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Es reicht, sie zu besitzen

Aus dem Wunsch heraus, eine andere zu sein, kaufen wir manchmal Sachen, die gar nicht zu uns passen. Macht nichts! Sie machen trotzdem glücklich - auch wenn es vergangene Mode ist.

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Fast jeder hat Dinge im Schrank, die er mehr liebt als diejenigen, die er trägt

Sie stehen auf dem Regal wie ein Kunstobjekt, werden verliebt angeguckt und manchmal kurze Strecken ausgeführt wie ein exotisches Tier. Meine tannengrünen Keilabsatzschuhe aus Amerika, die etwas zu eng sind. Aber so sind wir. Verlieben uns in schöne Dinge ohne jeden praktischen Hintergedanken, stattdessen oft mit einer Fantasie verbunden, die ein Leben im Untergrund führt. Ich habe nun mal diese Leidenschaft für Filme aus den 40er Jahren. Die supereleganten Stars wie Katharine Hepburn und Bette Davis trugen Keilabsätze (seit zwei Jahren ja wieder der Moderenner) und sahen mit den breitschultrigen Kostümen und verrückten Hüten ungemein schick aus. Genau so, wie ich oft gern aussehen wollte. Und als ich vor einiger Zeit in einem Vintage- Shop in Los Angeles die grünen Schuhe mit Keilabsätzen sah, pochte mein Herz vor Aufregung, als hätte ich den Geist von Rita Hayworth gesehen. Natürlich kaufte ich sie! Grün bedeutete Glamour. Und der färbte ab.

Das versteckte Aschenputtel

Das Thema Verwandlung spielt in unserem Leben eine wichtige Rolle. Wer man ist und wer man manchmal gern wäre, besteht zum Teil aus Sehnsucht und aus Projektion. Kleidung mag zwar unsere Körper bekleiden, aber sie entblößt auch ein bisschen die Seele. In jeder Frau steckt ein verstecktes Aschenputtel, das an die Magie der Transformation glauben möchte. Gerade Mädchen wollen schon als Kinder Verkleiden spielen und so die Prinzessin, Piratin oder Ballerina herauslassen (der kleidermäßig unergiebige Wunsch, Anwältin oder Kanzlerin zu werden, kommt erst später). Und wenn man später in der Umkleidekabine vor dem Spiegel steht und sich prüfend ansieht, dann sucht man etwas mehr als nur ein realistisches Spiegelbild. So ganz verlässt uns wohl nie die Fantasie des Traum-Outfits, das Stil, Schönheit und Individualität perfekt inszeniert und unsere Mitmenschen betört.

Das kindliche Verlangen nach roten Lackschuhen kann sich bis ins hohe Alter

Eine Freundin von mir, die eher hanseatisch elegant aussieht, hat einen wunderschönen auffälligen Wickelrock mit luxuriösem nachtblauem Seidenfutter, den ihr die Verkäuferin sehr hübsch um die Taille drapiert hatte, mit einer herrlichen Schleife an der Seite. "Natürlich dachte ich in dem Moment, der passt zu mir. Ich liebe den Rock, auch wenn ich ihn nie anziehe, denn irgendwie ,bin ich es nicht'. Aber ich würde niemals sagen, es sei ein Fehlkauf, ich habe Freude daran - als Gegenstand. Hin und wieder hole ich den Rock aus dem Schrank und streiche über die glänzende Seide."

Fast jeder hat Dinge im Kleiderschrank, die er mehr liebt als diejenigen, die er tatsächlich immer wieder trägt. Es gibt Schuhe, Accessoires und Kleidung, die einfach nicht zum Tragen ausersehen sind. Ihr Besitz ist genug. Jahrelang liegen Hüte in Hutschachteln und buttergelbe Lederhandschuhe ungetragen in Schubladen. Oder es hängen ein aberwitzig teurer weißer Leinenanzug, ein handbemalter Kimono und ein trägerloser sexy Traum aus schwarzem Taft und edler Spitze wie ein Fanal oder Kunstwerk im Schrank, um immer mal wieder herausgenommen, kurz anprobiert oder angehalten zu werden. Und dann verschwinden sie nach einem glücklichen Seufzen der Besitzerin hinten im Schrank.

