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Clare Island: Elke Heidenreich erkundet Irland

Clare Island: Elke Heidenreich erkundet Irland
© shutterupeire / Shutterstock
Elke Heidenreich reiste nach Irland, auf die Insel Clare Island. Sie wollte mehr über die berühmte Piratin Granuaile wissen. Und sie wurde fündig.

Irland, sagt man, ist die grüne Insel. Man sagt das nicht nur: Es stimmt. Fährt man mit dem Auto von Dublin quer durchs Land an die Westküste, ist grün die alles dominierende Farbe, aber als wir auf die kleine Insel Clare Island übersetzen, ist zunächst alles tiefgrau: So einen Regenguss, so dicht, so schmerzhaft prasselnd, habe ich selten erlebt. Die Überfahrt mit der Fähre "Pirate Queen" dauert aber nur knapp 20 Minuten. Wir, Fotograf Tom Krausz und ich, sind nass bis auf die Knochen, als wir mit durchweichten Reisetaschen am Kai stehen, und fühlen uns enorm trostlos. Aber da wartet schon einer, der weiß, dass wir kommen, lädt uns in sein Auto und fährt die paar Schritte zu unserer Unterkunft direkt am Hafen. Das kleine Haus ist ein Bed & Breakfast, es heißt "Granuaile House", nach der berühmten Piratin, die hier gelebt hat und auf deren Spuren wir sind. Mein Zimmer ist mit Blick auf die Ruine der Burg, in der Granuaile 1530 geboren wurde. Interessiert mich jetzt aber nicht, erst mal trocken werden, erst mal etwas Heißes trinken und essen.

Clare Island gehört zum wildem Westen

Clare Island ist eine Insel vor der Westküste des County Mayo in Irlands wildem Westen. Sie ist etwa acht Kilometer lang, fünf Kilometer breit und hat einen 460 Meter hohen Berg. Heute leben noch 130 Menschen auf Clare Island ("and two on the way", das heißt: Zwei junge Frauen sind gerade schwanger), etwa 3000 Schafe, ein paar Kühe, Pferde, Esel, und es gibt zwei Pubs. Nur ein Hotel, aber die Leute vermieten Zimmer, und es gibt insgesamt sieben Bed & Breakfast-Pensionen. Chris O'Grady, hier geboren und Besitzer der Fähre "Pirate Queen", erzählt, im Winter sei es manchmal wie in der Schweiz - Schnee auf sanften Hügeln, herrlich zum Skifahren. Aber Achtung: Es sei nicht bei jedem Wetter leicht, mit der Fähre überzusetzen. Die Wellen könnten hier bis zu 15 Meter hoch sein.

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Was ist los auf Clare Island? Donal O'Shea muss es wissen, denn er ist für die Feriengäste zuständig. Im Sommer kämen etwa 15000 Touristen, meist nur für einen Tag, zum Schwimmen und Wandern. Mitte Juni gebe es ein großes Brigitte Single-Treffen auf der Insel: 40 Männer begegnen 40 Frauen, man trinkt, tanzt, redet, und vielleicht entsteht ja mehr daraus. Und ansonsten: die Piratin! Graínne Ní Mháille ist ihr iri-scher Name, für die Engländer ist sie Grace O'Malley. In der schönen Zisterzienserabtei aus dem 14. Jahrhundert, deren bald tausend Jahre alten Deckenmalereien von Tieren immer noch zu sehen sind, ist ihr Grabstein mit dem Wappenspruch ihrer Familie: "Terra marique potens", mächtig zu Lande und zur See, und auf dem Friedhof hoch über dem Meer lesen wir immer wieder den Namen O'Malley. Der Himmel ist weit und blau mit schnellen Wolken, die Wiesen sind grün, hügelig und voller Steine, von schönen Natursteinmauern durchzogen, und man stellt sich ein mutiges junges Mädchen vor, das von den hohen Klippen in den brausenden Atlantik schaut und sich Freiheit wünscht. Heute, sagt man, kommen oft unglückliche Frauen auf die Insel und werfen die Eheringe als ersten oder letzten Akt der Trennung vom Leuchtturm oben ins Meer.

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Granuailes Vater war ein Clanchef und Seefahrer, die Brüder erwiesen sich als untauglich für die Seefahrt, aber die Tochter schnitt sich die langen Locken ab, zog Männerkleider an und fuhr mit hinaus aufs Meer. Das war vorbei, als sie 16 und verheiratet wurde, mit Donal O'Flaherty, dem sie drei Kinder gebar. Und als Donal im Kampf zwischen verfeindeten Clans fiel, war sie es, die ihn durch Kampf rächte. Später sammelte sie 200 Männer um sich, fuhr wieder zur See, kaperte spanische Schiffe, umging den englischen Zoll und versuchte, die verhassten Engländer möglichst zu versenken. Sie heiratete ein zweites Mal, bekam ein viertes Kind, verließ ihren zweiten Mann und requirierte seine Burgen, landete im Gefängnis wegen Seeräuberei, kam durch Flucht frei und segelte mutig die Themse herauf zu einer Audienz bei Queen Elizabeth I. in London, um die Freilassung ihres gefangenen Sohns zu bewirken.

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Der Queen soll sie begegnet sein wie eben eine Königin - eine zu Wasser - einer anderen, einer zu Lande. Die Virgin Queen weiß gepudert in prächtigen Gewändern, die Pirate Queen braun gebrannt im wollenen Umhang. Fast gleichaltrig, beide. Übrigens sind auch beide im selben Jahr gestorben, 1603. Das Gespräch fand in lateinischer Sprache statt, das hatte Granuaile bei den Priestern auf ihrer Insel gelernt. Hier redeten zwei mächtige Frauen in einer Männerwelt auf Augenhöhe miteinander und verstanden sich. Die Legende berichtet von einem seidenen kronenbestickten Taschentüchlein, das Elizabeth I. der Seeräuberin gereicht haben soll, die schnäuzte sich nach Seemannsart und warf es ins Feuer. Die Königin war gewiss "not amused", aber sehr beeindruckt. Granuailes gefangener Sohn kam nach dieser Audienz frei, sie selbst hatte freies Geleit zurück und kaperte seitdem keine englischen Schiffe mehr.

Clare Island scheint sich seither nicht viel verändert zu haben. Wir laufen stundenlang, über die Hügel, einsame schmale, gewundene Straßen entlang, keine Menschenseele begegnet uns, ab und zu liegt in den Hügeln oder an der Straße ein Haus. Was für eine Ruhe! Am Horizont die Landlinie, im Meer weitere Inseln – Inishturk zum Beispiel, da leben noch weniger Menschen, langsam wird es ein Problem mit den Schulkindern. Auf Clare Island gibt es nur eine Grundschule, für alles Weiterführende muss man aufs Land. Der letzte Priester ist schon seit 2002 weg, jetzt bereist einer turnusmäßig die Inseln.

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Den Kinderchor leitet ein Deutscher, der vor Jahrzehnten nach der Lektüre des "Ulysses" von James Joyce hier strandete und irischer aussieht als alle Iren und uns dröhnend zuruft: "Seid Ihr die Deutschen?" Alles spricht sich schnell rum, und abends im Pub beim Guinness erzählt uns George, wie sie Jörg hier nennen, von den Streitigkeiten unter den Familien - noch heute: zerstrittene Clans, wie damals, zu Granuailes Zeiten. Und das auf einer so kleinen, so idyllischen Insel. Nein, idyllisch ist falsch. Wir sind mitten im Atlantik, es ist rau und ruppig hier, im Winter sind die Stürme so stark, dass die Alten tagelang die Häuser nicht verlassen können, um im einzigen Laden einzukaufen. Sie werden dann mitversorgt. Aber jetzt, im Frühsommer, ist alles sanft und blumenübersät, Ginster, gelbe Lilien, Butterblumen, von fast jedem Punkt aus riecht, hört, sieht man das Meer. Es ist eine steile Steinküste mit zwei, drei Sandbuchten, die sind dann aber auch wunderbar zum Schwimmen. Man kann radeln - über Schotterwege, Augen zu und runter, man kann den Schulbus mieten und sich von Bridget gegen ein bisschen Geld wie im Taxi damit herumfahren lassen, aber am besten ist es zu Fuß. Wir laufen einen ganzen Tag lang, kaufen uns im Laden etwas zu essen und zu trinken und freuen uns an der Weite, der Luft, der Sonne, an den Schafen, den Eseln, an der totalen Abgeschiedenheit von aller Welt. Am unendlichen Blick über den wilden Atlantik. Und, natürlich: Abends gibt es immer Belohnungsbier im Pub. Hier hängt ein Foto mit den Rolling Stones. Angeblich waren die auch mal hier, ganz privat.

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Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wütete in Irland eine fürchterliche Hungersnot, es gibt überall auf der Insel Ausstellungen zur "famine", und auch auf Clare Island reduzierte sich damals die Einwohnerschaft von 1600 auf etwa 800, die armselig in Erdhöhlen hausten. Nie hat Irland sich ganz davon erholt, wer nicht starb, versuchte auszuwandern. Schöne Glasfenster in der alten Kirche, unter anderem mit meinem Lieblingsheiligen, dem guten Antonius, der Verlorenes findet und zerbrochene Herzen repariert, wurden von reichen Auswanderern gestiftet.

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Auf der Rückreise machen wir Halt im kleinen Louisburgh, wo es ein liebevoll bestücktes Granuaile- Museum gibt, und im prächtigen Westport House, wo noch Nachfahren leben. Es ist auf den Trümmern einer ihrer ehemaligen Burgen gebaut, die Kerker sind noch zu besichtigen, sonst ist das Haus licht und hell und äußerst prächtig eingerichtet. Man ermuntert uns, hier zu heiraten oder eine Party zu feiern - es wird vermietet. Granuaile steht als Bronzefigur im Park. Eine nette junge Frau vom irischen Fremdenverkehrsverband führt uns herum, und wie heißt sie? Gráinne, das bedeutet Grania und kommt von Granuaile. Sie zeigt auf die Statue und sagt: "Women who behave rarely make history!" Frauen, die brav sind, schreiben selten Geschichte...

Abends sitzen wir noch in einem Pub in Newport, und wie heißt der wohl? „The Grainne Uaile“. Es gibt so viele Schreibweisen, aber immer ist sie gemeint, „uaile“ bedeutet kahl, nach dem Abschneiden der Mähne. Wir hören zum irischen Whiskey live irische Folkmusic, ehe wir in den prächtigen Zimmern von „Newport House“ in die Himmelbetten fallen. Ich muss vor dem Einschlafen noch an unsere letzte Begegnung mit Donal O’Shea denken. Ich fragte ihn, ob es hier Delfine gebe. Wie aus der Pistole geschossen sagte er: „Ja, fünf“ – als würde er sie einzeln kennen. Er sagte auch augenzwinkernd, manchmal ginge Granuaile nachts durch die Bucht. Nach fünf Guinness, sláinte! (das heißt Prost und spricht sich etwa slontscher), kann man das leicht glauben.

Und ich fragte ihn dann noch mal nach der Geschichte mit den Eheringen, die angeblich vom Leuchtturm ins Meer geworfen werden. Er dachte kurz nach und sagte dann: „Im Moment eher nicht. Der Goldpreis ist zu hoch.“

Hinkommen nach Clare Island

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Von fünf deutschen Flughäfen mit Aer Lingus, www.aerlingus.com, nach Dublin. Dann am besten mit dem Mietwagen (Linksverkehr!), z. B. von Hertz, weiter gen Westen. Abfahrt der Fähren von Roonagh Pier in der Nähe von Louisburgh im County Mayo: www.clareislandferry.com, www.omalleyferries.com).

Unterkommen auf Clare Island

O'Grady's Guest House, nette Unterkunft mit Meerblick, DZ ab 45 Euro (The Quay, Tel. 00353/98/229 91, www.ogradysguesthouse.com)

Lesen

Dumont-Reiseführer "Irland" mit Karte (14,95 Euro)

Informieren über Clare Island

Tourism Ireland, Gutleutstr. 32, 60329 Frankfurt, Tel. 069/92 31 85 17, Fax 92 31 85 88, www.entdeckerirland.de, www.islandsofireland.ie

Fotos: Tom Krausz Ein Artikel aus der BRIGITTE WOMAN, Heft 07/2011

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