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Stillos? Erwachsene Frauen im Teenie-Look

Frau in Blumenrock auf Straße
© Elena Dijour / Shutterstock
Sind erwachsene Frauen im Teenie-Look stillos? Eine aktuelle Umfrage sagt "Ja". Auch unsere Autorin hat Bedenken.

Stillos? Das sagt die Umfrage

Bikini und Minirock bei erwachsenen Frauen? Da ist sich die Mehrheit von 2.000 befragten Frauen in Großbritannien einig: Das geht nicht mehr. Der Minirock sollte demnach schon ab 35 Jahre aus dem Kleiderschrank einer Frau verbannt werden, spätestens ab 47 Jahre ist dann auch der Bikini dran. Immerhin darf "Frau" noch vier weitere Jahre einen Pferdeschwanz tragen. Doch dann sei der Teenie-Look endgültig vorbei.

Wie sieht das unsere Autorin Sabine Reichel? Lesen Sie ihre Reportage.

"Wie süß!" Eine Frau um die 50 ist mit ihrer Tochter beim Shopping und hält begeistert ein durchsichtiges, bunt bedrucktes Top mit flatterigen Ärmeln hoch - und sich dann selbst an. Die Tochter schüttelt entschieden den Kopf, aber es ist zu spät. Mami wirft sich entschlossen das Teenie-Teil über den Arm und geht zufrieden zur Kasse. Konsequent ist sie schon, das Top passt zum restlichen Outfit: geblümter Ibiza-Rüschenrock, lindgrüne Söckchen mit Spitzenrand, die aus kleinen Stiefeletten blitzen, und dazu eine bestickte pinkfarbene Riesentasche, an der eins von den noch immer beliebten kleinen knuddeligen Bärchen hängt.

Das modische Universum ist aus den Fugen.

Was ist es nur, das erwachsene Frauen dazu treibt, als Imitate ihrer Töchter durch die Gegend zu geistern? Dass wir alle jünger aussehen als unsere Mütter und Großmütter im selben Alter, ist eigentlich ein Geschenk und ein Vorteil. Doch das modische Universum ist aus den Fugen. Es scheint, als ob die natürlichen Abgrenzungen zwischen den Generationen fast aufgehoben sind und alle Altersgruppen nahtlos ineinander übergehen - wobei sowohl Zwölf- wie auch 40- und manchmal 90-Jährige (erinnert sich einer an Leni Riefenstahls Lurex-Leggings?) wie 20 aussehen wollen.

Fragten früher Mütter ihre Töchter: "Und so willst du rumlaufen?", ist es heute häufig umgekehrt. Der Jugendkult und die Sexualisierung der Kleidung hat die Angst, seriös und damit vielleicht spießig zu wirken, noch verstärkt. Viele sonst sehr vernünftige Frauen kommen sich unsichtbar vor, wenn sie nicht mit wild aufflackernden Modesignalen auf sich aufmerksam machen können - und tappen so in fatale Modefallen. Denn diese Art der Kostümierung ist leider selten ein Ausrutscher: Eine Sünde führt meist geradewegs zur nächsten und kreiert Impressionen von verblüffender Scheußlichkeit, täglich sichtbar in unseren Großstädten.

Die einst erwachsene und souveräne Frau ist in Verruf geraten.

Dass die seligen Zeiten der supereleganten 30er und 40er Jahre vorbei sind und es so perfekte Erscheinungen wie die Filmstars Carole Lombard, Marlene Dietrich oder Katharine Hepburn nicht mehr gibt - vielleicht mit der Ausnahme von Catherine Deneuve -, ist vielen Frauen natürlich bewusst. Aber die einst erwachsene und souveräne Frau, die grelle Kleidung nicht nötig hatte, ist dabei derartig in Verruf geraten, dass sich heute anscheinend viele Frauen an internationalen Celebrity-Partyfotos in einschlägigen Magazinen orientieren.

Und dazu gehören auch ganz offensichtlich kneifende Fantasie-Jeans mit Strassornamenten, riesige Ohrringe und das berüchtigte Bustier, ein unbequemes Kleidungsstück, das sich ungewöhnlich haltbarer und heftiger Liebe bei nicht unbedingt gertenschlanken Frauen über 45 erfreut.

