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Entspannt leben? Kann man lernen!

Entspannt leben? Kann man lernen!
© Lopolo/shutterstock
Mehr Gelassenheit, weniger Versagensängste und tiefere Zufriedenheit: Isabella Heuser, Direktorin an der Charité Berlin, verrät, wie man entspannt leben kann, wenn man älter wird.

BRIGITTE: Viele Frauen über 50 sagen, sie seien gelassener als in jungen Jahren. Was machen die richtig?

Prof. Isabella Heuser: Diese Frauen stehen nicht mehr so unter dem Druck, alles perfekt machen zu müssen. Sie wissen aus Lebenserfahrung, dass es kein Drama ist, wenn etwas schiefgeht oder nicht hundertprozentig gelingt. In jungen Jahren war es ihnen peinlich, wenn das Kind schrie, sie einen Geburtstag vergessen hatten oder die Akte für die Besprechung nicht auffindbar war. Jetzt nehmen sie solche Patzer locker.

Wie lässt sich Entspanntheit lernen?

Es gibt protektive psychologische Mechanismen, die im Prozess des Älterwerdens greifen. Nach der ersten, oft panischen Abwehr der Lebensphase ab 50 entdecken viele Frauen, dass es wunderbar ist, nicht mehr ständig gefallen zu müssen. Endlich können sie sagen, was sie wirklich denken, statt eine Rolle zu spielen. Eine neue Freiheit, die stärkt.

Und diese Freiheit erreicht man durch eine Art eingebaute innere Regulation?

Ja, ein neurobiologischer Prozess führt dazu, dass wir immer weniger abhängig von ständigen Belohnungen sind. In jungen Jahren verlangt das neuronale Belohnungssystem im Gehirn stetig nach Futter: ein Orgasmus beim sexuellen Zusammensein, Statussymbole oder ein Aufstieg im Job. Wenn wir altern, altert das Belohnungssystem mit - und wir hetzen diesen Anreizen immer weniger hinterher. Außerdem können wir unsere Impulse besser kontrollieren, auch das führt zu mehr Gelassenheit.

Die Zeit arbeitet für uns

Isabella Heuser
Die 62-Jährige erhielt als erste Frau in Deutschland einen Lehrstuhl für Psychiatrie. Seit 2001 leitet sie die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité in Berlin. Sie ist seit neun Jahren in zweiter Ehe mit einem Amerikaner verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.
© Jens Passoth

Trotzdem erleben viele Menschen das Altern als Zumutung.

Das ist es ja auch in vieler Hinsicht. Die Arme werden schlaffer, der Bauch dicker, die Haare spröde. Damit zu hadern ist normal. Aber man kommt auch wieder raus aus diesem Tief. Denn paradoxerweise arbeitet die Zeit für uns, zumindest auf der psychischen Ebene. Die meisten Menschen in den westlichen Ländern gelangen mit 46 an einen Tiefpunkt, das ist die Phase, in der sie am wenigsten zufrieden sind. Dann geht es wieder aufwärts, mit 60 erreichen Frauen und Männer ein Zufriedenheitshoch.

Auch ohne eigenes Zutun? Dann könnten wir einfach abwarten, bis sich die Zufriedenheit von allein einstellt.

Nichtstun ist grundsätzlich schlecht. Alle neurobiologischen Prozesse sind immer auch durch Umwelt, Gedanken, Erlebnisse und Aktivitäten beeinflusst. Darum sollten wir uns mit der neuen Lebensphase auseinandersetzen. Wer sich den Veränderungen stellt, wird sie als weniger bedrohlich empfinden.

Was können die ersten Schritte sein?

Genau hingucken und sich Wissen aneignen. Information ist immer auch angstlösend. Man spürt, Körper und Gedächtnis lassen nach, beim Treppensteigen klopft das Herz, morgens tun die Gelenke weh. Aber man lernt auch, dass es gegen die Schmerzen gezielte Übungen gibt und wir Namen zwar schnell vergessen, dafür aber Situationen und Menschen besser einschätzen können.

Trotz solcher rationalen Einsichten fühlen sich viele Frauen durch den Verlust der Jugend verunsichert. Wie finden die raus aus ihrem Tief?

Frauen in dieser Lebensphase landen oft in meiner Praxis. Für sie kommt es jetzt darauf an, ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Und das funktioniert am besten über Aktivität. Ich empfehle ihnen, mit Freunden zu überlegen, wo ihre Interessen und Talente liegen, und nach einer passenden Gruppe zu suchen.

Aber gerade jetzt fällt es doch besonders schwer, sich aufzuraffen.

Darum biete ich meinen Patientinnen oft eine Begleitung von fünf Stunden an: Wir besprechen die Anmeldung in einem Verein und wie sie mit Sport, am besten in der Gruppe, anfangen könnte. Wer etwas mit anderen unternimmt, wird Resonanz erfahren, und das Selbstbewusstsein kann sich langsam festigen.

Aber bis sie so weit sind, müssen sich ältere Frauen der Kränkung stellen, dass sie unsichtbar werden. Ob im Job oder bei der Begegnung mit Männern - sie bekommen zu spüren, dass sie die in unserer Gesellschaft am wenigsten geschätzte Bevölkerungsgruppe sind.

Leider ist es tatsächlich so, dass Frauen, wenn ihre Reproduktionsfähigkeit sichtbar erloschen ist, als weniger attraktiv wahrgenommen werden. Das gilt für Männer - wenn auch später - übrigens auch, sie können den Verlust der Jugend nur eine Weile mit Status und Geld überbrücken. Männer werden angeblich reifer, aber in Wirklichkeit einfach nur wohlhabender. Wer älter wird, hat weniger Zukunft, rückt dem Tod näher - und das wird auch von außen wahrgenommen. Jetzt geht es darum, einen guten inneren Umgang damit zu finden.

Kann eine Botox-Behandlung helfen?

Sie kann ein Schritt zur Stabilisierung sein, aber es ist nur ein Aufschub, keine langfristige Lösung. Es bleibt extrem kränkend, nach einer Trennung keinen Partner zu finden, während der Ex-Mann schon eine Neue hat. Besonders, wenn es zeitgleich im Beruf nicht so gut klappt, die Kinder vielleicht gerade ausziehen. Das ist eine extrem schwierige Phase, die eine hohe Frustrationstoleranz erfordert. Leider müssen die Frauen da durch.

Es wird ja nicht einfacher, einen Partner zu finden. Sollten Frauen lernen, sich mit dem Single-Dasein abzufinden?

Ich ermuntere meine Patientinnen zur Partnersuche, auch im Internet, warne allerdings, dass auch bei Parship und Co ältere Frauen nicht als Knaller gelten. Aber es bewegt sich was, sie können flirten üben, kommen wieder ins Spiel. Natürlich können sie auch blöde Zurückweisungen erleben oder auf Männer treffen, die nur Sex wollen. Aber über solche Erlebnisse kann man sich mit einer Freundin lustig machen, dann fühlt es sich vielleicht nicht wie eine Pleite, sondern wie ein unterhaltsames Abenteuer an, das man weitererzählen kann.

Also Hauptsache raus?

Fast alles ist besser als ein dauerhafter Rückzug. Und manch eine findet ja auch tatsächlich einen Partner. Ich war 51, schon lange geschieden, als ich meinen Mann auf einer Lesung kennen lernte. Er ist zwei Jahre älter als ich. Keineswegs alle Männer wollen eine junge Frau, das weiß ich auch von meinen Patienten.

Es gibt ja durchaus Partnerschaften, die selbst nach Jahrzehnten noch gut funktionieren, auch sexuell. Was können Paare tun, damit es so bleibt?

Die Zeit des Rausches ist vorbei. Dafür können, wenn der Sex in ruhigeres Fahrwasser kommt, Vertrauen und eine tiefe Befriedigung entstehen. Falten sind dann nicht mehr so wichtig. Viele Frauen trauen sich jetzt, klarer zu sagen, was sie wollen und was nicht. Offen über die eigene Lust zu sprechen schafft Intimität. Und Männer öffnen sich in der Regel eher, wenn sie sich begehrt fühlen.

Oder wenn sie erleben, dass es ihnen gelingt, gute Gefühle auszulösen. Viele Männer fühlen sich bestätigt, wenn sie sich im Bett als Zufriedenheitsspender fühlen können.

Genau, denn das heißt ja auch, dass man wertvoll für den anderen ist. Und das kann wichtiger sein als ein praller Po. Leider geraten viele Paare in eine Abwärtsspirale: Beide sind unzufrieden mit sich selbst, ziehen sich zurück und fühlen sich dann nicht mehr begehrt. Auch da hilft es, aktiv zu sein.

Die Journalistin Bascha Mika prangert an, dass es aus dem Herzen der Gesellschaft komme, wenn Frauen beiseitegeschubst werden, sobald sie ein bestimmtes Alter überschritten haben. Und wenn sie sich zur Wehr setzten, gälten sie als Zicken...

Wenn eine junge Frau lebhaft und forsch auftritt, ist das frech, süß und ein wichtiger Impuls; bei einer 50-Jährigen gilt so ein Verhalten als peinlich. Junge Professorinnen dürfen im Fakultätsrat rummosern; wenn ich das mache, bin ich die alte Meckertante, hinter vorgehaltener Hand natürlich. Ich finde, wir sollten über die alltäglichen Altersdiskriminierungen diskutieren. Mit dem Partner, Freunden, Kollegen. Es ist ähnlich wie bei der Emanzipationsbewegung: Wir haben erreicht, dass wir Diskriminierung nicht als individuelles Problem, sondern als kulturelles Phänomen reflektieren können. Ähnlich ist es mit der Abschätzigkeit gegenüber Älteren. Wir werden sie nicht so schnell wegräumen, aber wir können ihr anders begegnen.

Und wie soll das zum Beispiel im Job gehen? Gerade in der auf Tempo getrimmten Arbeitswelt fühlen sich viele ältere Frauen an die Seite gedrängt.

Sie sollten nicht so bescheiden sein, sondern darauf aufmerksam machen, was sie alles leisten. Wer schon viele Jahre Berufserfahrung hat, gerät nicht so schnell in Panik, wenn etwas schiefgeht, und findet eher intuitive Lösungen. Das ist ein Kapital, das Frauen auch mal an die große Glocke hängen sollten. Außerdem sollten sie offensiv Situationen schaffen, in denen ihr Können gefragt ist, statt verschreckt in der Ecke zu sitzen und zu denken, die Jungen sind hipper als ich. Ihr großer Vorteil ist jetzt, dass sie auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden, mehr denn je.

Obwohl Frauen das Altern schwerer gemacht wird als Männern, hat man doch das Gefühl, dass sie insgesamt gelassener altern. Stimmt das?

Studien zeigen, dass ältere Menschen nichts so zufrieden macht, wie gebraucht zu werden. Für Frauen etwas Vertrautes. Jetzt zahlt es sich aus, dass in der Regel sie es waren, die für Leben in der Bude gesorgt, Freundeskreise und Unternehmungen organisiert haben. Daran können sie nun anknüpfen und kommen, wenn sie das Schrumpfen des erotischen Marktwertes erst einmal verwunden haben, gewachsen aus der Krise. Frauen altern interessanter, weil sie meist interessierter als Männer leben.

Interview: Claudia Kirsch

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