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Der Teufel trägt Tolle

Die Journalistin Suzy Menkes hat die spitzeste Zunge in der Welt der Mode - und begeht selbst eine Modesünde nach der anderen. Designer verehren sie trotzdem wie eine Heilige.

In der Modewelt gibt es klare Gebote. Wer drin (und "in") sein will, tut gut daran, sie zu befolgen. Das erste Gebot lautet: Du sollst fantastisch aussehen. Immer und überall. Und wenn du zu einer Modenschau gehst, noch ein bisschen besser.

bricht dieses Gebot konsequent. Schon ihre Frisur ist eine ästhetische Zumutung: Auf ihrem mehr als rundlichen Kopf türmt sich eine Reinkarnation der Elvis-Tolle in monströsem Ausmaß. Die einen erinnert sie an eine Klorolle, andere an ein Baguettebrötchen. Dennoch trägt Suzy Menkes sie mit Stolz und kombiniert sie gern mit altbacken wirkenden Brokatmänteln, unförmigen Joppen, geblümten Seidentüchern und großen goldenen Ohrringen. Kurz: Sie sieht unmöglich aus. Und es ist ihr egal.

Scharf wie eine Schneiderschere: die Urteile von Suzy Menkes

"Das Interessante an Modejournalisten ist nicht, was sie denken oder was sie tragen, sondern, was sie schreiben. Das allein ist wichtig", sagte sie einmal in einem Interview. Und so klappt sie, wenn sie in der ersten Reihe bei Armani, Gucci oder Yves Saint Laurent Platz genommen hat, ihren kleinen Laptop auf und tippt los, sobald das erste Model den Laufsteg betritt. Und tippt und tippt. Während andere vollauf damit beschäftigt sind, durch ihre großen Sonnenbrillen möglichst uninteressiert und arrogant wegzugucken, schaut sie ganz genau hin, fällt ihr Urteil - und kleidet es in Sätze, scharf wie eine frisch geschliffene Schneiderschere.

Manchmal vernichten solche Sätze eine ganze Kollektion. Und ihren Schöpfer gleich dazu. Denn Suzy Menkes ist die einflussreichste Modejournalistin der Welt - neben Anna Wintour, der berüchtigten Chefredakteurin der US-"Vogue". Im Unterschied zu ihr hat es Suzy Menkes zwar noch nicht in einen Enthüllungsroman und in ein Filmdrehbuch geschafft, aber für Intrigen und Machtspiele à la "Der Teufel trägt Prada" fehlt ihr ohnehin die Zeit.

Bis zu 600 Modenschauen besucht sie pro Jahr. Ein enormes Arbeitspensum für die 65-Jährige, die deshalb auch "Samurai-Suzy" oder "rasende Großmutter" genannt wird. Egal ob frühmorgens oder um Mitternacht, bei null oder 30 Grad, Suzy ist da. Sogar im Rollstuhl ist sie schon bei Modenschauen vorgefahren. Lediglich der jüdische Feiertag Jom Kippur ist ihr heilig, seit sie ihrem inzwischen verstorbenen Mann zuliebe zum Judentum konvertierte.

Mehr als zwei Jahrzehnte lang schreibt Suzy Menkes nun schon als Kolumnistin für die Tageszeitung "International Herald Tribune" - und genauso lange übertritt sie auch das zweite Gebot für Modejournalisten: Du sollst die Designer ehren. Lobe ihre neue Kollektion, egal ob sie dir gefällt oder nicht. Suzy Menkes sind Lobhudeleien fremd, und sie kennt keine Gnade: "Karl Lagerfeld fehlt eine Mutter, die ihm sagt, wann er zu weit geht", schrieb sie einmal. Dabei ist Lagerfeld ein enger Freund. Noch lange kein Grund, ihn zu schonen.

Wegen ihrer harten Urteile hat sie manches Hausverbot bekommen. "Wie schade!", sagt Suzy Menkes. "Sie sind so sensibel, die Leute. . . Aber möglicherweise brauchen sie mich mehr als ich sie." Das kann gut sein. Star-Designer Alber Elbaz, der für Lanvin entwirft, steht Saison für Saison nach seiner Modenschau schon um sechs Uhr früh auf, um die druckfrische Morgenausgabe der "Tribune" zu ergattern. Und Suzy zu lesen. Erst dann wisse er, ob er gut oder schlecht gearbeitet habe, sagt er. Er ist einer von vielen, die allein auf Suzys Menkes' Urteil vertrauen. Weil es unabhängig ist. Und nicht auf persönlichem Geschmack, sondern auf Erfahrung und Sachkenntnis beruht.

