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Single über 50 - das geht!

Ältere Frau bei der Gartenarbeit
© Kinga / Shutterstock
Single mit Mitte 50. Der Mann hat sich verabschiedet, die Kinder ebenfalls. Es ist harte Arbeit, das Leben noch einmal neu zu denken - aber es geht.
Single über 50 - das geht!
© Brigitteonline

Mein Leben ist so ganz anders verlaufen, als ich es mir vorgestellt habe." Ein Hauch Wehmut schwingt da mit. Eine Nuance nur, aber hörbar für einen flüchtigen Moment. Dabei passt der Satz im ersten Augenblick so gar nicht zu Hanna Martens (Namen von der Redaktion geändert). Die Hamburger Restauratorin sieht aus wie eine Frau, die die Muße hat, sich um die schönen Seiten des Lebens zu kümmern, einschließlich um sich selbst. Der schwarze, schmale Rock, der dunkle Kaschmirpullover, die edlen Lederstiefel mit flachen Absätzen. Alles passt so gut. Vielleicht ist es auch wegen der blonden Locken, die sie im Nacken zusammengebunden hat, dass sie fast ein wenig mädchenhaft wirkt. Nur die feinen Lachfältchen um die Augenwinkel geben einen Hinweis auf ihr Alter: 55 Jahre. So weit der erste Eindruck.

"Nicht, dass Sie denken, ich sei unglücklich. Nein. Eigentlich bin ich ganz zufrieden mit meinem Leben", fügt sie lächelnd hinzu, streift eine aufsässige Locke aus ihrem Gesicht und schüttelt den Rest Schwermut von den schmalen Schultern.

Single über 50 - wo ist die Zeit geblieben?

Der zweite Eindruck: Es ist still hier. Die hallenartigen Räume der Hamburger Altbauwohnung wirken fast zu riesig für die zierliche Frau. Hanna Martens lebt allein. Von ihrem Mann ist sie seit 17 Jahren getrennt. Die Söhne Florian und Daniel studieren. Der eine Politik in Berlin, der andere Jura in München.

Wenn sie früher aus der Werk - statt nach Hause kam, flogen im Flur regendurchnässte Jacken, Tennisschuhe und halb entleerte Schulranzen herum. Auf dem Küchentisch standen gebrauchte Gläser, irgendwo lag immer angebrochene Schokolade. Eben ein ganz normales Chaos von zwei halbwüchsigen Jungs. Das änderte sich schlagartig, als erst Florian und ein paar Jahre später auch Daniel aus der Wohnung auszog. "Plötzlich begegnete mir nur noch mein eigenes Chaos, wenn ich abends die Tür aufschloss." Eine Tasse mit einem Rest kalten Kaffee vom Frühstück. Eine Zeitung, die noch aufgeschlagen auf dem Tisch lag. Die Boten vom hektischen Aufbruch am Morgen trafen sie dann wie eine Faust in die Magengrube.

Hier war kein Mensch. Die Wohnung lag zehn Stunden verlassen da, und die Erkenntnis "Ich bin allein" schien in großen Lettern an jede Wand gepinselt zu sein. Schon wieder auf sich selbst zurückgeworfen, schmerzte jeder Schritt, der die 160 Quadratmeter zurückerobern musste. "Nur für mich kochen? Warum? Eine Scheibe Brot vor dem Fernseher tut’s doch auch." Unbefriedigt und rastlos rollte sie sich auf dem Sofa ein und schlief manchmal schon bei der "Tagesschau". Anfang 50 und wieder Single. Das ist alles andere als eine angenehme Aussicht. Der Mann hat sich verabschiedet. Die Kinder ebenfalls. Und wieder steht man da wie am Anfang, als noch alles möglich war. Aber jetzt mit dem Gefühl, zu wissen, was nicht mehr geht.

Es war ein hartes Stück Arbeit für sie, das Leben noch einmal neu zu denken. Diese gefühlte Leere als eine Option zu betrachten. Als eine Chance, die das Leben vielleicht doch noch bereithält.

