Anzeige

Haare nicht rasieren? Ein Plädoyer für mehr Wildwuchs

Rasieren, waxen, epilieren - die meisten Frauen tun es. Haare am Körper nicht zu rasieren gilt als unästhetisch und unhygienisch. Warum ist dieser Trend eigentlich so unerbittlich?

Am besten, wir fangen mit etwas Harmlosem an: Auf meinen Beinen wachsen Haare. Sie wachsen kreuz und quer, viel dunkler als meine Haut. Im Sommer kriegen sie einen blonden Ton, im Winter machen sie einen gelassenen Eindruck. Ich gebe zu, dass ich mich manchmal anstrengen musste, sie zu mögen. Weil ich in meiner Jugendzeit natürlich mitkriegte, dass die Mädchen damals anfingen, sich ziemlich ausnahmslos die Beine zu rasieren. Ich bin jetzt schon fast drei Jahrzehnte lang kein Teenager mehr, und ich bin standhaft geblieben. Klar habe ich es mal probiert: alle Haare ab, mit der Rasierklinge, mit Wachs, mehr als drei Versuche waren es nicht. Aber es hat mich nicht überzeugt. Die Glätte hatte etwas Makelloses, die nachwachsenden Haarstümpfchen später fand ich scheußlich. Und hab mir einfach den Blick nicht verbiegen lassen, ich konnte nach kritischer Begutachtung meiner Beine immer wieder sagen, doch, irgendwie finde ich diese Härchen schön. Sie sind echt, sie sind meine. Sie haben Kraft, sie sind weich.

Jetzt können zynische Menschen kühl rufen: Ist halt ein in die Jahre gekommenes Müsligirl, das hier auf seine Natürlichkeit pocht! Aber da kann ich locker kontern: Ich bin eine leidenschaftliche Verfechterin guter Ausstrahlung. Ich liebe Kleider, experimentiere mit ihrem Glamourfaktor, ich suche nach Stilen, die mein Gemüt aufleuchten lassen. Und ich bin eine propere Erscheinung, keine Sorge. Das nur an die, die Körperhärchen reflexartig mit kaputter Dusche assoziieren.

Ich trage trotzdem gerne einen Minirock

Meine Erscheinung ist mir sehr wichtig. Für mich passt es gut, einen Minirock zu tragen, zu diesen Beinen, die eben nicht aussehen wie die Standardvariante. Ich finde sogar, der Rocksaum harmoniert viel besser mit der kleinen Portion Wildheit unterhalb meines Knies. Ich habe übrigens noch nie einen abschätzigen Blick abbekommen, wenn ich, die Beine über Kreuz, im Café saß oder meine Haarspitzen am Knöchel unter Leggings frech und gut sichtbar hervorlugten. Auch nicht im vergangenen Sommer an der Riviera, als sich meine Strähnchen unter den Achseln in der Sonne wärmten.

Ein guter Freund sagte mir immerhin einmal bewundernd: "Ist ein echtes Statement." Das ist vielleicht das Absurdeste an der ganzen Sache. Andere mögen sagen, dass das hässlich sei. Behaupten, unfeminin sehe das aus. Nur weil sie freie Sicht auf gerupfte, monochrome Haut haben möchten. Aber warum ist ihr Bild besser als meins? Ästhetisches Empfinden ist relativ, und es macht mich wütend, wie ein paar Saubermänner und -frauen mich bloßstellen wollen. Eigentlich bis auf die Unterhose.

Mein Schamhaar ist liebenswerter kleiner Wald

Szenenwechsel: Mein Schamhaar hat tatsächlich die Form des viel besungenen Dreiecks, es ist ein liebenswerter kleiner Wald aus winzigen Löckchen und wirrem Haar. Und für mich das, was früher der Burgwall heroischer Ritter war - eine Art Schutzzone meiner Sexualität. Weder hatte ich je große Lust, meine Scham und all ihr Inventar von vornherein nackt ins Regal zu stellen (öffentliche Dusche, Frauenarzt, neuer Lover), noch ergriff mich die Sehnsucht, den kleinen Pelz für immer zu verraten.

Für diesen ziemlich abgefeimten Trend, der Erotik und Sinnlichkeit nur noch in aalglatter Form gestattet. Und der wie eine militärische Macht unser ästhetisches Empfinden drangsaliert. Der schrill brüllt: Hast du keine blank geschorene Haut, bist du ein Wesen ohne Sexpunkte. Die werden dir alle abgezogen, weil du nicht penibel epiliert bist! Weil du nicht sauber, blank und leicht konsumierbar bist. Haare, wie ekelhaft!

Wie konnten wir uns nur einreden lassen, dass dieses wollige Gewächs etwas Abscheuliches sein soll?

Wobei es doch ganz entscheidend an der Produktion von Pheromonen (Sexuallockstoffen) mitwirkt, uns also mit Sinnlichkeit ausstattet, uns außerdem vor Krankheitserregern schützt. Aber unsere Zeit, die so ungeniert nach cleaner Lust und präpubertärer Körperlichkeit giert, verachtet Schamhaare, die beim Sex angeblich stören, irritieren, vielleicht einen komischen Duft verströmen. Sie will Zugriff - wie die NSA. Lange ist die Kinoszene aus den "Fabelhaften Baker Boys" her, als Jeff Bridges unter der Decke auftaucht, den Kopf davor wohl zwischen den Beinen von Michelle Pfeiffer vergraben, und sich genüsslich ein Schamhaar aus den Zähnen zupft.

