Anzeige

Auf der Suche nach neuen Pflanzen für die Kosmetik

Auf der Suche nach neuen Pflanzen für die Kosmetik
© Sonja Tobias
Ethnobotaniker Patrice André lebt in einer Welt der Blüten, Blätter und Stängel. Rund um den Globus sucht er nach neuen Wirkstoffen aus Pflanzen, die für Kosmetik verwendet werden kann.

Hüfthoch steht Monsieur André an diesem Sommermorgen im Malvenfeld am Rande des beschaulichen Dorfes Chemillé in der französischen Provinz Anjou. Es ist 5.30 Uhr, genau die richtige Zeit, um zu beobachten, wie die Sonne mit ihren jetzt schon warmen Strahlen die violetten Blüten wachküsst und öffnet. Sie hat viel zu tun. Das Feld ist 300 Meter lang und 15 Meter breit. Ein Meer in Mauve. Ein Wort, das im Französischen nicht nur für die Farbe Lila, sondern auch für eine Blume steht: "Malva Silvestris", die wilde Malve.

hat sie für die Kosmetik gezähmt. Der Biochemiker, Molekularbiologe und Ethnobotaniker ist vor 35 Jahren zum Unternehmen Dior gekommen. Er wusste schon damals um die reizlindernden Substanzen, die in ihren Blüten, Blättern und Stängeln stecken. Sie werden in der Heilkunde seit Langem genutzt. Grund genug für den passionierten Pflanzen-Scout, diese Wirkstoffe in Cremer-Rezepturen auszuprobieren.

Die Extrakte der Malve wirken so, wie es die Haut gerade braucht, beruhigend oder belebend. Und sie versorgen trockene Haut mit viel Feuchtigkeit. Die Trauben vom Château d'Yquem im Bordeaux enthalten sekundäre Pflanzenstoffe, die die Hautfunktionen stärken.
Die Extrakte der Malve wirken so, wie es die Haut gerade braucht, beruhigend oder belebend. Und sie versorgen trockene Haut mit viel Feuchtigkeit. Die Trauben vom Château d'Yquem im Bordeaux enthalten sekundäre Pflanzenstoffe, die die Hautfunktionen stärken.
© Sonja Tobias/ Christian Dior Parfums

Et voilà: Laborversuche zeigten, dass Malvenauszüge die Zellerneuerung aktivieren, die Haut mit mehr Feuchtigkeit versorgen und so deren Gesamtbild entscheidend verbessern. Grund genug, immer mal wieder einen neuen Garten anzulegen. Davon gibt es weltweit inzwischen 21 - in Frankreich, Burkina Faso, Usbekistan und auf Madagaskar. In den Gärten lässt das Unternehmen von den Menschen vor Ort Pflanzen ernten, deren positive Wirkung für die Hautpflege erwiesen ist, um damit Kosmetik zu entwickeln und zu produzieren.

Manche, wie die wilde Jiste, die in Usbekistan nach der Schneeschmelze an den Berghängen wächst, müssen mühsam gesammelt werden. Aber es lohnt sich, wegen ihrer Feuchtigkeit spendenden Eigenschaften. Andere, wie die Reben um das berühmte französische Weingut Yquem im Bordeaux, wachsen praktisch vor der Haustür. Sie liefern Antioxidanzien, die ideal für die Anti-Aging-Pflege sind. In der Kosmetikentwicklung setzt Dior inzwischen seit 20 Jahren auf diesen "Pakt zwischen Wissenschaft und Natur". Das ist Teil der Philosophie des Unternehmens, das für die Schönheit auf die Vielfalt der Pflanzen setzt.

Das Château d'Yquem im Bordeaux. Dior-Wissenschaftler erforschen hier seit 30 Jahren Weinreben.
Das Château d'Yquem im Bordeaux. Dior-Wissenschaftler erforschen hier seit 30 Jahren Weinreben.
© Christian Dior Parfums

Patrice André hat den nachhaltigen natürlichen Ansatz verinnerlicht. Er grinst verschmitzt und auch ein bisschen stolz. "Man muss nur intelligent nachmachen, was die Natur erfunden hat. Sie hat Millionen Jahre Erfahrung", sagt er. Nur? Als wenn das so einfach wäre. "Ich bin auf dem Gebiet ein Pionier", erklärt der 62-Jährige. "Ich wusste früh, wie wichtig die Biomimetik gerade für die Kosmetologie ist, also Pflanzen als Vorbild für die Entwicklung neuer Technologien und Materialien zu nutzen." Andrés Hang zur Botanik hätte Firmengründer Christian Dior (1905-1957) mit Sicherheit gefallen.

Der legendäre Modeschöpfer ließ sich für seine Kollektionen häufig von Blumen inspirieren, weil sie, wie er fand, "die göttlichsten Kreationen nach den Frauen" sind. Pflanzenfreund Patrice André, schon "ewig" verheiratet, drei erwachsene Kinder, kann das nur unterstreichen. Ins Anjou ist er heute gekommen, um kurz vor der Ernte mal wieder nach dem Rechten zu schauen. Das macht er jedes Jahr. Und in jedem Garten. "Ich muss sehen, wie meine Ideen vor Ort weitergeführt werden", sagt er. Dieser Garten existiert seit 1998, eingebettet in die sanfte Hügellandschaft im französischen Departement Maine et Loire. Wenn die Sonne in einer guten Stunde die letzten Tautropfen getrocknet hat, können die Malven geschnitten werden.