Es war ein Desaster

Dabei hatte es so vielversprechend angefangen. Mit 20 ging Hanna Martens nach Paris, um Kunstgeschichte und Restauration zu studieren. "Damals schien mir sonnenklar, wie mein Leben laufen würde." Das lag ja noch so jungfräulich und prickelnd vor ihr. Sie wollte einen tollen Mann. Sie wollte eine Traumhochzeit. Sie wollte hübsche, gesunde Kinder. Sie wollte versorgt werden. Kurz: Sie wollte ein gutes Leben. "Ich war eben ziemlich naiv damals", sagt Hanna Martens, "wie die meisten jungen Frauen." Als sie Jan traf, einen umwerfend gut aussehenden Jungmediziner, war sie im siebten Himmel und "bis über beide Ohren verliebt". Seine Schwächen ignorierte sie - seinen Geiz, seine Flirts, seine Angst, zu kurz zu kommen, seine mimosenhafte Art. Sehnsüchtig projizierte sie in ihn alles, was sie sich von ihrem Leben erträumt hatte. Warnsignale schlug sie leichten Herzens in den Wind. Sie fand, es war an der Zeit, eine Familie zu gründen, und er entsprach perfekt ihrem Bild vom Traumprinzen. Also, worauf noch warten? "Aber es war ein Desaster", sagt sie heute. Von Anfang an.

"Mein größter Fehler ist, dass ich Vater geworden bin." Dieser Satz aus dem Mund ihres Mannes brachte die junge Mutter eines zwei Monate alten Säuglings völlig aus der Fassung. Die Familie war für Jan ein Klotz am Bein. Die Idylle kaum zu ertragen. Ihr Mann benahm sich wie ein drittes Kind. Wenn er zu Hause war, brauchte er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Nicht mal eine Tasse konnte sie zum Mund führen, wenn er seine Monologe hielt. Das war ihm schon zu viel. "Du hörst mir ja gar nicht zu", klagte er dann.

Verzweifelt sah sie dabei zu, wie ihr Leben langsam aus den Fugen geriet. "Dabei waren wir rein optisch die absolute Bilderbuchfamilie", Hanna Martens zeigt auf ein silbergerahmtes Foto, "aber auf den zweiten Blick sah das schon ein wenig anders aus." Stimmt. Auf dem hübsch arrangierten Foto kuscheln sich die beiden Söhne eng an die Mama, der Vater sitzt daneben und doch irgendwie im Abseits und "findet sich wunderschön". Die Ironie ist nicht zu überhören. Der Anblick versetzt ihr immer noch einen Stich. Ein konstruiertes Idyll, abgelichtet in Schwarzweiß. Mehr ist vom Familientraum nicht geblieben. Scheidung kam für sie damals trotzdem nicht infrage. Bei ihrer streng katholischen Erziehung gab es sowieso keine Alternative zu "bis an mein Lebensende". Aber irgendwann hält auch der schönste Selbstbetrug nicht mehr der Realität einer missglückten Ehe stand.

Nur noch Kraft für das Ende

Schluss war, als ihre Schwester schwer erkrankte und ein halbes Jahr später starb. "Ich hatte die beiden kleinen Jungs, der eine fünf, der andere neun, meinen Job, den Haushalt und diese unendlich Trauer in mir", erzählt sie. Und von Jan kam mal wieder nichts. Kein Bild, kein Ton. Anstatt ihr Halt zu geben, gemeinsam nach Lösungen in der Krise zu suchen, zog er sich zurück, war beleidigt, dass er nicht mehr im Mittelpunkt stand, und verbrachte die Abende wieder auswärts. Ihre Kraft reichte gerade noch aus, die Ehe zu beenden.

Ein Befreiungsschlag. Die Familie, das waren jetzt ihre Söhne und sie selbst. "Ich war nur froh, dass es endlich vorbei war." Dem Eingeständnis folgt ein entschuldigender Blick, als könne sie immer noch kaum glauben, mit welcher Wucht ihr Leben damals eine andere Richtung einschlug.

Es dauerte lange, bis sie die eigene Entscheidung akzeptiert hatte, die doch so gar nicht ihrem anerzogenen Weltbild entsprach. Heute weiß sie: "Die Trennung war eine Notwendigkeit." Aber eine sehr schmerzhafte.

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Von der Scheidung erfuhren die beiden Jungs erst viel später. Der Vater zog aus. Er hatte eine Stelle in Süddeutschland angenommen. "Zum Nachdenken blieb keine Zeit." Es wurde nie viel darüber geredet. Einfach gemacht. Das heißt: Sie musste machen. Die Familie zusammenhalten. Im Beruf als Restauratorin auf die Beine kommen. Ihre Werkstatt aufbauen, Kunden akquirieren. Ein Balanceakt.

Die Einladungen blieben aus. Alleinstehend, das ist ja wie ein Stigma. "Verheiratete Frauen laden nicht gern alleinstehende Frauen ein. Da herrscht wenig Solidarität untereinander. Ich fühlte mich wie ein gefallenes Mädchen."

