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Wohnen auf der Hallig Hooge - Stille und Freiheit

Wohnen auf der Hallig Hooge - Stille und Freiheit
© Frank Siemers
Was bewegt eine Frau dazu, ihr Leben hinter sich zu lassen, um allein in einer Kate auf Hallig Hooge zu leben? Ein Hausbesuch bei Katja Just.

Als die Sturmwarnung ausgegeben wurde, lief Katja Just ums Haus, sah nach, ob alles in Sicherheit war, und wartete auf das Wasser

Es ist das Haus, das Katja Just zu einer Entscheidung gezwungen hat. Zwischen dem Süden und dem Norden. Den Bergen und dem Meer. Dem Job und der Selbständigkeit. Dem Lärm und der Stille. Das Haus, das den Namen "Haus am Landsende" trägt, steht seit 300 Jahren auf der Ockenswarft auf der Hallig Hooge. Kommt der Wind von Osten, scheint es sich samt seinem Reetdach zu ducken. Im Sonnenlicht leuchtet es vorn rot und hinten strahlend weiß inmitten von Hochstammrosen, Lavendel und Kräuterbeeten. Das Haus steht auf einem Fleck in der Nordsee: 5,6 Quadratkilometer Marschland, auf dem rund 100 Menschen leben. Darunter vier Kinder, die in die Schule gehen, und ein Kindergartenkind. Auf den Fleck kommen zwischen April und September 90 000 Tagesgäste und im Winter die Flut, die im Dezember 2013 so hoch ums Haus stand wie selten. Als die Sturmwarnung ausgegeben wurde, lief Katja Just ums Haus, sah nach, ob alles in Sicherheit war, und wartete auf das Wasser. Es kam in der Nacht. Sie saß in ihrem Haus wie in einem Schiff auf hoher See. Als das Wasser am Tag ablief, hörte sie das Gras knistern, als es sich wieder aufrichtete. Es ist dieses Gefühl von Freiheit unter einem weiten Himmel, sagt die 39-Jährige, das sie jedes Mal spürt, wenn sie aus ihrem Haus tritt und von der Warftkrone aus auf die Hallig blickt. Und es sind die Farben, die sie an Hooge so liebt. Das Weiß des Schnees und das Graugrün der wilden Nordsee im Winter, das Gelb der Butterblumen und des Löwenzahns im Frühling. Das helle Licht, das im Sommer nie ganz verschwindet, das Grün der Weiden, auf denen die Kühe stehen.

Katja Just hat Hooge schon in der Kindheit kennen gelernt. Sie war sieben, als ihre Eltern zum ersten Mal dort eine Wohnung mieteten, weil der Arzt ihnen wegen ihrer Bronchitis dazu geraten hatte. Drei Sommer war sie hier, auf einem Bauernhof auf der Ipkenswarft mit Kühen und Kälbern. Wenn es stark genug wehte, haben die Kinder sich die Rollschuhe angeschnallt, die Jacke wie ein Segel über den Kopf gehalten und sich über die Straßen pusten lassen. Als ihre Mutter und ihr Stiefvater später wieder Urlaub auf Hooge machten, diesmal in dem Haus auf der Ockenswarft, erzählte die damalige Besitzerin, sie wolle es verkaufen und aufs Festland ziehen. Die Eltern von Katja Just kauften das Haus und restaurierten es. Der Stiefvater machte Zeichnungen, wie alles werden sollte, die Mutter füllte den Pesel, die gute Stube, die früher nur an Festtagen und für Feierlichkeiten genutzt wurde, und die Döns, den Aufenthaltsraum für den Alltag, mit Antiquitäten aus ganz Deutschland: einem friesischen Hochzeitsschrank, einem Tisch mit einer Holzplatte aus dem 17. Jahrhundert, Stühlen aus dem Sitzungssaal eines alten Rathauses, einem alten Eisentopf für die offene Feuerstelle. Sie dekorierte die Nischen in dem alten Speiseraum mit Silberlöffeln und altem friesischem Porzellan hinter Glas. Gemeinsam restaurierten sie die Alkoven, die traditionellen Bettnischen, und die Mutter legte den Garten nach dem Vorbild eines alten Klostergartens an.

