Anzeige

Willkommen in der Sorgenfalle

Wenn wir keine Sorgen haben, machen wir uns welche: Sind wir eigentlich blöd, fragt sich Nina Poelchau - und versucht Probleme, die sie nicht lösen kann, loszulassen.

Dieser Sonntag könnte so schön sein. Ich habe mir eine Auszeit im Thermalbad genommen: baden, das Wasser plätschern hören, auf dem Rücken liegen, entspannen. Doch statt abzuschalten, fährt mein Gehirn auf Hochtouren. Warum hat mich die Agentur nicht angerufen? Der Auftrag sollte schon vor drei Wochen vergeben werden, und keiner meldet sich bei mir! Gestern stand Martin, der Textchef, zufällig mit seinem Auto neben meinem an der Ampel. Er hat mir nur kurz zugenickt, dann auf die Straße gestarrt. Da stimmt doch was nicht.

Wie soll ich über die Runden kommen, wenn mir jetzt die Aufträge wegbrechen? Ob ich Martin einfach frage, was los ist? Und was tue ich, wenn er die schlimmste aller Antworten gibt: "Tut mir leid. Wir haben keine Aufträge mehr für dich"? Es ist wieder so weit. Willkommen in der Grübelfalle.

Wer grübeln will, findet immer Gründe

Mit schwerem Kopf schleppe ich mich zu den Wasserfällen. Dort badet gerade Leonie, eine Bekannte, mit der ich mich ab und zu auf einen Kaffee verabrede. Auch so eine Grüblerin. Leo ist 35 und will jetzt ein Kind. Ihr Freund will noch warten. Als ich sie kennen lernte, hat Leo sich damit herumgequält, dass Franz ewig zögerte, mit ihr zusammenzuziehen. Inzwischen leben die beiden in einem Häuschen am Stadtrand – perfekt für eine Familie. "Aber fühlt Franz sich vielleicht bedrängt, wenn ich ihn zu oft auf das Thema anspreche?", grübelt Leo.

Er könnte so schön sein, dieser Sonntag. Da stehen wir beide unter der Wellness-Dusche, um uns herum ein Wasser so blau wie das griechische Meer. Leo ist beliebt. Hat die schönsten grünen Augen, die man sich vorstellen kann. Ihre Apotheke läuft gut, wie eigentlich fast alles in ihrem Leben. Genau wie bei mir: Zu guten 80 Prozent könnte ich zufrieden sein. Aber wir fühlen uns mies. Drehen und drehen an den immer gleichen Gedankenschrauben, obwohl die Gewinde längst plan geschliffen sind und wir genau wissen, was bei der ganzen Anstrengung herauskommt: nichts. Leo fehlt es nicht an Selbstironie. "Nicht grübeln, dübeln!": Diesen Slogan aus einem Heimwerker-Prospekt hat sie neulich in ihr Tagebuch eingetragen. Sie ahnt schon, wenn das ersehnte Kind da ist, wird sie auf einer neuen Baustelle weiterdübeln. Wer grübeln will, findet immer Gründe. Ernste und weniger ernste.

Zielloses Grübeln ist pure Energie-verschwendung

Sind wir eigentlich blöd? Warum ist manchen gleich der Tag verleidet, weil die Lieblingshose neuerdings am Bund kneift oder die Nachbarin heute beim Grüßen nicht gelächelt hat? "Frauen neigen dazu, sich ständig Sorgen zu machen – um sich selbst, um andere, um ihre Wirkung auf den Rest der Welt", sagt die Mannheimer Psychologin Dr. Doris Wolf. Natürlich gibt es auch sinnvolle Sorgen, so die Expertin. Wer fürs Alter Geld zurücklegt oder zur Brustkrebs- Früherkennung geht, hat erst mal wieder eine Sorge weniger. Das ziellose Grübeln dagegen ist pure Energievergeudung und schadet nur, meint Doris Wolf: "Wenn wir der Vergangenheit nachgrübeln oder zwischen mehreren Problemen hin- und herspringen, nehmen wir uns das Schöne, was wir gerade jetzt erleben könnten. Wir bringen unseren Körper in Anspannung und unsere Seele ins Ungleichgewicht. Und enden immer in einer Sackgasse."

Das Gemeine dabei: Je öfter wir uns in Negativ-Gedanken versenken, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir das nächste Mal erst recht nicht herauskommen. Denn Gedanken und Erinnerungen sind über ein komplexes Netzwerk miteinander verknüpft. Sobald eine notorische Grüblerin ins Nachdenken kommt, schaltet der Kopf auf: "Aha, Problem" – und holt alle bisher gespeicherten schlechten Erfahrungen auf den Bildschirm. Es dauert nicht lange, und das eigentliche Thema ist begraben unter Ängsten und einschüchternden Assoziationen. Schon hängen wir in der Endlosschleife.

Wir können nicht vorhersehen, wie sich andere verhalten.

Männern passiert das nicht so leicht. Sich in ihre Mitmenschen hineinzuahnen liegt den meisten fern. Das wirkt leicht unsensibel, ist grundsätzlich aber klug. "Je stärker wir uns mit den Gedanken und Gefühlen anderer beschäftigen und ihr Verhalten interpretieren, desto weiter entfernen wir uns von uns selbst. Und werden immer hilfloser, denn wir können ja nicht vorhersehen, wie sich andere fühlen und verhalten", erklärt Doris Wolf. Wenn Männer nach einigem Nachdenken keine Lösung finden, hören sie erst mal auf damit. Manche Probleme erledigen sich dann von selbst. Bei allen anderen hilft kein Grübeln. Wer leichter leben will, muss handeln.

Was soll einmal auf Ihrem Grabstein stehen? Diese Frage wurde in einem Management-Seminar gestellt, an dem einer meiner Freunde kürzlich teilgenommen hat. Eine Frau, Spitzenmanagerin in einem Computerkonzern, sagte spontan: "Sie hat sich ihr Leben lang über verpasste Chancen geärgert." Eine Top-Frau sagt das – erfolgreich, selbstbewusst, gut aussehend! Später erklärte sie: "Nach jeder Entscheidung grüble ich ewig, ob die Alternative nicht doch klüger gewesen wäre. Und wenn irgendwo mal jemand besser war als ich, analysiere ich tagelang meine Fehler. Das war schon bei den Mathematik- Wettbewerben in meiner Schulzeit so."

Geschichten wie diese hört Doris Wolf oft. Wenn Frauen zu viel grübeln, liegen die Wurzeln meist in der Kindheit. Wer zur Nummer eins erzogen wurde, fühlt sich auf dem zweiten Platz immer als Verlierer. Und wer in einer Familie aufgewachsen ist, in der die Stimmung leicht umschlug, wird sich auch später anstrengen, möglichst präzise vorauszusehen, wie andere Menschen reagieren könnten. Und immer darauf achten, die Kontrolle zu behalten.

Wenn sich ein Problem nicht lösen lässt: loslassen

Es ist zwar gut, solche Zusammenhänge zu verstehen, doch das genügt nicht: "Wir müssen den Kreislauf durchbrechen, unser Gehirn neu programmieren, und das ist jederzeit möglich", sagt Doris Wolf. Natürlich müssen wir über ernste Probleme nachdenken. Aber: unbedingt ein Zeitlimit setzen. Abwägen, was im schlimmsten Fall passieren könnte, wie man reagieren würde. Wenn sich eine Lösung abzeichnet: Gut so, jetzt heißt es handeln. Wenn nicht: Loslassen! "Ich kann das Problem nicht lösen, deshalb gebe ich die Kontrolle jetzt ab": Manchen hilft es, diesen Satz freundlich, aber bestimmt zu sich selbst zu sagen. Je öfter es gelingt, die Grübelfalle zu umgehen, desto nachhaltiger speichert der Kopf: Sorgen gehören zum Leben. Sie müssen es einem aber nicht auf Dauer schwer machen.

Ich muss an Esther denken. Sie grübelt nie, obwohl sie genug Anlass dazu hätte: von Beruf Malerin, vier Kinder, alleinerziehend, finanziell immer in der Krise. Dennoch ist Esther die gelassenste Frau, die ich kenne. Ihre Strategie: Meditation. Anfangs war es schwierig. Sie saß auf einem roten Samtkissen, in ihrem Kopf flatterten die Gedanken herum wie aufgescheuchte Hühner. Heute weiß Esther: "Kein Ding ist gut oder schlecht, erst das Denken macht es dazu." Diesen Satz von William Shakespeare hat Esther im Meditationskurs gelernt.

Nicht grübeln - einfach tun, was man tut

Es muss nicht unbedingt Meditation sein. Atem- oder Entspannungsübungen, die man in Volkshochschul- Kursen rasch lernen kann, helfen genauso gut. Oder ganz einfach: Ablenkung. Gartenarbeit, Staubwischen, Joggen, Malen oder Telefonieren – jede Aktivität hilft, die negative Gedankenspirale zu stoppen. Und schon nach etwa acht Minuten ist die Stimmung wieder besser, hat die amerikanische Psychologie-Professorin und Depressionsforscherin Susan Nolen-Hoeksema festgestellt.

Wenn's besonders gut läuft, stellt sich sogar für einen wunderbaren Moment ein Gefühl von Glück ein. "Flow" nennt der Glücksforscher Mihaly Csikszentmihalyi die Zufriedenheit, die mit konzentrierten Tätigkeiten einhergehen kann. Man kann dem Flow nachhelfen: voll und ganz im Moment sein. Nicht auf dem Damals und auch nicht auf dem Später herumnagen wie auf einem alten Hundeknochen. Einfach tun, was man tut.

Suchen Sie sich eine konstruktive Gesprächspartnerin.

Was außerdem wichtig ist: reden. Das kann bedeuten, jemanden zur Rede zu stellen. Auch wenn sich dann vielleicht die schlimmste Befürchtung bewahrheitet, eine Freundin nichts mehr von uns wissen will oder unsere Arbeit tatsächlich nicht mehr gefragt ist. Sprechen – auch mit einem unbeteiligten Dritten – erleichtert das Sortieren der Gedanken, weiß Doris Wolf. Ihr Tipp: "Suchen Sie sich eine Gesprächspartnerin, die konstruktiv ist und Sie auf keinen Fall weiter runterzieht." Und unbedingt eine begrenzte "Klagezeit" vereinbaren, damit die Freundin nicht auch noch ins Grübeln kommt!

Leo und ich haben uns an diesem Sonntagmorgen gefunden: Während wir unseren Kummer ausbreiten, verflüchtigt sich der Rauch in unseren Köpfen. Gelöst sind unsere Probleme nicht. Aber wir sind gelöster. Schauen uns an und lachen über diese beiden Frauen, die im Kopf Wackersteine hin- und herheben, statt den Moment zu genießen. Und dann wird er noch richtig schön, dieser Sonntag. Unser Gehirn wird sich das merken. Ach ja, die Agentur hat gestern angerufen. Der Kunde hatte die Produktinformationen zu spät geliefert. Das war alles.

Buchtipps: Doris Wolf/Rolf Merkle: "Gefühle verstehen, Probleme bewältigen", 158 S., 12,80 Euro, Pal-Verlag Susan Nolen-Hoeksema: "Warum Frauen zu viel denken", 256 S., 7,95 Euro, Heyne Peter Weissenfeld: "Wege aus der Grübelfalle", 187 S., 9,90 Euro, Herder

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel