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Lachs aus Alaska: Wilde Prachtkerle

Wildlachs-Rezepte: Lachsfilet mit Mandel-Sprinkle
© Wolfgang Krüger
Wildlachs aus Alaska können wir guten guten Gewissens kaufen. 

Es ist ein sonniger, windstiller Augustmorgen an der Küste Südostalaskas. Die Luft ist klar, der Himmel strahlt in tiefem Blau. Im Taku Inlet, einem von Bergwäldern gesäumten Fjord, wo der Fluss Taku in den Pazifik mündet, haben sich abertausende von Wildlachsen versammelt. Ihre silbrigen Rücken schimmern unter der Wasseroberfläche. Ab und an springt ein prachtvoller Fisch aus dem Ozean, versucht sich an einer Pirouette, scheitert - und klatscht zurück ins Wasser. Möwen stürzen sich kreischend auf die Einschlagstelle.

Jedes Jahr ab Juni streben riesige Lachsschwärme auf die Küsten Alaskas zu. Ihr Ziel sind die Meeresmündungen der Flüsse. Dort, wo Süß- und Salzwasser sich mischen, sammeln sich die Tiere. Sobald ihre Kiemen sich an das Süßwasser gewöhnt haben, beginnen sie, die Flüsse hinaufzusteigen. Bis zu jener Stelle am Oberlauf, wo sie vor drei bis fünf Jahren aus dem Ei geschlüpft und später ins Meer gewandert sind. Genau an dieser Stelle werden sie laichen. Und danach sterben.

Damit sie ihre Reise durchstehen, haben sich die Lachse zuvor draußen im Pazifik voll gestopft. Denn sobald sie wieder in ihrem Fluss sind, werden sie nichts mehr fressen und abmagern. Profifischer suchen deshalb gern die Fjorde um Flussmündungen auf, um die Prachtkerle zu fangen, solange sie noch Prachtkerle sind.

Der Taku Inlet ist einer davon. Und heute ist ein idealer Tag. Ideal für Fischer, ideal auch für Sissi Babich und ihre Lachskaviar-Firma im nahen Juneau, die nur tagesfrischen Rogen verarbeitet. Vielleicht ist es aber auch ein verlorener Tag. Das hängt von einem einzigen Fax ab. Dieses Fax kommt einmal wöchentlich, gegebenenfalls öfter, von der Fischereibehörde Fish & Game des US-Bundesstaates Alaska. Und es sagt den zugelassenen Berufsfischern, wo, wie lange und mit welcher Methode sie fischen dürfen. Manchmal sagt es ihnen aber auch, dass sie in bestimmten Gebieten überhaupt nicht fischen dürfen.

Freiheit. Unabhängigkeit. Diese Begriffe fallen, wenn man einen Profifischer in Alaska fragt, was er an seinem Beruf liebt. Und doch gibt es keinen von ihnen, der die empfindlichen Beschränkungen nicht akzeptiert. Denn das dritte Wort, das garantiert fällt, ist das Wort Sustainability. Nachhaltigkeit. In Alaska ist das kein Modewort. Denn ausgerechnet jenes Alaska, dessen Gouverneurin Sarah Palin den Einfluss des Menschen auf den Klimawandel leugnet, ausgerechnet jenes Alaska sorgt seit Jahrzehnten mit konsequenter Ökopolitik für den Erhalt seines Fischreichtums.

An jedem Fluss des Landes (sie sind nummeriert) sitzen im Sommer Mitarbeiter von Fish & Game und registrieren die zurückkehrenden Lachse. Jedes Schiff muss täglich seine Fänge (und Beifänge) melden, jeder Käufer die erworbenen Fische. Fish & Game nimmt Lebensmittelproben in Fabriken, überwacht Fangschiffe, schickt Sonden zum Meeresgrund und Biologen zu den Laichplätzen. Kommen in einem Fluss zu wenig Lachse an, erfrieren im Winter zu viele Eier, sind die Schwärme kleiner als erwartet oder stimmen andere Daten nicht, wird die Fischerei im betroffenen Gebiet beschränkt. "Wer hier fischt, muss Rücklagen für solche Fälle bilden", sagt David Bedford, Leiter der in Juneau ansässigen Behörde, "sonst geht er pleite." Vielleicht könnte man das alles einfacher haben, wenn man Lachse züchten würde. Aber das ist verboten. Und nichts macht die wettergegerbten, nervenstarken Fischer aggressiver als dieses Thema.