Die Wirkstoffe aus dem Inneren der Longoza-Früchte regen den Hautstoffwechsel an.
Die Wirkstoffe aus dem Inneren der Longoza-Früchte regen den Hautstoffwechsel an.
© Christian Dior Parfums

Blumenbauer Laurent, der sie unter biologischen Bedingungen exklusiv für Dior auf seinen Feldern züchtet, hat in dieser Saison mit seinen Helfern schon zweimal von Hand den Wildwuchs zwischen den Pflanzen gejätet. Kein falsches Blättchen soll sich dazwischenschummeln, wenn die Malven zum Trocknen in die Hallen seines Hofes kommen. Bei einer Temperatur zwischen 25 und 30 Grad dauert das etwa 15 bis 25 Stunden. Zwischendurch wird das Malvenheu immer wieder aufgeharkt. Ebenfalls von Hand, mit großen Forken. Anschließend landet die Malve in Säcken, kommt in die Kühlhalle und wartet auf den Weitertransport in das Speziallabor Silab in Sainte Viance.

Die Firma am Rande des französischen Zentralmassivs ist darauf spezialisiert, besondere Inhaltsstoffe für die Kosmetikindustrie herzustellen. Den Malven entzieht sie in einem schonenden Extraktions- und Filterprozess die Wirkstoffe und veredelt sie zu einem cremetauglichen Konzentrat. Für die kommende Saison ist der Nachschub für die Pflegeserien "Hydralife" und "Diorsnow" jedenfalls gesichert. Patrice André sieht das mit einem Blick über das Malvenfeld. Und Bauer Laurent bestätigt: "Ein Schnitt heute, einen zweiten können wir in drei Tagen machen." Alles in allem rechnet er mit zehn Tonnen Malven - Frischgewicht.

Taufrische Hibiskusblüten aus dem Garten von Koro in Burkina Faso liefern zellschützende Substanzen. Geerntet wird im September - von Hand.
Taufrische Hibiskusblüten aus dem Garten von Koro in Burkina Faso liefern zellschützende Substanzen. Geerntet wird im September - von Hand.
© Christian Dior Parfums

Boden und Klima bieten ideale Bedingungen für den Anbau von Heilpflanzen, der hier seit 1842 Tradition hat. Damals hatten Schädlinge fast alle Rebstöcke der Region vernichtet. Bis die Neuanpflanzungen wieder Trauben trugen, verdienten die Bauern mit Kamille und anderen Heilpflanzen ihren Lebensunterhalt. Viele sind bis heute dabei geblieben. Nicht jeder allerdings mit so viel Erfolg und einem festen Abnehmer wie Laurent. Der Kontrakt mit Dior ist für ihn ein Glücksfall. Ein Kunde, den er sich mit einem Versuchsbeet für viel versprechende Pflänzchen hinterm Haus warmhält. Was da wächst, ist streng geheim. Laurent tuschelt viel mit Patrice André.

Der Herr der Gärten wird nach dieser Stippvisite nach Madagaskar fliegen, um im tropischen Regenwald von Ranomafana nach der Longoza-Blüte zu schauen. Aus den Samen ihrer leuchtend roten Früchte gewinnt das Pariser Haus einen Wirkstoff, der dem Stoffwechsel der Haut neue Impulse gibt. Im Anschluss geht es nach Burkina Faso. Gerade bei den Partnern im Ausland sei der persönliche Kontakt entscheidend, sagt Patrice André: "Es ist wichtig, sich physisch zu zeigen. Kleine Botschaften per Mail oder SMS reichen nicht. Ich tauche vor Ort in die Welt unserer Partner ein." Das tut er gern. Hemdsärmlig und gesellig, immer ein ehrliches Lächeln parat, ist er nicht der Doktor der Biochemie oder der Forscher von Dior, sondern "der nette Nachbar, der treu immer wiederkommt". Eineinhalb Stunden Smalltalk machen dem Franzosen ebenso viel Spaß wie dem Dorfältesten.

Bei der jährlichen Ernte im Dior-Garten auf Madagaskar hilft das ganze Dorf.
Bei der jährlichen Ernte im Dior-Garten auf Madagaskar hilft das ganze Dorf.
© Christian Dior Parfums

"In Afrika herrscht ein ganz anderer Rhythmus. Da sind vorrangig Dinge wichtig wie die Familie, die Gemeinschaft." André stellt sich darauf ein und kann so Vertrauen für seine Bio-Mission aufbauen. An neuen Ideen dafür herrscht kein Mangel. An Pflanzen sowieso nicht. Weltweit gibt es, schätzen Wissenschaftler, etwa 800 000 verschiedene Spezies, erst 315 000 sind klassifiziert. Nur 3000 Pflanzen davon werden bisher für medizinische Zwecke genutzt. "In der Kosmetik sind es sogar nur wenige hundert", sagt Patrice André.

"Da gibt es für uns noch jede Menge zu entdecken. Auch was die Welt der Farben angeht, bei der die Beauty-Industrie bisher weitestgehend nur auf Chemie und nicht auf die Natur setzt." Er blinzelt vergnügt durch seine Brille. Was für Aussichten für einen Ethnobotaniker wie ihn. Klar, der Mann weiß mehr, als er verrät. Und statt jetzt mit zum Essen zu gehen, macht sich der erwiesene Feinschmecker geschäftig vom Malvenacker, geht zu seinem Wagen und sagt: "Ich muss noch mal bei Laurent vorbei. Eine neue Pflanze abholen."

Text: Angelika Ricard-Wolf

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel