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Yangzom Brauen: Essen ein Geschenk

Die Schweizerin Yangzom Brauen hat die Geschichte ihrer tibetischen Mutter und Großmutter aufgeschrieben. Wir haben die drei Frauen eingeladen - zum Kochen, Probieren und Reden.

BRIGITTE WOMAN: Welche Rolle spielt das Essen im Leben Ihrer Familie?

Yangzom Brauen: Eine zentrale. Wenn zum Beispiel meine Großmutter ihre Schweizer Freundinnen trifft, reden sie mit Händen und Füßen, da Mola nur sehr wenig Deutsch spricht, und sie essen zusammen. Essen ist für uns eine Art zu kommunizieren.

Sonam Brauen: Das hängt sicher mit unseren tibetischen Wurzeln zusammen.

Yangzom Brauen: Wenn man bei Tibetern zu Besuch ist, kriegt man etwas vorgesetzt, ob man möchte oder nicht. Es ist wichtig, dass Tasse und Teller gefüllt bleiben. Für uns westliche Menschen ist das schon manchmal nervig, man muss mehrmals deutlich Nein sagen und die Hände über den Teller oder Becher legen ...

Sonam Brauen: In Europa sind wir den Überfluss gewohnt. Aber in Tibet ist Essen ein Geschenk.

BRIGITTE WOMAN: Sonam, wie hat sich Ihre Familie damals in Tibet ernährt?

Sonam Brauen: Meine Eltern waren Mönch und Nonne, solche Ehen sind in einer bestimmten Richtung des Buddhismus geduldet. Als meine Mutter hoch oben in den Bergen meditierte, hatte sie ja nichts, nur eine Hütte mit einer Feuerstelle und einer Pfanne. In den Dörfern bekamen sie Gerste geschenkt, daraus machten sie Tsampa ...

BRIGITTE WOMAN: Tsampa ist das tibetische Grundnahrungsmittel - geröstete und gemahlene Gerste.

Sonam Brauen: Das gibt es zum Frühstück. Man nimmt drei Esslöffel davon, etwas Käse und heißen Tee drauf - und das ist wunderbar, wie eine Morgenandacht. Mittags isst man Wildgemüse, Kartoffeln oder Kräuter. Dazu Tsampa. Abends gibt es Suppe. Mit Yakfleisch, wenn man das hat.

BRIGITTE WOMAN: Dürfen strenggläubige Buddhisten denn Fleisch essen?

Sonam Brauen: Eigentlich nicht, und wenn sie es tun, soll das Fleisch von großen Tieren stammen - damit ihr Tod sich gelohnt hat. Es gab Zeiten, da hatten wir keine Wahl, wir mussten essen, was wir bekommen konnten. Doch bevor Mola Fleisch aß, betete sie für die Seele des Tiers, und dann hat sie das Positive des Gebets auf das Fleischstück gepustet.

BRIGITTE WOMAN: Tsampa hat für Sie eine schicksalhafte Rolle gespielt. Als Sie vor der chinesischen Besatzungsarmee durchs Hochgebirge fliehen mussten, hatte Ihr Vater es als einzigen Proviant mit ...

Sonam Brauen: Und das hat uns das Leben gerettet. Wir wären sonst in der Kälte verhungert. Wir konnten ja kein Feuer machen, das wäre von den chinesischen Soldaten entdeckt worden. Aber Tsampa lässt sich auch mit kaltem Wasser anrühren.

Yangzom Brauen: Und das Gute daran ist: Schon wenige Löffel sättigen für lange Zeit.

Tibet und Europa - beide Welten haben mich beeinflusst.

BRIGITTE WOMAN: Sie haben eine Holzschale mitgebracht ...

Sonam Brauen: Das ist die Schale, die ich schon als Sechsjährige auf der Flucht bei mir hatte. Ich habe damals sogar im Laufen daraus gegessen, um die Kräfte nicht zu verlieren. Noch heute bereite ich mein Tsampa in dieser Schüssel zu.

Yangzom Brauen: Probieren Sie mal!

BRIGITTE WOMAN: Es sieht nicht so aus - aber es ist köstlich!

Sonam Brauen: Viele reagieren so überrascht.

BRIGITTE WOMAN: Sonam, Sie haben eine Firma aufgebaut, die Tsampa herstellt. Warum ist es Ihnen wichtig, dass die Menschen in Europa dieses typisch tibetische Produkt kennen lernen?

Yangzom Brauen: Es gibt kein Nahrungsmittel, das so viel über Tibet erzählt. Auf der Packung steht auch ein Text über die Situation des Landes.

Sonam Brauen: Dennoch hatte ich nie vor, so etwas zu machen. Doch vor über 15 Jahren veranstaltete ein großes Warenhaus in Bern eine Tibetwoche. Ich wurde gefragt, ob ich etwas beisteuern könnte. Mein Mann sagte, mach doch Tsampa, das kennt keiner. Alle reden immer nur von Momos, den gefüllten Teigtaschen, aber die können sich in Tibet nur Reiche leisten. Und ich habe gesagt, komm Martin, das ist ein Pulver, das isst doch niemand.

Yangzom Brauen: Aber er war überzeugt.

Sonam Brauen: Da habe ich nachgegeben und im Garten über dem Feuer Gerste geröstet. Ich habe Tüten gepackt und daraufgeschrieben "Sonams Tsampa" - und niemand, niemand hat es gekauft!

Yangzom Brauen: Tsampa muss man probieren.

Sonam Brauen: Also habe ich die Leute kosten lassen, und währenddessen habe ich von meiner Flucht erzählt. Das hat die Menschen interessiert, alles ging plötzlich weg. Und hinterher wurde ich immer wieder gefragt, wo man das kaufen kann.

BRIGITTE WOMAN: Als Sie nach der Flucht Indien erreichten, mussten Sie ohne Tsampa überleben.

Sonam Brauen: Im indischen Flüchtlingslager haben wir nur Reis und Linsen bekommen.

BRIGITTE WOMAN: Stimmt es, dass einige Flüchtlinge die Linsen weggeworfen haben?

Sonam Brauen: Wir hatten so etwas noch nie gesehen! Und man konnte auch nicht fragen, wie man es zubereitet, wir beherrschten die Sprache nicht.

BRIGITTE WOMAN: Aber wenn man am Verhungern ist - findet man dann nicht einen Weg?

Sonam Brauen: Wir waren eben erst von den Bergen hinuntergestiegen und dann in einem indischen Barackenlager gelandet. Viele waren so erschöpft, dass sie krank wurden und Durchfall bekamen. Diese Hitze und dieses dreckige Wasser. Eigentlich sehnten wir uns nach ein bisschen Butter oder Joghurt und etwas Tsampa - schon um unsere kranken Därme zu beruhigen. Und dann kriegt man so einen Sack Linsen. Die meisten hatten einfach Angst, zu sagen, dass sie damit nichts anfangen können.

BRIGITTE WOMAN: Ist das ein typisches Flüchtlingsproblem?

Yangzom Brauen: Flüchtlinge werden mit Dingen konfrontiert, die sie nicht verstehen können. Und dann machen sie unbeabsichtigt sehr viel falsch.

BRIGITTE WOMAN: Ähnliche Schwierigkeiten, das Fremde am Essen zu verstehen, hatten Sie, als Sie mit Ihrem Schweizer Ehemann und Ihrer Mutter in die Schweiz umsiedelten...

Sonam Brauen: Als Kind war ich überzeugt, das westliche Essen sei paradiesisch, alles gesund, das Beste vom Besten. Aber dann habe ich es kennen gelernt und gemerkt, dass da auch schädliche Sachen drin sein können. Das war ein Schock ...

BRIGITTE WOMAN: ... den Sie schon im Flugzeug erlebt haben.

Sonam Brauen: Wir bekamen Orangensaft serviert, ich erwartete eine Köstlichkeit. Doch das Zeug war ekelhaft süß, wässrig und hatte nichts mit Orangen zu tun. Meine Mutter hat das stoisch getrunken.

Yangzom Brauen: Während Mola in ihrer religiösen Welt des alten Tibet verhaftet blieb und alles als gegeben akzeptierte, musste meine Mutter alles neu lernen, sich auseinandersetzen, sich anpassen.

BRIGITTE WOMAN: Was ist der größte Unterschied zwischen dem Essen in Europa und in Tibet?

Sonam Brauen: In Europa wirkt alles groß und schön, all die Gemüse und Obstsorten im Supermarkt, das appetitlich aussehende Fleisch, die bunten Limonaden - aber vieles davon sieht eben nur gut aus. In Tibet ist alles klein, die Aprikosen, die Nüsse, und man hat wenig. Doch das Wenige schmeckt eigentlich sehr gut.

BRIGITTE WOMAN: Wie sind Sie mit der Enttäuschung umgegangen, die Sie in Europa erlebten?

Sonam Brauen: Ich habe geprüft, was ich kaufte. Es ist ja nicht alles schlecht! Und viel selbst gekocht.

BRIGITTE WOMAN: Was ist Ihr Lieblingsessen, Yangzom?

Yangzom Brauen: Eindeutig Momos, tibetische Fleischtaschen. Die reichen Tibeter füllen sie mit Fleisch, die ärmeren tun Gemüse hinein. Für einfache Leute sind sie ein Festessen. Und dürfen, wie alle tibetischen Gerichte, mit der Hand gegessen werden. Das war für mich schon als Kind das Größte.

Sonam Brauen: Je nachdem, wie man sie zubereitet, muss der Rand gefältet werden: Eine gedämpfte Momo bekommt einen anderen Rand als eine, die man brät oder kocht. So hält man sie auseinander.

Yangzom Brauen: Aber wir nehmen das nicht so genau, nur Mola schimpft manchmal.

Sonam Brauen: Momos so liebevoll zuzubereiten macht mir Freude, aber ich koche auch oft Schweizer Hausmannskost oder Dhal, indische Linsen - heute esse ich sehr gern indisch. Ich habe mir wohl aus allen Kulturen das Beste mitgenommen.

Wenn unser Buch dem Leser etwas mitgibt, ist es gelebter Glaube.

BRIGITTE WOMAN: Sind Sie eine Mittlerin zwischen der tibetischen Welt Ihrer Mutter und der westlichen Welt Ihrer Tochter, Sonam?

Sonam Brauen: Vielleicht. Es sind hauptsächlich meine Erinnerungen, die in Yangzoms Buch stehen. Und sie sind durchaus von meinen Erfahrungen mit Europa geprägt. Vor 20 Jahren hätte ich unsere Geschichte ganz anders erzählt, mehr aus tibetischer Sicht. Heute kenne ich beide Welten, und das beeinflusst auch die Art, wie ich die Dinge sehe. Ich denke, ich bin die Skeptischste von uns dreien.

Yangzom Brauen: Aber du bist auch tolerant.

Sonam Brauen: Ich bemühe mich, die Gelassenheit meiner Mutter zu erlangen.

BRIGITTE WOMAN: Yangzom, in Ihrem Buch schreiben Sie, dass für Ihre Großmutter nur das Hier und Jetzt wichtig ist. Ihr Buch ist aber über weite Strecken eine Erinnerung.

Yangzom Brauen: Meine Großmutter wollte anfangs nicht mitmachen, sie fragte: Warum soll ich jetzt wieder meine Vergangenheit erzählen? Sie wusste auch viele Namen nicht mehr - denn sie findet, man sollte die Toten in Ruhe lassen und nicht durch Namensnennung herbeirufen. Aber dann haben wir ihr erklärt, warum dieses Buch wichtig ist: Weil das alte Tibet nicht vergessen werden darf.

Sonam Brauen: Da hat sie gesagt, wenn die Leserschaft aus unserem Buch etwas mitnimmt, dann ist das für sie auch praktizierte Religion.

