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Das Recht auf schlechte Laune

Das Recht auf schlechte Laune
© Hans Ferreira/Corbis
Guck doch nicht so böse! An manchen Tagen sind solche Sprüche die Hölle. BRIGITTE WOMAN-Autorin Regina Kramer fordert ein Recht auf schlechte Laune.

Aus heiterem Himmel kam sie an einem Dienstag bei mir vorbei. Ich achtete nicht besonders auf sie. Am Donnerstag verkleidete sie sich als Laus und lief mir über die Leber. Am Samstag verhagelte sie mir die Petersilie, da konnte ich sie nicht mehr ignorieren. "Wer bist du? Was willst du von mir?", fragte ich. "Ich bin deine schlechte Laune und wohne jetzt bei dir", sagte sie.

"Kein Bedarf", murmelte ich.

"Sag das nicht", antwortete meine schlechte Laune selbstbewusst.

In den nächsten Tagen ging ich Freunden und Kollegen als Miesepeter auf die Nerven. Wer konnte, machte einen Bogen um mich. Wer nicht konnte, versuchte mich aufzuheitern: Denk doch mal positiv! Mach Sport! Lies ein schönes Buch!

Plötzlich klopft die schlechte Laune an

Gutgelaunte sind die Hölle für Schlechtgelaunte. Wer mies drauf ist, hat nicht nur keine Lust, das Leben zu genießen. Er weiß, dass das Leben ungenießbar ist. Jedenfalls jetzt. Weil die Diät nicht hilft.

Weil es zu viel Elend auf der Welt gibt. Weil der Mann und das Kind einem auf die Nerven gehen. Weil man nicht mal mehr sagen kann, dass man schlechte Laune hat, weil man seine Tage hat. Weil man nicht mehr seine Tage hat. Es gibt so unendlich viele Gründe für schlechte Laune, dass ich mich wundere, warum nicht alle Welt dauernd nörgelt.

Nörgeln ist uncool. Gut drauf sein ist angesagt!

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Wenn man jemanden fragt, wie es ihm geht, reicht nicht mehr die schlichte Antwort "Gut". Wir sagen heute: "Bestens." Oder: "Alles klar!" Wie kann jemals alles klar sein? Wir genießen wie besessen jeden Moment - als wär’s der letzte? Wir sind entschlossen, unser Bestes zu geben - aber was ist das? Und wer das Leben nicht "easy going" hinkriegt, der kann in tausend Ratgebern nachlesen, wie die Übellaunigkeit verschwindet. Warum muss sie eigentlich verschwinden? Und wohin?

"Sehr gute Fragen", sagte meine schlechte Laune, die sich inzwischen häuslich bei mir eingerichtet hatte. Wir schliefen in einem Bett, wir standen morgens gleichzeitig mit dem falschen Fuß auf. Wir meckerten über alles und jeden. Und selbstverständlich gingen wir gemeinsam viele Sachen einkaufen, die ich, weiß Gott, nicht brauchte. Meine schlechte Laune grinste zufrieden vor sich hin.

Psychologen raten, sich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen

Psychologen raten, sich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen, um sie anzuerkennen. Klingt klug. Wen eine Missstimmung nur mal kurz anfliegt, der muss sie nicht ergründen. Dass meine muffelige Mitbewohnerin sich nicht freiwillig vom Acker machen würde, hatte ich schon begriffen. Also würde ich ihr einen Namen geben, damit sie sich ernst genommen fühlt. Das ist schließlich eine Frage der Höflichkeit. Ich musste nicht lange überlegen: Ich taufte meine schlechte Laune auf den Namen Hermine. Fragen Sie mich nicht, warum. Hermine fragte auch nicht und ließ mich für den Rest des Tages in Ruhe.

Trübsal blasen kann jeder. Schon immer. Allerdings brauchte man früher ein Instrument dazu. In der christlichen Mythologie wurde die Zeit vor dem Weltuntergang mit sieben Posaunen angekündigt, damit die Bevölkerung wusste, was demnächst blüht. Der globale Untergang fand nicht statt, die dazu passende Stimmung ist geblieben. Aber anstatt das große und kleine Elend weiterhin, wenn schon nicht mit Posaunen, dann doch wenigstens mit Pauken und Trompeten, öffentlich zu verkünden, grämen wir uns heute still und heimlich. Das alte Bild von der Laus, die uns über die Leber gelaufen ist, erinnert uns vage daran, dass die Leber einst als Sitz der Gefühle angesehen wurde. Gefühle schwanken. Gefühle sind launisch.

Schlechte Laune ist wie der Mond

"Laune" kommt von "Luna" (lateinisch für Mond), und der Mond kommt und geht. Launen auch. So kann man das sehen. Oder so:

Die Fähigkeit, die Welt heute als schön und morgen als verdrießlich zu empfinden, scheint angeboren zu sein. Babys quengeln manchmal ohne ersichtlichen Grund. Sie wenigstens werden noch auf den Arm genommen und getröstet. Immerhin können sie ja noch nicht sagen, was ihnen nicht passt. Mit dem Trost ist es irgendwann vorbei, wenn das Kind mies drauf ist. Was willst du denn, kannst du nicht endlich Ruhe geben, lieb sein, schön spielen?, fordern die entnervten Eltern. Das Kind kann es nicht und wirft mit Bauklötzchen um sich und schreit. Wer frustrierte, schreiende und trampelnde Kinder auf dem Spielplatz oder an der Kasse im Supermarkt beobachtet, ahnt, wie viel Energie hinter schlechter Laune stecken kann. Musst du denn immer deinen Kopf durchsetzen?, sagen Mama und Papa, und das klingt nach Vorwurf.

Wenn ich den Grund für dich verstanden habe, wirst du überflüssig

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Wenn man irgendwann aufgehört hat, auf seinen Kopf (oder den Bauch oder das Herz) zu hören, wenn man seine Wünsche vergessen hat, weil sie der Umwelt unbequem sind, dann bleibt die schlechte Laune als der abgestandene und unverständliche Rest von heftigen Gefühlen übrig. Eigentlich ist man unzufrieden, zornig oder traurig. Eigentlich müsste man etwas verändern und weiß nicht, wie. Das möchte man sich nicht eingestehen. So wird die schlechte Laune zur verharmlosenden Verkleidung, die man nicht so ernst nehmen muss.

Alle Achtung, sagte Hermine, meine schlechte Laune, zu mir. Du fängst an, mich zu verstehen. Das kann nicht in deinem Interesse sein, sagte ich. Wenn ich den Grund für dich verstanden habe, wirst du ja möglicherweise überflüssig.

Mach dir keine Sorgen, sagte Hermine, dann suche ich mir ein anderes Opfer.

Zur Belohnung meiner Detektivarbeit gestattete mir Hermine zuerst einen Kinobesuch und dann ein Essen in einem Restaurant mit einem Freund. Sie selbst würde garantiert bei mir zu Hause bleiben und mir nicht den Abend versauen. So war es dann auch.

Schlechte Laune ist gut informiert

Gut gelaunt kann man sich besser Gedanken über schlechte Laune machen. Es muss doch einen Sinn haben, dass die meisten Menschen Missstimmungen gut kennen. Aus der Sicht von Evolutionsbiologen sind vermeintlich schlechte Gefühle wie Pessimismus, Schwermut und Trübsinn durchaus nützlich. Negative wie positive Emotionen dienen uns als Wegweiser zum optimalen Überleben. Schwarzseher gehen davon aus, dass alles schiefläuft. Im Idealfall wappnen sie sich so besser gegen Fehlschläge. Wer alle Risiken einer bevorstehenden Situation in Einzelheiten durchspielt, kann auch effektiver planen, um Enttäuschungen vorzubeugen. Fröhliche und euphorisch gestimmte Menschen dagegen sind so überzeugt davon, dass sie schon aus allem das Beste machen werden, dass sie Gefahr laufen, mit rosaroter Brille zwar, aber dennoch blind in die nächste Falle zu tappen.

Optimismus ist bloß ein Mangel an Informationen. Sagen Skeptiker. Zweifel machen sicher keine gute Laune, aber sie erhöhen die Aufmerksamkeit. Ärger gibt einem das Gefühl, nicht alles im Leben klaglos über sich ergehen lassen zu müssen.

Schlechte Laune hat nichts mit Depressionen zu tun

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Bei Depressionen fällt die Seele in einen Abgrund. Bei schlechter Laune ist sie lediglich verschnupft. Das fühlt sich zwar ebenfalls nicht gut an, hat aber einen Vorteil: Die anderen bleiben auf Distanz. Ansteckungsgefahr. Endlich darf man Pause machen von den Ansprüchen einer Umwelt, die ausschließlich auf Erfolg und Leistung setzt.

Vor lauter modernen Glücksversprechen und dem Anspruch, alles positiv zu sehen, haben wir vergessen, dass das Leben eine Mischung aus Glück und Melancholie ist. Die Kunst besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen beiden Seelenzuständen zu finden. Die Seele reagiert auf das, was ihr begegnet. Wir aber erwarten heute von ihr und uns, in allem das Beste zu sehen. Aber welchen Sinn kann es haben, wenn wir uns in Situationen nicht mehr schlecht fühlen dürfen, in denen es eigentlich angemessen wäre? Wir würden unsere schlechten Gefühle nur noch als Beweis für unser persönliches Scheitern sehen: unfähig, das Leben, egal wie es ist, zu genießen. Das ist nicht nur realitätsfremd, das macht auch endgültig schlechte Laune.

Hermine ist weg. Keine Ahnung, seit wann genau. Ich würde nicht sagen, dass sie mir fehlt. Aber interessant waren die Tage mit ihr schon. Ich rufe eine Freundin an. Nein, sie will nicht mit mir spazieren gehen. Nein, sie hat keine Lust auf Kino. Ja, das Leben ist so was von öde. Und überhaupt. Da wird mir klar, wo Hermine jetzt ist.

Text: Regina Kramer Foto: iStockphoto

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