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Ich will gelassen älter werden

Ich will gelassen älter werden
© ESB Professional/shutterstock
Geht gelassen älter werden? Unsere Autorin Beatrix Gerstberger meint selbstbewusst "Ja"!

Wann ich das erste Mal alt war? Ich weiß nicht mehr genau. Offiziell an meinem 30. Geburtstag, als meine Freunde der Meinung waren, von nun an ginge es direkt auf das Ende zu, wir würden in sehr naher Zukunft eines Morgens in beigefarbener Popeline-Kleidung aufwachen und die "Apotheken-Umschau" lesen. In den Jahren danach hatte ich nicht viel Zeit, über diese düstere Prognose nachzudenken. Zu voll war das Leben, und noch mit Ende 30 wurde ich auf einer Veranstaltung als "die junge Frau von der BRIGITTE" vorgestellt. Insofern war auch der 40. Geburtstag noch zu ertragen, auch wenn ab da die Sätze von außen spitzer wurden. Dass die, die jetzt keinen Mann hat, keinen mehr finden werde oder maximal einen von der Sorte, die praktische Übergangswesten trägt. Dass die Karriere nicht mehr anzukurbeln und ein Kinderwunsch ab jetzt nur noch unter großen Mühen umzusetzen sei. Dass das Zerbröseln des Körpers sich nur noch mit täglichem Training und dem Verzicht auf alles, was schmeckt, verlangsamen ließe. Unsere Zukunft, so meinten manche meiner gleichaltrigen Freunde, würde sich im besten Fall aus Kreuzfahrten, Yoga-Reisen und dem Suchen nach Rechtschreibfehlern in der Tageszeitung zusammensetzen.

Ein Jahr vor meinem 50. Geburtstag suchte ich in der Kosmetik-Abteilung eines Kaufhauses eine Gesichtscreme, als mich eine nette Verkäuferin, die mir ein paar Pröbchen schenken wollte, fragte: "Befinden Sie sich in der Erhaltungsphase oder schon in der Restauration?" Ich überlegte kurz und sagte dann: "Ich denke, in der Restauration?" Das war der Moment, ab dem der Gedanke nicht mehr wegzuwischen war: Mist, ich bin jetzt wirklich alt. Der zweite war: Ich bin doch erst seit gestern hier auf dem Planeten, und plötzlich soll es in den verbleibenden Jahren nur noch ums Restaurieren und Reparieren gehen? Beginnt jetzt das Leben im "Vorort der Sterblichkeit", wie es der britische Philosoph Alain de Botton nannte?

Wir haben ein Anti-Aging-Leben

Die meisten Frauen, die ich kenne im Vorort der Sterblichkeit, sehen noch ziemlich lebendig aus. Auch wenn ich nicht glaube, dass 50 das neue 40 ist (wer denkt sich eigentlich so was aus?). Trotzdem ist Älterwerden als Frau nach wie vor nichts für Feiglinge, wie es auch die Autorin Bascha Mika in ihrem Buch "Mutprobe" beschreibt: Frauen verschwinden aus dem Sichtfeld der Gesellschaft, wenn sie altern, und das sowohl im privaten als auch im öffentlichen Raum, sie werden nicht mehr gesehen. Ich habe mal gelesen, dass eine Frau über 50 größere Chancen hat, von einem Auto überfahren zu werden, als ein Hund, denn der sei weniger unsichtbar für viele Menschen als die ältere Frau.

Das kann man böse überspitzt finden, denn von uns wird ja eigentlich schon lange nicht mehr erwartet, ab 40 Knie und Oberarmflügel zu bedecken und ab 55 die gute Oma mit Kittelschürze und Komforttretern zu geben. Wir sind die Generation, die immer noch Turnschuhe trägt, deren Musikgeschmack sich nach wie vor am Mainstream orientiert. Wir gehen auf die Konzerte derjenigen, die noch älter sind als wir, wie Patti Smith, die Stones, aber auch zu Jan Delay, den Black Eyed Peas und Tim Bendzko. Gleichzeitig ist es aber nach wie vor so, wie es die 48-jährige Schauspielerin Katharina Müller-Elmau vor Kurzem in einem Interview mit der "FAS" über ältere Männer sagte: "Viele glauben, sie sind gesellschaftlich erledigt, wenn sie sich mit einer älteren Frau blicken lassen. Das wird dann nur akzeptiert, wenn man ihr das Etikett ,Die hat sich ja gut gehalten' anheften kann."

