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Trend: Was nicht so alles Detox ist

Das Wort Detox ist der wohl meiststrapazierte Wellness-Trend-Begriff der vergangenen Jahre: Es gibt nicht nur Detox-Säfte, sondern auch Detox-Fußpads, Detox-Shampoo und Detox-Yoga. Wieso denken wir eigentlich, wir seien vergiftet?

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Ich verzichte üblicherweise im Januar auf Alkohol. In dem Monat schlafe ich besser und nehme meist auch ein bisschen ab. Ich nenne das "alkoholfreier Monat" und fühle mich sehr gesundheitsbewusst. Was ich natürlich nicht bin. Im Gegenteil, ich lebe wahnsinnig gefährlich, denn: Ich esse noch. Normale Dinge wie Brot, Rührei, Lachs mit Avocado. Und wie schlimm das ist, erfahre ich beispielsweise auf der Internetseite eines Hamburger Detox-Anbieters: "Mit seiner täglichen Nahrung nimmt der Mensch - oftmals unbewusst - Giftstoffe (so genannte "Toxine") und andere unzulängliche Inhaltsstoffe auf. Daher ist es sinnvoll, seinem Körper von Zeit zu Zeit eine Pause vom konventionellen Ernährungsstil zu gönnen." Deswegen müsste man ab und zu "detoxen" - was ganz einfach gehe, wenn man drei bis 14 Tage lang ausschließlich die vitaminreichen Detox-Säfte mit Granatapfel, Papaya und Gojibeeren sowie die leckeren veganen, völlig toxinfreien "Detox-Speisen" eben jenes Anbieters beziehe.

Ein konkurrierender Detox-Lieferdienst, der die Säfte sogar vor die Haustür bringt (fünf Tage lang für schlappe 260 Euro, Option "Juicy & Dinner-Detox" für nur 100 Euro mehr) führt mir in seinem PR-Text noch mehr vor Augen, wie wichtig regelmäßiges "Entgiften" ist: "Führt man... eine Detox-Kur durch und entfernt diese Gift-Moleküle aus dem Körper, dann versetzt man sich selbst wieder in den ursprünglichen, reinen Zustand, in dem man sich vor der Sucht beziehungsweise vor der ersten Einnahme des Suchtmittels befunden hat." Und nein: Mit "Suchtmittel" und "Gift-Molekülen" ist in diesem Zusammenhang nicht Crystal Meth gemeint, sondern Pizza Margherita.

Nun spricht ganz sicher nichts dagegen, gelegentlich mal kalorienreduziert und bewusst vitaminreich zu essen. Das gab es früher auch, da hieß es: "Ich leg mal einen Obsttag ein." Jetzt heißt es Detox, und um den Begriff herum ist in den vergangenen Jahren eine wachsende Industrie entstanden, die daraus Profit schöpft, dass wir uns einreden, wir seien durch unseren westlichen Lebensstil kontaminiert, verseucht, verschlackt, vermüllt, verdreckt. Da helfe nur radikales Reinemachen, und zwar nicht nur per Nahrung: Es gibt auch Detox-Yoga (soll Schlackenstoffe lösen), Körper-Detox-Peeling (entgiftet die Haut), Detox-Tees (meist irgendwas Grün-Zitroniges), Detox-Bäder, Detox-Shampoos, Detox-Körperbürsten, "Detoxifying"-Gesichtscremes, "Detox-Boost"-Nahrungsergänzungsmittel und Detox-Fußpads, die man sich nachts unter den Fuß klebt. Letztere sollen übrigens die Gifte durch den Fuß absaugen, die "Wirkung" erkennt man an den schwarzen Flecken, die sich am nächsten Morgen im ehemals reinweißen Pad finden. Spielverderberische Besserwisser behaupten zwar, diese Flecken seien gar keine Körpergifte, sondern lediglich das Ergebnis einer simplen chemischen Reaktion, bei der sich ein in den Fußpflastern enthaltenes Pulver durch Wärme und den Kontakt mit Wasser (=Fußschweiß) dunkel verfärbt - aber hey, vielleicht wirkt's ja trotzdem. Es ist ja auch zu schön, wenn man die Sünden des vorherigen Tages und Abends (Rotwein, Zigaretten, schlechte Gedanken) morgens zusammen mit dem schmutzigen Fußpad einfach so im Mülleimer entsorgen kann.

