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400 Quadratmeter Glück

Der eigene Schrebergarten - ein Rückzugsort aus dem Trubel der Großstadt. Ulrike Klose hat sich im Hamburger Stadtteil Eppendorf eine kleine Idylle geschaffen.

Gartenzwergbiotop oder Wellness-Oase für Kleinbürger? Vorurteile gegenüber Schrebergärtnern, im liebevollen Jargon auch Laubenpieper genannt, gibt es fast so viele wie Schrebergärten selbst, in Deutschland sind es circa eine Million. Im Garten von Ulrike Klose vergisst man die eigene Voreingenommenheit auf der Stelle: Hier ist es nämlich einfach nur schön. Die urigen Lauben der Kolonie Brödermannsweg e. V. reihen sich wie Perlen an einer Schnur entlang der Tarpenbek, einem kleinen Kanal, der sich durch den Hamburger Stadtteil Eppendorf schlängelt. 400 Quadratmeter der Idylle gehören Ulrike Klose. Der Garten mit dem knorrigen Apfelbaum, an dessen Ästen im Herbst rotbackige Äpfel leuchten.

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Ihr zwölf Quadratmeter großes Steinhaus aus den fünfziger Jahren steht auf Parzelle Nummer 15 und sieht aus wie das Häuschen von Schneewittchen und den sieben Zwergen. Weiß getüncht, mit roten Fensterrahmen und grünen Fensterläden. Hier kann man tatsächlich vergessen, wo man ist: nämlich mitten in der Stadt, zehn Minuten mit dem Fahrrad vom Szeneviertel Eppendorf entfernt.

Schon Anfang März ist der Rasen mit zartblauen Szillas bedeckt, sonnengelbe Narzissen und Schlüsselblumen leuchten am Fuß vom Kirschbaum um die Wette, und die Sprösslinge von Pfingstrosen, Taglilien und japanischen Anemonen protzen mit ihren ersten grünen Spitzen. All das Treiben und Sprießen um ihn herum lässt einen allerdings völlig kalt: Ein Igel hat es sich unter einem Haufen kleiner Äste und Stroh gemütlich gemacht und hält noch seinen Winterschlaf. Ulrike Klose dagegen steht schon "in den Startlöchern" und wartet auf das Ende der Frostperiode. Dann kann sie endlich mit dem Setzen der neuen Pflanzen loslegen.

"Der Schrebergarten hat mein Leben total umgekrempelt", sagt die 65-jährige Hamburgerin, dabei strahlen ihren himmelblauen Augen. "Das Alleinsein ist viel einfacher, seit ich ihn habe. Der Garten strukturiert meinen Alltag." Nach der Trennung von ihrem Mann und nachdem zwei der Kinder aus dem Haus waren, zog sie vom Reihenhaus aus einem Hamburger Vorort wieder in die Stadt. Sie brauchte mehr Menschen um sich herum, mehr Kultur, wollte wieder Großstadtluft atmen. "Aber schon im ersten Sommer fehlten mir das Vogelgezwitscher, das Grün, der Geruch von Frühling, Sommer, Herbst und Winter." Eine Freundin empfahl ihr, sich beim Kleingartenverein am Brödermannsweg zu bewerben. Anderthalb Jahre später war es so weit.

Das Paradies auf Erden: ein Schrebergarten im Sommer

Im August bekam sie den Garten. Der war so akkurat angelegt, wie man es sich bei passionierten Kleingärtnern vorstellt. Eine Reihe Gehwegplatten aus grauem Beton, eine Reihe Blumen. "Das erste Jahr haben meine Söhne, deren Freundinnen und ich im wahrsten Sinne des Wortes nur geackert. Wir haben Stauden umgepflanzt, Rasen gesät und mit den übrig gebliebenen alten Gehwegplatten den Garten terrassenförmig angelegt." Sie haben kleine Hochbeete, Mauern und einen Grillplatz gebaut, denn "der gehört eben zum Schrebergarten dazu."

Im Sommer ist ihr Garten ein kleines Paradies. In den großen Terrakotta-Töpfen vor dem Haus prahlen die Hortensien mit ihrer Pracht. Rosen, Wicken und Phlox wuchern bunt und üppig, am Kirschbaum baumeln dunkelrote Knubberkirschen dicht an dicht. Der Frosch quakt im kleinen Brunnen, und die neugierigen Rotkehlchen folgen Ulrike Klose bei ihren Streifzügen durch den Garten. Am Wochenende kommen Freunde und Familie auf ein Stück selbst gebackenen Kirschkuchen oder eine Grillwurst vorbei. "Der Sommer ist herrlich", schwärmt Ulrike Klose, "am meisten liebe ich es, wenn die Beeren reif sind." Die kocht sie gleich nach der Ernte und radelt mit den noch warmen Marmeladengläsern in der Abendsonne nach Hause. "Der Garten macht mich glücklich", sagt sie.

