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Mit dem Fahrrad durch Paris

Paris auf dem Fahrrad - ein großes Abenteuer. Denn diese Stadt kann schnell, aber auch ganz langsam sein. Dabei ist sie immer besonders. Mit vielen Tipps und Adressen.

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Zur Begrüßung erzählt mir der Fahrradhändler vom Kampf zwischen David und Goliath. "Kennen Sie die Regeln auf den Busspuren? Sie dürfen mit dem Rad zwar darauf fahren, aber kommen Sie bloß nicht auf die Idee, einen Bus überholen zu wollen, das ist lebensgefährlich. Sie müssen in Paris nicht Goliath besiegen." Der Händler, der seinen Laden im Bezirk Marais hat, lacht.

Ich verspreche ihm, nicht David zu spielen, und leihe mir vorsichtshalber auch einen Helm aus - von pariserischer Eleganz weit entfernt, aber sei's drum. Vor einigen Jahren wurde man für einen verkappten Selbstmörder gehalten, wenn man Paris mit dem Fahrrad erobern wollte, habe ich in einem Reiseführer gelesen. Zu viel Verkehr, aggressive Autofahrer - bloß nicht. Heute ist das anders, Autofahrer nehmen mehr Rücksicht und halten Radler nicht mehr für komplette Exoten.

Das Schöne am Radfahren in Paris ist, dass man seinem eigenen Rhythmus folgen kann, weitab vom Gedränge in der Metro oder im Bus. Dass man in dieser grandiosen Stadt voller Sehenswürdigkeiten und versteckter Hinterhöfe in kurzer Zeit ganz unterschiedliche Paris-Filme sehen kann. Ein Film auf meiner Tour de Paris spielt im Osten, führt vorbei an idyllischen Schleusen und Kanälen; ein anderer konzentriert sich auf den Süden mit moderner Architektur bis hin zu den spektakulär hässlichen Hochhaustürmen von China-Town; der letzte spielt im klassischen Paris - zu dem auch eine wunderschöne Seine-Strecke gehört.

Eine ganze Straße verschwindet. Knickt einfach weg und ist nicht mehr passierbar. Leute stehen am Ufer des Canal Saint-Martin und schauen, wie sich die Drehbrücke an der Rue Dieu öffnet. Die Autos müssen warten, ein Ausflugsdampfer darf passieren und gleitet sachte über das Wasser. Unsere Räder lehnen gegen einen Zaun, auch wir kommen nicht mehr über die Brücke. Der Verkehr ist völlig aus-gebremst - was in Paris selten vorkommt.

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Unsere erste Tour führt in den Osten, vorbei an Schleusen, Kanälen, durch große Parks. "Insgesamt eine entspannte Route", sagt Britta Treede-Cissé, eine Deutsche, die professionelle Radführungen durch Paris organisiert und viele Nebenstraßen und Schleichwege kennt. Der Canal Saint-Martin wirkt verschlafen und romantisch, von Bäumen eingefasst, die sich im Wasser spiegeln, überspannt von filigranen Fußgängerbrücken - ein Hauch von Amsterdam. Als die Drehbrücke wieder geschlossen ist, fahren wir weiter am Ufer entlang. Mit dem Dampfer um die Wette, der immer wieder durch Schleusen hindurchmuss - was die Geschwindigkeit angeht, sind wir in diesem Fall Goliath.

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Die Kugel vor uns sieht aus wie ein gestrandetes Ufo. Riesengroß leuchtet "La Géode" in der Sonne, Wolken wie Luftschiffe und ein weiter blauer Himmel spiegeln sich in den Silberwänden. Wir auf unseren Rädern wären nicht mehr als drei kleine Punkte, mückengroß. Hinter den Wänden, im Bauch der Kugel, sind Kinos untergebracht. Wir sind im Parc de la Villette, dem großen Freizeitpark im Norden, wo früher mal ein Schlachthof war.

Am Brunnen Fontaine aux lions de Nubie halten wir, und als ich vom Rad steige, spricht mich eine alte Frau an. Ob das Radeln in Paris nicht zu gefährlich sei, will sie wissen. Sie selbst sei am Canal Saint-Martin mal vom Rad gefallen, wegen Straßenarbeiten war die Fahrbahn aufgerissen gewesen, seitdem fährt sie nicht mehr. Früher hat sie als Kellnerin im Hotel gearbeitet, jetzt kommt sie jeden Tag in den Park und versucht, die Nationalität der Touristen zu erraten. "Passen Sie bloß auf mit Ihrem Rad", sagt sie. "Der Parc de la Villette ist schön ruhig, aber Paris ist kein Park." Sie redet immer weiter, ich muss aufpassen, nicht festgequatscht zu werden.

