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Wenn die Angst am Steuer sitzt

Selber Autofahren ist für viele nicht möglich - trotz Führerschein. Es ist die Angst, die sie hindert. Ein "Angst vorm Autofahren"-Training kann helfen.

Manchmal sitze ich mitten im Schlamassel. So wie jetzt. In einem netten Gespräch habe ich beiläufig unserer Redaktionsleiterin erzählt, dass ich gar nicht mehr Auto fahre und irgendwie auch Angst vorm Autofahren habe. Und was kommt zurück: "Das ist doch ein gutes Thema. Schreib doch mal über die Angst und probier ein Fahrtraining." Okay. An dieser Stelle hätte ich ihr gern drei Dinge angeboten, um aus der Nummer wieder rauszukommen. 1. "Ach, das will doch keiner lesen. Aber ich könnte dafür über ein anderes Thema vor 100 Leuten einen Vortrag halten." 2. "Lieber nicht. Übrigens, wenn du mal jemanden brauchst, der sich in Quantenphysik einliest, frag mich ruhig." 3. "Nein, aber ich könnte doch einen Selbsttest machen, wie sich eine Wurzelbehandlung ohne Spritze anfühlt." All das wäre mir lieber gewesen. Stattdessen sage ich: "Klar. Kein Problem."

In Wirklichkeit ist es ein Problem. Ich habe vieles gewagt im Leben: neue Städte, neue Freunde, neue Jobs. Aber das Autofahren ist eine Baustelle geblieben. Meinen Führerschein habe ich mit 18 Jahren noch ohne Probleme geschafft. In dem kleinen Dorf im Münsterland, in dem ich aufgewachsen bin, war das quasi Not und Pflicht. Aber als die Großstädte kamen, hatte ich am Anfang kein Geld für ein Auto und später keinen Mut mehr. Es ging ja auch ohne. Selber Autofahren ist für mich unheimlich und abstrakt. Mein persönliches "Sodom und Gomorrha". In meiner Fantasie herrscht dort Chaos, Leute werden überfahren und ich verliere den Überblick. Dabei habe ich überhaupt kein Problem damit, wenn andere fahren.

Die passende Anlaufstelle bei Angst vorm Autofahren.

Aber wenn es das Schicksal so will, stelle ich mich der Angst. Über Google finde ich auch eine passende Anlaufstelle: www.angstfrei-autofahren.de Dahinter steckt Alexandra Bärike. Sie ist Fahrlehrerin und Diplom-Psychologin und hat sich vor vier Jahren auf die Beratung und Therapie von Personen mit Autofahrängsten spezialisiert. Sie hilft Klienten mit Panikattacken genauso wie solchen, die einfach nur mangelnde Fahrroutine haben. Dreiviertel der Menschen, die zu ihr kommen, sind Frauen. Alle haben eins gemeinsam: den Führerschein haben sie längst. Diese Art von Angebot ist genau das Richtige für mich. Denn ich will nicht in eine "normale" Fahrschule gehen und zusammen mit 18-Jährigen im Auto sitzen. Außerdem fürchte ich, dass ich dort einen Fahrlehrer wie meinen früheren erwischen könnte. Der wurde nicht müde, permanent meine ganzen Fehler aufzuzählen.

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An einem sonnigen Samstag betrete ich die Praxis von Alexandra Bärike in Hamburg. Die Angst begleitet mich. Ich weiß, dass mit einer Fahrlehrerin nichts passieren kann, aber es kostet mich viel Kraft, mich diesen Ängsten zu stellen. Doch Alexandra Bärike strahlt mich an. Ihre zwei kleinen Praxisräume sind asiatisch beruhigend mit Buddhas und Lampen mit weichem Licht eingerichtet.

An ihrem Schreibtisch analysieren wir zunächst meine "Auto-Geschichte". Ich erzähle von meiner Fahrroutine auf dem Land, meiner fehlenden Praxis in der Stadt, meiner Angst vorm Spurenwechsel und meinen Befürchtungen, den Überblick zu verlieren und zu langsam zu reagieren. Außerdem habe ich das Gefühl, dass alle Welt denken könnte: "Was für eine blöde Frau fährt denn da."

Ich werde ernst genommen

Wenn ich anderen von meinen Fahrängsten erzählt habe, kam spätestens an dieser Stelle der Standardspruch: "Da übst du halt ein bisschen und dann geht das auch wieder weg." Aber ich kann mich mit meinen Ängsten im Bauch nicht einfach in das nächstbeste Auto sitzen und "einfach mal üben". Bei Alexandra Bärike kommt jedoch der erste Überraschungsmoment: "Sie haben nie eine Fahrroutine in der Stadt aufgebaut. Das Sie das nicht können, ist ganz natürlich. Gerade Spurenwechsel ist wirklich schwer." Ich fühle mich sofort ernst genommen.

Sie malt mir in einem Kreis auf, wie sich meine Angst vorm Autofahren zusammensetzt. Fast 50 Prozent des Kreises füllt meine mangelnde Routine aus. Dann steht da noch mein Selbstbild. Ich bilde mir ein, nicht gut zu fahren und das hindert mich daran, es einfach zu tun. Weitere Anteile meiner Angst sind die Tatsache, dass ich nie ein eigenes Auto hatte, die schlechten Erfahrungen mit meinem ersten Fahrlehrer und meine Persönlichkeit. Alexandra Bärike sagt mir, dass ich rücksichtsvoll eingestellt bin und es mir etwas ausmacht, ob ich andere behindere.

Alles nur Schisshasen?

Etwas interessiert mich aber noch ganz persönlich: Die Frage, ob hauptsächlich "Schisshasen" zu ihr kommen. Menschen, die sich im Leben selten etwas trauen. "Gerade diese Menschen kommen kaum zu mir. Viele meiner Klienten wirken von außen nicht verunsichert, sie haben oftmals sogar Top-Berufe. Aber damit wächst auch der Perfektionsanspruch an sich selbst. Sie wollen die Dinge gut oder gar nicht machen. Und im Straßenverkehr gibt es kein "gut" und "schlecht". Da passieren Situationen, die verschiedene Fahrer ganz unterschiedlich einschätzen."

Es geht ins Auto

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Und mit diesen Worten geht es ins Auto - ein Fahrschulauto mit doppelter Bedienung. Das ist gut. Aber die Fahrschulschilder bleiben trotzdem im Kofferraum. Ich soll ja die Realität erleben. Alexandra Bärike erklärt mir zunächst in Ruhe alle Basics. Wie funktionieren die Gänge? Wie muss ich die Spiegel einstellen? Wie groß ist der Abstand der anderen Autos zu mir, wenn sie im Rückspiegel auftauchen. Als ich dann zum ersten Mal die Kupplung drücke, zittert mein linkes Bein. Es geht los. Ich fahre in der Stadt. Oh je, wie aufregend. Zunächst fahren wir eine leichte Strecke, einfach gerade aus über die Ampeln. Dabei fällt eines auf: Mit dem Auto umzugehen, ist gar nicht so schwer. Die Gänge beherrsche ich fast wie im Schlaf. Natürlich muss ich mich an das Auto gewöhnen. Das Anfahren an der Ampel könnte beispielsweise geschmeidiger laufen. Aber hey, das lerne ich auch schnell. Und Alexandra Bärike lobt mich.

Nach zehn Minuten schaue ich zum ersten Mal auf die Uhr. Ich fühle mich relativ entspannt. Ich gerate weder in Panik, noch schwitze ich. Für einen kleinen Moment macht mir meine Tour durch einen Vorort sogar Spaß. Als wir wieder Richtung Innenstadt fahren, übt Alexandra Bärike die schwierigen Situationen mit mir. Auf einer zweispurigen Straße wechsle ich von einer Seite zur anderen und wieder zurück und wieder rüber. Dabei gibt sie mir ganz einfache Regeln an die Hand. Blinken, beschleunigen, um die Lücke zu vergrößern, Innenspiegel, Außenspiegel und Blick in den toten Winkel. Wenn alles okay ist, kann ich rüber. Ob diese Situation hektisch oder gelassen verläuft, liegt ganz an mir. Ich bestimme das Tempo.

Alles wird ausführlich erklärt

Diese genauen Anweisungen nehmen wir den Schrecken vor dem Spurenwechsel. Vorher hieß es immer pauschal: "Na, dann guckst du, ob du rüber kannst und machst das dann." Das hatte zur Folge, dass ich geblinkt habe, hektisch in alle Richtungen geguckt habe und fast parallel rübergezogen bin. Jetzt weiß ich, wie ich schauen muss, um dann, abgesichert, auf die andere Spur zu wechseln. Ich bin ganz stolz auf mich und meine Fahrlehrerin auch.

Plötzlich heißt es: "So, da können Sie parken. Wir sind wieder da." Was, das war’s schon? Wir sind 75 Minuten gefahren. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal hinterm Steuer die Zeit vergesse. Beseelt gehe ich ins Wochenende. Unterwegs strahle ich jeden an, der mir entgegen kommt.

Am darauffolgenden Dienstag treffen wir uns zur zweiten Stunde. Es regnet in Strömen und der Berufsverkehr quält sich durch die Stadt. Doch ich bin optimistisch. Wir üben zunächst alles wie beim ersten Mal. Im Gegensatz zum Samstag strengt es mich heute aber sehr an. Und das enttäuscht mich. Alexandra Bärike erklärt beruhigend: "Sie fahren heute nicht schlechter, die Bedingungen sind schwieriger. Der Regen, das ständige Scheibenwischen vor den Augen, ungeduldige Fahrer. Außerdem habe ich den Schwierigkeitsgrad erhöht." Das stimmt. Schließlich bin ich heute auch über die Autobahn und sogar durch den Elbtunnel gefahren. Danach habe ich mich fast wieder auf den Stadtverkehr gefreut.

Und es gibt noch einen Erfolg: Ich wurde dreimal angehupt und es hat mir nichts ausgemacht. Um das zu erreichen, hat mir Alexandra Bärike einen einfachen Trick verraten: "Was die anderen Fahrer über Sie denken, werden Sie nie erfahren. Es sei denn, Sie steigen aus und fragen nach. Aber würden Sie das machen? Selbst wenn einer hupt: Ist das wirklich schlimm? Macht Sie das zu einer schlechten Fahrerin? Nein."

Angst überwinden ist ein Projekt

Nach dieser Stunde rät sie mir, noch zwei weitere Stunden zu nehmen. Nicht, weil ich nicht fahren kann, sondern um noch mehr Sicherheit zu bekommen. Das leuchtet mir ein. Angst vorm Autofahren zu überwinden muss man als Projekt sehen. Daher ist meine vorläufige Bilanz: Zehn LKW-Ladungen neuen Mut angekarrt, Sodom und Gomorrha in die Schranken verwiesen, Schlamassel begraben. Das war großartig. Und eines kann ich jedem in meiner Situation versprechen: Wenn die Angst geht, hat die Seele mehr Platz.

Adressen für Betroffene mit Angst vorm Autofahren

Eine verlässliche Zahl, wie viele Menschen unter Angst vorm Autofahren leiden, gibt es nicht. Wenn man Teilängste, wie Autobahnfahrten oder Einpark-Situationen, dazuzählt, kennt fast jeder in seinem Bekanntenkreis mehrere Betroffene. Menschen mit Angst vorm Autofahren finden hier Hilfe:

Alexandra Bärike, www.angstfrei-autofahren.de Einzelgespräche und Fahrtrainings in München, Köln und Hamburg. Tagestraining oder Autobahn-Langstrecken-Trainings auch bundesweit buchbar.

Fahrschule „Schaffen wir“, Berlin, www.schaffenwir.de Antistresskurse, individuelle Beratung und begleitende Fahrstunden

Autoclub für Angsthäsinnen, Magdeburg. 0391-401 30 97, hier bieten ehrenamtliche „Fahrbegleiter“ Trainings für Frauen an, die lange nicht gefahren sind und sich unsicher auf der Straße fühlen.

Club autogestresster Frauen, Berlin. Angehängt am Frauenpunkt Courage e.V., www.frauenpunkt-courage.de Der Club arbeitet mit Fahrschulen zusammen und bietet einen Stammtisch, Einzelberatung und Infoveranstaltungen an.

Buchtipp: Karl Müller, Autofahren ohne Angst. Das Erfolgsprogramm für entspanntes Autofahren, Verlag Hans Huber, 2008.

Text: Bianka Echtermeyer Fotos: privat

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