Eigentlich wollte Suzy Menkes selbst Designerin werden. Nach der Schule ging die gebürtige Britin ein Jahr nach Paris, besuchte einen Schneiderkurs, merkte aber schnell, dass ihr Talent nicht reichen würde, um jemals zu den großen Couturiers zu gehören. "Wenn du nicht Millionär wie Ralph Lauren werden kannst, dann schreib lieber und kritisiere andere", begründet sie im Rückblick ihren Entschluss, zurück in ihr Heimatland zu gehen und in Cambridge Geschichte und englische Literatur zu studieren.

In den Sechzigern begann sie ein Volontariat bei der "Times". London swingte, Suzy zog in Minirock und weißen Courrège-Stiefeln los - und schrieb auf, was sie auf der Straße und in der boomenden Kunst- und Kulturszene sah. Hier konnte sie ihre Modebegeisterung ausleben, die sie schon als Studentin dazu gebracht hatte, sich morgens um fünf in Modenschauen einzuschleichen und sich bis zum Beginn des Defilees unter der Bühne zu verstecken.

Eine Leidenschaft, die nur wenige teilten: Ihren männlichen Kollegen bei der "Times" schrieb Suzy Menkes zu viel über zu teure Klamotten, ihre frauenbewegten Freundinnen verstanden erst gar nicht, warum sie überhaupt über Mode berichtete. Suzy schrieb unverdrossen weiter, für den "Evening Standard", den "Daily Express", dann wieder für die "Times". Als 1987 Hebe Dorsey, die langjährige Modekritikerin der "International Herald Tribune", starb, bot die Chefredaktion Suzy Menkes die Nachfolge an. Sie hatte es so eilig, ihre neue Stelle anzutreten, dass sie nicht mal mehr ihren Schreibtisch in der "Times"-Redaktion aufräumte. Passend zum neuen Job legte sie sich die schräge Frisur zu, die bis heute ihr Markenzeichen ist.

Mode ist für Suzy Menkes ein Spiegel der Gesellschaft

Seitdem pendelt sie ruhelos zwischen den Modemetropolen Paris und London - und bemüht sich ständig, das dritte Gebot für Modejournalisten zu ignorieren: Habe immer eine Antwort auf die wichtigste aller Modefragen parat: Was kommt, was bleibt? Suzy Menkes Antwort: "Die Röcke werden kürzer oder länger. Aber das ist das langweiligste Thema der Welt."

Viel spannender als die jeweils aktuellen Trends findet sie, dass Mode ein Spiegel dessen ist, was auf der Welt und in unserer Zeit passiert, nicht zuletzt aber auch eine Industrie, deren Umsätze in die Milliarden gehen. Eine Modejournalistin sollte sich deshalb unbedingt auch mit Zahlen auskennen, sagt sie - und genießt es dennoch, mit Model Kate Moss über Schuhe zu plaudern.

Mehr als 1,7 Million Wörter von Suzy Menkes hat die "International Herald Tribune" bisher abgedruckt. Im vergangenen Jahr feierte sie ihr 20-jähriges Dienstjubiläum - im Pariser Modemuseum natürlich. Und konnte es auch auf dieser Party nicht lassen, die eingeladenen Designer über laufende Projekte auszufragen.

2005 wurde sie in Frankreich für ihre Verdienste um die Mode zum Ritter der Ehrenlegion geschlagen, von der Queen bekam sie später das britische Ordens-Pendant überreicht. Wohl auch, weil sie das vierte Gebot für Modejournalisten nie in ihren Verhaltenskodex aufgenommen hat: Lass dich von Modefirmen gern und großzügig beschenken. Für kleine Aufmerksamkeiten wie Louis-Vuitton-Handtaschen bedanke dich höflich.