Heute brauchen Schauspielerinnen ein Schamhaar-Toupet, weil keine mehr welches hat. So war es bei Kate Winslet im Film "Der Vorleser", der Ende der 50er Jahre spielt, da waren beim Sex noch Haare im Spiel. Warum ist ein Trend so unerbittlich? Warum darf nur das eine sein? Wenn Frauen und Männer damit glücklich sind, am ganzen Körper rasiert durchs Leben zu spazieren, wunderbar. Wenn Brazilian und Hollywood Strip eine Variante sexuellen Vergnügens wären, geschenkt. Aber es ist ja genau umgekehrt: Alle glauben, sie müssten sich bis auf das letzte Scham-oder Achselhaar nackt machen, um frei zugängliche Erotik feilbieten zu können. Und berauben sich dabei ihres Eigensinns und ihrer Eigenart.

Wenn ich an der in weißem Mattlack gestrichenen Theke eines Waxing-Studios vor drei anderen wartenden Kunden (männlich und weiblich) total lässig sagen muss, wie ich die Intimrasur gern hätte - was hat das noch mit Geheimnis oder Verruchtheit zu tun? Mein Körper und mein Sex können doch nicht leben, wenn sie nur einer Norm genügen müssen, wenn sie nicht anders, fremd sein dürfen. Die Mode dagegen, die uns ver- und enthüllt, die uns ziert, die unseren Charakter verstärkt, erlaubt in fast hysterischer Form alles. Und wenn wir uns dann ausziehen, tja, dann ist Schluss mit lustig. Da wird nicht mehr gespielt. Da bleibt offiziell nur die eine It-Version - die gefällige, vollständig gewaxte Bikini-Zone.

Bloß und hygienisch hätten wir den besseren Sex? Blödsinn!

"Offensichtlich gibt es im Jahr 2013 wenige Dinge, die für beide Geschlechter schockierender wären als weibliche Körperbehaarung", monierte das britische "Style Magazin" ziemlich entsetzt. Und fragte seine Leserinnen: "Wann hört ihr auf, so unterwürfig und so peinlich berührt von eurem Körper zu sein? Habt ihr wirklich Angst, euer Partner wird euch verlassen? Vielleicht freut er sich ja über die 100 Pfund mehr in der Kasse, wenn ihr nicht mehr zum Waxen geht?" Die durchaus sympathische Chefin einer sehr erfolgreichen Waxing-Kette hat mir mal ihre Beweislage geschildert: Schließlich würden wir uns auch nicht mehr mit einem Gorillafell auf dem Rücken von Baum zu Baum hangeln. Die Zeiten hätten sich einfach geändert. O Mann! Das soll wirklich alles sein? So ein dünnes Argument muss reichen für so einen fetten Trend?

Den Affenpelz hat uns die Evolution beim Gang in die Städte wohl genommen, aber die Haare auf Venushügel und in unseren Achselhöhlen hat sie uns doch wohlweislich gelassen. Bis Pornoindustrie, Pädophilie (sorry!) und Schönheitsindustrie sie uns ausgerissen haben. Und uns eingeredet haben, so bloß und hygienisch einwandfrei hätten wir definitiv den besseren Sex. Blödsinn. Wer möchte denn mit jemandem schlafen, der beim Anblick eines weiter unten gelagerten Haarschopfs seine Lust absaufen lässt? Die Waxing-Unternehmerin war auch glücklich darüber, vor allem ältere Frauen zu ihren begeisterten Klientinnen zu zählen.

Okay, wir müssen uns nichs vormachen, auch die Haare, die nicht auf unserem Kopf wachsen, werden grau und lichten sich. Das kann schmerzlich sein. Und die Sehnsucht, sich wieder schön zu fühlen, groß. Aber ist die einzige Rettung, dann nackt zu gehen? Wie ein junges Huhn, das Federn lassen musste? Mich bedrückt es, wenn Frauen meines Alters glauben, sich allzeit so präparieren zu müssen, als könnten sie jeden Morgen flachgelegt werden.

Bei Männern sprießen doch auch überall die Haare!

Die französische Wäschefirma Soft Paris hat im Internet eine Kampagne veröffentlicht, die ein Model im Hemdchen und mit Achselhaar bewirbt. Revolution! Der Firmenchef, Luca Armenia, wollte mit dem Feldzug nicht nur seine Lingerie, sondern auch "die Freiheit" bewerben. "Mir macht das Sorge, wie sehr Frauen Angst haben müssen, dem kulturellen Diktum nicht zu entsprechen. Dagegen müssen wir kämpfen." Schöne Worte.

Auch an ganz anderer Stelle sprießen wieder Haare. Überall sieht man junge und nicht mehr ganz so junge Männer mit üppig sprießenden Bärten. Wäre vor ein paar Jahren noch ein geschmackliches No-go gewesen. Haare im Gesicht? O Gott! Aber so empfinden wir sie nicht. Vielleicht piken sie beim Küssen. Aber sie sehen verwegen aus, vielleicht verstecken sie auch etwas, veranstalten eine Show, egal. Das könnte uns Mut machen. Für eine viel schwierigere Sache.

Für einen echten Bildersturm: Zieht euch eure Pullover aus, wenn euch heiß wird. Ganz nonchalant, trotz Achselhaar. Vielleicht sieht das ziemlich cool aus. Weiß doch keiner. Tragt eure Bikinis und Badeanzüge auf dem Körper, den ihr selbst (!) mögt. Und macht euch nackt, wie und wann ihr wollt.

Text: Ellen Kaufmann BRIGITTE WOMAN 2014

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel