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Inselhüpfen auf Italienisch

Die Liparischen Inseln sind nicht leicht zu finden - und so sollte es auch bleiben. Zur Belohnung gibt's Frühling satt und italienisches Lebensgefühl.

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19 Uhr, die Stunde des Aperitifs. Ich habe nur Augen für Gilbertos Brille, gleich, gleich rutscht sie ihm von der Nase. Wir sitzen das zweite Mal an der Via Garibaldi vor seinem Feinkostladen "Gilberto & Vera" und trinken köstlichen sizilianischen Landwein aus beschlagenen Gläsern. Und sind bereits Stammgäste. Lipari, die Hauptinsel der Liparischen Inseln, versteckt sich ein bisschen vor der Welt. Gemächlichkeit und Geschäftigkeit gehen hier einen einzigartigen Bund ein. Das enthebt uns der Notwendigkeit zu handeln. Das Leben passiert. Es ist da, umarmt uns mit fächelnder Seeluft und Licht im Überfluss. Die Erholung der tieferen Schichten setzt quasi sofort ein. Dazu dieser Wein, dieser Käse. Wer kein Genießer ist, wird hier einer.

Gilberto bringt ein Tablett mit Käse und Schinken und knusprigem Brot. Die Tagestouristen stapfen noch kurzhosig die abschüssige Straße hinunter zum Hafen, von wo aus sie abends wieder mit Tragflügelbooten Richtung Sizilien verschwinden, wir ruhen bereits nach einem ereignisreichen Tag. Später nimmt uns Gilberto mit in sein Büro hinter dem Laden, es ist mit einem schweren Vorhang abgeteilt, und dort steht sein Laptop. Hier zeigt er die Hafenpläne der Regierenden. Die ihn empören. Und nicht nur ihn. Porto Morto - toter Hafen - haben sie den alten Hafen schon genannt, weil der Bürgermeister einen neuen Hafen für die Tragflügelboote bauen lassen wollte. Dort sollte ein Centro Commerciale entstehen, eine riesige Shopping-Mall, Konkurrenz für Geschäfte wie Gilbertos, die aber Lipari-Stadt erst zu dem machen, was sie ist. Lieb, privat, offenherzig. Der Clou der Pläne: eine über vier Meter hohe Kaimauer, hinter der sich dann die größte Sehenswürdigkeit der Insel verstecken würde - das Meer. Wer kann so etwas wollen? Gilberto lacht, und die Brille rutscht bedenklich: "Einer, der viel Beton verkaufen will." Bisher hat der sich aber nicht durchgesetzt.

Gestern war Anti-Mafia-Tag. Zum Gedenken an die Ermordung von Richter Falcone auf Sizilien. Viele waren da. Auch Gilberto und andere Gegner der Baupläne. "Ich habe keine Angst", sagt er. Die Brille hält sich jetzt ganz vorn auf seiner Nasenspitze. Und wir lachen mit Gilberto, voller Zuversicht.

Geschichten hört man überall auf der Insel, immer beginnen sie mit einer Sorge und enden mit frohem Mut. Pino, der schöne Fischersmann, hat sein Boot stillgelegt, seine Tunfischnetze abgegeben, dafür eine EU-Prämie kassiert und sich ein neues Boot bauen lassen. Damit fängt er nun nachts Calamari, und tagsüber schippert er Touristen um seine Insel herum. Wann er schläft? Er lacht, und weiße Zähne zeigen sich im ebenmäßig gebräunten Gesicht: "Zwischendurch." Dreieinhalb Stunden brauchen wir - mit Badestopp -, um die 38 Quadrat kilometer große Insel zu umrunden. Der Tag glänzt wie ein Silbersee. Die Inselhänge sind mit zartem Gelb überzogen - Ginsterbüsche blühen lichterloh. Vor Canneto, wo schneeweißer Bimsstein abgebaut wird, leuchtet das Mittelmeer karibisch blau. Am beliebten "White Beach Club" ruhen jetzt, im Mai, menschenleere Strände, etwas weiter tun sich Grotten und Höhlen auf. An schrundigen Felswänden hängen Seevogelnester.

