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Eine Auszeit nehmen: Oasen im Alltag

Der Ort, wo wir eine Auszeit nehmen und ganz bei uns sind, muss nicht gleich auf den Seychellen sein. Manchmal liegt das Paradies einfach nebenan.

Auszeit: Mein Paradies ist... Rückenschwimmmmen im Meer

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Madina Rudi, 29, Umschulung zur Industriekauffrau, Stuttgart Im Wasser bin ich glücklich, auf der Welt zu sein. In meinen Träumen fliege ich, aber in Wirklichkeit schwimme ich. Weil ich nicht fliegen kann, gehe ich ins Wasser. Da tauche ich in ein komplett anderes Dasein und gehe ganz darin auf. Schwerelos mit der Sauerstoffflasche in die Tiefe, immer zu zweit. Ich kann nicht sprechen, nur Zeichen geben und auf den anderen vertrauen. Ich denke an nichts, alle Probleme verfliegen, egal ob Liebeskummer oder eine diskriminierende Bemerkung auf dem Einwohnermeldeamt, weil man mich mit meinem Akzent in der Stimme für eine Ausländerin hält. Aber ich muss nicht unbedingt tauchen, ich schwimme auch im Freibad, im Fluss, in einem See oder im Meer.

Am liebsten auf dem Rücken, da kann ich meinen Kopf nicht drehen und sehe nur Wolken und Himmel.

Die Ohren sind dann unter Wasser, ich höre nichts, außer Rauschen. Dann ist es, als ob ich fliege - auf dem Rücken fliege -, außerhalb von Zeit und Raum. Schon in meiner Kindheit in den Bergen von Ossetien, wo ich aufgewachsen bin, bin ich geschwommen. Abends im Fluss, wenn es sehr still um mich herum wurde und nur noch das leise Klatschen der Wellen auf den Steinen zu hören war. Nichts als Wasser. Wurde ich müde, habe ich mich auf den Rücken gedreht und in die Sterne geguckt.

Auszeit: Mein Paradies ist... Unkraut jäten in meinem Garten

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Angela von Gündell, 44, Trainerin und Musikerin, Rottenburg Ich habe ja keine Ahnung vom Gärtnern, aber all die Vorbereitungen, die nötig sind, damit etwas wachsen könnte, sind schön. Umgraben und jäten. Das könnte ich jeden Tag machen. Barfuß oder in Gummistiefeln, mit den Kindern im Garten hinter unserem Haus. Dort werkelt jeder vor sich hin, der eine im Sand, der andere im Wasser, der dritte in den Salatpflänzchen und ich in der Erde. Diese Minuten und Stunden machen mich ruhig. Ich schalte ab. Disteln rupfen und Löwenzahn, Erde lockern und Erde riechen, das erdet mich.

Normalerweise kann ich nicht stillsitzen, ich denke immer an etwas herum und will überall gleichzeitig sein. Muss ich ja auch, vorturnen im Fitnessstudio, die Kinder von der Schule abholen, zum Musikunterricht fahren, Essen vorbereiten. Aber beim Gärtnern komme ich in einen meditativen Fluss. Ich höre die Stimmen der Kinder im Hintergrund, die Insekten und Vögel wie ein leises Konzert, das mich begleitet. Da stimmt dann alles, da hört der tägliche Hirnkrampf auf, Druck und Panik fallen ab, ich plane nichts, ich will nichts und werde still - am richtigen Ort zur richtigen Zeit.

Auszeit: Mein Paradies ist... die blaue Stunde "chez Antoine"

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Anna-Maria Istria, 87, Campingplatz-Chefin, Olmeto-Strand, Korsika Das ist mein Campingplatz. Wenn ich abends zur blauen Stunde in meinem Rollstuhl, Rolls-Royce nenn ich den, hier vor der Rezeption sitze und übers Meer bis zum Horizont sehe, der in diesem unvergleichlichen hellblauen Licht schimmert. Es riecht nach Oleander und Oliven, die Hunde liegen zu meinen Füßen. Das ist mein Lebensinhalt geworden. Stammgäste, die ich seit Jahren kenne, kommen auf dem Weg zur Dusche vorbei, fragen, ob "Madame" noch fit sei bei dieser Wahnsinnshitze - sicher doch! -, und laden mich zum Aperitif ein. Als Ehrengast. So wie in meiner Jugend, als ich als Hamburger Deern auf Partys "Klein-Erna-Witze" zum Besten geben durfte. Als ich 1957 von Hamburg zum ersten Mal nach Korsika kam, habe ich hier, unter diesen Olivenbäumen, meinen Mann Antoine kennen gelernt. Ein korsischer Humphrey Bogart - aber das Rauchen!

Leider ist er viel zu früh gestorben. Kurz vor seinem Tod haben wir den Campingplatz angelegt. An meinem Lebensabend ist es eine große Befriedigung, die Früchte meiner Mühe zu sehen. Hier an diesen Ort am Meer, an dem ich Eukalyptusbäume pflanzte, die so schnell gewachsen sind und heute Schatten spenden; hier, wo sich jetzt Familien mit Kindern tummeln, von denen viele Antoine heißen, weil sie hier entstanden sind. Ich habe einiges gemacht im Leben, habe sogar Geige gespielt und Kunst studiert, bevor 1943 meine Hamburger Jugend in Flammen aufging. Nun sitze ich nach Sonnenuntergang, wenn der Himmel und das Meer eins werden, an der Rezeption zu meinem Paradies, einem, das bleibt. Wie dieses himmelblaue Licht...

Auszeit: Mein Paradies ist... rund und vor der Haustür

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Mika Truckenmüller, 13, Schüler und Fußballspieler, Stuttgart Wenn ich mich aufrege, Stress in der Schule habe oder Streit daheim, dann geh ich raus auf die Straße zum Kicken. Fußballspielen macht mir absoluten Spaß. Dann laufe ich mit den anderen zusammen und vergesse alles um mich herum und konzentriere mich nur noch auf den Ball und meine Mitspieler. Egal ob Matsch oder Regen - es geht mir gut. Am tollsten ist es, die anderen auszutricksen und wenn dann alle jubeln und applaudieren. Manchmal werden wir vom Trainer angeschrieen, dann konzentrieren wir uns noch mehr, wir kämpfen, schießen Tore und gewinnen.

Mittwoch- und Freitagnachmittag trainiere ich beim SV-Vaihingen, der ist sehr gut, und an den anderen Tagen als Gast bei meinem Verein im Stadtviertel mit Freunden und Nachbarn. Einerseits ist es schade, dass ich nicht bei beiden Vereinen die Turniere mitspielen kann. Aber auf der anderen Seite ist es auch lustig, da ich so manchmal gegen meine Kumpels von meinem Viertel kicke. Dann will ich natürlich immer besonders gut sein. Die haben mich jetzt gefragt, ob ich nicht ganz zu ihrem Verein wechsle. Das ist schwierig für mich zu entscheiden. Kumpels oder Mannschaft mit besseren Aufstiegschancen? Eigentlich würde ich schon gern ein berühmter Fußballspieler werden - oder Schauspieler, geht auch.

Auszeit: Mein Paradies ist... zu hause brasilianische Musik hören

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Lisa Masedo, 53, Restaurantfachfrau, Tübingen Ich sehe nach draußen auf die Apfelbäume, im Radio läuft brasilianische Musik. Zwischen weiße Spitzenkissen auf mein Sofa im Wintergarten gekuschelt, ganz bei mir - so schaff ich mir mein Para- dies. In meinem Job laufen jeden Tag tausend Leute an mir vorbei, ich grüße, bin guter Laune und freundlich. Um diesen Druck auszuhalten, brauche ich spätnachmittags ein paar Minuten eigene Welt. Und die verdopple ich sogar noch. Während mein Blick raus ins Grüne geht und ich die Lieder aus dem Radio mitsumme, bin ich in Brasilien am Meer.

In dieser wirklich paradiesischen Landschaft, in der mein Elternhaus steht und wo ich in meinen Träumen flussaufwärts mit dem Boot in die Berge paddle – wie früher. Mein Paradies ist mein Zuhause. Hier fühle ich mich geborgen, keiner darf mich stören, und niemand kann mir etwas antun. Ich muss nicht einmal sterben dafür, um ins Paradies zu kommen. Sondern ich koche heißen Tee und stelle mir vor, wie es wäre, einen roten Apfel vom Baum in Nachbars Garten zu pflücken. Was ich nicht tue. Ich will ja nicht vertrieben werden.

Text: Marianne Mösle Fotos: Cira Moro

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