Außer Blumen und Schokolade lässt sich Suzy Menkes nichts schenken

Suzy Menkes lässt sich nicht bestechen. Geschenke spendet sie an ein Pariser Krankenhaus, ihren Gönnern schickt sie einen kurzen, aber eindeutigen Brief zurück: "Ich wurde in dem Glauben erzogen, dass ein Mädchen niemals Geschenke annehmen sollte, außer Blumen und Schokolade."

So viel Bescheidenheit ist in der Modewelt selten, und manche fühlen sich dadurch gar so provoziert, dass sie Suzy Menkes eine frustrierte alte Frau nennen, die ihren Hausfrauengeschmack am Grabbeltisch erworben habe. Oder, etwas feiner, scheinheilig fragen, wie lange sie ihren Beruf denn noch auszuüben gedenke. "Warum sollte Mode der Jugend vorbehalten sein?", pariert sie dann, fügt aber diplomatisch hinzu: "Zweifellos sollte Mode aber auch nicht ausschließlich Aufgabe älterer Leute sein."

Schwer vorstellbar, dass Suzy Menkes einmal tatsächlich den Laptop an eine Jüngere übergeben sollte. Unwahrscheinlich, dass sie sich dann ausschließlich ihrer Familie widmen würde, ihren drei Söhnen aus ihrer Ehe mit dem Journalisten David Spanier und ihren Enkeltöchtern. Wahrscheinlicher, dass sie zumindest ihre anderen Passionen weiterpflegen würde, Bücher schreiben zum Beispiel über die englischen Kronjuwelen, den Stil der Windsors oder übers Stricken.

Höchstwahrscheinlich aber wird man sie noch mit Gehwägelchen auf den Modenschauen sehen. Denn sie braucht sie ja doch, diese Modemenschen, auch wenn sie gern behauptet: "Nur weil ich mich von diesen Leuten fernhalte, so gut es geht, habe ich es überhaupt so lange mit ihnen ausgehalten."

Und warum nur hat es die sonst so schnelllebige und unerbittliche Modewelt so lange mit ihr ausgehalten? Weil Suzy Menkes ihre Gebote so gut kennt wie kaum eine andere, sich aber nicht abhängig von ihnen macht, sondern sie würdevoll übertritt. Und bei aller Schärfe immer britisches Understatement bewahrt - oder französische Contenance, wenn gerade mal wieder die Pariser Modewoche ansteht. Nur einmal ließ sich Suzy Menkes zu einem Temperamentsausbruch hinreißen. Nach einer Marc-Jacobs-Schau, die mit zwei Stunden Verspätung begonnen hatte, schrieb sie: "Ich würde ihn am liebsten mit meinen bloßen Händen ermorden und nie wieder eine seiner Schauen sehen." Jacobs' unverzeihlicher Fehler - er hatte das oberste aller Modegebote übertreten: Du sollst die Schau erst beginnen lassen, wenn Suzy da ist. Aber dann muss es auch losgehen. Sofort.<

Urteile von Suzy Menkes: - "Das Zeug sieht aus wie in einem Comicstrip. Und es ist wirklich so schlimm, wie es sich anhört." - "Eine grausige Parade entsetzlicher Kleider!" - "Einer dieser Momente, in denen Lagerfeld zu schlau ist, um gut zu sein. Er verwendet alles, was sein Mode-Radar geortet hat . . . und macht den Fehler, sich für nichts zu entscheiden." - "Eine Kostümparty für Freaks!" - "Alle liebten, liebten, liebten die Farben auf dem Laufsteg. Aber wer bitte wird sie tragen?" - "Nein, Zweifel an meinem Urteil habe ich nie. Ist das nicht furchtbar?"

Suzy Menkes über Mode: - "Das ist Mode - Menschen mögen es, aus Dingen Dramen zu machen." - "Müssen Models zähnefletschend auf die Zuschauer loslaufen? Gibt es nicht schon genug Aggression auf der Welt?" - "Es gibt einfach keine neuen Ideen." - "Ein Lob ist doch nur dann etwas wert, wenn es von jemandem kommt, der nicht jeden lobt, oder?" - "Wer Millionen in eine Kollektion investiert und dann sein Glück an das Urteil eines Kritikers hängt, der hat seinen Beruf sowieso verfehlt"

Text: Sina Teigelkötter Fotos: Getty Images

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