Single über 50 - Angst vor der Einsamkeit

Anfangs merkte sie das kaum, war nur damit beschäftigt, sich und ihre Familie wieder auf die Reihe zu bringen, den Kindern Vater und Mutter zugleich zu sein. "Das konnte ich", sagt Hanna Martens. Sie hatte den eigenen Vater vor Augen. Der war Kaufmann und Hanseat. Ein starker Mann. "So wie er Vorbild für mich war, wollte ich für meine Söhne sein." Also, nicht jammern. Zähne zusammenbeißen und durch. Es geht ja immer irgendwie. Erst in den Krisen entdeckt man die Überlebenskünstlerin in sich. Denkt nur an den nächsten Tag und verschiebt die schmerzenden Fragen auf später. Irgendwann.

Nur ein paar enge Freunde blieben. "In so einer Situation trennt sich eben die Spreu vom Weizen." Die Freunde spürten, wenn es wieder so weit war, Hanna sich in ihr Schneckenhaus zurückzog und die Einsamkeit über ihr zusammenklappte. Meistens passierte das an den Wochenenden, wenn Florian und Daniel ihren Vater besuchten. Dann setzte sie sich aufs Sofa und starrte vor sich hin. Stundenlang. "Da gab es kein Entkommen." Erst der Anruf ihrer Freundin brachte sie wieder zu sich selbst. Und dann ging es meistens wieder. Für diese kleinen Rettungsanker ist sie immer noch sehr dankbar. Aber vielleicht war es ja so etwas wie eine Lebensaufgabe, die Angst vor der Einsamkeit zu besiegen, grübelt Hanna Martens heute manchmal.

Schon als junges Mädchen fühlte sie sich von ihrer Mutter im Stich gelassen. Zu sehr mit sich selbst und ihren Depressionen beschäftigt, war die nicht in der Lage, den beiden heranwachsenden Töchtern ein selbstbewusstes Frauenbild vorzuleben. Die Ehe konfrontierte Hanna Martens mit einer Form von Einsamkeit, die ihr fast den Atem nahm. Und nach der Trennung kamen die Selbstzweifel: "Wenn ich jetzt allein bleibe? Keinen Mann finde, der mich mag?" Die eine oder andere Affäre gab es zwar mal nebenbei, "aber ich wollte nichts Ernstes". Es stellte sich auch nie die Frage. Da war keiner, dem sie zutraute, diesen Platz in ihrem Leben einzunehmen.

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"Aber als Florian und Daniel das Haus verließen, traf es mich ganz furchtbar", erinnert sie sich. "Vorher hatte ich es ja immer geschafft, alle Gedanken an die Endgültigkeit des Abschieds erfolgreich zu unterdrücken." Verdrängen half jetzt nichts mehr. Sie war allein. Eine unausweichliche Tatsache. Da war nichts schönzureden, nichts zu leugnen, nichts, wohinter man sich verkriechen konnte. Eine brüchige Distanz liegt in ihrer Stimme. Wie um die Fassung zu wahren. "Dass sie glücklich werden, war mir das Wichtigste überhaupt." Ihre Söhne sollten in die Welt hinausgehen und ihren eigenen Weg finden. Aus eigener Erfahrung wusste sie, dass das allein schon schwer genug ist. "Da muss man nicht noch auf die Mutter aufpassen müssen." Es sollte sich für die beiden anders anfühlen als für sie selbst. Ihre Mutter hatte damals erfolgreich dafür gesorgt, dass sie mit schlechtem Gewissen fortging. Ein bedrückendes Gefühl. Der Gedanke daran half, die eigenen Kinder ziehen lassen. Dem Schmerz und den Tränen ließ sie erst später freien Lauf, als die Tür ins Schloss gefallen war. Au Revoir, Kinder - Bonjour, Tristesse. Die vielen endlosen Tage lagen nun wie Ödland vor ihr. Ohne fröhliches Geplapper, ohne Daniels und Florians kleine Zankereien, ohne das tägliche Chaos und ohne die Erlaubnis, für sie da sein zu dürfen.

Die Jungs sollten ihr nichts anmerken und ahnten es doch längst. Warum stehen sie wohl heute noch an jedem Geburtstag der Mutter vor der Tür? "Vor diesem Tag hat mir nämlich immer am meisten gegraut", gibt sie zu.

Trauer zulassen

"Die Trauer ist der erste Schritt zum Neuanfang", sagt BRIGITTE WOMAN-Psychologin Eva Wlodarek. "deshalb soll man sie auch zulassen." Es sei völlig normal, sich nach einer Trennung nutzlos und leer zu fühlen, das gilt genauso für den Abschied von den eigenen Kindern. "Um den Schmerz besser zu verarbeiten, hilft es, Erinnerungen auszugraben", erklärt Eva Wlodarek. In Fotokartons wühlen, sich alte Super-8-Filme anschauen oder die komischen "Weißt du noch, als . . . "-Geschichten erzählen. Wer sich noch einmal die schönen Dinge vor Augen führt, den Abschied regelrecht zelebriert, kann nachher leichter loslassen und optimistischer in die Zukunft blicken. Dann heißt die Frage vielleicht auch nicht mehr "Und was wird aus mir?", sondern "Was will ich eigentlich?". Veränderung ist weder schicksalhaft noch passiv.

Man kann sie selbst in Angriff nehmen. Die Einsicht kommt leider nicht immer von allein, manchmal muss ihr auch ein wenig auf die Sprünge geholfen werden, indem man äußere Zeichen setzt und zum Beispiel aus dem Kinderzimmer ein Gästezimmer macht. "Ein schwerer Schritt, aber einer in die richtige Richtung", sagt Eva Wlodarek.

Auch Regeln aufzustellen sei schon mal ein guter Anfang. Ganz alltägliche Gepflogenheiten festzulegen wie: Wann wird aufgestanden. Wann wird gegessen. Wann wird der Haushalt erledigt. Regeln strukturieren den Tag und geben einem selbst das nötige Rüstzeug, ihn zu überstehen. "In diesen Ritualen steckt eine unglaubliche Kraft", sagt die Psychologin. Und irgendwann dämmert vielleicht auch die Erkenntnis:

"Ich bin nicht mehr fremdbestimmt. Das erste Mal in meinem Leben kann ich tatsächlich frei entscheiden, was ich damit noch alles anfangen will."

"Die Selbstdisziplin war auch mein Rettungsanker", glaubt Hanna Martens. Sich gehen zu lassen sei doch der erste Schritt zum Abgrund. Alkohol zum Beispiel war bei ihr absolut tabu. "In all den Jahren habe ich mir vielleicht zwei Bier eingeschenkt." Ungeschminkt aus dem Haus gehen? Undenkbar! Das gepflegte Erscheinungsbild hat dabei weniger mit Eitelkeit zu tun als vielmehr mit dem Bedürfnis nach äußerer Unversehrtheit. Ein Schutz. Es reicht doch, wenn im Innern das Chaos tobt.

Um sich von ihrem Schmerz und ihrer Trauer abzulenken, stürzte sie sich in die Arbeit. Die Erfolgserlebnisse, die sie dort hatte, machten sie mutiger und selbstbewusster. "Ich bin noch mal richtig durchgestartet", sagt sie. Der Job nimmt jetzt einen Großteil ihrer Zeit in Anspruch. Die Werkstatt, die Verbandspolitik, die tollen Aufträge, Museumsprojekte oder Restaurationen von heruntergekommenen Patrizierhäusern. Egal ob man sich im Beruf neue Herausforderungen suche oder ehrenamtliche Aufgaben übernehme, sagt Eva Wlodarek, "sie lenken das Augenmerk von innen wieder nach außen".

Ab und zu holt Hanna Martens die Einsamkeit doch wieder ein. Nur für einen kurzen Moment. Neulich beim Stiefelkauf zum Beispiel. "Es wäre schön gewesen, wenn ich zu Hause jemandem meine Errungenschaft hätte zeigen können. Jemandem, der die Freude mit mir geteilt hätte." Stattdessen hörte sie nur den Widerhall ihrer eigenen Schritte in der großen Wohnung, ein einsames Geräusch. Schnell zog sie die Stiefel aus, stellte sie fein säuberlich neben die Haustür und atmete erst einmal durch.

Es tut nicht mehr so weh. Aber trotzdem ist es nicht immer leicht, das Alleinsein als aufregende Chance zu betrachten, sich selbst zu entdecken - den eigenen Überlebenswillen zum Beispiel oder die Fähigkeit, sich durchzuboxen. Und doch: "Die vielen Krisen haben mich gelassener, weiser und ja . . . irgendwie menschlicher gemacht", sagt sie. Eine Therapie brachte den endgültigen Durchbruch, und das neue Leben stand mit einem Mal direkt vor ihr. "Aber vielleicht war ich da auch erst in der Lage, es wirklich wahrzunehmen." Ein Strahlen huscht über die feinen Gesichtszüge. Endlich. "Er ist Holländer und Grafiker", sagt sie. Er lebt in Amsterdam, sie in Hamburg. Aber ach . . . das macht doch nichts. Nicht mehr. Mit der Aussicht auf das nächste Treffen "kann ich jetzt meine Inseln des Alleinseins richtig genießen".

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Text: Tatjana Blobel

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