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Zu wenig Zeit für die Liebe? Das hält keine Beziehung aus

Zu wenig Zeit für die Liebe? Das hält keine Beziehung aus
© Mr. Douzo/ shutterstock
Seine letzte Freundin hatte eine Tochter, beruflich viel zu tun – und zu wenig Zeit für die Liebe. BRIGITTE WOMAN-Autor Jan Jepsen über eine Beziehung, die endete, weil sie nie richtig begann.

Dies ist die Geschichte vom Ende einer Liebe. Aus meiner, also aus männlicher Sicht. Aber bloß keine Bange. Das hier wird kein Klagelied. Ich will lediglich von der Unmöglichkeit erzählen, eine Beziehung mit einer berufstätigen, alleinerziehenden Frau zu führen.

Dabei fing alles fast filmreif an. An einem lauen Sommerabend, auf dem Geburtstag eines gemeinsamen Freundes. Sie: "Hallo, ich bin’s, kennst mich noch?" Gegenfrage, gedacht: Hallo!? Ist der Papst katholisch? Klar kannte ich sie noch: Es gibt Mädchen, die bleiben Jungs ein Leben lang im kollektiven Gedächtnis. "Ja, du bist ... Annika, aus der 11 c!"

"Ah!" wie Annika. Zwei Klassen über mir. Ich ein Jahr jünger – damit ein Lichtjahr von ihr entfernt, weit unter ihrer Wahrnehmungsschwelle. Kleiner Trost, ich war nicht allein. Ich kannte damals keinen Jungen, der nicht in sie verknallt, und nur einen einzigen Glücklichen, der mit ihr zusammen war. "Ich weiß sogar noch, wer dein Freund war", sagte ich. "Tommy, mit dem roten Mercedes-Benz." Der bestaussehende Hippie der Schule. Nach einer Stunde tauschten wir Nummern. Auf ihren Wunsch hin wohlgemerkt, ganz wichtig. Das war wie Geburtstag und Weihnachten zusammen. Nach ihrer Nummer zu fragen, hätte ich mich – kleiner Junge, großes tolles Mädchen – nie getraut. Es gibt Komplexe, die wird man nicht los. Da bleibt das Dasein eine endlose Teenagerkomödie oder besser: -tragödie.

Das erste Date hatte ich mir anders vorgestellt

Erst mal reger SMS-Verkehr. Gute Sache, wenn man a) Schreiber ist und b) ein bisschen schüchtern. Allemal gegenüber attraktiven Frauen. Und Annika sah auch 30 Jahre später noch fantastisch aus. Simsen war wie Flirten aus der Deckung. Das Beste: Ihre Antworten ließen nie lange auf sich warten. Das bloße "Pling" meines Handys jedes Mal eine Verheißung, plus entsprechend großen Glücksgefühlen. Dazu ein Puls, der, ich glaube, im Takt von "Love Is In The Air" klopfte.

Entsprechend groß der Drang, "Ah!" wie Annika wiederzusehen: Taten statt Worte. Die nächste Stufe zünden. Gehe vor bis ... Liebe? Nur: "Lass uns uns treffen!", das simste sich so leicht. Der Versuch, aus Buchstaben eine Begegnung zu machen – leider schon sehr viel schwieriger.

Annika war beruflich schwer eingebunden, wirkte oft an freien künstlerischen Produktionen in verschiedenen Städten mit und war obendrein – bis auf die Ferien – alleinerziehend, Mutter einer pubertierenden Tochter. Da ich selbst Vater bin und nicht nur mit Emanzipation sympathisiere, sondern sie praktiziere – mein Kind lebt zur Hälfte bei mir –, weiß ich gut, was das im Falle berufstätiger und ganz alleinerziehender Frauen heißt: Doppelbelastung de luxe. Viel Hin- bei gleichzeitiger Selbstaufgabe.

Was ich nicht mehr weiß: wie viele Wochen und Textnachrichten zwischen der Geburtstagsparty und unserer zweiten Begegnung lagen. Gefühlt noch mal 30 Jahre. Ähnlich doof: Das Wiedersehen verlief nur bedingt bis gar nicht privat. Wir trafen uns bei der Generalprobe eines Theaterstücks, bei dem sie mitgearbeitet hatte. Annika lotste mich durch den Bühneneingang. Aber nicht nur mich. Nein. Eine ganze Entourage wartete da auf sie. Fast schon ein Fan-Club. Knapp zehn Leute. Das hatte ich mir anders vorgestellt. Irgendwie intimer.

Wir gingen nur langsam aufeinander zu

Selbst schuld, dachte ich, so ist das mit Erwartungen. Soll man nicht haben, werden meist enttäuscht. Hätte mal besser auf die Buddhisten gehört: Alles Leid kommt vom Wollen. Wie naiv zu glauben, Annika könnte während des Stücks neben mir sitzen und die Inszenierung mit Theater-Interna aufpeppen. Sie war natürlich Backstage. Die meiste Zeit. Außerdem fühle sie sich da am wohlsten, meinte sie mal. Wo ewig probiert und improvisiert wird. Im Nachhinein kommt mir das vor wie eine Metapher. Als hielte sie sich auch emotional am liebsten im Backstagebereich auf. Sprich für den Freund weitgehend unsichtbar. So gesehen ein Wunder, dass es trotzdem, nächste Ewigkeit später, zur privaten Premiere kam und wir uns eines Abends in den Armen lagen.

Allerdings, das sage ich gleich, Amour fou geht anders. Nachdem mir Annika simsend gestand, dass sie sich verliebt hätte (meine Antwort, Gedächtnisprotokoll: "Was? Wow! Wirklich? Wusste gar nicht, dass Du Raum und Zeit für so große Gefühle hast!"), bin ich sofort zu ihr. Surrend öffnete sich die Haustür. Drei Treppen nach oben. Niemand da. Die Wohnungstür angelehnt. Ich konnte hören, wie sie in der Küche telefonierte. Mit der Steuerberaterin. Vielleicht hätte ich da ein erstes Mal Verwunderung zum Ausdruck bringen sollen. Statt immer nur zu staunen. Und für die Verständnis-Weltmeisterschaft zu trainieren. So eine Art Liebeslimbo: How low can you go? Aber Anklagen und Fordern bringen meines Erachtens nichts: Liebe und Aufmerksamkeit sind Geschenke, kein Grundrecht.

Wir gingen behutsam miteinander um, fast scheu: zwei Waidwunde, Liebesversehrte beim Wattepusten. Schließlich waren wir nicht mehr 17, schon ein bisschen perforiert von Armors Pfeilen, emotional etwas vernarbt. Ein Kennlernen in Slow Motion. Gut gegen Verschleiß, kann sein. Schlecht für echte Nähe. Gehe einen Schritt vor und zwei zurück. So kam es mir vor. Da war immer diese Restunsicherheit. Dieses Gefühl eines Kennenlernens, das gar nicht aufhören wollte. Und doch gut genug funktionierte, um sich immer wiedersehen zu wollen.

Zu wenig Zeit für die Liebe? Das hält keine Beziehung aus
© Ralf Nietmann

Im Schnitt trafen wir uns alle zwei bis drei Wochen. Entschieden zu wenig, wie ich fand. Fand Annika vielleicht auch. Kann schon sein. Aber, aber, aber. Die viele Arbeit, das Kind, die Kollegen, der nervige Ex-Mann. Numinose Gründe. Angeblich immer Wunsch versus Wirklichkeit, Wirklichkeit gewinnt. Es fehle ihr einfach an Zeit. Ihr Leben sei ein einziger Zwischenfall, meinte sie mal. Und ich nur einer davon, dachte ich.

Immer war ich es, der fragen musste, ob wir uns sehen, der versuchte, als pflegeleichtes Modul in ihrem Leben anzudocken. Mich dazwischenzuquetschen. Nicht nur in ihren Terminplaner, auch zwischen Mutter und Tochter.

Die gab mir wenig subtil zu verstehen, dass sie einen zweiten Vater nicht bräuchte. Und nicht wollte. Jedenfalls hatte ich das Gefühl, dass sie hinter den Kulissen gegen mich agierte. Und die ungeteilte Aufmerksamkeit der Mutter einforderte in den seltenen Momenten, in denen die Arbeit das nicht tat. Wieso sonst wollte sie mit fast 14 plötzlich wieder bei Mama im Bett schlafen? Während ich nach einem gemeinsamen Kinobesuch nach Hause wackeln musste? Nachdem ich Annika ich-weiß-nicht-wann zuletzt gesehen hatte. Da musste man schon der Dalai Lama selbst sein, um das lustig zu finden. Meine persönliche Erleuchtung: Kinder, die Mamas neuen Freund verhindern wollen, können viel kontraproduktiver sein als beispielsweise Schwiegermütter. Nicht zuletzt, weil Kinder bei ihren Müttern – naturgemäß – immer auf Platz eins stehen. Dann kommt der Job, die Existenzgrundlage. Und dann erst, mit Glück, weit abgeschlagen auf Platz drei des Prioritätsrankings, der Freund. Als eine Art Luxus, vielleicht. Oder netter Gimmick.

Das Verlässlichste, vom tollen Sex abgesehen, wenn er denn stattfand, war der SMS-Verkehr. Ging immer. Und überall. Statt Gute-Nacht-Kuss ein Gute-Nacht-Gruß. Desgleichen morgens. Das verband auch, irgendwie, virtuell: Fernwärme. Das funktionierte. Eine Weile. Was nie funktionierte: Wochenenden planen. Geschweige denn einen gemeinsamen Urlaub. In knapp zwei Jahren haben wir, kein Witz, höchstens drei Ausflüge gemacht. Zweimal Kino, und nur ein einziges Mal hat mich Annika auf dem Land in meinem Wochenendhäuschen für zwei Tage besucht.

Eine Art Vorschau auf das, was hätte sein können

Sie kam mit dem Zug nachgereist. Keine Arbeit, kein Kind dabei. Nur ein Sommerkleid, ein Buch, einen Badeanzug, ein breites Lächeln. Sie war wie ausgewechselt. Ihre eigene Doppelgängerin. Kaum wiederzuerkennen. Und deshalb auch ein bisschen befremdlich. Eigenartig, dachte ich, was mit alleinerziehenden Müttern passiert, wenn die Kinder beim Vater sind. Nicht mehr und nicht weniger als eine Metamorphose. All die Aufmerksamkeit, die da plötzlich für den Partner freigesetzt wurde. Als wüsste sie gar nicht, wohin damit. Schlimmer: als sei man gar nicht gemeint. Als ersetze man irgendwie das Kind. Und trotzdem war das sozusagen die Sternstunde, der Zenit unserer Beziehung. Eine Art Vorschau auf das, was hätte sein können.

Hätte, hätte, Herrentoilette. Dann wieder der täglich Termin-Tsunami. Der Job. Das Kind. Die fehlende Zeit. Ich dachte, was soll denn da jetzt auch noch ich rumstressen? Nach meinem Verständnis hatte ich mich brav hinten anzustellen. Ich wollte wirklich überallhin, nur nicht auf ihre Stress-Agenda. Zumal man da bei einer alleinerziehenden Frau schnell auf dem Schleudersitz landet. Zwangsläufig. Von Tochter und Arbeit kann sie sich ja schlecht trennen.

Irgendwann war mir das alles zu dünn

Als ich trotzdem, viel später, vorsichtig den Finger hob, „Hallo, und ich? Wir?“ sagte, homöopathische Ansprüche stellte, gab Annika ihrer gescheiterten Ehe die Schuld. Sie sei noch nicht wieder so weit. Oder, generalisierend: Sie sei wohl nichts für Männer. So ganz allgemein, vorherige Beziehung mitberücksichtigt. Sorry. Beruflich zu eingespannt. Und überhaupt, sie hätte schon ein schlechtes Gewissen mir gegenüber. Das war, wie gesagt, das Letzte, was ich von ihr wollte.

Irgendwann war mir das alles zu dünn. Und doof. Wo hört Selbstlosigkeit auf, wo fängt Selbstverleugnung an? Wo endet eine Beziehung, wo beginnt Beliebigkeit? Wann hängt beim Liebeslimbo die Latte so tief, dass man nicht mehr drunter durchkommt? Wann darf, sollte, muss man als Freund auf den Putz hauen? Und: Was bringt das? Außer Extrastress.

Meine Nachsicht war aufgebraucht

Nach knapp zwei Jahren war mein Kontingent an Nachsicht und Bedürfnislosigkeit aufgebraucht. Ich habe mich in eine andere, viel jüngere Frau verliebt. Sie war keine 30. Ich habe ihr Alter Annika gegenüber nicht groß thematisiert. Vielleicht aus Selbstschutz. Das Ende: ein Achselzucken, ein erleichtertes Seufzen („Ist vielleicht besser so!“) und meinerseits die Erkenntnis, dass Annikas passionierte Geschäftigkeit womöglich nur ein Vorwand war, um mich auf Abstand zu halten. Falls es stimmt, dass Liebe alle Ketten sprengt, dann war das, was sie für mich empfand, wohl keine Liebe.

Bevor jetzt kollektiv gestöhnt wird, mich alle doof und typisch männlich finden und als Sugardaddy beschimpfen, weil ich mich in eine viel jüngere Frau verliebte: Der äußere Schmelz der Jugend war nur ein Teil der Attraktion. Der andere war die innere Leichtigkeit, die damit einherging. Dies Gefühl von Schwerelosigkeit, von Hier und Jetzt statt Wenn und Aber. Das war so was von sexy. Leider nicht sehr lange: wieder kein Happy End. Aber das ist eine andere Geschichte.

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Text: Jan Jepsen Illustrationen: Ralf Nietmann

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