Anzeige

Wo Gladiole und Wasserminze wachsen

Wandern, wilde Kräuter wachsen und die Schönheit Liguriens genießen ist eine Erfahrung. Mit den wilden Kräutern kochen und Tinkturen mixen eine andere. Mit Marinella Klug geht beides.

Du sitzt mitten im Thymian!" Erschrocken rappelt Melanie sich hoch, ein Stück Käse in der einen und einen Becher mit Wein in der anderen Hand. Wir, zehn Frauen aus Deutschland zwischen 20 und 60 und Marinella Klug, unsere "Kräuterfrau", machen gerade Picknickpause zwischen uralten Olivenbäumen. Weiche Hügel, so weit das Auge reicht, Vogelgezwitscher von allen Seiten und dazu dieser süße Duft von den Robinien am Wegesrand - Romantik pur, also überhaupt kein Grund, den Thymian so zu misshandeln. Schließlich schmeckt er nicht nur köstlich in der Pasta-Soße, sondern ist als Tee auch Medizin gegen Bronchitis und Erkältung, wie Marinella uns erklärt.

image

Eine Woche lang wollen wir mit der herzerfrischend bodenständigen Italienerin durch die Berge ihrer ligurischen Heimat wandern, Kräuter sammeln und zusammen kochen - immerhin gelten die traditionellen Gerichte dieser Region als Highlights der mediterranen Küche. Aufgewachsen ist die 54-Jährige im Bilderbuchdorf Apricale, in dem auch wir diese Woche in Ferienwohnungen logieren. Schon als Kind sammelte sie Wild- und Heilpflanzen wie andere Playmobil-Figuren; Sprachen lernte Marinella Klug als Au-pair in England, Deutschland und Frankreich, Kochen bei der Arbeit in internationalen Restaurants. "Den größten Teil meines Wissens habe ich mir praktisch angeeignet", sagt Marinella fröhlich; nur Phyto- und Aromatherapie studierte sie auf der Heilpraktikerschule und dem Kurator-Institut in Süddeutschland. In Stade, wo sie seit beinah zwölf Jahren mit ihrer Familie wohnt, gibt sie heute auch Sprach-, Koch- und Kräuterkurse, hält Vorträge oder organisiert Reisen in ihre Heimat.

image

Die Liebe hat sie zwar einst nach Deutschland verschlagen, ihre "Leidenschaft" gilt aber immer noch Ligurien. Im Gänsemarsch geht es nach dem Picknick an einem Flüsschen entlang, Marinella in Wanderstiefeln zum langen schwarzen Rock immer voran, und dann auf kleinen Pfaden stetig aufwärts zu ihrem Rustico, ihrer Berghütte. Immer wieder bleibt sie stehen und erklärt uns, was am Wegesrand wächst, sie kennt die Namen auf Deutsch, Italienisch und Lateinisch und zu jedem Kraut eine kleine Geschichte: Frauenfarm zum Beispiel eignet sich fabelhaft zur Herstellung von Haarspülungen; Frauenminze (Calamintha) fördert die romantische Liebe, Ingrassa Porco hingegen sehr viel Handfesteres, wie der deutsche Name deutlich sagt: "Schweinedickmacher" heißt das Kraut. Keine unter uns, die nicht verstohlen ein paar Stängel Calamintha in ihrem Rucksack verstaute; dazu kommen nach und nach die schönsten Bouquets aus Thymian, Minze und Salbei, Zitronenmelisse und Knoblauchrauke, Rosmarin und wildem Fenchel.

image

Im gemauerten Backofen des Rusticos brennt schon ein Feuer, als wir uns nach einer Siesta daranmachen, unsere Ausbeute zu verarbeiten. In der kleinen dunklen Küche bereitet Marinella mit Hilde und Christina Hefe- und Mürbeteig vor. Scarlett erntet amüsierte Blicke, weil sie die Sardellen für die Tomatensoße mit Messer und Gabel schneidet, damit ihre Finger bloß nicht nach Fisch riechen; draußen in der Sonne werden vom Rest der Truppe riesige Mengen Kräuter für die Torta Verde, eine Vorspeise aus Gemüsen, Kräutern und Eiern, mit Mürbeteig bedeckt, gezupft und gehackt. In den Dip zur Focaccia, dem "Ölbrot", gehören Thymian, wilder Fenchel, Pimpinelle und Rosmarin; in die pikante Tomatensoße, das Wichtigste an der ligurischen Pizza, neben Scarletts Sardellen Mengen von Oregano. Nebenbei erklärt Marinella uns auch, wie wir selbst Kräutercremes und -tinkturen herstellen können, zum Beispiel eine Medi-zin gegen Magenbeschwerden: Wermut oder Schafgarbe zupfen, klein hacken und in ein Glas geben. Mit Wodka, Korn oder Grappa auffüllen und circa drei Wochen verschlossen ziehen lassen. Danach filtrieren und in kleine dunkle Flaschen mit Pipette füllen. Hilft auch, wenn man zu viel Pizza und Focaccia gegessen hat.

