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Ich bin neidisch auf dich! Warum es gut ist, offen dazu zu stehen

neidisch
© Shutterstock /microcosmos
Jeder von uns ist manchmal neidisch. Doch zugeben mag das keiner. Dabei lohnt es sich, offen mit dem hässlichen Gefühl umzugehen. Denn verdrängter Neid kann uns zerfressen.
Text: Birgit Schönberger

Ein überraschender Anruf

Eine Freundin, von der ich länger nichts gehört hatte, rief an und wollte sich mit mir verabreden. Wir plauderten eine Weile, sie erzählte von ihrem Liebeskummer, geplatzten Aufträgen, dem Frust über die aktuelle Flaute und ihren Zukunftsängsten.

Als sie mich irgendwann fragte: "Und wie geht es dir so?", war ich vom Zuhören bereits ermattet, ein zarter Grauschleier hatte sich auch auf meine Seele gelegt, trotzdem antwortete ich wahrheitsgemäß mit "Gut. Ich hab grade eine richtig gute Phase. Ich arbeite in einem tollen Projekt mit, das macht großen Spaß und läuft bis ins neue Jahr".

Danach war es eine Weile still in der Leitung. "Okay, dann bis nächste Woche beim Italiener", sagte meine Freundin.

Eine halbe Stunde später klingelte das Telefon wieder. Meine Freundin sagte:

"Ich will mich doch nicht mit dir treffen. Ich ertrage es nicht, dass bei dir Sachen klappen, die ich mir auch wünsche. Davon will ich im Moment nichts hören. Das macht mich total neidisch."

Im ersten Moment war ich perplex. Hallo, geht's noch? Schon mal was von Mitfreude gehört? Muss es mir jetzt auch schlecht gehen, nur weil bei ihr gerade alles schiefgeht? Muss ich auch jammern aus purer Solidarität und damit ich keine Missgunst provoziere? Bin ich nur als Kummerkasten interessant?

Neid, dieses verbotene, giftig gelbe Gefühl

Doch nachdem ich den ersten Schock verkraftet und wieder vollständig ausgeatmet hatte, dachte ich: Wow. Reife Leistung. Wagt sich aus der Deckung mit diesem verbotenen, hässlichen, giftig gelben Gefühl, das normalerweise schamhaft verleugnet wird. So mutig bin ich selten.

Erfahrungsgesättigte Frauen behaupten ja gern, sie hätten Neid nicht mehr nötig.

Neid? Ist das nicht etwas für Endzwanzigerinnen, die noch glauben, das Gras sei immer grüner auf der anderen Seite? Die ihre beste Freundin um den Kerl, den Karrieresprung und die Körbchengröße beneiden, weil sie noch nicht wissen, dass auch Traumtypen Albträume verursachen. Dass jeder Job - auch der mit der Silbe Top davor - Stress und Kummer machen kann und der schönste Busen irgendwann den Kampf gegen die Schwerkraft verliert.

Wird der Neid wirklich weniger mit dem Alter?

Mein persönlicher Lebensplan war, spätestens mit 50 vollkommen in mir zu ruhen und so weise und abgeklärt zu sein, dass der Neid sich nicht mehr über die Türschwelle traut. Ich wollte mir entspannt dabei zuschauen, wie die letzten Neidpartikel in der Nachmittagssonne der Lebensmitte friedlich dahinschmelzen.

War ein super Plan, ein bisschen ambitioniert vielleicht, hat deshalb leider nicht ganz funktioniert. Kein Wunder, wie ich inzwischen weiß. Denn Neid ist wie Unkraut. Er vergeht nicht und findet immer neuen Nährboden.

Neid verändert sich im Laufe des Lebens

Die Berliner Psychoanalytikerin Anneli Bittner sagt: 

"Neid verändert sich nicht grundsätzlich. Wir entwickeln jedoch mit zunehmendem Lebensalter mehr Neidtoleranz, können uns eher eingestehen, dass wir neidisch sind, und lernen mit der Zeit, dieses unangenehme Gefühl auszuhalten und vielleicht sogar als Antriebskraft zu nutzen, um etwas zu verändern."

Wichtig sei, sich über die eigene Scham hinwegzusetzen und den eigenen Neid zuzugeben und auch den der anderen zu spüren.

"Ein verdrängter Neid ist viel gefährlicher, er nagt von innen und kann einen zerfressen."

Gut, ich gebe also zu: Ich bin immer noch neidisch. Allerdings sucht sich mein Neid jetzt andere Objekte. Zwischen 20 und 30 habe ich besser betuchte Freundinnen um Fernreisen, Dachgeschosswohnungen und tolle Klamotten beneidet. Heimlich natürlich, denn offiziell war ich nur an inneren Werten interessiert.

Mit Mitte 30 war ich neidisch auf alle in meiner Nähe, die stolz ihre schwangeren Bäuche präsentierten. Die Angst, nie den richtigen Mann zu treffen, machte es mir unmöglich, mich mitzufreuen.

Heute sind mir die Malediven und riesige Altbauwohnungen herzlich egal, ich genieße völlig neidfrei Einladungen auf Dachterrassen, höre mir voller Wohlwollen exotische Reiseberichte an und freue mich über jedes Baby, das sich ankündigt. Dafür spüre ich einen Stich, wenn meine Stimmung gerade Richtung Düsternis kippt und ich dann eine Freundin treffe, die Leichtigkeit und Lebensfreude ausstrahlt und der das Glück aus allen Poren trieft.

Neidisch auf das Glück

Hat sich mein Neid von äußerem Glanz auf innere Zustände verlagert? Offensichtlich bin ich nicht die Einzige, der das so geht. Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass Glück nicht proportional zur Anzahl der Handtaschen im Schrank steigt und man sich auch an weißen Sandstränden mies fühlen kann.

"Andere glücklich und zufrieden zu sehen, ohne es selbst zu sein, ist die größte Herausforderung für den Neid", hat der Frankfurter Sozialpsychologe Rolf Haubl in seiner Studie "Neid in Deutschland" nachgewiesen. Oder, um es in der Wirtschaftssprache zu sagen: Glück und Zufriedenheit sind heute die knappsten Güter. Und was knapp ist, weckt Begehrlichkeiten und erregt Neid.

Jede Frau hat ihren schwachen Neid-Punkt

Anneli Bittner glaubt, dass jede Frau einen speziellen empfindlichen Punkt hat, an dem sie richtig neidisch wird. Das kann der Neid auf die Schönheit, das Lebensgefühl, die Ehe, das Bankkonto oder den beruflichen Erfolg der anderen sein.

"Dieser Punkt ist lebensgeschichtlich eingestanzt, es ist meist eine tief sitzende Erfahrung, als Kind zu kurz gekommen, benachteiligt oder entwertet worden zu sein. Das gilt natürlich genauso für Männer, nur Frauen tun sich meist noch schwerer, mit Neid umzugehen. Sie haben keine Rituale dafür entwickelt."

Neid schrumpft also nicht durch Lebenserfahrung, dafür wächst die Chance auf friedliche Koexistenz mit ihm. Zumindest in der Theorie.

Praktisch wird es im Zeitalter von Social Media immer schwieriger, mit sich zufrieden zu sein und damit dem Neid die Nährstoffe zu entziehen. Forscher der TU Darmstadt haben in einer großen Studie nachgewiesen, dass Facebook Neid in extremer Weise schürt durch die Provokation eines suchtartigen Verhaltens, das man Vergleicheritis nennen könnte. Der ständige Abgleich mit den scheinbar erfolgreicheren und glücklicheren Freundinnen bringt die Nutzerinnen dazu, noch tollere Reisefotos, Event- und Erfolgsmeldungen von sich zu posten, was wiederum den Neid der anderen weiter anheizt. Eine endlose Abwärtsspirale, die zutiefst unzufrieden macht.

Endlich mal ein Problem, das ich nicht habe, war mein erster spontaner Gedanke. Ich bin in einem Alter, in dem ich mir das Recht herausnehme, nicht mehr jeden Trend mitzumachen. Ich habe mein Leben zur Facebook-, Twitter- und Smartphone-freien Zone erklärt.

Meine persönliche These zum Darmstädter Befund ist: Neidisch macht der Anblick der strahlenden Gesichter, die auf Bali in die Kamera grinsen. Die Ahnung, dass da draußen jemand ist, der offensichtlich rundum glücklich ist, während man selbst trüb auf dem Sofa hängt - das ist es, was miese Laune macht.

Hinschauen: Warum bin ich so neidisch auf die Kollegin?

Meine Social-Media-Askese bewahrt mich allerdings nicht völlig vor Neidattacken. Immer wieder klicke ich wie ferngesteuert die Website einer sehr erfolgreichen jüngeren Kollegin an. In der Hoffnung, einen versteckten Hinweis auf ein Scheitern zu finden, damit ich nicht ganz so schlecht abschneide im Vergleich. Und vielleicht auch, weil ich wider besseres Wissen hoffe, dass doch noch ein Wunder geschieht und ich eine andere werde. Eine, die sich auch super verkauft, weniger zögerlich ist, richtig auf die Kacke haut.