So ist auch zu erklären, warum Detox gekauft und gemacht wird, auch wenn Naturwissenschaftler der ganzen Sache skeptisch gegenüberstehen. Mediziner werden nicht müde zu betonen, dass es keine "Schlacken" im Körper gebe und die sich dort befindlichen Entgiftungsorgane - Leber und Niere -, sofern sie gesund sind, ihre Aufgabe sehr gut wahrnehmen (und, falls sie das nicht tun, eher ein Gang ins Krankenhaus angebracht sei als in ein "Detox-Retreat").

Die Vorstellung von Giften und Schlacken im Körper ist vollkommen artifiziell", sagt Professor Susanne Klaus vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke. "Ihr liegt der Gedanke zugrunde, der Körper sei eine Art Hochofen, der Nahrung verbrenne und dann rußige Ablagerungen wie in einem Kaminrohr produziere. Natürlich ist das falsch." Noch nicht einmal die Frage, welche Nahrungsmittel nun gesund und welche wirklich ungesund sind, sei einfach zu beantworten: "Auch ein Hamburger ist prinzipiell nicht ungesund, er enthält ja Fette, Eiweiße, Kohlenhydrate, nichts Schlechtes. Es kommt nur darauf an, dass die Ernährung ausgewogen ist." Aber das wäre ja langweilig.

Eine Gruppe von jungen britischen Chemikern, Biologen und Pharmazeuten hat sich im Jahr 2009 den wachsenden Markt von Drogerieprodukten angesehen, die den Namen Detox im Titel haben oder mit dem Begriff werben. Die Wissenschaftler haben dann einfach mal bei den entsprechenden Herstellerfirmen angerufen und gefragt, was denn mit dem entsprechenden Detox-Produkt genau wie entgiftet wird. Das Ergebnis ihrer Recherchegespräche (die sich teilweise recht lustig lesen, nachzuvollziehen auf Englisch unter www.senseaboutscience.org): Die Detox-Körperbürste entfernt abgestorbene Hautschüppchen, der Detox-Reinigungsschaum Make-up-Reste, das Detox-Shampoo macht die Haare sauber. Was denn nun aber der Unterschied zu einer herkömmlichen Körperbürste, einem Reinigungsschaum oder einem Shampoo sei? Diese Frage blieb natürlich offen.

Dass eine angelieferte Detox-Kur teurer ist, als sich einfach mal eine Saftpresse zu kaufen, sehen wir irrationalerweise eher als Vorteil: was finanziell mehr wehtut, nützt auch mehr

Im Prinzip wissen wir das ja alles. Dass wir trotzdem nur zu gern auf solche Begriffe reinfallen, ist psychologisch verständlich: Der Wunsch, sich ab und an in irgendeiner Form innerlich und äußerlich zu reinigen, unbefleckt einen Neuanfang zu wagen, ist offenbar ein tief verankertes menschliches Bedürfnis. In allen Weltreligionen gibt es Fastenzeiten, auch rituelle Waschungen sind nicht unbekannt. Die Ernährungswissenschaftlerin Professor Susanne Klaus glaubt, dass bei dem Detox-Gedanken der Wunsch nach zeitweiser Askese in einer Welt des Überflusses entscheidend ist: "Der Erfolg von Detox-Produkten hat vermutlich damit zu tun, dass es in unserer schnelllebigen Zeit schwerer geworden ist, sich zwei Wochen wirklich zurückzuziehen, sich ungestört Gedanken über sein Leben zu machen, zu fasten. Stattdessen wird dieser Wunsch nach Reinigung auf eine andere Art ausgelebt. Eine, die einfacher machbar ist." Dass eine angelieferte Detox-Kur teurer ist, als sich einfach mal eine Saftpresse zu kaufen, sehen wir irrationalerweise eher als Vorteil: Was finanziell mehr weh tut, nützt auch mehr - dieser Gedanke ist in uns so tief verankert, dass ihn kein Detox-Fußbad jemals ausschwitzen wird.

Mittlerweile ist schon längst die nächste Detox-Welle angerollt: "Digital Detox", also einige Tage ohne Handy, Computer, Internet. Diese Detox-Kur hat den Vorteil, völlig kostenlos zu sein - einen Detox-Lieferdienst, der drei Tage lang Bücher und reale Freunde vorbeibringt, gibt es jedenfalls meines Wissens noch nicht. Man müsste das mal ausprobieren. Vielleicht macht es glücklich. Und vermutlich sogar schlank.

Text: Sonja Niemann BRIGITTE WOMAN 5/2013

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