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Weiblichkeit: "Jede Frau hat Feuer in sich"

Weiblichkeit: "Jede Frau hat Feuer in sich"
© miss.sophie/Photocase
Sinnlichkeit ist reine Beschlusssache, sagt die Schweizer Sexualtherapeutin und Buchautorin Doris Christinger. Wir müssen sie und die Weiblichkeit nur in unser Leben einladen.

BRIGITTE WOMAN: Unsere erotische Lebendigkeit - nimmt sie mit zunehmendem Alter ab?

Doris Christinger: Nein, es ist eher der Kontakt zu unseren Leidenschaften, der gestört sein kann. Weiblichkeit, Lust, Sexualität - diese Dinge verändern sich, aber verloren gehen sie nicht.

BRIGITTE WOMAN: Warum verlieren wir den Kontakt? Was machen wir falsch?

Doris Christinger: Falsch ist es nicht, es ist das Leben. Wir müssen nach der funktionalen Zeit, in der es vor allem um Leistung, um Familie und Beruf ging, zurückfinden zu unseren lustvollen Gefühlen. Viele von uns haben vergessen, dass sie außer Mutter und Berufstätige auch sinnliche Frauen, auch Geliebte sind. Da ist ein Defizit, und wir haben in einem gewissen Alter die Wahl: Wandern wir in Richtung Resignation? Oder finden wir zu unserer Sinnlichkeit zurück, pflegen wir unsere Erotik? Dann bleiben wir saftig, inspirierend, attraktiv.

BRIGITTE WOMAN: Sie ziehen letzteren Weg offensichtlich vor?

Doris Christinger: Ja, es ist der Weg der Lebensfreude, der weiblichen Ausstrahlung. Jede Frau kann das. Dabei geht es nicht unbedingt um Sex, nicht um die perfekte Figur und auch nicht darum, jünger auszusehen! Es geht um das innere Feuer. Jede hat Feuer in sich, das sie anfachen kann. Die Frage ist: Was will ich jetzt noch? Wohin zieht es mich? Was macht mir Spaß? Wo sehe ich mich? Das unkonventionelle Leben in der Frauen-WG kann genauso inspirierend sein wie Reisen, wie Engagement in der Politik oder kulturelle Unternehmungen. Alles, was uns Genuss bringt, ist richtig: Spanisch auffrischen, ein Instrument lernen, im Chor singen, neue Menschen treffen, etwas wagen, Mut zulassen. Was also kann mich begeistern? Das muss nicht die Beziehung zum Mann sein.

BRIGITTE WOMAN: Sex ist aber doch ein zugkräftiger Lebensmotor? In jedem Alter. Oder?

Doris Christinger: Absolut. Oft kommen Paare zu mir in die Therapie oder ins Seminar, die sagen: Wir lieben uns, aber wir leben wie Bruder und Schwester zusammen. Und das genügt uns nicht mehr.

BRIGITTE WOMAN: Wie ist ihnen zu helfen?

Doris Christinger: Sie lernen, in die Sexualität zu investieren. Die Sinnlichkeit bewusst zu erleben. Die Seele zu nähren. Mit Musik, mit einem Glas Rotwein, mit Berührung. Es geht um Verlangsamung, Sensibilisierung, Offenheit, Genussfähigkeit. Mein Partner und ich haben dafür den Begriff "stilles Lieben" gefunden. Dabei können Mann und Frau ineinander sein, ohne dass er eine Erektion hat, ohne dass sie erregt ist. Diese Verbindung kann sehr viel Lust erzeugen. Und zu großartigem Sex führen.

BRIGITTE WOMAN: Sexualität noch einmal neu lernen?

Doris Christinger: Ja, ohne Lernen geht gar nichts. Sinnlichkeit kommt zurück, wenn wir sie einladen. Ausschau halten: Was macht mir Freude, woran bin ich interessiert? Eine erotische Geschichte erzählen? Einen Strip- Tanz hinlegen? Auch ein guter Frauen-Porno kann Mann und Frau sehr anregen.

BRIGITTE WOMAN: Der Tipp klingt ungewöhnlich. Pornos - mal nicht in der Schmuddelecke...

Doris Christinger: Vergessen wir nicht, wir sind die Generation, die mit der freien Liebe, mit den neuen Wohn- und Lebensformen angefangen hat. Dieser Geist geht nicht ganz verloren, nur weil wir älter werden. Ich empfehle Frauen manchmal auch einen Besuch in einem Erotik-Shop. Viele leiden unter Scheidentrockenheit, alle wissen, es gibt Gleitmittel, aber nur ganz wenige haben sie in der Schublade. Unwissenheit ist es nicht, die uns bremst. Eher Scham, Sex jetzt noch oder wieder zu wollen.

BRIGITTE WOMAN: Scham, weil unsere Körper nicht mehr so sexy und knackig sind?

Doris Christinger: Leider lassen wir uns von altbackenen Vorstellungen in die Irre leiten. Eine Frau von fünfzig war in unserer Müttergeneration eine alte Frau. Ein asexuelles Wesen. Zumindest hat sie sich so gekleidet und so benommen. Wir werden so omihaft nicht mal mit siebzig sein.

BRIGITTE WOMAN: Trotzdem, die Jugend ist vorbei, die Jahre haben Spuren hinterlassen. Manchmal ist es unmöglich, sich sexy zu fühlen.

Doris Christinger: Aber sexy ist ja eben nicht der perfekte Körper, sondern die Power, die Ausstrahlung. Und die kommt aus der gesamten lustvollen Lebensweise. Aus dem sinnlichen Umgang mit mir selbst. Dazu gehören Tanzen, Sport, Bewegung, jegliche angenehme Beschäftigung mit dem eigenen Körper.

BRIGITTE WOMAN: Das heißt, es muss keinen festen Partner geben, damit wir uns erotisch wach und sinnlich fühlen können?

Doris Christinger: Nein, ein Mann ist keine Bedingung und auch keine Garantie für ein erotisch waches Leben. Das wäre ja eine Katastrophe für alle weiblichen Singles. Gerade sie sind oft sehr offen und neugierig und voller sprühender Energie. Das zieht nebenbei auch Männer an. So schlecht stehen die Chancen für eine lebendige, sich selbst attraktiv fühlende Frau auf dem Partnermarkt auch gar nicht. Ich habe oft erlebt, wie Paare, die sich mitten im Leben gefunden haben, ganz schnell wussten, was sie wollen. Ich beobachte: erst langes Suchen, dann blitzschnelle Entscheidungen.

BRIGITTE WOMAN: Und wohin mit der sexuellen Energie, solange der passende Partner fehlt?

Doris Christinger: Eros kann man auch allein pflegen. Ein lebendiges Leben führen, flirten, ab und zu mit einem Mann essen gehen. Sich vorstellen, wie er als Liebhaber ist. Vielleicht auch mal mit einem ins Bett gehen, der nicht unbedingt der Mann für die nächsten zwanzig Jahre sein wird. Vor allem: nicht hart und panisch werden. Wenn Eros einen Platz hat, kann das zu Sexus führen.

BRIGITTE WOMAN: Ganz konkret: Selbstbefriedigung?

Doris Christinger: Ja, die besten Orgasmen hat eine Frau ohnehin mit sich allein. Solo-Sex ist kein Ersatz-Sex, bei dem Frau sich einsam oder schuldig fühlen muss, sondern echte, bewusst zelebrierte Lust - sehr gute Nahrung für sinnliche Ausstrahlung im Alltag.

Zum Weiterlesen und Reinschauen:

Doris Christinger und Peter A. Schröter: "Vom Nehmen und Genommenwerden" (285 Seiten, 18 Euro, Pendo)

Andrea A. Kaffka: "Wechseljahre - Wandlungsjahre" (238 Seiten, 19,95 Euro, Joy Verlag)

Eva- Maria Zurhorst: "satt & glücklich" (DVD, 257 Minuten, 18,99 Euro, J. Kamphausen Verlag)

Interview: Vera Sandberg

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