Zum Weiterlesen: Yangzom Brauen - Eisenvogel

Yangzom Brauen "Eisenvogel", 415 Seiten, 19,95 Euro, Heyne Verlag

Rezept von Yangzom Brauen: Momos (gefüllte Teigtaschen)

90 Stück Teig: 500 g Mehl, 275 ml Wasser; Fleischfüllung: 2 Zwiebeln, 1 Brühwürfel, 500 g gemischtes Hackfleisch, 3 EL Sojasoße, Salz; Mehl zum Ausrollen

Für den Teig: Mehl in eine Schüssel geben und eine Mulde hineindrücken. Das lauwarme Wasser nach und nach in die Mulde gießen und alles mit den Händen zu einem geschmeidigen und festen Teig verkneten. In Frischhaltefolie wickeln und etwa 30 Minuten bei Zimmertemperatur ruhen lassen.

Für die Fleischfüllung: Zwiebeln abziehen und fein würfeln. Brühwürfel in 50 ml heißem Wasser aufl ösen und zusammen mit den Zwiebeln zum Hackfleisch geben. Mit Sojasoße und Salz kräftig abschmecken.

Den Teig in 3 Portionen auf einer leicht bemehlten Arbeitsfläche dünn (etwa 2 mm dick) ausrollen, 5 Minuten ruhen lassen und etwa 90 Taler (Ø 6 cm) daraus ausstechen.

Auf jeden Taler 1 TL Füllung geben. Teigränder dünn mit Wasser bestreichen und den Teig mit den Fingern über der Füllung zusammendrücken. Dabei mit den Fingerspitzen abwechselnd nach links und rechts ziehen, so dass ein Kettenmuster entsteht.

Aus Backpapier 4 cm breite Streifen schneiden und in einen Bambusdämpfer legen. Momos in Portionen mit etwas Abstand zueinander auf die Streifen legen.

Bambusdämpfer auf einen Topf mit kochendem Wasser stellen und die Momos etwa 10 Minuten zugedeckt dämpfen lassen. Dazu: süße Chilisoße

Fertig in 1 Stunde Pro Stück ca. 30 kcal, E 2 g, F 1 g, KH 4 g

Rezept von Yangzom Brauen: Tsampa-Frühstück, osttibetische Version

1 Portion Salziger Buttertee: 2 EL Assamtee, 100 ml Wasser, 1/2 TL Salz, 10 g Butter, 80 ml Milch; 5 El Tsampa, 10 g weiche Butter, 2 TL geriebener Greyerzer-Käse

Für den Buttertee: Teeblätter in das kalte Wasser geben, auf kochen und dann 3-4 Minuten köcheln lassen. Tee abgießen.

Probieren Sie mal. Das ist ja köstlich!

Salz, Butter und Milch in den abgegossenen heißen Teesud geben und warm halten.

Tsampa und weiche Butter in eine kleine Portionsschüssel geben und mit den Fingerspitzen zu einem Teig verkneten. Geriebenen Käse unterkneten.

Die Mischung in der Schüssel flach drücken, salzigen Buttertee daraufgießen.

So wird's gegessen: Zuerst den Tee aus der Schüssel trinken, danach die feucht gewordene Tsampa-Schicht essen. Tee nachgießen und weitertrinken und -essen, bis die Schüssel leer ist.

Fertig in 30 Minuten Pro Portion ca. 30 kcal, E 12 g, F 23 g, KH 52 g

Tipps:

  • In Tibet nimmt man dafür einfachen Ziegeltee, das sind in Ziegelform gepresste Teeblätter.
  • Milch, Butter und Käse stammen im Tibet vom Yak, einer stark behaarten Rinderart, die in Zentralasien beheimatet ist.
  • Man kann das Tsampa-Frühstück anstatt mit Salz und Käse auch mit Zucker zubereiten.
  • Tsampa ist geröstete gemahlene Gerste, deshalb kann das Getreide auch ungekocht gegessen werden - es ist durch die Röstung bereits gegart.
  • Tsampa schmeckt entweder mit Tee, Milch oder Joghurt, mit Zucker oder mit Salz gewürzt.
  • Sonams Tsampa wird biologisch-dynamisch in Demeter-Qualität hergestellt. 250 g kosten im Reformhaus 3,29 Euro
Fotos: Thomas Neckermann Interview: Katja Jührend

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