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Die Kunst des Andersseins

Die Kunst des Andersseins
© Sabine Pieper
Wer wagt, gewinnt. Parfums, die in den Duftolymp der Klassiker aufsteigen wollen, brauchen das gewisse Etwas. Doch das allein genügt nicht.

Es war einmal ein Parfüm, das hieß "C'est la vie". Ein hübscher Name für einen zauberhaften Duft. Es kam 1990 heraus - als kleines Gesamtkunstwerk mit bauchigem Flakon und Korallenstöpsel in einer pinkfarbenen Schachtel. Der Werbeaufwand war enorm. Für das erste Parfüm des damals angesagten Pariser Designers Christian Lacroix wurde an nichts gespart. Theoretisch hatte es das Zeug zum Klassiker. Trotzdem fiel es durch. So ist das Leben. Oder, wie man in Frankreich sagt, "c'est la vie". Mit einer Neuheit auf die Nase zu fallen ist in der Parfümindustrie keine Kunst. "98 Prozent der Markteinführungen floppen", sagt Stefan Seidel, Geschäftsführer der französischen Groupe Clarins in Deutschland. Die meisten Newcomer sind bereits nach sechs Monaten wieder verschwunden. Kreationen, die sich länger als zwei Jahre behaupten, gelten als mögliche Anwärter auf den begehrten Klassiker-Titel. Aber um den dann tatsächlich auch zu erhalten, müssen sie laut Seidel mindestens sieben bis zehn Jahre überleben. Wie schafft ein Parfüm so etwas? "Planen lässt sich das nicht", sagt Jacques Polge, Hausparfümeur beim Pariser Mode- und Duftimperium Chanel, "einen Klassiker zu kreieren ist ein Glücksfall. Und Glück ist unberechenbar."

Nummer eins unter den Klassikern ist seit 1921 "Chanel No. 5"

Selbst der Duftmischer erfolgreicher Parfüms wie "Allure" oder "Chance" hat kein Patentrezept. Gibt es auch nicht. Nur ein (unerreichtes) Vorbild: Chanels "No. 5", den ersten Evergreen der Branche, der trotz seines Alters von 93 Jahren immer noch weltweit ein Bestseller ist. Als ihn die Pariser Modeschöpferin Coco Chanel 1921 vorstellte, war er ein krasser Außenseiter. Parfüms verband man damals mit üppigen Blütenaromen, verspielten Flakons und romantischen Namen. Stattdessen kam "No. 5" als schnörkelloses Nummerngirl daher und setzte auf Aldehyde, relativ unbekannte synthetische Duftstoffe. Aber die Zeit war - zum Glück - reif dafür. Das Paradebeispiel zeigt, wie wichtig das richtige Timing und Experimentierfreude für den erfolgreichen Start in ein langes Parfümleben sind. Wer wagt, gewinnt im Parfümgeschäft. Es ist ein Roulettespiel, den Einsatz bestimmt jeder selbst. So verhalf der Name "Opium" dem orientalischen Schwergewicht des französischen Modemachers Yves Saint Laurent 1977 zum Durchbruch. Es war eine gezielte verbale Ohrfeige gegen die bis dato gültige Parfüm-Poesie. Die deutsche Designerin Jil Sander hatte 1989 den Einfall, den ersten Sonnenduft herauszubringen: "Sun" - und führte damit eine neue Duftkategorie ein. Der kurvenreiche Flakon "Classique" von Jean Paul Gaultier, dem der Modeschöpfer zweimal pro Jahr ein neues Outfit verpasst, ist seit 1993 ein Eyecatcher. Und Sammelobjekt für eine eingeschworene Fan-Gemeinde. US-Designer Calvin Klein setzte sich 1994 mit dem Unisex-Duft "CK One" über die Geschlechtertrennung bei Parfüms hinweg, die Marketingexperten nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt hatten. "Kenzo", 2001 lanciert, säte mit bildgewaltigen Mohnblumen-Kampagnen zwischen New York, Paris und Moskau nach 9/11 wieder Hoffnung.

Ein Skandal war der Name "Opium" vor 38 Jahren

Der französische Kreateur Thierry Mugler bereicherte 2005 mit "Alien" die Duftauswahl um eine weitere Facette, einen holzigen Damenduft. Keine Idee gleicht der anderen. Nur ungewöhnlich waren sie zum Zeitpunkt der Einführung alle. Sie toppten die mit Liebe zum Besonderen kreierten Duftnoten mit der Aura des Außergewöhnlichen, die jeden Trendsetter auszeichnet. Vom vielfach kopierten Vorreiter zum Klassiker aufzusteigen erfordert aber noch jede Menge Kondition. Der "Brand-Appeal", wie es in der Branche heißt, darf nicht verblassen. Auch das macht "No. 5" seit Jahrzehnten perfekt vor. Gleich mehrere Gralshüter verpassen der Chanel-Legende ein stets zeitgemäßes Image. Das fängt mit der subtilen, für Laien kaum sichtbaren Veränderung der Flaschenform an. Mal ist der Stöpsel wuchtiger, mal sind die Flakonschultern einen Hauch schmaler. Hausparfümeur Polge lässt zwar die pudrig-blumige Urmischung unangetastet (die Rezeptur liegt im Safe), hat sie aber trotzdem modernisiert, indem er aus den Zutaten zwei leichtere Versionen mischte und sie als Eau de Parfum und Eau de Toilette herausbrachte. Und schließlich verleihen wechselnde Markenbotschafter/-innen, zuletzt die Filmstars Audrey Tautou und Brad Pitt, dem "alten" Duft Starcharakter. All das sind Bausteine einer permanenten Verjüngungskur, mit der die Mixtur im Gespräch und damit up to date bleibt. An diesem Muster orientieren sich inzwischen auch andere Marken. "Man muss die Lust der Kunden auf den Duft immer aufs Neue entfachen", beschreibt Joel Palix die stetige Herausforderung des Klasse(n)-Erhalts.

