Neuerdings werden wir Älteren geradezu bejubelt: hervorragend ausgebildet, erfolgreich im Beruf, liebevolle Mütter, dazu sportlich und mühelos zehn Jahre jünger aussehend, als sie sind... Danke für die Blumen. Was viele im Alltag erleben, passt so gar nicht zu diesen Lobeshymnen. Oft werden wir schlichtweg übersehen, als seien wir gar nicht da. Auf der Straße lassen Männer den Blick gleichgültig über uns hinweggleiten, drängeln uns womöglich beiseite: "'tschuldigung, hab Sie gar nicht gesehen." In einer Runde am Tisch werden meist nur die jungen Frauen angesprochen und interessiert ausgefragt, von uns will keiner etwas wissen. Flirten? Doch nicht mit der Alten.
Wir sind es leid. Dass eine Frau sich irgendwann aus dem Leben zurückziehen müsse, unauffällig gekleidet und wortlos, das ist ein uraltes Diktat. Doch schon zu Zeiten unserer Großmütter haben Frauen sich dagegen aufgelehnt. Heute, im 21. Jahrhundert, hat es endgültig keinen Bestand mehr. Wir weigern uns, in den Kulissen zu verschwinden, sobald wir die ersten Falten kriegen. "Ihr Frauen habt doch schon alles, was wollt ihr denn jetzt noch?", stöhnen Männer häufig. Ganz einfach: wahrgenommen werden. Als Mensch. Als Profi im Beruf. Als interessante Gesprächspartnerin. Als Frau. Warten Sie nicht auf einen Sinneswandel in der Gesellschaft - tun Sie selbst etwas für sich! Wir geben Ihnen acht Strategien an die Hand.
1. Loslassen
Es stimmt, wir sind nicht mehr 20. Die junge Frau von früher ist inzwischen längst erwachsen, und das Leben hat seine Spuren hinterlassen, auch am Körper und im Gesicht. Schade einerseits - doch was viele vergessen: Jung zu sein ist auch nicht das pure Glück. Allein das wacklige Selbstvertrauen, die Unsicherheit, der Kummer um zu wenig Busen, zu dünne Haare oder zu dicke Oberschenkel - wer wünscht sich das ernsthaft zurück? Nicht mehr jung zu sein heißt auch: wissen, wo wir stehen. Den eigenen Stil gefunden haben, Lebenserfahrung und Sicherheit besitzen. Machen Sie sich das immer mal wieder bewusst. So wird es leichter, sich von dem Teil Ihres Lebens zu verabschieden, der endgültig in die Vergangenheit gehört. Und Sie gewinnen Energie für das, was noch kommt.
2. Stärken ausspielen
Ältere haben den Jungen viel voraus: Lebenserfahrung und Wissen zum Beispiel. Doch viele suchen den Vergleich ausgerechnet dort, wo sie nur verlieren können: in der Jugendlichkeit. Sich optisch jünger zu machen gelingt nie ganz, sondern immer nur zum Teil: Chirurgen können die Gesichtshaut liften, aber nicht die Hände, die Bewegungen oder die Stimme. Flickenjeans oder T-Shirts mit witzigem Aufdruck machen paradoxerweise optisch sogar älter. Das Make-up, das für eine 30-Jährige genau richtig ist, passt 15 Jahre später vielleicht gar nicht mehr zum Hautton und zur Haarfarbe. Und eine betont jugendliche Sprache klingt bei Erwachsenen leicht peinlich. Statt junge Frauen zu imitieren, spielen Sie die Stärken aus, die Sie im Lauf der Jahre erworben haben. Etwa Ihre souveräne Art und Ihren ganz persönlichen Stil in der Kleidung und im Auftreten.
3. Aktiv werden
Manche Männer nehmen nur die Frauen wahr, die in ihr "Beuteschema" passen: Alle anderen ignorieren sie, oft ohne es zu merken. Das ist besonders unangenehm, wenn so ein Mann in einer Gruppe die Anführerrolle spielt. Dann kann es nämlich sein, dass alle anderen, auch die Frauen, die Ältere ebenfalls nicht ansprechen und sie womöglich stundenlang als Statistin dabei sitzen lassen. Wenn Sie sich in solchen Situationen gekränkt zurückziehen oder schweigen, ist das verständlich aber schlecht für Ihr Selbstbewusstsein. Ergreifen Sie die Initiative, mischen Sie sich ins Gespräch ein - am besten mit einer direkten Frage an den "Ausblender". Dann kann er gar nicht anders, als sich Ihnen zuzuwenden und Ihnen zu antworten. Wie viel er tatsächlich zu sagen hat, werden Sie dann ja hören.