Mit dem Fahrrad in Paris: Wir keuchen schon

Runterschalten in den ersten Gang. Wir keuchen. Fahren zwar nicht auf einen Berg, aber immerhin auf einen Hügel. Ich hätte nicht gedacht, dass es in Paris solche Steigungen gibt. "C'est le Tour de France!", ruft uns ein Arbeiter im Blaumann hinterher und lacht. Okay, besonders schnell sind wir nicht. Endlich kommen wir oben in der Cité sus-pendue an.

Ein winziges Viertel im 19. Arrondissement, nicht weit vom Parc de la Villette entfernt, ursprünglich mal Arbeitersiedlung, jetzt gehobenes Wohnviertel mit vielen Einzelhäusern. Ein kleiner Weinberg, ein üppig wuchernder Garten mit Tomatenbüschen und Kaninchenställen, in dem Anwohner gemeinsam gärtnern können. Und ein großartiger Blick auf die Stadt und, nicht weit, Montmartre. Ein Gipfelgefühl, mitten in der Großstadt. Und die Nähe von Natur, von dörflicher Ruhe. Ich werde daran denken, wenn ich irgendwann im Verkehrsgewühl feststecke.

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Stunden später ist es so weit. Wir haben im Parc des Buttes-Chaumont gepicknickt und den Lebenskünstlern von Paris zugeschaut, die große Decken ausgebreitet haben und sich mit Baguette, Käse und Wein über den Nachmittag faulenzen. Wir haben den Friedhof Père Lachaise besichtigt, wo Räder draußen bleiben müssen, genauso wie Hunde. Auf dem Rückweg zum Fahrradladen, auf der Place de la Bastille, bin ich aufgeschmissen.

Der Verkehr braust, Autos und Motorräder ziehen an uns vorbei. Britta fährt vor, biegt links ab, ich versuche, ihr zu folgen, strecke den Arm weit aus, aber komme nicht auf die linke Spur. Endlich lässt mich ein VW-Bus rein, ich biege ab, geschafft. Ich denke an die kleine Stadt auf dem Hügel. Paris auf dem Rad ist Adrenalinschub und Loslassen, häufig in schnellem Wechsel.

Wir sausen über die geschwungene Brücke, ich habe das Gefühl, durch eine Hügellandschaft zu fahren. Und das mitten in Paris. Einmal über die Seine und zurück, vom 12. ins 13. Arrondissement. Und noch mal zurück, weil es so viel Spaß macht. Ich kann die Kinder verstehen, die mit ihren Rädern um uns herumwuseln und die Brücke zur Rennstrecke erklärt haben. Die Passerelle Simone de Beauvoir ist eine elegante Brücke für den "weichen" Verkehr, also für Fußgänger und Radfahrer.

Sie besteht aus zwei gewölbten Ebenen und sieht aus wie eine Linse. 2006 wurde sie eingeweiht, die erste Pariser Seine-Brücke mit einem weiblichen Namen, erklärt Britta. Unsere Tour geht dieses Mal in den Süden von Paris, mit viel moderner Architektur und einem Abstecher in die Nostalgie des 19. Jahrhunderts. Gleich am linken Ufer ragen die L-förmigen Türme der 1996 eröffneten Nationalbibliothek auf, die aussehen wie aufgeschlagene Bücher. Der begehbare Sockel der Bibliothek ist riesengroß, wir schieben unsere Räder über Holzplanken, Radfahren ist hier verboten. Einer der Türme heißt "Turm der Zeit" - wie lange er wohl stehen wird? Und wie lange zählen die Türme überhaupt zur modernen Architektur? Ehe man sich versieht, sind sie schon Klassiker geworden.

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Das Hochhaus-Viertel "Les Olympiades" stammt aus den Siebzigern und ist grottenhässlich. Hochhaus heißt auf Französisch übrigens "gratte-ciel", wörtlich übersetzt "Himmelkratzer" - diese sind schon ziemlich betagt. Hier im 13. Arrondissement liegt das Pariser Chinesen-Viertel. Wir radeln an asiatischen Restaurants und Läden vorbei, an denen rote Lampions aufgehängt sind. Inhalieren den Duft scharfer Currysoßen.

Wundern uns, wie schnell wir mit unseren Rädern in dieser anderen Welt gelandet sind. Und bekommen Hunger. Britta biegt ab und fährt auf einen riesigen Laden zu. "Der größte chinesische Supermarkt Europas", sagt sie. "Die Besitzer sind zwei Brüder und heißen Tang." Vor dem Supermarkt steht ein chinesischer Imbiss, wo man günstig und gut Mittag essen kann. Wir stellen uns in die Schlange, ich bestelle Rindfleisch mit Zitronengras. Gegenüber sind Bänke, wir setzen uns, die Plastikschälchen auf dem Schoß. Um uns herum Hochhäuser, der Wind pfeift, leere Plastikschälchen fliegen durch die Luft. Großfamilien mit voll beladenen Einkaufswagen kommen aus dem Geschäft. Ich esse langsam und fühle mich wie in einem Doku-Film, der durchaus seinen Reiz hat, weil ich mittendrin bin in dieser fremden Welt, in der kein einziges Paris-Klischee bedient wird: la Capitale jenseits von Seine und Notre-Dame und "Café de Flore". Bevor wir weiterfahren, kaufen wir im Supermarkt ein paar Gewürze und eine kleine Flasche Tsingtao, chinesisches Bier - mehr passt nicht in den Rucksack.

Wie in einem anderen Jahrhundert

Fliegender Fahrradwechsel. Ich sitze auf einem hübschen roten Rad, das 1897 gebaut wurde und über eine Schiene läuft. Ich trete und trete, die anderen Radfahrer auch, und quietschend setzt sich das Karussell in Bewegung. Es ist mit Spiegeln verziert, mit Bildern von Oldtimern, Blumenranken. Je mehr wir treten, umso schneller drehen wir uns. Wir sind im Jahrmarktmuseum "Les Pavillons de Bercy", einem der ungewöhnlichsten und schönsten Museen von Paris, am rechten Seine-Ufer.

Die Hallen, die Ende des 19. Jahrhunderts gebaut wurden, dienten früher mal als Weinlager. Im grünen Innenhof baumeln jetzt riesige Kronleuchter von den Kastanienbäumen. In den schummerigen Sälen hängen alte Jahrmarktpferde unter der Decke, eines der Glitzer-Karussells ist schöner als das andere. Kleine Boote wippen vor einem Venedig-Panorama auf und ab - nichts wie rein! Das Jahrmarktmuseum, das ein privater Sammler bestückt hat, ist pure Nostalgie, ein magischer Ort. Wer genug Geld hat, kann hier seine Geburtstagsparty schmeißen, erklärt Diane Gentilhomme, die junge Museumsführerin, die so enthusiastisch erzählt, dass die Besichtigung kein Ende nimmt - umso besser. Als wir später durch den brausenden Pariser Verkehr zum Radverleih zurückfahren, habe ich das Gefühl, irgendwo zwischen dem 19. und 21. Jahrhundert zu hängen.

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Alles um mich herum ist in Bewegung, es rollt und gleitet und schiebt und klingelt. Jogger, Skateboardfahrer, Einradfahrer. Rollschuhläufer, die ihre Kinderwagen vor sich her schieben. Trauben von Radlern, unter ihnen auch Kinder, die man unter der Woche nur selten fahren sieht. Halb Paris ist heute an der Seine unterwegs. Am Sonntag sind die Quais für die Autos gesperrt, und bei gutem Wetter bricht Volksfeststimmung aus. Kein Benzingestank mehr, kein Hupen - ich atme tief durch und hänge meinen Helm an den Lenker.

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Heute bin ich allein unterwegs, fahre durch das "klassische" Paris und habe keine Probleme beim Linksabbiegen. Es ist wunderbar, direkt an der Seine entlangzugleiten, die Blumentöpfe auf den Hausbooten zu zählen und sich zu überlegen, wie die Brücke wohl heißt, auf die man gerade zurollt. Am Pont de Sully wird am Ufer getanzt, Tango, fünf Paare wiegen sich in der Nachmittagssonne, die Musik kommt vom Ghettoblaster. Hoffentlich steppt keiner der Tänzer in die Seine. Auf der Brücke zwischen Île Saint-Louis und Île de la Cité improvisieren zwei junge Männer ein Jazzkonzert, Klavier und Kontrabass, die Zuhörer wippen mit. Am Ende begeisterter Applaus - und ich klingele mit meiner Fahrradklingel. Radle weiter an der Seine entlang bis zu den Tuilerien, die Place de la Concorde ist heute fast leer.

