hausfrau. Sie war das älteste von vier Kindern. Mit 19 ging sie auf die Schauspielschule in New York. Ihren ersten Broadway-Erfolg landete sie im Musical "Hair".

Der Durchbruch gelang ihr 1970, als sie in Woody Allens Theaterstück "Mach's noch einmal, Sam" die weibliche Hauptrolle spielte. Weitere Meilensteine und Männer: Woody Allens "Annie Hall", mit dem sie 1977 zur Stil-Ikone wurde und einen Oscar gewann. "Der Pate", in dem sie die Ehefrau von Michael Corleone spielte und sich in Wirklichkeit in Al Pacino verliebte.

1979 verliebte sich Warren Beatty in sie. Später waren die beiden Hauptdarsteller im Sozialdrama "Reds", Keaton bekam dafür 1982 die zweite Oscar-Nominierung. Highlights der vergangenen Jahre waren "The First Wives Club" und "Something's Gotta Give" mit Jack Nicholson. Keaton hat mehrere Bücher über Kunst und Architektur herausgebracht und einen Dokumentarfilm über Jenseitsvorstellungen gedreht. Mit ihren beiden Adoptivkindern lebt sie in Pacific Palisades.

Interview: Brigitte Steinmetz BRIGITTE Woman 07/2013

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