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Allein auf Reisen - wie Frauen die Welt erobern

Allein auf Reisen: Frau auf Motorrad
© Artem Beliaikin / Shutterstock
Cluburlaub auf Kreta, Bummeln in San Francisco, Wandern auf dem Jakobsweg - Frauen machen sich allein auf Reisen. Das erfordert Mut, aber es lohnt sich. Was sie erleben, was ihnen hilft.

"Ich will nicht!", dachte Natalie verzweifelt, als sie zum ersten Mal allein am Hamburger Flughafen saß, in der Hand ein Kreta-Ticket. "Jetzt sitzen hier lauter glückliche Pärchen und strahlende Familien und ich mittendrin." Sie erinnert sich: "Ich habe total Schiss bekommen!"

Wie Natalie geht es vielen urlaubshungrigen Frauen. Als sie vor sieben Jahren ihren ersten Kreta-Urlaub buchte, war sie Single und ihre Freundinnen liiert. Irgendwann war sie so erholungsbedürftig gewesen, dass sie sich an ein Reisebüro wandte. Dort riet man ihr, es doch mal mit einem Club zu versuchen. Ein guter Tipp: Als sie im Hotel auf Kreta ankam, legte sich der Stress augenblicklich. Beim Einchecken traf sie auf andere Menschen, die auch allein auf Reisen sind, man verabredete sich spontan zum Abendessen. Kurze Zeit später lernte sie eine andere Hamburgerin kennen, mit der sie bis heute eng befreundet ist.

Natalie urlaubt am liebsten im Club
Natalie urlaubt am liebsten im Club

Seitdem wählt die 42-jährige Personalberaterin nur noch diese Urlaubsform. "Ich finde toll, dass man sich um nichts kümmern muss. Und es ist leicht, Leute kennenzulernen: Es gibt ein großes Sportangebot und beim Essen große Tische, an denen man schnell ins Gespräch kommt. Wenn man alleine sein will, zieht man sich einfach mit seinem Glas Wein auf den Balkon zurück."

Cluburlaube eignen sich gut für Frauen, die etwas ängstlicher sind. Man findet schnell Anschluss, Ausflüge kann man problemlos in der Gruppe unternehmen. Doch trotz der angebotenen Ausfahrten ist ein Cluburlaub nichts für Leute, die Land und Leute kennenlernen wollen, räumt Natalie ein. Er ist was für Leute, die gerne Sport oder, je nach Club, auch gerne Party machen.

Lesen Sie auf den nächsten Seiten noch mehr Geschichten von Frauen, die sich allein auf Reisen machen.

Begegnungen wiegen Beschwerliches auf

Straßenbekanntschaften: Petra in Jerusalem
Straßenbekanntschaften: Petra in Jerusalem

Begegnungen mit Einheimischen sind für Petra aber genau das, was den Reiz des Alleinreisens ausmacht. Die Hamburger Bauingenieurin ist mit Gelegenheitsarbeitern durch Australien getrampt, in Serbien diskutierte sie nachts bei Dosenbier mit einem Jugendlichen den Jugoslawienkrieg. "Darauf kam es mir immer an beim Reisen: 'Wie ticken die Leute?' Besonders bei den Frauen bekommt man viel leichter Anschluss, wenn man alleine reist," erzählt die 36-Jährige.

In Montenegro wohnte Petra bei einer Familie, und Oma Ruza ("Rose") fragte sie jeden Abend, wenn sie nach Hause kam: "Gdje si li bila - wo bist du gewesen?" "Überall", sagte Petra dann, "überall", und erzählte mit Händen, Füßen und ihren paar Brocken serbokroatisch von den Erlebnissen des Tages. In Jordanien wurde sie auf der Straße von einer Gruppe tief verschleierter Frauen auf Englisch angesprochen, in Kurdistan wurde sie zu einer dreitägigen Hochzeit eingeladen. "Es sind diese Begegnungen, die alles Beschwerliche des Alleinreisens aufwiegen," sagt Petra, "am Strand liegen, darauf kann ich verzichten."

"Alleinreisen schärft den Blick für andere Kulturen und Herangehensweisen," findet auch Bianca (32), "und es fördert die Kommunikation, weil man auf andere angewiesen ist." Bianca ist bereits in Thailand, Mexiko und Indien mit dem Rucksack unterwegs gewesen. Wer so reist, hat es leicht, ins Land einzutauchen, die Eigenarten zu schmecken, zu fühlen und zu riechen.

Und man kann sich dabei so schön treiben lassen. Von eigenen Launen, Vorlieben, Plänen, Stimmungen. Sabine (34) kann es sich heute schon fast nicht mehr vorstellen, mit anderen Urlaub zu machen. Die Kommunikationsberaterin war allein in Neuseeland, Bolivien, Argentinien, Chile und den USA und hat nur gute Erfahrungen gemacht. Ein Urlaub zu zweit kann dagegen "ganz schön anstrengend" sein. Sie lacht: "Ich hatte mal einen Freund, der hatte die Reiseroute vorab minutiös in eine Exceltabelle eingetragen!"

Freiheit, die keine ist?

Bianca genießt das vietnamesische Nationalgericht: Nudelsuppe
Bianca genießt das vietnamesische Nationalgericht: Nudelsuppe
© Privat

Aber für die Freiheit, den Urlaub ganz nach eigenem Gusto zu gestalten, zahlen einige Frauen auch einen Preis. Weil sie alleine sind, trauen sie sich nicht, wandern oder abends in der Stadt auf Entdeckungsreise zu gehen. Also lassen sie es bleiben. So wie Karina (36), die ihre Abende in Nizza auf dem Hotelbalkon verbrachte, weil sie Angst vor den dunklen Straßen der unbekannten Stadt hatte. Oder wie Bianca, die in ihrer Hütte in Mexiko die ganze Nacht kein Auge zumachte, weil jeder wusste, dass sie allein dort schläft. "Man ist frei, aber man ist es auch nicht", räumt sie ein, "Ängste und Gefahren schränken einen schon ein. Als alleinreisende Frau ist man ein leichtes Opfer."

Wie aber mit Gefahren und Ängsten umgehen? "Man muss schon eine Portion Selbstbewusstsein drauflegen, auch wenn es vielleicht nur gespielt ist", sagt Diplom-Psychologin Heike Kaiser-Kehl. "Es ist immer auch eine Frage der inneren Haltung, ob ich die Opferrolle annehme. Ob ich in einer heiklen Situation verhuscht den Kopf zwischen die Schultern ziehe oder den Schlüsselbund fest in die Hand nehme und denke: 'Komm du nur!' macht einen großen Unterschied." Deshalb empfiehlt die Offenbacher Psychologin Frauen, die sich schwer mit demonstrativer Stärke tun, vor der Reise einen Kurs in Selbstbehauptung oder Selbstverteidigung zu absolvieren. Dort lernen sie, auch mal jemanden anzubrüllen, wenn es Not tut. "Lass mich in Ruhe!" - eine wirkungsvolle Ansage, die den wenigsten Frauen leicht über die Lippen geht.

Egal, welche Empfindlichkeiten man hat, ob man sich vor Männern, Hunden, Spinnen oder Schlangen fürchtet: Wer sich vor der Reise darüber informiert, wie er mit spezifischen Gefahren und Ängsten umgeht, fühlt sich im Ernstfall weniger angreifbar. Und das gibt Sicherheit.

Selbstfürsorge: Eine Frage der inneren Haltung

Eine starke innere Haltung resultiert aus einer Selbstfürsorge, die Frauen oft fremd ist. Mütter werfen sich zwar ohne zu zögern zwischen den aggressiven Dobermann und ihr Kind. Für sich tun Frauen oft nichts. Den meisten fällt es schon schwer, anhängliche Zeitgenossen loszuwerden, die man gerade als Alleinreisende gerne mal antrifft. Sie machen sich die Probleme der anderen zu eigen, denken: "Ach, der Arme, der ist bestimmt einsam," und ertragen ihn, statt klar zu sagen: "Nein, ich möchte nicht mit Ihnen reden." Diesen einen Satz stoisch zu wiederholen, verspricht den größten Erfolg. Doch viele Frauen müssen diese Haltung erst lernen: Ich sorge für mich, ich lasse mir nichts gefallen. Sie hilft, wenn man auf eigene Faust die Welt erkunden will. Und man kann sie einüben.

Besonders wichtig ist Selbstfürsorge, wenn man unterwegs krank wird, eine der bedrohlichsten Erfahrungen alleinreisender Frauen. "Als ich in Thailand Fieber bekam, fühlte ich mich unglaublich hilflos", erzählt Bianca. "Ich bekam Angst: Was mache ich nur, wenn es nicht weggeht?" Auch hier sollte man initiativ werden, andere um Hilfe bitten, vielleicht in ein gutes Hotel umziehen, einen Arzt kommen lassen, alles, um nicht in ein Gefühl der Hilflosigkeit reinzurutschen", rät Kaiser-Kehl.

Oft klappt das aber ganz von selbst, gerade wenn man alleine reist. Als Cornelia (41) letztes Jahr auf dem Jakobsweg pilgerte, bekam sie schmerzhafte Fußprobleme. Und überall traf sie auf hilfsbereite Leute. "Das war eine der schönsten Erfahrungen: Dass immer Hilfe kommt, wenn man sie braucht", erzählt die Projektmanagerin. Andere schöne Erfahrungen waren: den Kopf frei kriegen, den eigenen Rhythmus finden, zur Ruhe kommen, feststellen, mit wie wenig man auskommt. Cornelia liebt das Alleinreisen, war allein in Venedig auf der Biennale und auf La Palma wandern. Kurz entschlossen hatte sie einen Flug auf die Kanareninsel mit Mietwagen und Hotel gebucht und dann Tagestouren unternommen: "Ich entscheide mich einfach gern spontan für Reisen." Und das geht am besten ohne Anhang. Angst kennt sie übrigens nicht - selbst auf dem Jakobsweg, wo sie den ganzen Tag manchmal keinen Menschen gesehen hat, fühlte sie sich sicher.

Obwohl sie allein durch Länder wie Marokko, Jordanien und Serbien gereist ist, hatte auch Petra nie Angst. "Im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, dass alle auf mich aufpassen. Im Bus wurde mir oft ganz vorne ein Platz angeboten, und wenn eine Toilettenpause vorbei war, hat man mir oft ein Zeichen gegeben, damit ich rechtzeitig einsteige." Auch Petra ist überzeugt, dass es mit dem eigenen Auftreten zu tun hat, wie man selbst behandelt wird. "Wer gefestigt auftritt, sich anständig anzieht und die Leute mit Respekt behandelt, wird ebenfalls mit Respekt behandelt."

Warum alleine essen nicht traurig sein muss

Nach den Nachteilen des Alleinreisens befragt, erzählen die meisten Frauen, dass ihnen in besonders intensiven Momenten vertraute Menschen fehlen, um ihre Erlebnisse zu teilen - genauso wie nach der Reise die Erinnerung. "Man kann zwar Fotos zeigen und erzählen, aber es gibt niemanden, der wirklich nachempfinden kann, was man erlebt hat", bedauert Sabine.

Was ebenfalls viele Frauen als nachteilig erleben, ist das fehlende Gegenüber beim Essen. Selbst Nadja (34), die es sehr genossen hat, allein nach Mallorca und Kambodscha zu reisen, erzählt: "Das erste Mal alleine zu frühstücken war schon eine große Hürde. Im Hotel auf Mallorca haben alle erstmal komisch geguckt, den ersten Blick spürte ich richtig: 'Die Arme, die hat niemanden, die ist alleine'. Aber nach zehn Minuten änderte sich der Blick, er sagte eher: 'Cool, die traut sich was!'" Und Karina ist Abend für Abend durch halb Nizza gestreift, bis sie sich endlich in ein Restaurant traute. "Wenn ich im Augenwinkel sah, da sitzen einzelne Männer, und die gucken schon, bin ich weitergegangen. Ich habe mir immer Restaurants gesucht, wo ich möglichst unauffällig in der Menge untergehen konnte. Entspannt war ich beim Essen trotzdem nie, obwohl der Urlaub ansonsten ganz toll war."

Sind Frauen oft deshalb so unentspannt, weil es für sie immer noch unüblich ist, alleine auszugehen? Weil einsame Männer zwar als coole Wölfe gelten, Frauen aber als vereinsamte, bedürftige Wesen? Heike Kaiser-Kehl hat eine andere Erklärung: Was die anderen denken, ist reine Spekulation. Sobald man alleine ein Restaurant oder eine Bar betritt, startet ein innerer Dialog, in dem man eigene Unzulänglichkeitsgefühle - "ich habe keinen abgekriegt", "ich habe keine Freunde" - nach außen projiziert. Auch hier geht es wieder darum, die eigene Haltung zu ändern und den inneren Dialog dahingehend zu lenken: 'Was könnten die anderen noch denken?'. "Eine kurze Befragung im Freundeskreis wird schnell ergeben, dass die meisten es bewundernswert finden, wenn eine Frau alleine verreist," prognostiziert die Psychologin.

Eine weitere Strategie gegen das Unwohlsein bei Tisch: Sich selbst zum Beobachter machen. Und darüber nachdenken, wie es den anderen im Raum wohl wirklich geht. "Dann erkennt man schnell, dass sich kaum ein Paar angeregt unterhält. Und kommt bald zu der Frage: Was ist eigentlich frustrierender? Mit jemandem am Tisch zu sitzen und sich zu langweilen oder alleine?" So überprüft man die eigene Idealisierung von Paarsituationen und kommt zu dem Schluss, dass das gemeinsame Essen nicht zwingend die erste Wahl ist.

Katzentisch - na und!?

Und der berühmte Katzentisch, an den einzelne Frauen angeblich grundsätzlich gesetzt werden? "Oft ist auch das eine Wahrnehmungsfrage," so Kaiser-Kehl. "Es ist doch klar, dass es eine wirtschaftliche Entscheidung des Wirtes ist, vier Leute an den Vierertisch zu setzen und einen einzelnen Gast an den Einzeltisch." Also: bitte nicht persönlich nehmen. Trotzdem sollte man den Mut aufbringen zu sagen, wenn einem danach ist: 'Nein, hier möchte ich nicht sitzen.'

Angenehm fand Sabine das Essengehen übrigens bei ihrem Urlaub in San Francisco: "In den USA gibt es überall diese netten Diner, wo man sich an den Tresen setzt und nebenbei mit den Leuten ins Gespräch kommt." In ganz normalen Restaurants beschlich auch sie oft das Gefühl: "Die Leute finden alleinreisende Frauen komisch."

Alleinreisende Frauen sind nicht komisch, sie sind längst normal. Die "Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen" hat festgestellt, dass vergangenes Jahr 6,19 Millionen Deutsche ohne Begleitung verreist sind, wobei die Frauen in der Mehrheit waren: 54 Prozent der Alleinreisenden waren weiblich, das sind immerhin 3,33 Millionen Urlauberinnen.

Doch wer sich partout unwohl dabei fühlt, allein gesehen zu werden, dem bleibt immer noch Paris. Der mexikanische Star-Tenor Rolando Villazón liebt seine Wahlheimat dafür: "Paris ist einer der seltenen Orte auf der Welt, wo das Alleinsein kein Defekt ist. Es ist nicht ungewöhnlich, allein in ein Café zu gehen; die Franzosen gehen sogar allein spazieren!"

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