4. Erotisch bleiben
Weiblichkeit vergeht nie. Auch ohne Mikromini und tiefes Dekolleté können Frauen schön sein und anziehend wirken, in jedem Alter. Erotisch sind Frauen, die ganz selbstverständlich ihre Gefühle zeigen und sich in andere einfühlen. Frauen, die spontan und herzlich lachen können oder jemanden zart mit ihren Händen berühren. Frauen mit einer warmen, angenehmen Stimme. Nehmen Sie wahr, was an Ihnen besonders schön, sinnlich und erotisch ist. Freuen Sie sich an diesen Eigenschaften, pflegen Sie sie, zeigen Sie sie. So bleiben Sie erotisch, ein Leben lang.
Einfach unsichtbar? Fünf Frauen über ihre Erfahrungen
"Eine Veranstaltung mit vielen Journalisten. Ich sitze in der ersten Reihe. Rechts von mir eine attraktive junge Kollegin, blond. Links von mir eine attraktive junge Kollegin, dunkelhaarig. Der Chefredakteur einer großen deutschen Wochenzeitung steuert auf uns zu. Ich kenne ihn seit vielen Jahren, auch privat. Er begrüßt die beiden schönen Frauen mit Handschlag, mich übersieht er. Ich zische ihm eine unsouveräne, zickige Bemerkung entgegen, für die ich mich heute noch schäme. Es handelte sich übrigens nicht um einen Blödmann, sondern um einen Kollegen, den ich sehr schätze. Das schmerzt besonders. Fazit: Als ältere Frau wird man von vielen Menschen - Männern wie Frauen - einfach nicht gesehen, was ziemlich gefährlich sein kann, zum Beispiel beim Überqueren der Straße." Karin Weber-Duve, ehemalige BRIGITTE WOMAN-Redaktionsleiterin
"Italien habe ich immer geliebt, nur die Papagalli sind mir im Urlaub wahnsinnig auf die Nerven gegangen. Blond und blaue Augen - darauf reagieren sie ja schon auf 100 Meter Entfernung. Ich war längst verheiratet und hatte meine beiden Kinder im Schlepptau, da haben sie mir noch nachgestellt, gepfiffen oder mich in Cafés angesprochen. Neulich war ich wieder mal in Rom, nach zehn Jahren das erste Mal. Saß stundenlang auf der Piazza, ging Schuhe shoppen, nett essen –und niemand guckte mich auch nur an. Fand ich doch irritierend. Ich habe mir plötzlich gewünscht, irgendein Italiener würde mir wenigstens einen heißblütigen Blick zuwerfen. Das, was mich früher genervt hat, fehlte mir plötzlich. Weil mir klar wurde: Jetzt bist du aus der Zone raus, in der du für die Männer eine vollwertige Frau bist." Susanne Kern*
"Ich musste mich nie anstrengen, was Männer anging. Lief immer in lässigen T-Shirts und Jeans rum und wickelte die Kerle trotzdem um den Finger. Irgendwie ist das vorbei. Die T-Shirt-Nummer zieht nicht mehr. Als ich das mitkriegte, begann ich erstmal, meinen Kleiderschrank auszumisten. Lauter schicke Klamotten habe ich mir zugelegt, mit großen, auffälligen Mustern, und ein paar richtig tolle Designerstücke. Da gucken mir schon ein paar Männer hinterher, aber es sind so flüchtige Blicke. Das ärgert mich, weil ich das Gefühl habe: Jetzt hast du als Accessoires ein paar Falten im Gesicht, und schon passt ihnen das Gesamtbild nicht mehr. Und ich bin wütend auf mich selbst, weil ich mich extra anders anziehe, damit andere mich wieder wahrnehmen. Das sollte mir doch eigentlich nicht wichtig sein - aber es ist eben doch wichtig für mein Gefühl als Frau." Beate Lehmann*
"Mein Verschwinden begann mit einer Anhäufung von Problemen. Einer Ehe, die keine mehr war, einer Jobsituation, die mir Angst machte, genau wie alles andere, das unvorhergesehen auf mich einprasselte. Weil ich aber nicht wusste, was ich stattdessen tun konnte, begann ich Gewicht zuzulegen und aus Selbstschutz unsichtbar zu werden. Nach meiner überfälligen Scheidung suchte ich Hilfe bei einer Psychotherapeutin und lernte unter anderem: "Die Anderen sehen nur das von Ihnen, was Sie selbst von sich sehen." Boah, das saß! Aber in kleinen Schritten kam dann eins zum anderen. Entscheidungen und Verantwortung im Job bringen mir heute wieder Spaß. Als Kollegen mich ansprachen: "Willst du nicht für den Betriebsrat kandidieren?", habe ich mich spontan dazu entschlossen, wurde gewählt - und bin mit Begeisterung dabei. An der Schule meines Sohnes habe ich mich einer Arbeitsgruppe aus Eltern, Lehrern und Schülern angeschlossen, die Info-Veranstaltungen zur Suchtprävention organisiert. All das kostet natürlich Zeit, strengt mich auch an - aber ich bekomme so viel Anerkennung und "unsichtbar" bin ich bestimmt nicht mehr! Dafür werde ich immer leichter: In den letzten Monaten habe ich "mal eben" 25 Kilo abgenommen. Mein Idealgewicht habe ich noch nicht, aber schon jetzt viel mehr Selbstbewusstsein."