Ein ebenso unverwüstlicher Dauerbrenner sind Tiermuster.

Ein ebenso unverwüstlicher Dauerbrenner sind Tiermuster, voran Tiger und Leopard, aber auch eine Leidenschaft für Biesen, Schleifchen, Raffungen und Fantasie-Abnäher, wo keine hingehören. (Es wäre interessant zu erfahren, ob die Designer, die uns mit Patchwork-Lederjacken mit angekrausten Ballonärmeln quälen, vom hiesigen Planeten sind.)

Und als gäbe es eine modische Gesetzmäßigkeit, gehören zu all diesen Kombinationen dann fast immer stark blondierte oder kirschrot gefärbte Haare, die mit einem süßen blumenbesetzten Haarclip in eine spontane Frisur verwandelt werden. Eine andere Variante peinlicher Kleidungsideen, die inzwischen als coole Inspiration in allen Altersklassen gesehen wird, ist der betont schlampige Privat-Look fetthaariger Hollywoodstars wie Julia Roberts und Cameron Diaz, die in abgewetzten Jogginghosen und Gummilatschen in der Öffentlichkeit herumkurven.

Aber vielleicht am schädlichsten für das weibliche Image schlechthin ist der fatale, betont kunterbunte "sexy" Look - ein bisschen Las Vegas, ein bisschen Musikvideo, kurzum: eine abenteuerliche Kombination aus Bordell-Baby, Unterwäsche-Model und Rapperin, die besonders Frauen aus der Pop- und Rockwelt so magisch anzieht wie Strapse einst Madonna. Diese Extreme findet man so zwar glücklicherweise nicht bei der Mehrzahl der Frauen, auch nicht bei denen, die modische Experimente lieben - aber die Spuren des Wetteiferns mit der Jugend sind nicht zu verkennen.

Tragisch gerade deshalb die Versuche, durch Hüfthosen und das Tragen von Tangas die Aufmerksamkeit per nackten Hintern zu erzwingen oder vielleicht vom nicht dazu passenden Gesicht abzulenken. Dabei sollten doch die Jahre des Erwachsenseins eher dazu da sein, endlich zu genießen, dass man sich nicht mehr mit dem Hintern ausdrücken muss.

Mit allen Konsequenzen, auch den modischen, erwachsen zu sein - das ist leider in Misskredit geraten. Dabei ist Erwachsensein im Prinzip eine wunderbare Angelegenheit, besonders für Frauen.Man kann endlich naive Süße und weibliche Schmiegsamkeit abwerfen, hat mehr Kontrolle, strahlt Kompetenz und Erfahrung aus. Aber scheinbar will in manchen Frauen das putzige kleine Mädchen, das mit kindlichem Charme und goldenen Löckchen den Papi verzauberte, ganz einfach nicht von den niedlichen Attributen der Kindheit und damit von Schleifen und Rüschen loslassen.

Die Rolle als Modeopfer ist einfach keine Option mehr.

Eine wichtige Entscheidung muss daher in dem Alter zwischen 40 und 50 fallen, und sie sollte wie eine Befreiung gefeiert werden: Wer will ich sein, und wie will ich aussehen? Das modische Leben kann unabhängig von Trends endlich in die Hand genommen werden, und die Rolle als Modeopfer ist einfach keine Option mehr. Vielmehr muss man einen persönlichen Stil kultivieren, der innerlich wie äußerlich unverwechselbar ist und die Souveränität, die Kompetenz und das Selbstbewusstsein reflektiert, die man ganz einfach lebt. Man kann über den 80er-Jahre-"Power-Anzug" der berufstätigen Frau lachen, so viel man will; die Idee dahinter war, ernst genommen zu werden und sich nicht auf sexuelle weibliche Signale reduzieren zu müssen.

Diese Art der humorlosen Strenge ist heute nicht mehr nötig, aber die ungeschriebene No-no-Liste wird mit zunehmendem Alter trotzdem immer länger, das ist nun mal so. Und im Grunde ist es gar nicht so schwer, auf Fransenfrisuren, zu viel Lipgloss und Rouge, Puffärmel, Spike-Heels, Leggings und Applikationen, auf Kaftans, Kniebundhosen, asymmetrische Zippelröcke, kunterbunte Pullis, Shorts, die Farben Türkis, Peach, Orange, Chartreuse und Ocker zu verzichten.

Doch kann es natürlich beim Loslassen von gewohnten Bildern ein Problem geben. Vielleicht ist der Schritt vom Flowerchild zu einer interessant aussehenden Frau auch deshalb schwierig, weil gerade die Frauen der rebellischen 60er und 70er Jahre - die in sehr jungen Jahren mit Minis, dann mit bunt zusammengewürfelter Anti-Mode vom Flohmarkt alle konservativen Ideen von Mode revolutionierten - nur schwer von jugendlichen Ideen lassen wollen?

Aber "Retro" ist meist nur lustig, wenn man 20 ist und ohne große modische Vergangenheit dasteht. Denn wenn man endlich weiß, was einem wirklich gut steht, wird man auch die alberne Idee verbannen, dass die immer wieder neu ausgekramte 70er- und 80er-Jahre-Mode tatsächlich tragbar und Pfeiler der Originalität waren

Jawohl, "Charlie's Angels" sahen schon damals scheußlich aus, die Damen aus "Dallas" wie Christbäume - und daran wird auch Nostalgie nichts ändern. Sehen wir doch die modischen Experimente als abgeschlossen an, und haken wir gnädig die Entgleisungen von dauerwellen-Mähnen bis zu Disco-Jäckchen als Jugendsünden ab! Lassen wir doch die jungen Mädchen jetzt mit den zum x-ten Mal wiederentdeckten Plateausohlen die Bürgersteige wie auf Stelzen entlangwanken, sich mit Mini-Tops und Babydoll-Hängerchen die Nieren verkühlen und ihre Häkelponchos sich an Türgriffen verheddern.

Wir sind noch vom ersten Mal bedient und lächeln mit großem Mitgefühl den tapferen Heldinnen des Modealltags hinterher. Dabei muss man nicht unbedingt alle Spuren der Vergangenheit beseitigen. Trödelkleider und Turnschuhe, Lederjacken und Overalls kann man zwar so nicht mehr anziehen - aber Edles mit Originellem zu kombinieren geht bestens, wenn man Zurückhaltung walten lässt, ohne die Angst vor dem modischen Verfallsdatum.

Es gibt wirklich mehr als die leider oft gängigsten drei Modeoptionen, die wir wahrscheinlich alle so fürchten und verdammen wie Dracula den Sonnenaufgang: Nutte, Oma, Spießerin. Es muss ja nicht entweder ein Mini-Slipkleid, die Henkeltasche mit dem Pferdetuch oder der eierschalenfarbene Staubmantel sein. Baskenmützen oder Trenchcoats sind nie out, gut geschnittene Vintage-Blazer, Kaschmirpullis und Katharine-Hepburn-Hosen auch nicht. Und gegen Miniröcke mit blickdichten Strumpfhosen im Winter ist absolut nichts einzuwenden, wenn die Beine stimmen.

Alles geht nach unten - bis auf die Stimmung und das Selbstbwusstsein!

Ja, der Körper und seine sich ungefragt wandelnden Formen... Da die Gesetze der Schwerkraft selbst von den fittesten Frauen nicht überlistet werden können, ist es am einfachsten, auch da hinzunehmen, dass ab 40 alles leicht nach unten geht - bis auf die Stimmung und das Selbstbewusstsein! Wenn man dann selbst als ehemals BH-lose Grazie doch nach diesem stützenden Teil greift und die Hüfthose der Nichte vererbt, kann das Leben wirklich schön sein. Ohne ein Warnschild "Vorsicht, bauchfrei!" blinken lassen zu müssen.

Gerade weil jedes Alter seine Belohnungen hat und das Leben ein Tausch mit Tücken ist, heißt es eben ab einem bestimmten Alter: Tausche schlabberige Unterarme im ärmellosen Mikro-Top gegen ein superstraffes Hirn und einen eleganten schwarzen Rollkragenpulli - und die Harmonie ist wieder hergestellt.

Text: Sabine Reichel Foto: Corbis

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