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Freier Kopf, leichtes Herz Wie werde ich gelassener?

Papierflugzeug wird vor die Sonne gehalten
© KieferPix / Shutterstock
Meist sind es die immer gleichen Gedanken, die durch unser Hirn kreisen und uns die Stimmung vermiesen. Zum Glück muss man gar nicht lange grübeln, um gelassener zu werden.

Der Tag, an dem ich beschloss, ein für allemal mit dem Grübeln aufzuhören, begann wunderbar und entwickelte sich katastrophal, obwohl nichts, überhaupt gar nichts passiert war. Ich saß gut gelaunt mit einem vollen Auftragsbuch in meinem Büro und checkte in freudiger Erwartung eines dicken Honorars online meinen Kontostand. Zehn Minuten später lag ich in zerrissenen Kleidern auf einer Parkbank. Mein Mann war mit einer reichen Blondine durchgebrannt, meine Tochter wollte nichts mehr von mir wissen. Ich war herzkrank und hatte kaum noch Zähne im Mund. Wie ich es geschafft habe, so schnell mutterseelenallein in der Gosse zu landen? Durch die geballte Kraft der negativen Gedanken. Grübeln heißt die Disziplin, in der ich es durch jahrelanges Training zur Meisterschaft gebracht habe. Grübeln ist eine weibliche Sportart. Den meisten Männern fehlt die Geduld, Gedanken stundenlang im Kreis zu fahren. Sie nehmen entnervt die nächste Ausfahrt, auch wenn es die falsche ist. Mein Problem ist: Wenn ich erst mal im Kreisverkehr gelandet bin, weiß ich nicht mal mehr, was eine Ausfahrt ist. Ich muss mich in Selbstironie retten, es ist sonst zu peinlich. Von tragisch will ich jetzt noch nicht sprechen, das kommt später.

Gelassener werden: Raus aus dem Grübelkarussell

Das Absurde ist: Ich bin eine mit diversen therapeutischen Wassern gewaschene lebenserfahrene Frau, die vieles gewuppt hat. Und doch läuft mein Verstand an manchen Tagen völlig aus dem Ruder, erzählt mir den größten Unsinn, und ich falle darauf herein, obwohl ich es theoretisch besser weiß und - ich trau es mich kaum zu sagen - hervorragend darin bin, andere aus ihrem Grübelkarussell herauszuholen. Leider kann ich mein eigenes nur mit Mühe stoppen. Es läuft ungefähr so: Das Honorar ist nicht gekommen. Wenn es nächste Woche auch nicht kommt. Da ist die Miete fällig. Sie wird womöglich nicht abgebucht. Der Vermieter wird sauer. Die Redakteurin war eben so komisch am Telefon, mit dem nächsten Auftrag wird es sicher nichts. In die Altersvorsorge müsste ich auch mehr einzahlen. Was ist, wenn ich mal schwer krank werde? O Gott (der will wahrscheinlich eh nichts mehr mit mir zu tun haben), vererben kann ich meiner Tochter nichts, wie es jetzt aussieht. Und so geht es munter weiter, bis ich mich unter der Brücke liegen sehe.

Um zu verstehen, wie Grübeln funktioniert, schaut man sich am besten eine Kuh an. Minutenlang kaut sie stoisch auf demselben alten, bereits geschluckten und wieder hochgewürgten Gras herum. Sorry, das ist jetzt nicht appetitlich. Aber von zu viel Grübeln kann einem tatsächlich schlecht werden. Ich könnte mich jetzt mit meiner Kindheit - Neigung zu übermäßigen Selbstzweifeln durch übertrieben autoritäre Erziehung - herausreden. Aber in meinem Alter verbietet sich das. Ich könnte es auch auf die Gene schieben und darüber grübeln, warum Frauen nachweislich mehr grübeln als Männer. Ich könnte mich fragen, ob es daran liegt, dass sie aufgrund ihrer neurobiologischen Programmierung mehr über Beziehungen nachdenken, ihre Rolle, ihre Gefühle und ihr Handeln ständig hinterfragen und immer darauf bedacht sind, alles noch besser zu machen für ihre Lieben, und deshalb unentwegt darüber nachdenken, was womöglich falsch läuft. Aber ehrlich gesagt interessiert mich das nicht. Ich habe die Nase voll. Das Leben ist zu kurz, um es mit unproduktiven Gedanken zu versauen, und 47 ein super Alter, um endlich beherzt und mit freiem Kopf... Wobei. Hätte ich mal früher angefangen, mit dem Grübeln aufzuhören, wo könnte ich da heute... Shut up, sage ich mir. Es reicht. Ich will was ändern. Dafür brauche ich kompetente Unterstützung.

Als Erstes fahre ich in den Westerwald zur Philosophin Ute Lauterbach. Sie leitet das Institut für psychoenergetische Integration und hat dem Grübeln mit vielen wunderbaren Büchern lustvoll den Kampf angesagt. Mein Favorit heißt "Raus aus dem Gedankenkarussell". Auf dem Weg zu ihr verfahre ich mich heillos. Warum war ich auch so blöd, einen Mietwagen zu nehmen? Wieso habe ich mir das Navi nicht vorher erklären lassen? Wie kann man nur so bescheuert sein. Hätte ich doch nur den Zug genommen. Der Grübelmotor läuft auf Hochtouren. Die Selbstbeschimpfung, so viel dürfte inzwischen klar geworden sein, ist ein zentrales Grübelelement. Plötzlich vernehme ich eine Stimme in mir. Hör auf, immer denselben blöden Mist zu denken, es wird langweilig. Mach mal lieber gute Musik. Ich schalte das Radio an, brause "Highway to Hell" grölend über die Landstraße und lerne nebenbei meine erste Lektion: Es ist unmöglich, laut und falsch zu singen und dabei gleichzeitig zu grübeln. Dasselbe gilt übrigens für tief und genussvoll atmen.

Hör auf, immer denselben blöden Mist zu denken, es wird langweilig. Mach mal lieber gute Musik.

Ute Lauterbach empfängt mich mit einem fröhlichen Lachen vor ihrem kunterbunten Haus mitten im Wald, das sie zur grübelfreien Zone erklärt hat, und kocht mir erst mal einen Kaffee. Sie gehört offensichtlich nicht zu den Frauen, die morgens ewig grübeln, was sie am besten anziehen. Sie trägt knielange Sporthosen, Joggingschuhe und hat eine Schirmmütze auf dem Kopf. Auch um eine stringente Berufsbezeichnung, über die ich schon lange erfolglos nachdenke, macht sie sich keinen Kopf. Sie nennt sich unter anderem Philosophin, Unsinnsexpertin und Schicksalsforscherin und verbreitet so gute Laune, dass ich mich in ihrer Gegenwart anstrengen muss, mich daran zu erinnern, was noch mal mein Problem war. Ach so ja, richtig, Grübeln. "Im Grunde", sagt Ute Lauterbach, "ist alles ganz einfach." Kopf frei, Herz weit, das ist ihre Glücksformel. Eigentlich reiche auch die Kurzform Kopf frei. Weil das Herz automatisch weit ist, wenn der Kopf frei ist. Leider sei der Kopf oft zugemüllt. "Immer wenn ein Spielverderber des Glücks auftaucht, rutschen wir ins Gedankenkarussell", erklärt Ute Lauterbach. "Wenn wir uns ärgern, neidisch sind, Angst haben, wütend werden, verletzt sind." Um die Sache plastisch zu machen, hat Lauterbach eine Skala von null bis hundert entwickelt, auf der jede sofort erkennen kann, wie frei der Kopf gerade ist. Null bedeutet: Kopf völlig blockiert, Verzweiflung, Resignation, Jähzorn, kein Handlungsspielraum. Hundert bedeutet: Kopf völlig frei, schieres Glück, völliges Aufgehen im Moment. Weil sie Sprachspiele liebt, nennt sie die Extrempunkte ihrer Skala Nullinger und Fullinger. "Ins Grübelkarussell rutschen wir erst, wenn wir auf der Skala unter fünfzig sind. Dann müssen wir sehen, wie wir wieder Richtung Fullinger kommen." Klingt gut, finde ich. Nichts wie hin. Zu Fullinger.

Es gibt zwei Möglichkeiten, um gelassener zu werden

Können wir das bitte an einem Beispiel durchspielen? Ich mache mir als Selbständige immer wieder Sorgen ums Geld und lande in der Grübelfalle, erkläre ich ihr. Wie komme ich da raus? "Es gibt zwei Möglichkeiten", sagt Ute Lauterbach. "Sie wenden ein paar Kniffe aus der Notfallkiste an, oder Sie sagen, Sie wollen den Grübelanlass grundsätzlich loswerden, dann steigen wir tiefer ein. "Ich entscheide mich für die Wurzelbehandlung." Ich könnte mich jetzt dumm stellen und Ihnen die Existenzsorgen ausreden", beginnt Ute Lauterbach. "Aber das wäre doof. Also frage ich Sie doch lieber gezielt: War das schon immer so, dass Sie so spannend gelebt haben? Sie merken, ich drücke es extra positiv aus. Oder gab es auch schon mal langweilige Schnarchzeiten, wo Sie sich wie die Made im Speck gefühlt haben? "Made im Speck, das Bild erscheint mir so fernab meiner gefühlten Realität, dass ich in schallendes Gelächter ausbreche. "Wunderbar. Sie können schon wieder lachen. Das nächste Mal, wenn Sie im Gedankenkarussell sind, denken Sie an die Made, und schon ist mehr Sauerstoff im Thema."

Dann fragt sie mich nach meinem Selbstwert, nach Geschwistern, wie es so war als Älteste mit zwei jüngeren Brüdern, und schwupps sind wir bei dem Grundgefühl meiner Kindheit, das ich immer noch mit mir herumtrage und das sich in einem Satz beschreiben lässt: Ich bin die wackere Vorkämpferin, die Erfolge sacken die anderen ein. Während Ute Lauterbach weiterfragt, entsteht in mir ein Bild: Ich mache tolle Sachen, aber ich fahre die Ernte nicht richtig ein. "Dabei haben Sie doch bestimmt zwanzig Ballen vor der Scheune liegen", sagt Ute Lauterbach. Sie hat den Kern getroffen, das Erntebild haut mich um. Jetzt muss ich heulen mitten im Interview. Das geht eigentlich gar nicht. Ich könnte jetzt über meine mangelnde Professionalität grübeln, doch ich bin gerade pures Gefühl.

Das Herz ist weit, im Kopf ist Windstille, denn ich bin tief berührt. "Jetzt haben wir die Wurzel", sagt meine Beraterin und empfiehlt mir als Lösungsmotto Recht auf Ernte. "Jetzt könnten Sie lösungsorientiert voranschreiten und sich fragen: Wie ist meine Ernteeinfahrpraxis? Stelle ich Rechnungen früh genug? Setze ich Zahlungsziele? Sind meine Honorare angemessen? Wo sonst könnte ich auch noch ernten? Wie kann ich fordern statt kämpfen?" Die Fragen, die sie mir vorschlägt, machen mich sofort kreativ. Mein Kopf spuckt stakkatoartig eine gute Idee nach der nächsten aus. Ich will sofort nach Hause und loslegen. Der Ansatz, den wir gemeinsam durchgespielt haben, lässt sich auf jedes Grübelthema übertragen - herausfinden, worum es dabei im Kern geht, sich zielgerichtet befragen, die Wurzel identifizieren, lösungsorientierte Fragen stellen, präzise Handlungskonsequenzen formulieren und dann: handeln. Bevor ich mich verabschiede, möchte ich noch die Rescue-Variante kennen lernen, ich will nachher im Auto nicht grübeln müssen, ob ich womöglich was verpasst habe. Das sind die Tipps von Ute Lauterbach:

Erste Hilfe bei Grübelattacken 

• Die Situation dramatisch übertreiben und sich dass Schlimmste vorstellen

• Eiskaltes Wasser über den Kopf laufen lassen

• Joggen, hüpfen, tanzen, Quatsch machen

• Jemanden anrufen

• Die Frage stellen: Was könnte ich in der Angelegenheit tun, um den Kopf freizubekommen?

Beschwingt fahre ich nach Hause. Im Grunde habe ich alles nötige Werkzeug, um einer sich anbahnenden Grübelattacke mit Humor, Kreativität und handlungsorientierten Fragen zu trotzen. Es funktioniert auch ganz prima. Und doch bleibt ein Rest Misstrauen. Ich kenne die weibliche Spezies im Allgemeinen und mich im Besonderen zu gut. Wenn ein Grübelthema erledigt ist, biegt sofort das nächste um die Ecke. Die beste Freundin vergisst den Geburtstag. Sind wir ihr nicht mehr wichtig? Die Kollegin wird befördert. Was läuft bei uns schief? Der Ehemann redet beim Frühstück nicht. Was hat er nur? Seit 15 Jahren rührt er in der Frühe stumm in seinem Kaffee herum. Er ist ein Morgenmuffel. Das wissen wir aus der Langzeitbeobachtung. Diese wissenschaftlich fundierte Erkenntnis hindert die Hartgesottenen unter uns keineswegs daran, darüber zu grübeln, ob wir vielleicht etwas falsch gemacht haben. Ärgert er sich wegen der nicht aufgeräumten Küche? Ist er stumm wie ein Fisch, damit ihm nichts Verräterisches herausrutscht über Carola, mit der er vielleicht eine Affäre hat? In letzter Zeit ist auffällig oft von Carola die Rede. Da ist doch was faul.

Hör auf zu denken und werde endlich glücklich

Konsequent gedacht kann die Lösung also nicht darin bestehen, sich mit allen Grübelinhalten auseinanderzusetzen, sondern den Verstand, der unentwegt neuen Stoff produziert, zu zähmen. Mit anderen Worten: so oft wie möglich gar nicht denken und einfach nur sein. Genau das propagieren alle asiatischen Weisheitslehren als Königsweg zum Glück. Deshalb rufe ich den Zen-Meister Hinnerk Polenski an, in dessen Seminaren ich einen Vorgeschmack auf die wunderbare Windstille der Seele bekommen habe, die sich im Zustand des Nichtdenkens einstellt. Gerade schreibt er an einem Antigrübelbuch: "Hör auf zu denken und werde endlich glücklich."

Hinnerk Polenski sagt: "Das Denken, wenn wir es recht benutzen, ist ein wunderbares Werkzeug. Doch wir haben die Kontrolle darüber verloren. Die entscheidende Frage ist nicht, ob Gedanken richtig oder falsch, destruktiv oder konstruktiv sind. Dass wir uns mit dem System des Denkens identifizieren und nicht mehr realisieren, dass wir weit mehr sind, ist das Problem. Ein Beispiel: Der Partner hat uns verlassen. Wir wissen, dass er nicht zurückkommt. Und obwohl es vorbei ist, beschäftigt sich der Verstand ständig mit der Vergangenheit im Konjunktiv. Hätte ich vor drei Tagen diesen einen Satz nicht gesagt, wäre alles anders gelaufen. Hätte ich mich anders verhalten, dann... Auf diese Weise landen Menschen in einem Denkalbtraum, der mit dem ursprünglichen Trennungsschmerz überhaupt nichts mehr zu tun hat. Ohne das System des Denkens wäre Liebeskummer purer Schmerz und tiefe Trauer. Wenn wir das aushalten, verändert sich ganz von selbst etwas in uns. Grübeln hält uns an der Oberfläche, verhindert den Heilungsprozess in der Tiefe und führt zu Emotions- und Kraftlosigkeit und im Extremfall in die Depression. Deshalb ist der Sinn der Zen-Übung, dass wir lernen, in einen Zustand von Nichtdenken zu kommen. Zu erfahren, dass wir mehr sind als unsere Gedanken, ist der Anfang des Zen, Herzgeist und offene Weite sind das Ziel."

Ich könnte jetzt aufhören zu schreiben und mich auf mein Meditationsbänkchen setzen. Aber weil es natürlich auch ums Handeln geht, möchte ich unbedingt noch den Berliner Psychoanalytiker Hans Werner Rückert befragen, der bekannt dafür ist, dass er unüberwindlich scheinende Berge, die sich durch Powergrübeln im Kopf aufgetürmt haben, in kleine, begehbare Hügel verwandelt. Rückert leitet die Zentrale Studienberatung der Freien Universität Berlin und hat in den vergangenen Jahren hunderte von Studentinnen, Doktorandinnen und Ratsuchenden aus anderen Branchen unterstützt, fruchtloses Grübeln zu beenden und beherzt und mit Mut zur Lücke zu handeln.

Auch er empfiehlt Meditation oder ein anderes Entspannungsverfahren und versorgt mich mit weiteren Strategien: • Laufen Sie eine Runde um den Block. Die Sorgen gehen, wenn man in Bewegung kommt. • Nehmen Sie sich ein Blatt Papier und notieren Sie die aktuellen Gedanken und Sorgen. Beantworten Sie dazu zwei Fragen: 1. Ist das wahr, was ich denke? 2. Wenn das, was ich befürchte, tatsächlich eintritt, was mache ich dann? Nicht: Was fühle ich dann? Was denke ich dann? Sondern ganz konkret: Was werde ich tun? Welche Optionen habe ich? • Beschäftigen Sie sich mit den Ängsten, die hinter dem Grübeln stecken. Wenn Sie damit allein nicht weiterkommen, suchen Sie sich therapeutische Unterstützung. • Lassen Sie sich den schönen Satz der Amerikaner "This universe ist not about you" auf der Zunge zergehen. Sie sind nicht so wichtig, wie Sie glauben, weder für Ihre Kinder noch für Ihre Eltern, noch für Ihren Partner, noch für Ihren Chef. Auch wenn Sie das nur ungern hören: Ob Sie sich für Variante x, y oder z entscheiden, tangiert oder determiniert Ihr Lebensglück und das der anderen nur am Rande. • Verordnen Sie sich einen Grübelaufschub. Geben Sie sich eine begrenzte Zeitspanne, in der Sie über Problem x grübeln. Setzen Sie sich dafür auf einen Grübelstuhl. Am besten nehmen Sie dafür einen harten Schemel. Dann verspüren Sie von selbst den Impuls, möglichst schnell wieder aufzustehen und sich Erfreulicherem zu widmen.

Genau das tue ich jetzt auch. Ich erhebe mich von meiner Parkbank, auf der ich - Sie erinnern sich - durch destruktives Grübeln gelandet war, gehe joggen und danach ins Kino. Ich bin dann mal weg.

Ein Artikel aus der BRIGITTE woman Brigitte

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