image

Am nächsten Tag holt uns eine junge Frau mit dem Kleinbus auf der Piazza von Apricale ab. Wir fahren Richtung Norden, in engen Kehren den Berg hinauf nach Triora, ins "Hexendorf" im Argentinatal. Bald ziehen sich draußen keine silbernen Olivenhaine mehr hin, dafür sehen wir Mispelbäume und Feigen, Steineichen und Kastanien, Baumerika mit wunderschönen weißen Blüten, pinkfarbene Zistrosen und blaue Rasselblumen, noch blauer als der Himmel über uns. Was für ein Gegensatz dazu dann Triora: dunkle Gassen und Gewölbe und ein uralt wirkender Rauchgeruch in der Luft. Das mittelalterliche Dorf gilt zwar als kunsthistorisches Kleinod, ruft aber bei den meisten von uns heftige Beklemmung hervor. Während der Inquisition wurde hier eine Gruppe von Frauen für eine Hungersnot verantwortlich gemacht, zu Hexen erklärt, eingekerkert, gefoltert und verbrannt. Fast meine ich, ihre Angst und ihren Schmerz zu fühlen, und auch die anderen sind froh, als wir endlich wieder aus den engen Gassen in die Sonne treten. Interessanter als das Hexenmuseum und diverse Hexensouvenirs finden wir die drei Tafeln am Bottega delle Streghe, einem Häuschen außerhalb des Dorfes, in dem sich die Hexen angeblich mit dem Teufel trafen. Dort wird unter anderem erklärt, was diese "Hexen" wirklich waren - weise Frauen, die mit Kräutern Heilmittel herstellten.

image

Bevor wir am letzen Abend ein großes Abschiedsessen kochen, gibt es noch mal einen Ausflug in die Stadt. Freitags ist großer Markt in Ventimiglia - letzte Gelegenheit, Souvenirs und Geschenke zu kaufen. Doch bevor wir uns in Stapel von modischen Ledertaschen stürzen, in Bergen von Tüchern und Unterwäsche wühlen und Sommerkleider en masse anprobieren, konzentrieren wir uns brav aufs Gemüse. Wir kaufen grünen und lilafarbenen Spargel, Auberginen und Salatköpfe, dazu verschwinden Unmengen von Aprikosen, Erdbeeren und Kirschen in unseren Taschen und Mägen. Anschließend gehen wir gemeinsam mit Marinella auf den Fischmarkt, wo sie nach langem Prüfen und Verhandeln den Bestand an Merlano aufkauft, kleinen Mittelmeerfischen, die ungefähr so groß wie unsere Heringe sind, aber zum Glück fast keine Gräten haben. Mit Salbei, Rosmarin oder Thymian gefüllt, in Mehl gewendet und dann in einer großen Pfanne in Olivenöl frittiert, sind sie der Hauptgang unseres Menüs. Das Credo Marinellas, einer überzeugten Anhängerin der Slow-Food-Bewegung, erweist sich wieder mal als richtig: "Kreatives Kochen, zusammen essen und vor allem genießen gehören zu den schönsten Dingen des Lebens!" Trubel und Glamour der "Blumenriviera", wie wir sie bei der Heimfahrt von Triora mitbekommen haben, fehlen uns hier oben in der Abgeschiedenheit kein bisschen - schon in der einen Woche ist Apricale zu "unserem" Dorf geworden. Der Abschied fällt sehr schwer, aber ich nehme ja eine Menge mit: die Erinnerung an unser haltloses Lachen zum Beispiel, als Marinella den Berg nur noch rückwärts raufstapfen konnte, weil sie solche Wadenkrämpfe hatte. Die wiederbelebte Erfahrung, wie schön es ist, zu Fuß unterwegs zu sein und dabei ständig intensive Gerüche in der Nase zu haben. Und, nicht zu vergessen, das Sträußchen Calamintha.

Zu den Rezepten:

Hefefladen mit Kräutern (Focaccia) Ligurische Pizza (Sardeneira)

Tipp

Wem der Norden lieber ist, der kann auch in Ostseenähe nach wilden Kräutern suchen. Der Kräutergarten Pommerland bietet im Lassaner Winkel vor der Halbinsel Usedom Kräuterkurse für Frauen an. Infos: www.kraeutergarten-pommerland.de oder Tel. 03 83 74/ 806 49. E-Mail: info@kraeutergarten-pommerland.de

Weitere Infos zu dieser und zu anderen Reisen mit Marinella Klug (Kultur, Sprachen, Musik) finden Sie unterwww.incammino.de oder Tel. 041 41/ 92 16 55. E- Mail: mail@incammino.de

Text: Lena Möhler Fotos: Anke Schütz

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel