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Selbstmitgefühl: So kannst du es lernen

Selbstmitgefühl: So kannst du es lernen
© SimonVera / Shutterstock
Stets auf der Suche, nie wirklich geborgen. Die Liebe ein Kampf, die Seele unter Masken versteckt. BRIGITTE-Autorin Judka Strittmatter hatte immer das Gefühl, nichts zu sein und nichts zu können - bis sie anfing, ihren inneren Kritikern Paroli zu bieten.

Werde die Frau deines Lebens

Lange Jahre habe ich am falschen Ort gesucht: Die anderen, die sollten mich mögen - mein Job war das nicht. Erst der Glanz in ihren Augen würde mich zu einem vollständigen Menschen machen; nur wer von anderen geliebt wird, hat eine Daseinsberechtigung. So dachte ich tatsächlich. Selbstliebe: Schon das Wort auszusprechen, fiel mir schwer, es klebte ein übler Hauch von Egoismus und Narzissmus dran. Und hatten Mutter und Vater nicht immer in meine Single-Zeiten hineingegiftet: "Sie findet keinen? Das liegt sicher nur an ihr!"

Ich bin ein Mensch mit Kindheitswunde. Es fehlte an Liebe, Lob und Zuspruch von den Eltern, die selbst damit unterversorgt waren - der ewige Kreislauf, wenn ihn keiner unterbricht. Ich blieb zurück mit dem Gefühl, nie zu genügen, nie gut genug und eine Last zu sein. Trost und Geborgenheit fand ich in meinen Büchern und bei der Großmutter ein bisschen, oft auch, wenn ich allein zu Hause den Plattenspieler anwarf und zu Tschaikowsky Pirouetten drehte. Der Zweifel - vor allem an mir selbst - wurde zum Soundtrack meines Lebens.

Doch es wohnte schon immer auch eine Kämpferin in mir, jemand, der intensiv und freudvoll ist. Zudem bin ich Verstellungskünstlerin wie wir alle, wollte gefallen und schien zu ahnen, dass vor allem die Lauten und Strahlenden anziehend wirken, nicht die Traurigen und Verdrucksten. Also wurde ich nach außen hin eine, der man alles zutraut, nur nicht, dass sie sich oft klein und wertlos fühlt. Mein Lebensglück aber machte ich abhängig von einem Mann an meiner Seite, der Beweis für alle anderen und mich selbst, doch liebenswert zu sein.

Das Unglücklich sein schien ich zu brauchen, beinahe zu suchen ...

Meine Komplexe verbarg ich allerdings auch hier und kämpfte am meisten um die Männer, die mich nicht wollten. Klammerte, wenn einer gehen wollte und die Verlustangst zuschlug. Am meisten tat ich mir dabei selber weh. Da war es wieder, das kleine Mädchen, das einst um die Liebe seines Vaters gefleht hatte. Liebe - das war in jeder meiner Fasern abgespeichert - muss man sich erkämpfen, Liebe wird dir nicht geschenkt. Und wer sie einfach so übrig für mich hatte, es ehr­lich mit mir meinte, den konnte ich nicht wertschätzen, und zog weiter. Meine inneren Antennen suchten Leidenschaft und Kampf, auf dauerhaf­ten Frieden und stete Harmonie waren sie nicht eingestellt. Das Unglücklich­ sein schien ich zu brauchen, beinahe zu suchen, denn es war der Zustand, den ich von klein auf kannte. Wir Menschen sind in diesen Dingen Wiederholungstäter, auch wenn wir es oft besser wissen - das Unterbewusstsein hat uns da fest im Griff.

Das führte zu einer Einsamkeit, die meine Lebensumstände eigentlich widerlegten: Ich war beliebt, ich hatte Freunde. Aber deren Zuneigung war nie genug, um das Loch in meinem Herzen zu versiegeln, konnte mir kein Behütet­ sein vermitteln. Und der Worst Case war, allein mit mir zu sein. Dann waren die Dämonen schlagartig da wie Fliegen an heißen Sommertagen: Du bist nichts, kannst nichts, keiner liebt dich.

Nach einer großen und leidenschaft­lichen Liebe, von der ich dachte, sie sei die endlich wahre, die sich aber als eine toxische erwies, weil bei uns am besten die Blessuren passten, da lag ich in meinen Einzelteilen da. Und ich musste entscheiden, wie ich weiterleben wollte nach Zusammenbruch, Depression und der totalen Agonie. Ich wollte endlich emotional unabhängig sein, ich wollte niemanden mehr brauchen müssen, ich wollte mir mein eigenes Zuhause werden. Schließlich war ich eine Frau, die viel geschafft, die sich durch vieles gekämpft hatte.

Ich bin gut genug so wie ich bin!

Warum waren nur immer alle anderen stolz auf mich und mochten mich, nur ich selbst stellte mich dabei unfassbar doof an?

Mein Leidensdruck war immens, ich besuchte eine Schema­-Therapie, die darauf abzielt, alte Muster zu durchbrechen. Mein wunderbarer "Shrink" zeigte mir auf, dass Leid und Ablehnung vor allem der bekommt und anzieht, der mit sich selbst umgeht wie die angeblich Bösen. Der seinen inneren Kritiker nicht zum Schweigen bringt. Der sich vergiftet mit ätzenden Gedanken seine Unzulänglichkeit betreffend. Ich brauchte also einen neuen Sound­track für mein Leben.

Die Stimme meiner Eltern, die zu mei­ner eigenen geworden war, sie musste weg. Sie stimmte einfach nicht, sie hatte nie gestimmt. Und wie ich genüge! Und wie ich liebenswert und gut genug bin! Das Kind von früher, welches in uns allen wohnt, es musste nachträglich getröstet und auf den Arm genommen werden. Eine Geste, die es nicht kannte, die ihm aber zustand und es stärken sollte. Die große Judka musste der kleinen endlich die liebe­volle Mutter sein, die sie nie hatte.

Bei meiner Suche nach Veränderung stieß ich auch auf ein Buch, das inzwi­schen eine Art Bibel für mich ist: "Selbstmitgefühl: Wie wir uns mit unseren Schwächen versöhnen und uns selbst der beste Freund werden" von der US­-Bildungspsychologin Kristin Neff. Ich legte auf die Therapie noch einen Kurs drauf, basierend auf den Neff’schen Thesen und mit dem ver­heißungsvollen Titel "Achtsames Selbstmitgefühl". Im Laufe von acht Wochen lernte ich gemeinsam mit anderen, wie ich die "Keiner liebt mich" ­Stimmungsblasen stoppen und nivellieren kann. Mit klei­nen Mantren und Ritualen wie - ja, es klingt bescheuert - täglichen "Ich mag mich"­-Sprüchen morgens vor dem Spiegel oder Selbstumarmung. Denn wenn es gerade keiner macht, warum lege ich nicht selber Hand an? Soll ja auch bei anderen Dinge Freude bereiten - und die sind voll akzeptiert.

Es geht darum, sich selbst Heimat und Familie zu sein, sich gute Dinge anzutun, sich zu bekochen, sich zu beschenken, für sich zu sorgen. Nicht nur für andere, auch für sich! Es geht darum, sich in Situationen, die Ärger, Leid oder Selbsthass generieren, die Beruhigung angedeihen zu lassen, die man womöglich von anderen erwartet. Und das alles ist kein Hexenwerk, es funktioniert vor allem durch Wiederholung. Nur die wird meinen alten Soundtrack überspielen. Die Logik ist so ein­fach wie bestechend: Wenn ich nicht selbst gut zu mir bin, warum sollten es dann andere sein?

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Brigitte 10/2019

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