Auch auf den Champs-Élysées kein mühsames Stop-and-go, ich strampele hoch, und dabei wird mir heiß. Eine Fahrrad-Rikscha fährt an mir vorbei, ich gebe Gas und halte mich hinten an der Rikscha fest, der Fahrer merkt erst nichts, dann dreht er sich um, grinst und lässt mich großzügig bis zur Place de l'Étoile mitfahren. Merci! Einmal um den Triumphbogen herum, dann geht es wieder die Champs-Élysées herunter, ich lasse mich einfach rollen, ganz ohne zu treten, nur an den Ampeln muss ich daran denken, zu halten. Das könnte von mir aus ewig so weitergehen, aber dann würde ich irgendwann mit dem Obelisken auf der Place de la Concorde zusammenstoßen.

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Zum Marais komme ich schnell durch, auch hier sind heute viele Straßen für die Autos gesperrt. Fußgänger laufen kreuz und quer, Radler fahren Schlangenlinien. In der Rue des Rosiers spiegelt sich noch etwas vom jüdischen Leben: koschere Pizzaläden neben Metzgereien ohne Schweinefleisch und Delikatessgeschäften. Die Straße ist auch ohne Autos völlig verstopft, behutsam schlängele ich mich in Richtung Fahrradladen. Viele Läden sind geöffnet, vom Rad aus schaue ich in die Schaufenster der Galerien und Boutiquen. Ich bin so langsam, dass ich im Fahren locker eine Flasche Rotwein kaufen könnte.

Ich stelle mir vor, das Marais und die Quais wären für immer für Autos gesperrt. Dann wäre Paris ein Vélo-Paradies. Und kein Fahrradhändler würde mir je wieder etwas von David und Goliath erzählen.

Paris mit dem Fahrrad: Infos und Adressen

Hotels: Hotel Paris France. Charmantes Belle-Epoque-Haus, zentral gelegen im Norden des Marais. DZ/F ab 110 Euro (72 rue de Turbigo, 75003 Paris, Tel. 0033/1/ 42 78 00 04, Fax 42 71 99 43, www.paris-france-hotel.com.

Geniessen:La Cave d l’Os à Moelle: Sehr gute traditionelle französische Küche zu günstigen Preisen im 15. Arr. Nette, offene Atmosphäre. Auf Wunsch stellt das Restaurant auch Picknick-Körbe für die Radtour zusammen (181, rue de Lourmel, Tel. 45 57 28 28, unter www.selectionrestaurant.com). La Rose de France. Nettes Lokal an der charmanten Place Dauphine. Klassische französische Küche in ausgezeichneter Qualität, Menü 26,60 und 33,90 Euro (24 place Dauphine, Tel. 43 54 10 12, www.larosedefrance.com). Le Grand Mericourt. Ausgezeichnetes Restaurant im 11. Arr., feine französische Küche, auch sehr guter Mittagstisch (22, rue de la Folie Méricourt, Tel. 43 38 94 04, www.legrandmericourt.fr)

Info: Office du Tourisme (25, rue des Pyra-mides, Tel. 49 52 42 63, www.parisinfo.com). In Deutschland: Atout France, Französische Zentrale für Tourismus. (Postfach 100128, 60001 Frankfurt, www.franceguide.com).

Führungen: Die von der Deutschen Britta Treede-Cissé (www.britta-treede-cisse.com, Tel. 0033/622 37 70 65) geführten Radtouren werden über den Veranstalter Natours (www.natours.de) angeboten. Zum Beispiel: 5 Tage inkl. DZ/F, drei geführter Radtouren, Transfers lt. Programm 349 Euro. Britta Treede-Cissé bietet auch andere Programme für individuelle Paris-Reisen an

Radverleih: Paris Bike Tour. Zentral gelegen im Marais. Tel. 0033/142 74 22 14, www.parisbiketour.net

Lesen "Paris". Übersichtlicher aktueller Führer, mit zehn spannenden Entdeckungstouren durch die Stadt und einem großen Stadtplan (14,95 Euro, Dumont Reise-Taschenbuch). - "Paris, Liebe, Moden, Tête-à-Têtes". Neuer Bildband mit ungewöhnlichen Fotos und aktuellen Texten (24,95 Euro, corso)

Text: Franziska Wolffheim Fotos: Prisca Martaguet Ein Artikel aus BRIGITTE WOMAN 6/11

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