Die Kate von Katja Just auf Hallig Hooge

Ein Haus auf einer Hallig ist mehr als ein Dach über dem Kopf, es ist Heimat, Identität, Fluchtpunkt

Im ersten Stock, dem früheren Heuboden, sind zwei Ferienwohnungen. Das alles wollte Katja Just im Jahr 2000 übernehmen. Zusammen mit ihrem Freund. Doch der machte kurz vor dem Umzug von München nach Hooge einen Rückzieher. Sie war fassungslos, alles hatte gepasst, er hatte eine Firma gegründet, wollte sich auf Hooge um Computer und Internetdienste kümmern, die beiden wollten Kinder haben und sie auf der Hallig aufwachsen sehen. Die "Trennung auf Probe" war in Wahrheit bereits das Ende der Beziehung. Es war ein Schock, sagt sie, sie fühlte sich verraten und belogen, zwei Jahre hat sie nach der Trennung gelitten, sagt sie. "Heute weiß ich, dass es sein musste, auch wenn es hart war." Jetzt erst recht, hat sie sich damals gesagt. Sie war 25, anfangs fühlte sie sich allein auf Hooge. Da war das, was sie verlassen hatte: München, der große Freundeskreis, Motorradtouren, Ausflüge in die Berge, Opernbesuche, die Museen, der Job im kaufmännischen Bereich einer Fluggesellschaft. Auf der Habenseite auf Hooge waren die rund 100 Halligbewohner, darunter noch ein paar zugereiste Frauen, ein Hund für die Spaziergänge am Deich. Statt in die Oper zu gehen, schloss Katja Just sich dem Halligchor an. Später kam Maike, die Halligfriseurin, die ihre Freundin wurde.

Manchmal verabreden sich die beiden zum Mädelstag, dann fahren sie mit der Fähre nach Amrum zum Shoppen. Es ist ein Leben, in dem man auf vieles verzichtet, da ist kein Arzt, keine Apotheke, keine Tankstelle, und kommt die Fähre nicht, kommt nichts, sie sind abgeschnitten vom Rest der Welt, was man braucht, muss gebracht werden. Der Arbeitstag von Katja Just besteht - unter anderem - aus Gartenarbeit, Zimmer putzen, Gäste abholen und wegbringen, Rasen mähen, im Winter Schnee schippen. Statt am Abend mit Freunden im Biergarten zu sitzen, sitzt sie hinter ihrem Haus zwischen Lavendel, Salat und Buchsbaumhecken. Sie streicht das Haus selbst, und was sie nicht kann, lässt sie sich zeigen. "Das muss auch so sein, vor allem wenn man als Frau allein hier lebt", sagt sie. "Ich war nie das kleine Mädchen, das sich auf die Hilfe der anderen verlässt."

Das soziale Leben ist ein anderes auf einer Hallig. Man kommt mal auf einen Klönschnack vorbei, auch wenn man nicht befreundet ist, man besucht einander auf den großen Feiern zu Geburtstagen, Hochzeiten, Taufen. "Hier wird man nicht eingeladen, man wird nur ausgeladen", heißt es auf Hooge. Einer braucht den anderen im Notfall auf dieser kleinen Erhebung im Meer. Das weiß jeder, und so sind Streitereien meist schnell beigelegt. Es ist ein anderer Zusammenhalt als in der großen Stadt, er wirkt fast wie aus der Zeit gefallen, ist aber unter Umständen überlebensnotwendig, denn Land unter ist immer einzuplanen - und deshalb geht es auf Hooge auch immer um das Haus. Wie es geschützt werden kann, wenn das Wasser kommt, wie man einander hilft in so einer Situation.

Ein Haus auf einer Hallig ist mehr als ein Dach über dem Kopf, es ist Heimat, Identität, Fluchtpunkt. Ein Ort für Intimsphäre ist es nicht. "Es gibt ja keine Vorhänge", sagt Katja Just. "Habe ich einen Mann im Haus, oder gehe ich mit ihm spazieren, dann bekommt jeder alles mit - manchmal auch Dinge, die gar nicht passieren." Überhaupt die Männerfrage. Die kennt sie ja, die wird ihr ständig gestellt. Hast du einen? Suchst du einen? Wie findet man hier überhaupt einen? Einmal hat sie sich in einen Gast verliebt, er kam an, schien sich spontan wohl zu fühlen und wirkte wie befreit, wenn er auf der Hallig unterwegs war. Das hat ihr gefallen, aber am Ende hat es nicht funktioniert, sagt sie. "Er war beruflich selbständig, hätte hier leben können, aber die Entscheidung war zu groß für ihn." Den umgekehrten Weg zu gehen, das Haus und Hooge für einen Mann zu verlassen, das will sie nicht, sagt sie. Sie musste loslassen lernen. "Wieder mal." Ihre Ersatz-Familie auf Hooge, das sind die Zwillinge Jan und Jörg, blond, blauäugig, hilfsbereit, nordfriesisch bis in die Knochen.

