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Möbel ohne Verfallsdatum

Pur, ohne Schnörkel, zeitlos schön - wenn Möbel zu Designklassikern werden, haben sie durch ihre Einzigartigkeit überzeugt: Sie waren wegweisend in Form und Material.

Egal, welcher Einrichtungstrend gerade um sich greift: Die Designklassiker halten sich da raus. Als seien sie erhaben über alles, was ein Verfallsdatum hat. Sie haben ihre endgültige Form erreicht und genießen Artenschutz. Irgendwo zwischen Kult und Gebrauchsgegenstand. Für ihre vornehme Herkunft bürgen die Namen ihrer Erfinder: Mies van der Rohe, Ray und Charles Eames, Marcel Breuer, Arne Jacobsen, Isamu Noguchi, Eileen Gray oder Patricia Urquiola. Aber wie wird ein Möbel zum Klassiker? Das ist gar nicht so leicht. Der Entwurf muss sich die Auszeichnung nämlich selbst verdienen, muss es schaffen, mehr als eine Generation zu begeistern. Wie der berühmte Thonet-Stuhl "214" von 1859. Ist ein Möbel noch jung - also erst auf dem Weg in die Unsterblichkeit -, sollte es durch seine Einzigartigkeit überzeugen, in der Form, in der Verarbeitung oder im Material wegweisend sein.

Designklassiker müssen schön, aber nicht unbedingt bequem sein

Viele dieser krisenfesten, doch zum Teil recht eigenwilligen Wohnobjekte sind zwar Serienmöbel, aber eigentlich sind sie Diven. Wollen im Mittelpunkt stehen, unvergesslich bleiben. Sind zurückhaltend, aber präsent. Eher Kate Winslet als Madonna. Bequemlichkeit gehört nicht zwangsläufig zu den Eigenheiten dieser stillen Superstars. Im würfelförmigen Ledersessel "Grand Confort" von Le Corbusier können kleine Leute ihre Arme nicht in Schulterhöhe auf den Seitenlehnen ablegen und gleichzeitig entspannt gucken. Das Polster von "Antibodi", einer Liege der spanischen Designerin Patricia Urquiola, entfaltet eine geniale Blütenpracht aus Filz und Leder. Gemütlich ist sie nicht. Macht aber nichts. Sollen doch die Augen auf ihr ruhen.

Was nicht heißt, dass Designklassiker nur an ihrer Unbequemlichkeit zu erkennen wären. In Charles Eames' "Lounge Chair" - eine weich gepolsterte Holzschale - fällt man wie in Abrahams Schoß, und auch der futuristische Kunststoffsitz "Terminal 1" von Jean-Marie Massaud ist wesentlich bequemer, als er aussieht.

In den 80er Jahren brach das Design bei uns aus. Wer auf sich hielt, aß seine Designernudeln mit Designerbesteck am Designertisch. Einige Klassiker vermehrten sich wie wild: die Stühle aus gebogenem Stahlrohr von Marcel Breuer, der runde Beistelltisch aus Glas von Eileen Gray und die Flechtsessel von Lloyd Loom. Bis heute stehen sie in Läden, wo sie eigentlich nicht hingehören. Inflationär. Billige Kopien eben.

Zeitlos schön: Designklassiker

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Und trotzdem: Die Zeit war reif für Entwürfe, für die sich bisher nur eine kleine Gruppe von Architekten und Kunstliebhabern interessierte. Die Deutschen befreiten sich vom Muff der Nachkriegszeit. Das Gelsenkirchener Barock landete auf dem Sperrmüll. Stahl, Glas, Kunststoff waren angesagt. Aber die verbreiteten alles andere als ein behagliches Wohngefühl. Und schnell kapierten viele Designfans die Bedeutung von Mies van der Rohes legendärem Ausspruch "Weniger ist mehr". Zu viele Diven stehlen sich eben gegenseitig die Schau. Aber ein ausgewähltes Stück adelt jeden Raum, zieht bewundernde Blicke auf sich.

Saarinens weißer Tulpentisch zum Beispiel vermag einen alten Eichenschrank zum Glänzen zu bringen wie einen Bräutigam. Der berühmte "Ameisenstuhl" von Arne Jacobsen macht aus jedem Allerweltstisch einen Hingucker und der Kordelsessel "Vermelha" von Fernando und Humberto Campana einfach Spaß. Trotzdem bleibt die Frage: Muss es eigentlich immer gehobenes Interieur sein? Oder kann das "Billy"-Regal von Ikea, das inzwischen in fast jeder Wohnung unscheinbar seine Dienste verrichtet, auch zum Klassiker aufsteigen? Antwort: "Billy" ist ein Klassiker - in seiner Preiskategorie. Und seit 40 Jahren auf dem Markt. Vielleicht ist "Billy" sogar der König unter den modernen Klassikern, jedenfalls, was die Auflage angeht. Und das Nette an ihm ist: "Billy" darf man duzen.

Fotos: Moroso.it, Ikea Text: Renate Herzog

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