Mehr Touristen wollen die Bewohner der liparischen Inseln nicht

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Pino sieht aus wie ein italienischer Filmheld: Jeans, Jeanshemd, Sonnenbrille. Aber die Männer seiner Familie, sagt er, sind in der zehnten Generation Pescatori, also Fischer. Von fünf Brüdern seines Vaters sind vier Fischer geworden. Es war ein einfaches Leben, auch wenn es damals mehr Fisch gab. Ohne den Tourismus läuft für die Fischer heute nicht mehr viel. Aber Pino ist stur: "Mehr Touristen wollen wir nicht." Er ist strikt gegen einen Flughafen auf Lipari. Dann kommen nämlich die nicht mehr, die hier Ruhe suchen, die eben gerade deswegen kommen, weil Lipari auf keinem Flugplan der Welt verzeichnet ist. "Besser als auf Lipari lebt man nirgends", ist Pino überzeugt. Und sagt melodramatisch: "Aber wenn der Flughafen kommt, dann gehe ich." Wohin? Neapel? Rom? Oder gar ins Ausland? "Filicudi", sagt er finster. Eine andere liparische Insel, nur ein paar Luftkilometer von hier entfernt.

Kleine hübsche Inseln haben schon immer Begehrlichkeiten geweckt. Scheinbar schutzlos wurden sie von Piraten angesteuert, von immer anderen fremden Mächten übernommen. Lipari, so hieß einst ein Volksstamm nach seinem König Liparos. Aber lange vor ihm hatten schon Steinzeitmenschen die sizilianischen Trabanten bevölkert, niemand weiß, woher sie kamen. Sie sollen schon 5000 Jahre vor Christus mit Obsidian gehandelt haben, dem schwarz glänzenden Lavaprodukt, das überall auf der Insel zu finden ist.

Heute kommen die meisten Bewohner aus Mailand und Rom und haben hier ihre Ferienhäuser. Zwischendrin gab es die lange, kulturvolle Griechenzeit, aus der ein solider Baustil auf dem Stadtberg um die Kathedrale San Bartolomeo, eine umfangreiche Sammlung von Theatermasken und ein gewisser historischer Atem übrig geblieben sind. Mit den drei Punischen Kriegen schafften es die Römer allerdings, die Inseln zu unbedeutenden Garnisonen zurückzustutzen. Araber, die nächsten Herren, brachten Orangen, Bewässerungsanlagen und ein Verwaltungssystem mit. Die Normannen, von weit her eingetroffen, haben 100 Jahre lang um Sizilien gekämpft, als Sieger haben sie die Araber schließlich integriert und den Hinterlassenschaften der Griechen zu neuem Glanz verholfen. Sie waren wohl zu nett - sie sind ausgestorben.

Erst 1861 übernahm das Königreich Italien die Regie. Mussolini erklärte die Inseln als Verbannungsort für Andersdenkende. Und in den 50er Jahren entdeckten Filmleute und andere Feingeister den Zauber der winzigen Sizilien-Anhängsel. Drehten den Kultfilm "Stromboli" mit Ingrid Bergman, und das holte die ersten Neugier-Touristen an die unbekannten, verschlafenen Gestade im Mittelmeer.

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Wer heute durch die Gassen schlendert, fühlt sich, als ob er durch fremde Wohnzimmer spaziert. Die schattigen Durchgänge haben Eselsbreite, und die Anwohner betrachten die Fremden mit dezentem Interesse. Taxifahrer Gasparino sagt, er habe die Schönheit seiner Heimat erst durch die Fremden erkannt. Er fuhr sie und verdiente an ihnen, und manchmal dachte er: Was wollen die hier? Bis er auf einmal sah: "Mamma mia, ist das schön hier!"

Gasparino bringt uns zum Vulkanologischen Observatorium, es liegt natürlich ganz weit oben, damit man in den Krater hineingucken kann. Der Vulkan wird von Wissenschaftlern genauestens beobachtet, zuletzt ausgebrochen ist er vor 120 Jahren. Wir sehen im Dunst hinter dem gleißenden Meer die anderen Liparen: Filicudi, Alicudi, Vulcano, Salina. Es riecht nach Absinth, Wildrosen, Ginster. Auf der anderen Seite liegen Panarea und Stromboli. Das sind sie, die Liparischen Inseln. Allesamt Vulkane. Wir fahren durch Zitronenhaine und Olivenplantagen. Alles duftet und reift.