Die Glücksmomente in ihrem Leben sind andere geworden

Mit Jan war sie 1996 zusammen, als sie damals ihre Eltern im Urlaub auf Hooge besuchte. Sie hatten ein Jahr lang eine Fernbeziehung. "Komm hierher", sagte Jan damals, "ich mache den Kaufmannsladen mit dir." - "Aber das war zu früh für mich", sagt Katja Just. Heute sind die beiden kein Paar, auch wenn darüber natürlich geredet wird. "Das weiß ich", sagt sie, "Freundschaften zwischen Männern und Frauen, die gibt es ja nicht, die haben doch was miteinander, sagen dann die Leute, ich bekomme das ja mit, ich versuche, es an mir abprallen zu lassen." Jan und sie sehen sich fast jeden Tag, "ich lerne viel von ihm", sagt sie, "wir sind innig, und Jörg, der Wirt vom Gasthaus 'Zum Seehund', ist mein bester Freund". Der "Seehund" ist das andere Haus auf Hooge, das ihr wichtig ist. Sie hat Jörg geholfen, das Lokal zu führen, sie ist pragmatisch und schnell, wo er verträumt und zögerlich ist. Sie hat den Gastraum mit ihm gestrichen, hat alles heller und moderner gemacht, als sie merkte, er schafft es nicht, das Restaurant zu halten. Sie hatte Angst, dass er es am Ende verkaufen muss und wegzieht, sie dachte, dass es nicht sein kann, dass das Haus eines Tages ohne ihn ist und sie ohne ihren besten Freund. Da hat sie eine Mail an die Fernsehsendung "Die Küchenchefs" geschrieben, und dann stand da plötzlich ein Team vom Sender, drei Köche, und hat alles umgekrempelt "und dem Jörg in den Arsch getreten", sagt sie.

Sie will, dass die Hallig bleibt, wie sie ist, sagt Katja Just. Sie ist im Gemeinderat, hat sich dafür eingesetzt, dass auch im Winter wenigstens eine Gaststätte geöffnet hat, damit die Touristen etwas essen können. Sie will verhindern, dass viele Junge nach der Ausbildung auf dem Festland dort bleiben, weil es keine Jobs und zu wenig bezahlbaren Wohnraum hier gibt. Dass eines Tages die Schule schließen muss, weil keine jungen Familien mehr da sind. Die wiederum bleiben weg, weil es immer mehr Zweitwohnungen und zu wenig bezahlbaren Wohnraum auf Hooge gibt. Von denen, die es doch versuchen und auf die Hallig ziehen, sagt Katja Just, gehen viele nach rund sieben Jahren wieder: Die Winter sind hart, da gibt es keine Flucht, und man muss sich selbst aushalten können.

Ein Haus auf einer Hallig ist auch eine Typfrage, sagt sie. Hooge ist nicht mehr Festland, aber auch nicht ganz Meer. Es ist eine Schnittstelle zwischen beidem. Ein Grenzbereich. Man muss sich selbst genügen können, es ertragen, dass die innere Stimme lauter wird, weil sie nicht von äußeren Geräuschen übertönt wird, vor allem im Winter. Katja Just sagt, sie sei auf der Hallig ruhiger und gelassener geworden. Manches vermisst sie immer noch, die Berge, ihr Motorrad. Die Glücksmomente in ihrem Leben sind andere geworden: Als eine alte Hoogerin ihr zum Geburtstag gratulierte und sie wusste: Jetzt gehörst du wirklich dazu. Wenn sie mit einem Milchkaffee auf ihrer Auffahrt sitzt und auf die umliegenden Halligen und Inseln schaut. Wenn die Ringelgänse im Frühling auf ihrem Weg nach Sibirien zu Hunderten hier Halt machen. Wenn am 21. Februar jedes Jahr das Biike-Brennen stattfindet, eine Art Osterfeuer, mit dem früher die Walfänger der Inseln und Halligen verabschiedet wurden, bevor sie auf große Fahrt gingen. Alle Hooger, auch die, die auf dem Festland leben, kommen dann zusammen, und später wird gemeinsam Grünkohl gegessen. Aber was Katja Just hier am meisten liebt, ist die Stille: "Auf Hooge kann man die Stille hören."

Text: Beatrix Gerstberger

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