Lachszucht, so wird dann gefaucht, reduziere die genetische Vielfalt, mindere die Fleischqualität, verunreinige die sauberen Gewässer Alaskas und störe das Ökosystem. Der andere Grund ist: Der Fischfang auf offener See ist traditionelle Lebensgrundlage für einen großen Teil der Bevölkerung Alaskas. Und er steht für einen einzigartigen Way of Life, wie er nur im wilden Norden der USA möglich ist. Alaska schützt mit seiner Politik nicht nur seine unberührte Natur. Sondern auch seine Kultur. "Mein Leben wäre anders verlaufen ohne diese Politik", sagt auch Sissi Babich, die Kaviarproduzentin. Ihre Biografie ist so eng mit der Natur verzahnt wie anderswo auf der Welt das Leben der Menschen mit einer großen Firma.

Ich liebte das Fischerleben, die Wildnis und die Abgeschiedenheit Alaskas.

Wie viele hier stammt die 57-Jährige nicht aus Alaska. Sie ist Österreicherin, wuchs im Kleinen Walsertal auf. Mit 22 Jahren besuchte sie Freunde im US-Bundesstaat Washington und verliebte sich in einen jungen Lachsfischer, der jedes Jahr im Sommer nach Alaska zog. Die beiden heirateten. Und Sissi, die bis dahin noch nie auf einem Hochseeschiff gewesen war, begleitete ihren Mann.

"Ich liebte das Fischerleben, die Kameradschaft mit den anderen Fischern, die Wildnis und die Abgeschiedenheit Alaskas", erzählt sie. "Die stürmischen Tage auf See wechselten sich ab mit friedlichen Ankerzeiten, irgendwo in einer einsamen Bucht, weit weg von der lärmenden Welt der Highways und Shopping-Malls. Unsere Gesellschaft waren Bären und Wale. Und wenn wir genug Geld verdient hatten, flogen wir in meine Heimat zum Skifahren."

Aber die Ehe zerbrach, und Sissi stand plötzlich vor dem Nichts. "Ich hätte damals nach Österreich zurückkehren können", sagt sie. "Aber ich konnte mir ein Leben ohne diese Natur hier nicht mehr vorstellen." Sissi kaufte sich - auf Kredit - eine Fischerlizenz für Südostalaska und ein Schiff, und begann, selbst Lachs zu fangen. "Ich dachte, ich wüsste alles darüber. Aber ich wusste nichts", erzählt sie. "Nicht, wie die Tiere auf Strömung, Wind und Wärme reagieren, nicht, woran man einen guten Fischgrund erkennt."

Sie fing viel zu wenig. Doch sie hatte Glück. Die anderen Fischer, alles harte Kerle, nahmen das "Mädchen" unter ihre Fittiche. Abends hockte sie mit ihnen in der Kneipe, und nach ein paar Bier gaben sie ihre Geheimnisse preis. Sissi lernte schnell. Und verdiente nun gut. Bis Ende der 80er-Jahre Zuchtlachs aus Norwegen und Chile auf den Markt kam. "Die Leute kauften das wie verrückt", sagt Sissi, "und die Preise sanken ins Bodenlose."

Auf ihren Reisen nach Europa fiel ihr auf, dass dort inzwischen Lachskaviar als Delikatesse galt. "Wir Fischer haben den Rogen eigentlich immer ins Meer geworfen", lacht sie. Nun nicht mehr. Mit ihrem zweiten Mann Günter, einem Deutschen aus Oberstdorf, gründete sie die Northern Keta Caviar Co. und begann, aus dem Rogen des Ketalachses (einer der fünf pazifischen Wildlachsarten) hochwertigen Kaviar zu produzieren.

Inzwischen arbeiten über 30 Fischer für Sissi, darunter auch ihr Mann. Denn sie hat Erfolg. Ihr Kaviar verkauft sich in die ganze Welt, und auch der Wildlachs, den Sissi handelt, erzielt auf dem Weltmarkt wieder gute Preise. Immer mehr Menschen möchten Lebensmittel haben, die ohne Rückstände sind und nachhaltig produziert wurden. Damit kann Sissi nun wirklich dienen. Manchmal kommt sie mit der Produktion kaum nach. Denn noch immer gibt es sie, diese Tage, an denen nichts reinkommt. "Und das soll auch so bleiben", sagt Sissi. "Denn unsere Zukunft hängt davon ab."

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