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Was hilft gegen Cellulite? Schön entspannt bleiben!

Jedes Jahr fangen wir von Neuem an, wie Weltmeisterinnen zu cremen und zu massieren. Auf dass die Cellulite restlos verschwinde! Dabei könnten wir die kleinen Dellen etwas lockerer nehmen, findet Redakteurin Kristina Maroldt.

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Drei nackte Frauen stehen auf einer Wiese. Sie albern herum, die Sonne scheint, sie amüsieren sich prächtig. Prächtig sind auch ihre Oberschenkel: eine zartrosa wogende Hügellandschaft aus Grübchen und Pölsterchen. Der Schöpfer dieser "Drei Grazien", Peter Paul Rubens, muss ihre Rundungen verehrt haben. Er zeichnete sie mit solcher Detailverliebtheit, dass Dermatologen heute anhand des fast 400 Jahre alten Gemäldes bei den drei Frauen Cellulite im fortgeschrittenen Stadium diagnostizieren können: wabenförmige Dellen, sichtbar im Stehen, ohne Kneiftest. Den Grazien sind die Knubbel sichtlich egal.

Uns nicht. 64 Prozent der deutschen Frauen empfinden ihre Cellulite als optischen Makel. Das ist das Ergebnis einer Online-Umfrage unter 1021 Teilnehmerinnen, die vom Studiengang Kosmetik der Universität Hamburg durchgeführt wurde. Entsprechend boomt der Markt für Cremes, Gels, Sprays und Pülverchen, die das, was Rubens einst so liebte, glätten und straffen sollen. Rund 60 Millionen Euro geben wir jährlich für Anti-Cellulite-Produkte aus. Am liebsten natürlich für die mit dem Zusatz "Wirkt in vier Wochen". Schließlich beginnt die Durchschnitts-Anti-Cellulite- Aktivistin ihre Offensive laut Statistik erst relativ spät: Mitte März. Bis zum Bikini- Startschuss im Juni wird dann gecremt und massiert, was Hand und Bürste hergeben.

Über die Hälfte der etwa 2,4 Millionen jährlich verkauften Straffungsmittel wandern in diesem Zeitraum über die Ladentische von Parfümerien, Drogerien und Apotheken. Nebenbei schwitzen wir literweise in BBP-Kursen und auf Jogging- Pfaden und nehmen uns jeden Montag aufs Neue vor, ab sofort aber nun wirklich nur noch Obst statt Schokolade zu naschen. Bis die Motivation urplötzlich verpufft: Kaum schließen die ersten Freibäder, wird das Thema Cellulite gemeinsam mit Bikini und Massagebürste in die hinterste Ecke unseres Fitness-Gewissens verbannt. Und staubt dort bis zum nächsten Frühjahr gemütlich ein. Dann fängt der Zirkus von vorn an.

Doch warum eigentlich? Wie konnte es passieren, dass uns ein paar - bei Frauen doch völlig normale - Hautknubbel so dermaßen aus der Fassung und so zielsicher auf Crosstrainer und Lymphdrainage-Liege bringen? Noch 1962 bekümmerte es keinen, dass Ursula Andress' Oberschenkel in "James Bond jagt Dr. No" im harten Schein der Südseesonne keineswegs so ebenmäßig wirkten wie ihr Teint. In einem der ersten Magazinbeiträge über Cellulite musste die US-"Vogue" ihren Leserinnen deshalb 1973 auch erst mal erklären, dass es sich bei den Dellen um etwas "Entstellendes" und "Hässliches" handele. Vorher sahen Frauenbeine eben einfach so aus. Punkt.

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Doch einmal definiert, war das "Cellulite- Problem" in der Welt und in den Köpfen. Und setzte sich dort fest. Ein Schicksal, das nach Meinung der Kulturwissenschaftlerin Dr. Christina Wietig schon viele "Problemzonen" ereilte: von der Taille im Barock bis zum Busen in den 50ern. Im Laufe der Jahrhunderte bekam jeder Körperteil mal den schwarzen Peter ab, wurde mit allen möglichen Mitteln vergrößert oder verkleinert, betont oder versteckt. Neu beim aktuellen Traum vom straffen Schenkel ist freilich, dass das Tricksen mit Kleidern hier als Lösung wegfällt: Bikinis enden nun mal knapp unterm Po. Und das, worauf sie uns die Sicht eröffnen - ungünstigerweise meist zuerst im kalten Neonlicht einer Umkleidekabine -, scheint so verführerisch leicht korrigierbar. Zumindest, wenn man die Aussagen der Kosmetikindustrie liest. "Was genau wir an unserem Körper als störend empfinden", sagt Christina Wietig, "hängt immer auch mit der aktuellen technischen Machbarkeit zusammen."

Und die wurde parallel zur Entdeckung der Cellulite denn auch kräftig beworben. Das erste Anti-Cellulite-Produkt konnte man 1970 in Frankreich kaufen: eine koffeinhaltige Seife mit Bürste. Zehn Jahre später folgte der Vorstoß nach Deutschland. Heute cremt und massiert sich fast die ganze Welt die Oberschenkel. An erster Front die Südamerikanerinnen, Französinnen, Spanierinnen und Italienerinnen. Nördliche Nationen halten sich vergleichsweise zurück, was am kurzen Sommer liegen mag. Und Asiatinnen haben ohnehin kaum Cellulite. Wahrscheinlich sind die Gene schuld. Genau weiß das aber keiner.

Was uns zum eigentlichen Kuriosum des Anti-Cellulite-Feldzugs bringt: Über die Ursachen der Dellen weiß die Menschheit trotz alljährlicher Creme-Kaufschlacht noch immer erstaunlich wenig. "Das Thema ist einfach sehr komplex", sagt der Biochemiker Dr. Andreas Schepky vom "Special Skin Care"-Labor, das die Firma Beiersdorf vor einem Jahr eigens gegründet hat, um endlich mehr über die Hautknubbel zu erfahren. Faktoren gibt es viele. Und entsprechend viele Fragen: Wieso haben zum Beispiel Models und Leistungssportlerinnen Cellulite, obwohl die sicher nicht zu viel essen oder sich zu wenig bewegen? Sind tatsächlich die weiblichen Hormone schuld am lockeren Bindegewebe, durch das sich die Fettzellen drängeln können? Oder liegt das eher am Mengenverhältnis von Östrogen und Testosteron im Blut? Soll ich nun lieber joggen, massieren oder cremen? Oder hilft in letzter Konsequenz nur eine OP? Erst vor wenigen Monaten musste wieder einmal eine Dermatologengruppe der Universität München konstatieren, es gebe über die Entstehung der Cellulite schlichtweg "nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen". Egal, ob Bindegewebe oder Fettverteilung, Mikrozirkulation oder Hormone - was die einzelnen Faktoren genau bewirkten, sei einfach noch nicht klar.

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Entsprechend nebulös ist das Wissen über Gegenmittel. Hunderte Präparate würden angeboten, klagten die Münchner, die klinisch geprüften könne man jedoch an einer Hand abzählen. Das sehen Kosmetik- Chemiker großer Firmen freilich anders.

So hat sich Kosmetik-Riese L'Oréal mit Food-Riese Nestlé zusammengetan und in Doppelblind-Studien nachgewiesen, dass ihr gemeinsam entwickeltes Anti-Cellulite- Pulver eine Verbesserung um 30 Prozent bringt. Studien anderer Firmen wollen einen Rückgang um jeweils eine Cellulite- Stufe belegen (von insgesamt fünf ). Problem hierbei: Wie genau sich die Veränderungen der Hautoberfläche am besten messen lassen, ist nach wie vor umstritten. Jeder schwört auf andere Verfahren.

Vielleicht wäre Abwarten und Weiterforschen momentan die klügste aller Anti- Cellulite-Strategien. Doch unsere Begeisterung für die Straffungsprodukte nimmt eher zu. Einen möglichen Grund hierfür hat jetzt die Dermatologin Doris Hexsel bei einer Studie in einer brasilianischen Klinik gefunden. Sie befragte 62 Frauen mit Cellulite nach ihrem Selbstwertgefühl - vor und nach verschiedenen Behandlungen. Das Ergebnis: Selbst wenn Creme oder Operation so gut wie keine Verbesserung brachten, fühlten sich die Frauen danach selbstbewusster und besser. Auch die Auswertung der Hamburger Online- Umfrage zeigte Ähnliches: "Viele Frauen sind überzeugt, dass bestimmte Cremes wirken, und fühlen sich danach schöner", berichtet die Studentin Annette Schüler. Egal, ob und wie die Wirkung letztendlich nachgewiesen worden ist.

Wer cremen möchte, der creme also in Frieden. Am besten übrigens in Kombination mit einer Massage. Die gehört nämlich tatsächlich zu den Methoden mit erwiesener Wirkung. Für alle anderen dürfte ein weiteres Ergebnis der Online-Umfrage beruhigend sein: Selbst wenn wir Cellulite am eigenen Körper total peinlich finden - andere beurteilen unsere Dellen weitaus weniger kritisch: Nur 46 Prozent der Frauen gaben an, Cellulite an fremden Schenkeln als optischen Makel zu empfinden. Zur anderen Hälfte der Menschheit gehört das Model Milla Jovovich: "Sie werden lachen", sagt die 31-Jährige kürzlich in einem Interview, "aber ein bisschen Cellulite finde ich sogar sexy."

Fotos: Bettina Lewin/AlanGinsburg, iStockphoto Produktion: Merle Rebentisch Haare und Make-up: Eva Hennings/Close up

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