Schon allein ihr Besitz löst positive Gefühle aus, die Nostalgie ist wohlig-warm

Die geheimen Identitäten, nach denen man über die Jahre lechzt, treiben natürlich auch seltsame Stilblüten. Ich kenne eine ziemlich vernünftige Frau, Mutter zweier erwachsener Söhne, die seit 18 Jahren einen schwarzen bodenlangen Nappaledermantel von Claude Montana im Schrank hortet. "Ich sehe damit aus wie ein düsteres Bad Girl aus einem ,Matrix'-Film, aber der Mantel ist wie ein Fantasiekostüm und muss bleiben. Dabei mag ich Leder überhaupt nicht."

Oft dienen spontan gekaufte Kleidungsstücke aber auch der späten Wunscherfüllung. Mädchen, die immer sportliche Sachen tragen mussten, fallen bis heute auf glitzernde Stoffe rein, und der einst streng bewachte Teenager mit Internats-Look will immer nur knappe Minis. Mein brennendes Verlangen als Kind nach roten Lackschuhen (und ebenso nach durchstochenen Ohren und Korallenherzchenohrringen) wurde mit dem entsetzten Vermerk, derlei sei nur etwas für Proletenkinder, abgetan. Die Attraktion für rotes Schuhwerk blieb, und ein Paar davon steht immer im Schrank.

Dann gibt es noch den Spaß an der Unwiderstehlichkeit von Trends. Eine ehemalige Boutiquebesitzerin liebt diese Zeitdokumente. "Ich habe mir 1973 in London in dem legendären Shop Mr. Freedom schwarz-silberne Pumps gekauft, die so schön und verspielt waren, dass ich sie haben musste. Auch weil sie typisch für den Swinging-London-Stil waren."

Die Erinnerung an ein früheres Selbst

Manchmal dienen modische Meilensteine als Beweise für Ungläubige und als nostalgische Retrospektiven. Meine Mutter hatte ein winziges Spitzen-Hemdhöschen, das sie aufhob, bis sie 75 Jahre alt war. Wie viele Mütter mit zwei Kindern, die keinen persönlichen Trainer zur Hand haben wie Angelina Jolie und Jennifer Lopez, die nach vier Wochen so aussehen wie Spargelstangen, hatte meine Mutter um Bauch und Busen kräftig zugelegt. Doch dieses delikate Spitzending von 1941 war der Beweis für ihr altes Leben und ihr altes Selbst als zartgliedrige, schmale Kunststudentin während des Krieges. Ihre Töchter, die keinerlei Erbansprüche an so was Altmodisches anmeldeten, hatten als Teenies so ihre Zweifel. "Da hast du doch nie reingepasst, Mami!"

Ähnlich geht es einer anderen Freundin, jedenfalls was die Kleidergröße betrifft, aber sie hat andere Gründe, warum dieses niedliche rosa Kostüm von Daniel Hechter im Schrank hängt, das sie 1966 von ihrem ersten selbst verdienten Geld gekauft hat. Nie im Leben würde sie es verkaufen oder an die Altkleidersammlung geben. "Ich muss immer lächeln, wenn ich es sehe, weil es mein Erwachsensein endgültig besiegelte, ich war so stolz, als ich ganz lässig bezahlte."

Und das ist das Verführerische an all diesen Schätzen: Ihr Besitz löst positive Gefühle aus, die Nostalgie ist wohligwarm, oft lustig und keineswegs von Bedauern über ein nicht ge lebtes Lebens geprägt. Keiner möchte wirklich jemand anderes sein. Es ist nur ein Spiel und ein Spaß.

Übrigens ging irgendwann vor fünf Jahren das Spitzenteil meiner Mutter an eine junge litauische Cousine, die begeistert war. Was beweist: Wenn man etwas Schönes lange genug behält, erscheinen manchmal würdige Abnehmerinnen für ein lang gehegtes Stück. Und wenn es Generationen dauert.

Text: Sabine Reichel Foto: Nele Martensen

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