Im Stillen beschimpfe ich die Kollegin: Alles nur heiße Luft, steckt doch nichts dahinter, du bläst dich nur auf. Eigentlich hast du doch nur Glück gehabt, dass jetzt alle auf dich abfahren. Verdient hast du das nicht! Ich bin doch in Wirklichkeit viel besser...

Wenn ich es mir genauer überlege, bin ich nicht neidisch auf ihr Einkommen und die Aufträge, die sie kriegt, sondern auf die Lässigkeit, mit der sie sich inszeniert. Die hätte ich auch gern. Zum Teufel mit den ewigen Selbstzweifeln. Womit wir wieder bei den inneren Zuständen wären.

Die Älteren beneiden die Jüngeren um ihr Selbstbewusstsein

Die Psychiaterin Anneli Bittner glaubt nicht, dass es ein Zufall ist, dass es ausgerechnet eine jüngere Kollegin ist, die diese miesen Gefühle bei mir hervorruft. Sie beobachtet bei der Generation der heute um die 50-jährigen Frauen einen wachsenden eifersüchtigen Neid auf die jüngeren, die so viel selbstbewusster und cooler wirken.

Schon während der Schulzeit waren sie ein Jahr in Sydney oder Kapstadt, sprechen drei Sprachen fließend und bewerben sich mit 30 ohne Angst auf den Chefsessel. Zu allem Überfluss sehen sie auch noch eindeutig knackiger und frischer aus.

Und dann gibt es in meinem Umfeld noch einen neuen Neid: Wenn mir vor 20 Jahren jemand prophezeit hätte, dass das Schnarchthema Altersvorsorge zum Neidauslöser avancieren würde, hätte ich ihm einen Vogel gezeigt.

Tatsächlich beobachte ich, dass die Wörter Betriebsrente, Rentenfonds oder Aktiendepot jede fröhliche Frauenrunde sprengen oder zum Verstummen bringen.

"Die Rente ist ein großes Neidthema unter Frauen",

bestätigt die Psychoanalytikerin Anneli Bittner. "Frauen, die gut dastehen, trauen sich kaum, das zu erzählen, weil sie den Neid der anderen befürchten." Und dieser Neid sei durchaus berechtigt. "Es gibt Frauen, die durch eine Betriebsrente hervorragend abgesichert sind, und andere, die genauso viel in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben, aber viel weniger rausbekommen. Das ist tatsächlich ungerecht."

Genauso wie es ungerecht ist, dass manche mit einem dicken Erbe kalkulieren können und andere leer ausgehen.

Hör auf zu jammern und sorge für dich!

Doch ob berechtigter oder auf purer Projektion beruhender Neid: Neidtoleranz heißt zu akzeptieren, dass andere mehr Glück hatten und man selbst in manchen Punkten vielleicht Pech, und trotzdem die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen und das Beste daraus zu machen.

"Neid ist ein Gefühl, das uns aus einer liebevollen Haltung herauskatapultiert und uns konfrontiert mit dem Selbstbild einer Zukurzgekommenen",

schreibt Verena Kast in ihrem Buch "Neid und Eifersucht". Das tut weh, ist aber auch eine große Chance. Neid kann ein Weckruf sein. "Los, kümmer dich um deine Sehnsüchte. Hör auf zu jammern, beweg deinen Hintern vom Sofa und tu etwas, damit sie in Erfüllung gehen", sagt der produktive Neid. "Hör auf damit, andere abzuwerten, konzentrier dich auf deinen eigenen Wert. Sorge für dich. Sieh zu, dass du bekommst, was du brauchst, um glücklich zu sein."

So verstanden kann Neid sich vom lähmenden Gift zum Antriebsmotor wandeln. Oder zum Beruhigungsmittel, und vielleicht ist es genau das, was wir am allerdringendsten brauchen:

"Schätzchen, entspann dich. Die anderen kochen auch nur mit Wasser. Du bist jetzt alt genug, um zu wissen, dass du keine andere mehr wirst. Du bist das Beste, was du kriegen kannst. Also sei gnädig mit dir oder mach dich auf die Socken."

So betrachtet wird mir der Neid, die alte Giftschleuder, fast schon sympathisch.

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