Damit man sich gut hält, leben wir also ein Leben, in dem alles Anti-Aging ist. Es gibt Anti-Aging-Cremes, AntiAging-Food, Anti-Aging-Meditation, es gibt sogar Kurse mit dem Titel "Anti-Aging für die Stimme". Besser wäre es, wir würden uns statt mit Anti-Aging mit der Art of Aging befassen, sagt der Philosoph Wilhelm Schmid: der Kunst des Älterwerdens. Aber dazu muss man auch einmal innehalten und sich fragen: Wo stehe ich gerade? Und was kommt auf mich zu? Fragen, die sich in diesem Jahr der geburtenstärkste Jahrgang stellt, den es in Deutschland jemals gab.

Der Jahrgang 1964, das sind insgesamt 1 357 304 Kinder. In diesem Rudel bin ich aufgewachsen, und in diesem Rudel werde ich älter. Das allein ist ja schon bemerkenswert, denn von allen Menschen, die auf unserem Planeten jemals über 65 wurden, lebt die Hälfte jetzt. Noch im Jahr 1900 lag die Lebenserwartung bei 46 Jahren, mittlerweile sind es bei den Frauen 82 Jahre.

In meiner Welt gab es immer ein Happy End

In diesem Rudel gibt es das erste Mal viele Frauen, die anders als ihre Mütter eine gute Ausbildung haben, aber auch viele, die trotzdem Teilzeitmütter wurden, weil sie mit unflexiblen Kindergarten und Schulzeiten leben mussten. Es gibt viele, die noch wegen der Karriere auf die Kinder verzichteten. Wir sind eine gemischte Truppe, was unsere Lebensentwürfe angeht, aber auch eine, die gelernt hat, sich durchzusetzen, weil wir immer so viele waren. Im Kindergarten, in der Schule, im Tanzkurs, an der Uni. Wir lernten, pragmatisch zu sein oder, anders gesagt, uns durchzuwuseln.

Gleichzeitig gab es in unserer Kindheit eine unerschütterliche Zuversicht in unsere Zukunft, die lag über dem Land, lag über all den Neubausiedlungen mit Einfamilienhäusern, über den Erwartungen unserer Eltern an uns. Die Zuversicht jener Jahre zeigte sich sogar in den aufgeklebten Prilblumen auf den Kühlschränken und einem knalligen Orange an den Wänden. In meiner Erinnerung liefen in meiner Kindheit immerzu " Bonanza", "Daktari", "Bezaubernde Jeannie" und "Skippy, das Buschkänguruh". Ich bin in einer Welt aufgewachsen, in der es immer ein Happy End gab. Allen Ängsten vor Apokalypsen, Weltuntergängen, Klimabedrohungen und Atomkriegen zum Trotz, die unsere Jugend ebenfalls begleiteten. Wir waren die Kinder, die ohne Sicherheitsgurt und in dichtem Zigarettenqualm zur Familienfeier gefahren wurden und trotzdem überlebt haben. Vielleicht ist es genau diese orangegetünchte und mit Prilblumen beklebte Zuversicht, die uns auch durch das Altern begleiten wird.

Mit 50 befinden wir uns also auf dem Höhepunkt unseres Lebens. Sicher, die Ersten kämpfen mit den Wechseljahren, viele haben noch schulpflichtige Kinder, manche vielleicht einen Mann in einer Depression, weil er im Job von Jüngeren verdrängt wird. Wir kommen damit klar, denn unsere Fähigkeit, die richtigen Entscheidungen zu treffen, befindet sich genau jetzt im Zenit. Vielleicht auch, weil die Zeit knapper wird. Und weil die Zeit des "Noch" beginnt.

Ein Jahr lang in Neuseeland leben? Tu es jetzt!

Ich rechne nun manchmal nach vorn: Wie lange bleibt mir noch, um dieses oder jenes zu tun? Das ist kein Fluch, das ist ein Segen. Denn ich muss mich entscheiden. Mich fragen, wie es weitergehen soll mit dem Rest an Zeit. Ich habe begonnen, Bücher zu verschenken, die ich seit Jahren lesen will. Ich werde das nicht mehr tun, weiß ich, die Zeit ist zu kostbar, um Dinge aufzuschieben, ein "Vielleicht mal irgendwann" ist nur Ballast, ein "Entweder jetzt oder nie" eine Bereicherung. Man kann vieles noch ausprobieren, ändern, nur muss man es bald tun, und das zwingt einen zu seinem Glück. Du willst ein Jahr in Neuseeland leben: jetzt. Du willst noch Hummerfischerin werden: jetzt.

Manches werde ich vielleicht auch nur noch einmal machen. Mich einmal verlieben, einmal noch ein neues Talent entdecken, einmal in Peru auf einem Tafelberg zelten und sich vom Nebel aus der Welt schlucken lassen. Manche Dinge werde ich aber definitiv nicht mehr tun: meine Oberschenkeldellen loswerden, mir abgewöhnen, Chips zu lieben, noch mal deutsche Hürdenlaufmeisterin werden. In ihrem Buch "Reifeprüfung" schreibt die Fernsehjournalistin Petra Gerster: "Wer fünfzig wird, gehört zum Club derer, die ihr Leben selbst bestimmen und es nicht mehr nötig haben, jedem alles zu beweisen." Dazu gehört für mich aber auch, nicht alles toll zu finden, was das Alter einem bringt. Die Schriftstellerin und Drehbuchautorin Nora Ephron sagte einmal in einem Interview, dass das Alter in unserer Gesellschaft zuerst ignoriert und dann plötzlich gefeiert wurde "von all diesen Leuten, die diese dummen Bücher schreiben wie ,Das Glück zu altern', ,Das Glück der Menopause', ,Das Glück des Alterssex'. Alles Müll, sage ich".

Stimmt, sage ich. Gelassen altert man, wenn man das hinnimmt, was sich ändert, und dazu steht, dass das nicht immer unbedingt zum Besseren ist, MenopausenJubel-Bestseller hin oder her. Und auch das Ding mit der Altersweisheit ist nicht so einfach, wie es sich liest: Es gibt nicht unerheblich viele Menschen, die sich jenseits der 60 im Nachbarschaftsstreit gegenseitig die Gartenzwerge um die Ohren hauen. Dagegen steht die Gelassenheit, meine Gelassenheit: Ich habe gelernt, dass es Menschen gibt, die anderen die Energie wegfressen, und gelernt, diese konsequent zu ignorieren. Neue Bewertungen, neue Werte: In der Mitte des Lebens muss man ein neues Programm finden für sich. Als Frau, als Mensch.

In der Mitte des Lebens, sagt die Psychoanalytikerin Katharina Ley, konfrontiert uns die Wirklichkeit mit unseren Idealvorstellungen, und wir müssen feststellen: Auch ich koche nur mit Wasser wie alle anderen. Gleichzeitig zeigt ein Blick auf die Haben-Seite, dass sich dort vieles angesammelt hat. Ich habe mehr von der Welt gesehen, als ich je für möglich hielt. Ich habe in der Liebe gelernt, dass kein Mensch perfekt ist. Das klingt simpel, aber ist verdammt schwer.

Die Angst ist weg. Ich habe das Scheitern erlebt, aber auch, dass es immer weiterging. Anders als gedacht, gewollt, aber anders bedeutet nicht gleichzeitig schlechter. Der Ehrgeiz ist nicht so brennend ungestüm wie früher, dafür sehr viel zielgerichteter und klarer. Was ich will, das weiß ich jetzt, was ich nicht in meinem Leben brauche aber auch. Diese Erfahrungen sind ein großer Schatz. Ein Team um den Psychologen Ulrich Orth von der Universität Basel befragte 16 Jahre lang mehr als 2600 Menschen zu ihren Gefühlen. Je älter die Teilnehmer wurden, desto weniger machten ihnen Scham, Schuld und Überheblichkeit zu schaffen. Sich selbst leicht und andere ernst nehmen - ein gutes Ziel, finde ich.

Text: Beatrix Gerstberger

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