Etwas Kurioses will Gasparino uns noch zeigen. Die Römerthermen San Calogero, die 1978 durch ein Erdbeben zerstört wurden. Auf einmal war die heiße Quelle versiegt. Jetzt tröpfelt sie nur noch zwischen historischen Bauwerksresten. Und Angelo, der Stadtverrückte, hat sich zum Führer ernannt. Er nimmt die rostige Kette vom Tor, wenn man ihm einen Euro in die Hand drückt, dann erzählt er Unüberprüfbares aus vergangenen Zeiten.

Gasparino will uns am Ende der Tour seine Frau vorstellen. Pina macht nämlich die besten Kapern der Welt. Und davon müssen zwei Gläser mit in unser Gepäck. Wir treten direkt vom Corso Vittorio Emanuele durch einen bunten Perlenvorhang und stehen schon in ihrem Wohnzimmer. Mit vielen Sofas vor vielen Schrankwänden mit noch mehr Blumenvasen.

Pina schenkt selbst gemachten Likör ein. Im Gegensatz zum wettergegerbten Gasparino hat sie milchweiße glatte Haut und festes schwarzes Haar unter ihrer Baseball-Cap. Sie ist 59 und das Staunen über diese Zahl gewohnt. "Nicht rauchen, kein Alkohol, viel Wasser" - ihr Schönheitsrezept. Und: "Glücklich sein!" Zum Abschied schenkt sie uns noch Gläser von ihren Oliven aus dem Garten. Gasparino lächelt stolz. Bei ihm hat sich das Glück in schöne Falten eingenistet.

Eine Stunde dauert es per Schiff bis Stromboli. Sonne, Wind, Meer. Das Gefühl ist Ewigkeit. Stromboli ist winzig, 12,6 Quadratkilometer, ein Vulkan mit Umland und schwarzem Strand. Der Grund, es zu besuchen, ist das Höllenfeuer, das regelmäßig aus dem Krater aufsteigt. Ganz ungefährlich, sagen alle. Und warten auf den Nervenkitzel, wenn der Vulkan wieder sein Feuerwerk abbrennt. Wir sehen nur Rauchwolken, abends sind sie rosa.

Himmel und Meer gehen in der Dämmerung zusammen schlafen, während wir bei Luciano, dem besten Haus am Platze, sitzen und auf Pizza Margarita warten, wiederum die beste meines Lebens. Wir fragen: "Luciano, ein Tipp, bitte - was sollen wir morgen machen?" - "Nichts", sagt er: "Entspannt euch." Genau das tue ich.

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Morgens raus aus dem Bett, einen kleinen Pfad runter zum schwarz glitzernden Strand. Das Segelboot und ich. Mein Kopf ist ganz leer. Das Wasser seidig. Die Luft atmet noch nächtliche Frische. Ich sammle ein paar Lavasteine, schwarze, rote, helle, dann gibt es ein einfaches Käse-Frühstück im Hotel, einen Cappuccino und später im Hafen das übliche Programm: frischen Zitronensaft trinken und Freaks gucken. Solche, die sich an Booten zu schaffen machen, solche, die gestikulierend rauchen und reden. Das genügt als Stromboli-Feeling. Dreirädrige Apes knattern vorüber. Elektroautos surren vorbei. Richtige Autos sind hier verboten.

Der hohe In-Faktor von Stromboli ist seit dem Ingrid-Bergman-Film geblieben. Eine verwitterte Tafel an einem unscheinbaren roten Haus erinnert daran, dass die Filmgöttin hier logiert hat. 400 Einwohner, aber tausende Ferienhäuser reicher Italiener - das bedeutet: keine Bausünden, keine Stilbrüche. Zitronengärten, Gartenmauern, Pergolen, Terrassen. Pastelltöne. Männer mit Brot und Zeitung unterm Arm. Ladenbesitzer, die mit Kunden plaudern. Überall Schmuck, Keramik, bedruckte T-Shirts. Auf dem Hauptplatz die stolze Kirche. Wir sind am zweiten Tag wieder hungrig unterwegs zu Luciano - woanders wollen wir nicht essen. Besser kann es nirgends sein.

