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Last-Minute-Mütter: Egoistisch und narzisstisch?

Last-Minute-Mütter: Egoistisch und narzisstisch?
© Digital Vision/Thinkstock
Immer mehr Frauen bekommen immer später Kinder. Bei BRIGITTE WOMAN-Autorin Evelyn Holst rufen die Last-Minute-Mütter zwiespältige Gefühle hervor.

"Stell dir vor, ich bin wieder schwanger!", strahlte meine Freundin. Ich war fassungslos. Nur zu gut erinnerte ich mich an einen gemeinsamen Urlaub, in dem wir in einem Auto ohne Klimaanlage die gesamte italienische Rivieraküste abklapperten, auf der Suche nach Apotheken und einem bestimmten Hormonpräparat. Sie hatte ihre Pillen gegen Hitzewallungen zu Hause vergessen. "Mist, wenn man so früh in die Wechseljahre kommt und einem der eigene Körper den Saft abdreht", hatte sie - damals 46 - gestöhnt, während ihr der Schweiß übers Gesicht lief.

Also hat sie mit ärztlicher Nachhilfe ihren Körper wieder angeknipst, die biologische Uhr zurückgedreht. Mit 49 bekam sie Zwillinge. Sehr niedliche Jungs übrigens, aber auch sehr wilde. "Mein kleiner Alterungsschub", nennt meine Freundin ihren späten Nachwuchs zärtlich-ironisch, denn sie sieht in der Tat seit der Entbindung keinen Tag jünger aus, als sie wirklich ist. Schlaflose Nächte, chaotische Wohnung - Kleinkinder haben ja einen permanenten Bewegungsdrang. Wenn ich sie auf den Spielplatz begleite, den vor 15 Jahren unsere damals kleinen Kinder verwüsteten, heben wir den Altersdurchschnitt der anwesenden Mamis um mindestens ein Jahrzehnt.

"Findest du nicht auch, dass wir beide ein bisschen zu alt für so was sind?", fragte ich sie kürzlich, als wir fröstelnd auf dem Sandkistenrand kauerten und tobende Kinder beim Kampf ums Spielzeug beobachteten, "also ich würde jetzt lieber auf dem Sofa sitzen und einen Krimi lesen." Sie seufzte nur.

Das Leben scheint plötzlich voller Versprechungen

Natürlich fühlt er sich zunächst einmal gut an, dieser für Ende 40 ungewöhnliche Hormonschub. Und nichts ruft "Junge Frau!" lauter und überzeugender als ein runder Bauch, der eben nicht die Fettschlaufe ist, die sich sonst so hartnäckig um die Körpermitte schmiegt, wenn man seine zweite Lebenshälfte beginnt. In einem Alter noch ganz bewusst schwanger zu werden, in dem andere Frauen über Hormonersatztherapien gegen menopausal bedingte Osteoporose und Depressionen nachdenken, ist wie eine Zeitreise rückwärts. Die bereits etwas ausgetrocknete Haut der Last-Minute-Mami wird wieder saftig und gut durchblutet, der Busen rundet sich auch ohne Silikonimplantate, das Leben scheint plötzlich voller Versprechungen. Auf Jungsein, auf neues Leben, auf Zukunft.

Inzwischen sehe ich sie in meinem gutbürgerlichen Hamburger Viertel immer öfter: hochmittelalterliche Hochschwangere in Skinny-Jeans, aus deren geöffnetem Reißverschluss eine runde Fruchtbarkeitskugel quillt und in deren Blondhaar verdächtiges Grau schimmert, weil gefärbte Strähnen dem Embryo eventuell schaden könnten. Eine Vorsicht übrigens, die Friseure für übertrieben halten.

Last-Minute-Mütter: Egoistisch und narzisstisch?
© sally2001 / photocase.com

"Späte Schwangerschaften, wenn sie bewusst geplant werden, sind wie ein narzisstischer Schub", sagt die Psychologin Heide Gerdts. "Er bedeutet: Ich hab noch alles, bei mir funktioniert noch alles. Ich komm noch durch den TÜV!" Kein Wunder, dass sich die Altersgrenze immer weiter nach oben schiebt. 40 ist das alte 30, 50 das alte 40. Frauen entscheiden sich immer später für ein Kind, weil sie beruflich oft nicht vor Anfang 30 durchstarten oder der Partner mit Papipotenzial erst auftaucht, wenn ihre fruchtbarste Zeit vorbei ist. Außerdem gibt es prominente Frauen wie Annie Leibovitz, die mit 51, oder Gianna Nannini, die mit 54 ihr erstes Kind bekamen, ein dem Fortschritt der Hightech-Fertilitätsmedizin zu verdankender Trend, der rasant zunimmt.

In den USA ist bereits jede fünfte Mutter bei der Geburt ihres Kindes zwischen 35 und 45 Jahren alt, so das Magazin "The New Yorker". Die Zahl der Entbindungen von Frauen ab 50 liegt inzwischen bei weit über 500 pro Jahr. Deutschland zieht nach: Birgit Schrowange, Bärbel Schäfer, Cordula Stratmann, Susanne Holst, sie alle sind um die 50, wenn sie die Schultüte für die Einschulung kaufen. Sängerin und Schauspielerin Ute Lemper bekam 2011 mit 48 ihr viertes Kind. "Wie eine blühende Blüte" habe sie sich in der Schwangerschaft gefühlt.

Alte Eltern sind geduldiger, heißt es

Aber postnatal fühlen sich späte Eltern oft wie ausgewrungen und sind dann das, was meine amerikanische Freundin Susan "verwitterte Erwachsene mit Grübchenbaby" nennt. Dass grau-haarige Opis, die dank Hormontherapie ihrer Frau oft doppelt belegte Kinderkarren durch die Straßen schieben, keine sind, erkennt man an ihrer weiblichen Begleitung, die nicht Enkelin, nicht Tochter, sondern Zweit- oder Drittfrau ist.

Dass Männer wie Fritz Wepper mit 70 plus noch einmal Vater werden, regt deshalb keinen mehr auf, weil sie, wenn sie mit fast 90 zur Abiturfeier erscheinen, vermutlich von einer Jahrzehnte jüngeren Partnerin gestützt werden. Aber was passiert, wenn auch Frauen ihre Vergänglichkeit leugnen und im immer höheren Alter Mütter werden, die nur noch mit Glück, auf jeden Fall als Greisinnen, den 30. Geburtstag ihrer Kinder erleben?

Alte Frauen wollen wir noch weniger als sexuelle Wesen sehen als Männer

Alte Eltern sind geduldiger, heißt es, Rentnerväter haben mehr Zeit und Muße als junge Karriereväter, trotzdem ist er sehr gewöhnungsbedürftig, der Anblick 50-jähriger Mütter, die in der Öffentlichkeit ihre Säuglinge stillen. "Das liegt an den Bildern, die wir abgespeichert haben", sagt Heide Gerdts, "Maria war jung, Joseph war alt. Außerdem hat Fruchtbarkeit etwas mit Sexualität zu tun, alte Frauen wollen wir deshalb noch weniger als sexuelle Wesen sehen als Männer."

Noch ist deshalb die rumänische Professorin Adriana Iliescu, die sich mit 66 Jahren künstlich befruchten ließ und jetzt, mit Mitte 70, Kindergeburtstage ausrichtet, eine Ausnahme. Ein warnendes Beispiel ist die Spanierin María del Carmen Bousada, die mit 67 sogar Zwillinge zur Welt brachte: Bei dem Gynäkologen der Fruchtbarkeitsklinik hatte sie angegeben, Mitte 50 zu sein. Zwei Jahre nach der Geburt ihrer Kinder ist sie gestorben.

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"Vor 20 Jahren habe ich meine Patientinnen gewarnt, die mit Ende 30 noch Mutter werden wollten", erinnert sich ein Frauenarzt, "ich habe sie auf mögliche Gefahren wie das Down-Syndrom oder Früh- und Fehlgeburten aufmerksam gemacht. Tja, und jetzt schicke ich Patientinnen mit Ende 40 zur Befruchtung mit gespendeten Eizellen nach Warschau, weil es in Polen kein Embryonenschutzgesetz gibt. Ich tue es ungern, aber soll ich Gott spielen, wenn sich eine Frau so sehnlich ein Kind wünscht?"

Doch warum will eine Frau in einem Alter, das die Biologie nicht mehr dafür vorgesehen hat, noch ein Kind? "Es ist vor allem der Wunsch nach neuer Verliebtheit", glaubt Heide Gerdts, "nach Symbiose und Zärtlichkeit. Denn die fehlen oft mit einem Partner oder mit älteren Kindern."

Kinder sind konservativ - sie wollen keine Extrawurst

Es ist durchaus egoistisch, einerseits den Zauber des Anfangs zu wollen und sich andererseits nach einem Mittagsschläfchen zu sehnen, wenn das Kind nach Spielen verlangt. Denn in der Länge liegt die Last, wie es so schön heißt, und eine fitte, attraktive 50-Jährige mit Baby oder Kleinkind fühlt sich deutlich anders als eine 65-Jährige mit aufmüpfiger Teenietochter, die kifft, sich tätowiert und ihr die Tür vor der Nase zuknallt. Oder eine 70-jährige Rentnerin mit 25-jährigem Sohn, der gerade zum dritten Mal sein Studienfach wechseln will.

"Späte Kinder zu wollen ist auch deshalb ein bisschen egoistisch", sagt Heide Gerdts, "weil man seinen Kindern zumutet, mit ihrer Scham umzugehen. Und mit der Angst, dass ihre Eltern sterben und sie allein zurücklassen." Kinder sind konservativ, sie wollen keine Extrawurst, und alte Eltern sind eine. Und es kommt der Tag, an dem alte Eltern zu alt für ihre jungen Kinder sind.

Klar ist es schön, dieses junge Leben, wo alles noch auf Anfang gepolt ist. Das soziale Netz, das eben nicht aus Frührentnern mit Zipperlein, sondern aus jungen, hippen Eltern besteht, all die Playdates, Kindergeburtstage, Sonntagnachmittage an der Hüpfburg, wo man nur aufpassen muss, dass man als Elternoldie mit seinen morscheren Knochen und seinem höheren Erschöpfungsgrad nicht unangenehm auffällt.

Auch optisch nicht. Aber wenn man sich um Coolsein bemüht, sich in Highheels und enge Röcke zwängt, um sein Kind beim Abholen von der Schule nicht zu blamieren, dann ist man darin oft die Einzige. Weil die anderen, die jüngeren Mütter, ganz lässig in Jeans und T-Shirt kommen und darin ohne jede Anstrengung cool und jung sind. Aber muss man mit 50 und 60 plus noch cool sein? "Wenn ich ganz ehrlich bin", sagt eine 51-jährige Mutter auf dem Spielplatz und gibt ihrer fünfjährigen Tochter einen Müslikeks, "dann wäre ich am liebsten ihre Oma. Lieb haben und wieder abgeben können, das wär's."

Text: Evelyn Holst

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