Ein Stern am Dufthimmel ist "Angel"

Von Paris aus sorgt der Chef der Thierry-Mugler-Parfüms dafür, dass "Angel" auch nach 22 Jahren noch gefragt ist. Mick Jaggers Tochter Georgia May ist das neue Engelsgesicht für die Kreation, die als erster Gourmetduft und mit nachfüllbaren Flakons ihren Status erreichte. Eine sorgfältige Imagepflege hält zudem die Konkurrenz auf Abstand. Und die schläft nicht. Zu verlockend ist die Aussicht, in der obersten Parfümliga mitzuspielen. Denn die ersten 20 Topseller teilen sich 80 Prozent des Gesamtumsatzes an Düften - 2013 waren das in Deutschland 1,5 Milliarden Euro. Unter den ersten zehn Düften, die zu den absoluten Gewinnern gehören, sind "Coco Mademoiselle", "Chanel No. 5", "Jil Sander Sun", "Alien" von Thierry Mugler, "Trésor" von Lancôme, "CK One" von Calvin Klein und "J'adore" von Dior. Letzteres, 1999 herausgekommen, ist mit seinem schlanken goldenen Flakon-Hals ein Sinnbild für den zunehmenden Hedonismus, das Vergnügen, sich selbst etwas Gutes zu tun. Zusammen bringen es diese glorreichen sieben, allesamt Klassiker, auf 200 Jahre Beliebtheit. Gegen sie gingen vergangenes Jahr gleich 380 neue Parfüms ins Rennen. 281 davon, also knapp 75 Prozent, waren Damendüfte. Nur zum Vergleich: 2007 waren es 175. Auch das war schon eine Anzahl, die das veränderte Konsumverhalten in puncto Duft dokumentiert. Die Lust auf Duft wächst kontinuierlich. Es gehört heute zum Lifestyle, mehrere Parfüms zu besitzen und je nach Stimmung zu benutzen. Eine Attitüde, von der unsere Mütter und Großmütter weit entfernt waren. Die amerikanische Fragrance Foundation registrierte in den gesamten fünfziger Jahren nur 30 neue Dufteinführungen. In den Siebzigern waren es schon 128, in den neunziger Jahren 543. Seit der Jahrtausendwende werden pro Jahr weltweit mehrere hundert neue Kompositionen lanciert. Das Parfüm-Karussell dreht sich enorm schnell. Es ist der Wahnsinn - für Hersteller, Handel und die Verbraucher", sagt Clarins-Chef Seidel. Ladenhüter haben deshalb im Sortiment der rund 1100 Parfüms, die es momentan für Frauen und Männer gibt, keine Chance. Werden weniger als 10 000 Flakons von einem Duft verkauft, wird er rigoros ausgemustert. Zu begehrt sind freie Plätze in den Regalen der Parfümerien. C'est la vie.

Parfums - perfekt geplant

Viele Faktoren müssen stimmen, damit ein Parfüm zum Star aufsteigt. Am wichtigsten ist "der Saft", wie die Duftmischung in der Branche heißt. Dafür gibt es ein "Briefing", ein Konzept. Anhand dessen entwickeln die "Nasen", die Parfümeure verschiedener Riechstoffhersteller (Firmen für Parfümzutaten), Probemixturen. Einer dieser Vorschläge erhält den Zuschlag und wird bis zur endgültigen Kreation verfeinert. Während des Prozesses hilft ein Computerprogramm, die Preise für die Zutaten zu kalkulieren. Die magische Grenze von fünf Euro pro Fläschchen fertiger Duft sollte möglichst nicht überschritten werden, kann im Einzelfall aber deutlich höher liegen. Viele Firmen klären vorab in Verbrauchertests, wie eine neue Kreation ankommt. Dabei müssen Neulinge gegen beliebte Düfte bestehen. Eine Hürde, die es innovativen Düften erschwert, eine Chance zu bekommen. Parallel dazu werden Designer mit der Gestaltung des Flakons beauftragt, auch das geschieht über einen Wettbewerb. Relativ kompliziert ist die Suche nach dem Namen. Er soll attraktiv und international verständlich sein. Die Rechte dafür müssen mit viel Geld weltweit gesichert werden. Immer häufiger werden Schauspieler oder Sportler als Markenbotschafter für einen Duft engagiert. Sie sorgen für den "Imagetransfer", das heißt, ihr VIP-Status soll auf das Parfüm abfärben. Schließlich muss eine einheitliche Werbung für Kino- und Fernsehspots, Internetauftritt, Anzeigen-kampagne und die Präsentation in Schaufenstern und Parfümerien erstellt werden. Die Vorbereitungsphase dauert im Schnitt zwei Jahre. Als Faustregel für die Gesamtkosten gilt: In Düfte, die z. B. 50 Millionen Euro einspielen sollen, muss zuerst die gleiche Summe investiert werden. Erst etwa zwei Jahre nach einer erfolgreichen (!) Einführung wird die Gewinnzone erreicht. Das gelingt aktuell etwa den Parfüms "La vie est belle" von Lancôme oder "Sì" von Armani.

Text: Angelika Ricard-Wolf Ein Artikel aus BRIGITTE Woman 12/2014

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