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Warum gut manchmal gut genug ist

Frauen sind ewig Suchende und "gut genug" gibt es scheinbar nicht. Getrieben von der Ahnung, dass das, was ist, noch nicht alles gewesen sein kann.

Kennen Sie den? Adam und Eva stehen nackt und zitternd vor dem Paradies, aus dem sie eben vertrieben wurden. Eva hat den angebissenen Apfel noch in der Hand. "Warum?", fragt Adam mit verzweifeltem Unterton. "Baby, was ist in dich gefahren?" "Du verstehst mich einfach nicht", gibt sie zurück, "ist doch typisch!" Sie schiebt die Unterlippe vor. "Was gibt es da zu verstehen? Wir hatten es doch so gut - tropische Früchte satt, Sonnenschein und keine finanziellen Sorgen, wir hatten einander. . . " Hilflos breitet er die Arme aus. "Was ist passiert?" "Schon gut!", ruft sie wütend. "Aber das kann doch noch nicht alles gewesen sein!!"

Gut genug? Es muss doch noch mehr im Leben geben!

Vielleicht sollte ich nicht fragen: "Kennen Sie den?", sondern: "Kennen Sie die?" Mit größter Wahrscheinlichkeit antworten Sie mit Ja. Vielleicht sind Sie sogar selbst so eine Eva, eine nie Zufriedene. Eine nie Zufriedene? Das trifft es nicht. Das klingt verwöhnt und anmaßend. Und das ist sie nicht, unsere Eva. Viel eher eine Getriebene: von der Ahnung, dass es im Leben noch um mehr gehen, dass es noch mehr geben muss. Eine ewig Suchende, die sich noch am Südpol ins ewige Eis wühlt. Die auf dem Mount Everest nach dem Aufzug sucht. Die in der Wüste Sahara einen Strand vermutet: "Das kann mir doch keiner erzählen, dass da nicht noch was ist."

Etwas Anderes. Besseres. Größeres.

Sie ist ja nicht gerade selten, diese Eva. Man trifft sie überall. Sie steckt vielleicht in jeder Frau. Sie steckt in Sandra, Serientäterin in Sachen Beziehungen. Ihre Freundinnen kriegen schon den gewissen glasigen Blick, wenn sie wieder einmal die Platte auflegt: "So wie mit David (Stefan, Urs, Valentino) war es noch nie. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich im Innersten meiner Seele erkannt. Und der Sex ist Oscar-verdächtig! Der beste meines Lebens!" "Das haben wir doch alles schon mal gehört", denken ihre Freundinnen, denen es von Mal zu Mal schwerer fällt, die gebotene Ehrfurcht vor diesem wiederholten Wunder der Liebe vorzutäuschen. "Bring David (Stefan, Urs, Valentino) doch mit", bieten sie ein paar Wochen später an, nur um ein irritiertes Stirnrunzeln zu ernten. "Was, der? Ach woher! Das war doch nichts Ernstes!" Und sie wissen, der Reigen hat von vorn begonnen. Die nächste große Liebe steht vor der Tür. Sandra ist ein klassisches Artischockenherz. Unter jedem abgezupften Blatt wächst ein neues, noch zarteres nach. Doch Sandra ist nicht 17, sondern 47. Irgendwann, in einem ruhigen Moment zwischen zwei großen Lieben, sagt sie: "Ich hätte genauso gut bei David (Stefan, Urs, Valentino) bleiben können. Aber ich dachte eben immer, da käme noch was."

Etwas Anderes. Besseres. Größeres.

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Die ewig Suchende, sie steckt in Alice, die an meinem Küchentisch sitzt und den Kopf hängen lässt. "Was soll ich bloß tun", sagt Alice, "ich bin zum Untergang bestimmt." Erst der Geruch von frischem starkem Kaffee aus der Tasse, die ich vorsichtig in ihre Richtung schiebe, lässt sie wieder aufblicken. "Die wollen Textproben sehen." Ich nicke. Das ist tatsächlich ein Dilemma: Alice, Anfang 40, Mutter zweier kleiner Mädchen, hat ihre schrägen Einsichten aus dem Familienalltag einem Elternmagazin vorgeschlagen. Und die sind interessiert. Aber sie wollen Textproben. Und Alice' frühere Veröffentlichungen sind nun mal, wie soll ich sagen, nicht gerade das, was ein Elternmagazin abdrucken würde. Nicht jugendfrei, wenn Sie verstehen, was ich meine. "Warum tu ich mir das immer wieder an?", fragt Alice. "Warum um alles in der Welt fange ich immer wieder von vorn an?" Alice hat Kunst studiert und wurde als kommendes Talent gehandelt. Doch sie lehnte die Angebote diverser Galerien ab und wandte sich stattdessen der Körperkunst zu, benutzte ihren Körper als Leinwand und wurde Muse für Tätowierkünstler. Tauchte in die Untergrundszene ein.

Gut genug oder gibt es noch mehr im Leben?

Ein oder zwei unglückliche Liebesgeschichten inspirierten sie zu düsteren Berichten über den Geschlechterkrieg, die aus für sie unerfindlichen Gründen als Erotika publiziert wurden. Ein Feld, in dem sie sich in kürzester Zeit einen Namen machte - einen falschen Namen selbstverständlich. Doch schnell wühlte sie sich aus dem Untergrund wieder ans Tageslicht und begann, Pflanzen zu studieren. Sie arbeitete als Landschaftsgärtnerin und eröffnete schließlich einen Blumenladen, der sehr schnell sehr gut lief. Doch als sie heiratete und Kinder bekam, machte sie den Laden zu und begann ihre Erfahrungen als nicht ganz typische Vorstadtmutter niederzuschreiben. Und da holt sie eben ihre Vergangenheit wieder ein. "Ich hab in meinem Leben so viel geschafft", sagt Alice. "Außer das: auch mal die Früchte zu ernten." Und sucht. Sucht wieder - nach

etwas Anderem. Besserem. Größerem.

Und sie steckt in Stefanie, die alle zwei Jahre ihr Leben umkrempelt, in einer Mischung aus religiöser und gesundheitlicher Erkenntnis. Gerade ist es die allseits beliebte Kombination aus Yoga, Ayurveda und hinduistischer Lehre. Sarah trägt ein Bindhi auf der Stirn und legt die Handflächen zum Gruß zusammen: "Namaste!" Das Göttliche in mir erkennt das Göttliche in dir. Sie zündet vor Ganesha, dem Elefantengott, dem mächtigen Beseitiger von Hindernissen, Kerzen an. Zum Essen bringt sie ihre eigenen Gewürze mit und streut sie großzügig über die Pasta. Auf den stirnrunzelnden Blick der Gastgeberin erklärt sie die heilsame Wirkung der Doshagerechten Ernährung. "Ich bin ein ganz anderer Mensch, seit ich meine Kapha-Anteile mit scharfen Gewürzen ausgleiche. Nein, nicht ein anderer Mensch: Ich bin ich selbst. Endlich ich selbst." Und ihre Freundinnen nicken mit demselben verkrampften Lächeln wie die von Sandra und die von Alice. Vielleicht hätte Stefanie mehr Überzeugungskraft, wenn sie nicht knapp zwei Jahre zuvor mit derselben Vehemenz Tai-Chi, Traditionelle Chinesische Medizin und Zazen vertreten hätte. Und davor waren es Paganismus, Hexenrituale und Kräuterheilkunde. Wird es irgendjemanden erstaunen, wenn sie in weiteren zwei Jahren wieder beim protestantischen Glauben ihrer Kindheit Halt macht?

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Darüber sollte man sich nicht lustig machen, einen Sinn im Leben zu finden ist eine ernste Sache, ein ernst zu nehmendes Bedürfnis. Aber kann sie nicht einmal bei etwas bleiben? Können wir das alle nicht? Sind wir genetisch programmiert, das Haar in der Suppe, den Wurm im Paradiesapfel, den Strand unter den Schneemassen zu finden? Oder wenigstens zu suchen? Stimmt es, was Balzac, der alte Frauenverächter, sagte: dass Frauen "wie Flöhe vorgehen, sprunghaft und in willkürlichen Sätzen"? Wir verlangen im Hotel ein anderes Zimmer und im Restaurant einen besseren Tisch. Wir fahren in die Berge und bemängeln das Fehlen eines Strandes. Wir verlassen Männer, die uns verwirrt nachrufen: "Aber wir hatten es doch richtig gut!" Warum? Sind wir flatterhaft? Wankelmütig? Verrückt? Männer nicken nachdrücklich und mit leidend verzogenem Gesicht, wenn sie den eingangs erzählten Witz hören. Was will die Frau? Man weiß es nicht. Und selbst wenn man es wüsste, wäre es mit größter Wahrscheinlichkeit schon im nächsten Moment nicht mehr gültig.

"Es ist nicht nötig, Frauen zu widersprechen - das erledigen sie schon selbst!", fasst es Marcel Aymé, ein anderer französischer Schriftsteller, mit schmalen Lippen zusammen (woher kommt eigentlich das Gerücht, dass die Franzosen uns Frauen besser verstünden als andere? Egal). Wir ahnen nicht, wir wissen, dass es da noch mehr geben muss, etwas

Anderes, Besseres, Größeres.

Dass uns - wenigstens theoretisch - alles offen steht. Dass alles möglich ist. Wir müssen uns nicht zufrieden geben - weder mit einem ungeliebten Mann noch mit einem nicht erfüllenden Beruf. Wir haben ein Recht darauf, glücklich zu sein. Ein Recht, das sich manchmal mehr wie eine Pflicht anfühlt. Denn Glück ist kein Zustand. Wenn es sich für einen Augenblick hinter eine Wolke verzieht, werden wir unruhig - machen wir was falsch? Sind wir in der falschen Beziehung, im falschen Job? Brauchen wir einen neuen Guru? Wir fühlen uns wie Touristen, die das erste Mal einen amerikanischen Supermarkt besuchen, in dem es nicht 20 Sorten Frühstücksflocken gibt, sondern gleich 200.

Es gibt nur das Leben für uns, was wir draus machen

Welche ist nun die beste? Die süßeste, krachendste, gesündeste? Da können gern 20 Minuten verstreichen oder auch 30 oder ein halbes Leben, um es herauszufinden - oder auch nicht. Vielleicht hat Eva auch zu viel ferngesehen. Da kann einen leicht der Verdacht befallen, das eigene Leben sei noch nicht aufregend, nicht bedeutungsvoll genug. Ein Job muss nicht erträglich, sondern sinnstiftend sein. Und darf gern öffentliches Interesse erregen. Mit verliebt, verlobt, verheiratet ist es ebenfalls nicht mehr getan. Eine Liebeserklärung auf der Plakatwand, ein Heiratsantrag über Radio oder besser noch im Rahmen einer Fernsehsendung sollten schon sein.

Es genügt uns nicht, selbst zu wissen, dass etwas, ein Mann, ein Beruf, richtig ist - die Welt muss ihren Segen dazu geben. Oder wenigstens neidisch seufzen. Dauernd schauen wir uns über die eigene Schulter. Hallo? Seht ihr mich? Seht ihr mir zu? Und gleichzeitig ist unsere größte Sehnsucht: zu wissen, wo wir hingehören. In der Liebe, im Leben, im Beruf.

Wir beneiden Frauen, die seit 50 Jahren verheiratet sind. Und ignorieren die Tatsache, dass sie zum Hochzeitstag keine Einladung zum Rockkonzert mit persönlichem Glückwunsch von Mick Jaggers Lippen bekommen, sondern ein Mittagessen in einer Warenhaus-Cafeteria. Wir fantasieren laut von Berufen wie Schafhirtin, Biobäuerin, Postbotin, die wir keine zwei Tage ausüben könnten, so wenig entspricht die raue Realität unserer Fantasie. Wir idealisieren das einfache Leben, wir beneiden Menschen, von denen wir glauben, dass sie sich keine Fragen stellen. Wir sehnen uns nach einer Welt, die klar ist. Überblickbar. Doch wir wären nicht da, wo wir heute sind, wenn wir nicht nach spätestens fünf Minuten zur roten Plastikschaufel greifen würden. Denn irgendwo da drunter, in den tiefsten Schichten verborgen, da muss es noch etwas Anderes geben . . .

Buchtipp: Milena Moser: "Flowers in your hair. Wie man in San Francisco glücklich wird" (286 S., 17,95 Euro, Blessing). Milena Moser hat mit ihrer Familie lange in den USA gelebt und über die Kunst des Lebens in der Westküstenmetropole regelmäßig für BRIGITTE WOMAN geschrieben. Jetzt sucht die Schweizerin ihr Glück in dem 4000-Seelen-Dorf Möriken-Wildegg im Kanton Aargau, über den der Rest der Schweiz gern Witze macht.

Text: Milena Moser Foto: Getty Images

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