Salbungsvolle Töne einer Hochzeitszeremonie klingen aus den geöffneten Kirchentoren. Rosarote Apes, mit weißen Blumen geschmückt, warten auf dem Vorplatz. Dann erklingt der Hochzeitsmarsch aus "Aida". Aufgeregte Blumenkinder quellen aus dem Gotteshaus ans Tageslicht. Die festliche Gesellschaft, Damen auf Highheels, hinterdrein. Hochzeit auf Stromboli. Ein junges, strahlendes Paar. Macht was draus, sage ich still für mich, schlucke die Rührung herunter und denke schnell an Pasta, Fisch und Pizza.

Nachts kommt der Sturm, mit ihm das Gewitter. Oder grummelt der Vulkan? Wir durften ihn nicht besteigen, denn er stößt Staubwolken aus. Und man ist unsicher, was er als Nächstes tut. Welche Beziehung haben Gewitter mit einem Vulkan? Die Schutzlosigkeit der winzigen Insel kriecht in mich hinein. Aufgeregt stehe ich früh auf, sehe, dass es kaum geregnet hat, und warte auf das Boot nach Vulcano. Der Schirokko hat das Inselchen gerade frisch mit gelblichem Sahara-Sand überzogen. Mit einem vierrädrigen Gefährt, einem Quad, erkunden wir die 21- Quadratkilometer-Insel. Wir knattern durch ein unglaubliches Blumenmeer: rosa Röschen, Ginster, weiße Kamille. Hoch zum Capo Grillo. Jetzt sehen wir Lipari in der Ferne. Es sieht klein und verletzlich aus. Aber wer dort war, weiß, dass es vor Lebenskraft strotzt.

1888 gab es auf Vulcano den letzten großen Vulkan-Ausbruch. Die Magma-Stöpsel flogen aus dem Kraterschlund. Und der schottische Inselbesitzer Stevensen, der hier Schwefel- und Alaunabbau betrieb, floh samt Anhang. Geblieben sind ein paar Fischer. Bis 1949 ein Film mit Anna Magnani gedreht wurde. Dann kamen erste Gäste, herüber von den liparischen Nachbarn. Sie entdeckten die heißen schwefeligen Schlammbäder als Wellness-Oase.

Ich will natürlich auch hinein in diesen therapeutisch wertvollen Fangoteich. Das monumentale Nachtgewitter hat sich zum Glück verzogen. Sonnige Wolkenlöcher beruhigen mich. Es sind nur zehn Minuten Fußmarsch vom Hotel bis zu den Thermen. Als ich ankomme, ist droben schon wieder alles schwarz. Die warme Pampe stinkt nach Schwefel, und kein Mensch hockt drin. Vernünftige Leute sitzen jetzt wasserfest bekleidet unter Vordächern mit Hafenblick und schlürfen heißen Espresso.

Ich steige trotzdem in die Brühe. Von oben regnet es kalt, von unten bin ich warm umblubbert. Ungern tauche ich wieder auf, die Welt ist nass. Regen spült mich sauber, gut, denn die Duschen sind mangels Publikum außer Betrieb, und ins Meer soll man bei dem Wasserstand nicht. Ich schlüpfe in meine klammen Hosen, die am Teichrand auf einer Bank gelegen haben. Der Wind beginnt mit seinen Trocknungsarbeiten. Allein unter grauem Himmel auf einer winzigen fremden Insel bin ich nur noch Gänsehaut und trotzdem durchwärmt, erweicht, durchflutet. Es gibt nur ein Wort für dieses außerordentliche Gefühl: wie neu geboren!

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Reise-Infos Liparische Inseln

Der Spezialveranstalter Olimar bietet "Inselhüpfen auf den Liparischen Inseln" an, z.B. eine Woche ab 524 Euro, inklusive Halbpension im Doppelzimmer in Drei- und Vier-Sterne-Hotels. Flüge extra (Service-Hotline: 0221 / 20 59 04 90, a href="http://www.olimar.com" target="_blank">www.olimar.com). Buchung auch über Reisebüros.

Spagetti mit Kapernöl

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Zum Rezept: Spagetti mit Kapernöl

Frittierte Kalamari mit Pinienbröseln

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Zum Rezept: Frittierte Kalamari mit Pinienbröseln

Zitronen-Aperitif

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Zum Rezept: Zitronen-Aperitif

Text: Vera Sandberg Fotos: Mo Hoffmann und Thomas Neckermann Produktion: Alma Westphal

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