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Genau das war auch die Absicht von Schuldirektor Dr. Ernst Innozenz Hauschild. Der gründete 1864 in Leipzig den ersten Schreberverein und benannte ihn nach seinem verstorbenen Mitstreiter, Dr. Gottlob Moritz Schreber. Der Arzt und Pädagoge wollte Kinder vor den negativen Folgen der Industrialisierung schützen und ihnen Möglichkeiten zum Spielen in der freien Natur bieten. Hauschild pachtete nach Schrebers Tod am Stadtrand von Leipzig eine Blumenwiese und legte kleine Gärten an, die von den Kindern mittelloser Eltern bepflanzt und gepflegt werden sollten. Bald jedoch übernahmen die Eltern das Sagen, stellten Lauben auf die Parzellen und zogen Zäune. Aus war’s mit der Spielwiese für die Kleinen.

Die ersten Kleingärtner arbeiteten von da an mit viel Eifer an ihrem Ruf, der sich bis heute hält: dem des engstirnigen Spießbürgers, der Blumen, Bäume und Sträucher gnadenlos in Reih und Glied zwängt. Da durfte kein heruntergefallenes Blatt an der falschen Stelle liegen. Ordentlich und sauber sollte es sein, wie in den eigenen vier Wänden. Mit Natur hatte das Ganze nicht mehr viel zu tun. Mit Intimsphäre auch nicht. Wer gegen eine der zahlreichen Regeln verstieß, wurde bald selbst verstoßen. Kontrollwahn und Reguliersucht wirkten so abschreckend, dass den Kleingartenvereinen langsam, aber sicher der Nachwuchs ausging. Die Folge: Sie waren vom Aussterben bedroht. Um dem zuvorzukommen, begannen viele von ihnen, an einem Imagewechsel zu arbeiten.

Statt Vereinsmeierei herrscht entspannte Lässigkeit im Schrebergarten

Das Leben im Schrebergarten ist seitdem lässiger geworden. Zum Glück. Auch in Ulrike Kloses Verein geht es entspannt zu. Vereinsmeierei gibt es keine, nur eine Mitgliederversammlung im Jahr. Ansonsten darf jeder nach seiner Fasson selig werden. "Das liegt auch am Verein", sagt sie, "da sind ein paar Alt-68er dabei." Die sehen das alles nicht so eng. Achten aber trotzdem auf Details, zum Beispiel, dass die Buchenhecke gestutzt ist. Einen Meter zwanzig. Keinesfalls höher. Altes Kleingartengesetz, "damit die anderen an unserem Glück teilhaben können", sagt Ulrike Klose und grinst. Denn eine Lösung hatte sie schnell parat: Einen halben Meter vor der Hecke wurden Forsythien und Sommerflieder gepflanzt. Jetzt kann sie ihren Garten fast ungestört genießen.

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Wie Ulrike Klose zieht es immer mehr Familien und junge Großstädter in die Laubenkolonien. Sie träumen vom eigenen kleinen Stück Land, wollen deshalb aber nicht gleich in ein Reihenhaus am Stadtrand ziehen. Der Altersdurchschnitt ist zwischen 1997 und 2003 immerhin um neun Jahre gesunken, von 56 auf 47 Jahre. Und erschwinglich ist es außerdem. 2500 Mark musste Ulrike Klose 2001 für Laube und Garten zahlen. Jährlich kommt eine Pacht von 250 Euro dazu. Der Vertrag gilt auf Lebenszeit und kann später von ihren Kindern übernommen werden, sollten sie Interesse haben.

Das sieht ganz danach aus. Ihre zwei Söhne und die Tochter schauen mit den drei Enkeln im Sommer oft vorbei. Die Laube wurde zum Ort, wo sich alle regelmäßig treffen. "Der Garten hat wieder richtig Schwung in unser Familienleben gebracht", erzählt Ulrike Klose, "einer buddelt in den Beeten, einer entspannt in der Hängematte, und ein anderer wirft den Grill an. Hier können wir eben alle gut zusammen sein, nebenher und miteinander."

Text: Tatjana Blobel<br/><br/>Fotos: Sabine von Breunig<br/><br/> Produktion: Silke Panzer

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