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Kinderwunsch vor den Wechseljahren

Die biologische Uhr tickt und der Körper signalisiert plötzlich: Bitte ein Baby! Viele Frauen vor den Wechseljahren bringt dieser Kinderwunsch ins Grübeln..

Wo kommen nur die vielen Kinderwagen her? Wohin ich sehe: Mütter mit diesem glücklichen Ausdruck im Gesicht, den ich auch mal hatte - zuletzt vor 18 Jahren. Plötzlich regt sich ein Gefühl in mir, mit dem ich gar nicht mehr gerechnet hätte: Was, wenn ich jetzt noch mal ein Kind bekäme? Vielleicht eine kleine Tochter, nach den beiden Jungen, die inzwischen schon 18 und 20 Jahre alt sind.

Ein letztes Mal schwanger sein, ein letztes Mal einen winzigen Menschen in mir heranwachsen spüren, noch einmal stillen, Babyduft in der Nase. Sehnsuchtsvolle Momente. Doch schnell meldet sich der Kopf, um mit dem Herzen zu streiten: Wenn ich jetzt, mit 45, ein Baby bekäme, stünde ich kurz vor der Rente, wenn mein Kind 16 Jahre alt wäre.

"Bist du völlig wahnsinnig?", protestiert der Kopf. "Sei froh, dass du die Pubertät der beiden anderen überlebt hast! Denk an das Zittern vor Lateinklausuren, den Kleinkrieg mit den Söhnen ums Nachhausekommen, die schlaflosen Nächte." Recht hat er. Aber der Bauch flüstert: "Jetzt oder nie mehr." Denn viele Jahre bleiben mir nicht mehr, um darüber nachzudenken. Genau genommen weiß ich nicht einmal, ob ich überhaupt noch ein Kind bekommen könnte...

Wechseljahre bedeuten das Ende der Fruchtbarkeit

Kinderwunsch jenseits der 40: Für die Berliner Medizinpsychologin Dr. Beate Schultz-Zehden ist das ein häufiges Phänomen. Die Forscherin beschäftigt sich seit Jahren mit den seelischen Veränderungen zu Beginn der Wechseljahre. Ihre Erfahrung: "Viele Frauen erleben in dieser Phase noch einmal das Sehnen nach einem Kind."

Die Wissenschaftlerin vermutet, "dass sich ein nicht ausgelebter Kinderwunsch stark auf die Psyche auswirken kann, gerade in diesem Alter". Kein Kind mehr bekommen zu können bedeutet vor allem, Abschied zu nehmen von der eigenen Fruchtbarkeit, von einer Phase im Leben, die so nie wiederkehren wird. Ein Haus - kann man später noch kaufen. Einen Mann - auch verlieben kann man sich je derzeit. Aber ein Kind?

In dem Moment, in dem der Körper die Hormonproduktion herunterfährt und keine Eizellen mehr freigibt, ist es damit vorbei, für immer. "Frauen trauern über einen nicht erfüllten Kinderwunsch deshalb nicht mit Anfang 50, sondern eher mit Anfang 40", sagt Forscherin Schultz-Zehden. Dann nämlich, wenn sie theoretisch noch ein paar Jahre die Chance hätten, ein Kind zu bekommen.

Der Abschied vom Kinderwunsch fällt vielen schwer

Dass sich die Sehnsucht rührt, kann dabei ganz unterschiedliche Gründe haben. Vor allem Frauen, die nie ein Baby bekommen konnten, fällt der Abschied vom Kinderwunsch schwer. Aber auch Frauen, die Kinder haben, und Frauen, die bewusst kinderlos geblieben sind, kommen in diesem Alter erneut ins Grübeln. "Wechseljahre bedeutet im wahrsten Sinne des Wortes noch einmal ein Wandel", erklärt die Psychologin. Viele Frauen fragen sich: Wo will ich in den nächsten Jahre hin? Welche Weichen habe ich dafür bereits gestellt? Und welche Türen sind auf meinem Lebensweg schon zugefallen?

Ob Frauen sich leichter oder schwerer von ihrer fruchtbaren Phase verabschieden, hängt auch von der Qualität der Beziehung ab, in der sie leben. Davon ist Professor Isabella Heuser, Direktorin der Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie Charité Campus Benjamin Franklin in Berlin, überzeugt.

Sie hat beobachtet, dass Frauen, "die in ihrer Partnerschaft die große Leere erleben, sich erhoffen, dass ein Baby die Beziehungslosigkeit beendet". Vor allem, wenn große Kinder das Elternhaus verlassen, die Partnerschaft ihre Nestbau-Funktion verliert, soll neuer Nachwuchs die Liebe kitten, (wieder) für Nähe sorgen.

Bleibt die Frage: Könnte es denn überhaupt noch klappen? Wenn eine Frau keine Periode mehr hat, wenn sie regelmäßig Hitzewallungen erlebt, ist klar: Sie befindet sich in den Wechseljahren. Und zwar mittendrin. Möglich wäre eine Schwangerschaft aber jetzt noch, theoretisch. Erst wenn ein Jahr lang keine Blutung mehr eintritt, ist die fruchtbare Phase endgültig vorbei.

Im Schnitt sind Frauen in Europa dann zwischen 51 und 52 Jahre alt, einige aber deutlich jünger, andere älter. Der Hormonhaushalt verändert sich jedoch nicht von einem Tag auf den anderen. Dieser Prozess beginnt schleichend schon lange, bevor erste Auswirkungen zu spüren sind, bei vielen Frauen bereits mit Ende 30. Die Spiegel von Östrogen, Progesteron und anderen Hormonen schwanken in den folgenden Jahren stark. Schon fünf bis zehn Jahre vor der eigentlichen Menopause - also der allerletzten Regelblutung - zeigen sich Symptome. Häufig sind sie aber so diffus, dass die Frauen sie nicht mit dem Ende ihrer Fruchtbarkeit in Zusammenhang bringen. Viele denken bei einer unregelmäßigen Blutung oder Schlafstörungen eher an Stress.

Bizarrerweise scheint der Organismus gerade in dieser frühen Phase der Wechseljahre noch einmal einen hormonellen Endspurt einzulegen. Ein letztes Aufbäumen, das, so vermutet die Hamburger Gynäkologin Dr. Katrin Schaudig, biologischen Sinn macht. Der Mechanismus dahinter: Der Vorrat an Eizellen im Körper, der seit der Geburt in den Eierstöcken schlummert, geht ganz allmählich zur Neige. Als Reaktion darauf steigert der Organismus die Produktion des Follikel stimulierenden Hormons FSH, das im Eierstock Eizellen wachsen und heranreifen lässt. "Vermutlich versucht der Körper in den Jahren vor der Menopause noch einmal, das Letzte aus den verbleibenden Follikeln herauszuholen", sagt Schaudig.

Frauen jenseits der 40 werden häufig mit Zwillingen schwanger

Die Folge dieser hohen FSH-Produktion: Kommt es zum Eisprung, machen sich häufig gleich mehrere Eizellen auf den Weg. Das erhöht zum einen die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, erklärt aber auch, warum Frauen jenseits der 40 überdurchschnittlich häufig Zwillinge zur Welt bringen. Dies stellten Wissenschaftler der Freien Universität Amsterdam kürzlich fest. Sie hatten dazu die Zyklen von hunderten von Frauen verglichen.

"Frauen sind in dieser Phase, die durchaus Jahre anhalten kann, einer hormonellen Achterbahn ausgesetzt", sagt Katrin Schaudig. Das wirbelt nicht nur den Körper durcheinander, sondern sorgt auch in der Seele für Aufruhr. Inwieweit das Hormonkarussell dazu führt, dass Frauen sich noch einmal ein Kind wünschen, ist allerdings bisher nicht geklärt.

Fest steht, dass in dieser Lebensphase zunehmend Frauen sogar zum ersten Mal Mutter werden. Und es ist für viele durchaus schmerzhaft, den Kinderwunsch endgültig zu begraben. Kinderkriegen liegt in unserem genetischen Programm, ist ein uralter Instinkt. Den loszulassen fällt gar nicht so leicht. Davon sind Expertinnen überzeugt.

Auch eine dreifache Mutter kann mit Mitte 40 noch einmal ein Hauch von Sentimentalität packen. "Die Wechseljahre markieren das erste Mal im Leben einen Point of no Return", sagt Schaudig. "Wer bis dahin keinen Nachwuchs hat, bekommt nie mehr welchen. Mit dieser Erkenntnis haben viele Frauen zu kämpfen." Plötzlich haben wir es nicht mehr in der Hand, über unsere eigene Fruchtbarkeit zu entscheiden. Die Natur hat die Selbstbestimmung zunichte gemacht. Die Sehnsucht nach einem Baby lässt sich nun mal nicht allein mit der Ratio verscheuchen: "Wir werden viel mehr von unseren Emotionen gesteuert, als uns lieb ist", sagt Isabella Heuser.

Dazu kommt eine gesellschaftliche Komponente: "Es gibt eine uneingestandene gedankliche Verbindung zwischen dem Ende der biologischen Fruchtbarkeit und der Sorge, nicht mehr nützlich zu sein", glaubt die Hirnphysiologin. Nach den Wechseljahren würden Frauen in der Gesellschaft zunehmend zu "körperlosen Unpersonen". Wer hat darauf schon Lust?

Ich denke über den Point of no Return nach. Über die Vor- und Nachteile später Schwangerschaften, über die Möglichkeit, mit einem Baby noch einmal das Gefühl der Jugendlichkeit zu genießen. Und über die Tatsache, dass meine Nerven heute bei Weitem nicht mehr so stark sind wie vor 20 Jahren. Schließlich, sagt Isabella Heuser, "gibt es auch Heerscharen von Frauen, die froh sind, dass endlich das Thema Verhütung vorbei ist und sie nicht mehr jeden Monat ihre Periode haben". Aber so weit ist es bei mir noch nicht.

Zum Weiterlesen: Dr. med. Anneliese Schwenkhagen, Dr. med. Katrin Schaudig: Kompass Wechseljahre, 208 Seiten, 19,95 Euro, 2007, Knaur

Isabella Heuser: Glücklichmacher: So kommen Frauen entspannt durch die Lebensmitte", 287 Seiten, 19,95 Euro, 2007, Ullstein

Text: Anne-Bärbel Köhle Foto: Graugaard/istockphoto

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