Astrid Schulz*
"Wenn ich so richtig darüber nachdenke: Habe ich mich früher denn "gesehen" gefühlt? Wahrgenommen als Mädchen, als Frau, so wie ich bin und war, oder musste ich immer Bedingungen erfüllen, um akzeptiert zu werden? Brav lernen, artig sein, hübsch aussehen, den Konventionen entsprechen? Machen wir uns nichts vor: Auch Zwanzigjährige werden nur gesehen, wenn sie dem Trend entsprechen, modisch gekleidet sind, lifestylig leben, was immer man darunter verstehen mag. Mit "Birkenstock"-Sandalen, etwas Übergewicht und weiten Hosen ist man als junge Frau ebenso unsichtbar wie als reiferes Semester. Ich stehe als TV-Moderatorin seit mehr als 20 Jahren in der Öffentlichkeit, man konnte meinen Weg von der jungen zur älteren Frau öffentlich verfolgen. Ich habe inzwischen natürlich Falten, meine Haut ist sichtbar nicht mehr so straff. Wo ist das Problem? Ich versuche nicht "auf jung" zu machen und das ist auch gar nicht nötig. Ich bin überzeugt davon: Wenn man sich nicht gesehen fühlt, hat das nichts mit einer ungerechten Welt oder dem Alter zu tun. Es hängt einzig und allein von der eigenen Vorstellung ab, als wer oder was man angesehen wird." Roswitha Greiner*
*Namen geändert
5. Das Gute sehen
Negative Erfahrungen und Erlebnisse prägen sich viel stärker ein als positive. Das ist genetisch bedingt: Für unsere Urahnen war es überlebenswichtig, sich an Gefahren zu erinnern. Noch heute verhalten sich Menschen nach diesem Prinzip - sogar dort, wo es keinen Sinn macht: Wenn wir einmal ignoriert wurden, nehmen wir Situationen, in denen wir beachtet werden, andere mit uns ins Gespräch kommen wollen, gar nicht mehr wahr. Das glauben Sie nicht? Wenn Sie das nächste Mal mit einer Freundin ausgehen, bitten Sie sie, darauf achten, wer Sie interessiert anschaut, anspricht oder Ihnen aufmerksam zuhört. Das sind garantiert mehr Menschen, als Sie selbst wahrnehmen.
6. Darüberstehen
Ja, es kommt vor, dass eine Frau, die nicht mehr jung ist, ignoriert oder gar beleidigt wird. Das allerdings kann jedem passieren, ganz zu schweigen von denen, die von vornherein als Außenseiter definiert sind. Es gibt einfach zu viele unsensible Menschen, Männer wie Frauen, auf der Welt, die sich leider nicht benehmen können. Nehmen Sie das nicht persönlich. Sagen Sie sich: Nicht mein Problem. Was kümmert es den Mond, wenn ihn ein Hund anbellt.
7. Sichtbar werden
Viele Frauen neigen zur Tarnung - weil sie sich selbst nicht attraktiv finden oder meinen, "in diesem Alter" sei eine unauffällige Erscheinung angebracht. Also her mit Größe XL, gedeckten Farben und einem praktischen Nullachtfünfzehn- Haarschnitt. Schluss mit dem Verstecken! Zeigen Sie sich so, wie Sie am schönsten sind. Wagen Sie sich an eine ungewohnte Farbe, ein besonderes Schmuckstück, ein neues Make-up, eine andere Frisur. Falls Sie Ihrem eigenen Urteil nicht trauen, holen Sie eine stilsichere Freundin zur Hilfe oder lassen Sie sich professionell beraten, etwa in guten Fachgeschäften.
8. Sich selbst mögen
Wir säen, was wir ernten. Anders gesagt: Andere nehmen uns so wahr, wie wir selbst es tun. Auch ohne Worte, allein durch unsere Körpersprache drücken wir aus, wie wir von uns denken. Und unsere Umgebung nimmt das, was wir von uns zeigen, für bare Münze. So werden unsere Gedanken zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Wer sich selbst gering schätzt, wird von anderen ebenso behandelt. Oder gar nicht erst wahrgenommen.
Nehmen Sie sich vor, in Zukunft gut von sich als Frau zu denken. Sobald Sie sich bei einem abwertenden Gedanken erwischen wie "Ich habe schon so viele Falten", setzen Sie einen positiven dagegen: "Dafür ist mein Lachen viel schöner als früher." Das geht nicht von heute auf morgen - neue Denk- und Verhaltensmuster einzuüben braucht Zeit und Geduld. Bleiben Sie trotzdem dabei. Signalisieren Sie allen: "Hier bin ich! Schon gesehen?"