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Sex ohne Orgasmus: Wieder nix!

Wer Sex ohne Orgasmus erlebt, kann schon mal schlecht gelaunt werden. Eine Frau und ihre Suche nach neuen Höhepunkten.
Sex ohne Orgasmus: Wieder nix!
© Cirou/ZenShui/Corbis

Heute Morgen hatte ich Sex mit meinem Freund. Wir kamen beide zum Orgasmus. Und meiner war richtig schön. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Ach doch, jetzt ja wieder. Ich spüre es und gewinne langsam neues Vertrauen. Doch einfach ist das nicht nach dem Sex-Trauma der Wechseljahre. Es begann im November 2006, ich war 47. Mein Liebhaber war bei mir und verwöhnte mich in gewohnter Weise, bis mich das Prickeln überschüttete. Wie Goldmarie kam ich mir immer vor beim Höhepunkt, wenn es auf mich rieselte und mich beglückte. An diesem Tag aber wurde auf unerklärliche Weise mittendrin der Hahn zugedreht. Der Orgasmus, der so schön wie immer begonnen hatte, brach abrupt und grausam ab. Wie abgeschnitten. Ich schaute nach, ob mein Freund noch da war. Er war. Und er war nach wie vor in seine Tätigkeit vertieft. Ich aber stand unter Schock.

Nun übertreib mal nicht, werden Sie sagen. Okay, ich gebe zu, Sex war für mich immer wichtig. Körperkontakt, Berührungen, Liebe. Man könnte fast sagen, seit ich guten Sex entdeckt hatte, lebte ich von Höhepunkt zu Höhepunkt. Ein Orgasmus ist für mich wie Auftanken. Danach habe ich wieder Urvertrauen, in mich selbst und in die Welt. Und eine Power, aus dem Bauch heraus.

Das ist offenbar nicht bei allen Frauen so, wie ich während meiner Odyssee auf der Suche nach meiner Libido festgestellt habe. Ich musste mir die unglaublichsten Dinge anhören, Sätze, die ich eigentlich nur meiner Mutter zugetraut hätte. "Ich war froh, als ich eines Tages keinen Sex mehr haben musste", sagte meine Heilpraktikerin. Ich hatte sie gefragt, ob sie als Spezialistin für Phytohormone vielleicht auch ein Mittelchen für mich hätte. Denn nach dem ersten schrecklichen Erlebnis folgten noch weitere. Nie mehr ein ganz so brutales Ende, aber viele abscheuliche Mini-Orgasmen ohne die erfüllende Kontraktion, Erlebnisse, für die es sich nicht gelohnt hatte, auch nur einen Finger zu rühren. Im Gegenteil, sie waren wie eine Wurst, die einem kurz vor dem Zuschnappen weggezogen wird. Ich fühlte mich von meinem eigenen Körper verhöhnt.

"Das war wieder ein kleiner", sagte mein Liebhaber mitleidig, und ich fühlte mich wie behindert. Plötzliche Trockenheit überfiel mich ebenfalls immer wieder, meist in Zusammenhang mit meiner nach Lust und Laune auftauchenden Regel. Ich war verzweifelt. Früher hatte es einen festen, verlässlichen Rhythmus in meinem Leben gegeben. Meine Menstruation kam auf den Tag genau, meine Launen ebenfalls. Zehn Tage vorher wurde ich depressiv, wahlweise zickig und aggressiv und war nicht mehr ansprechbar. Mit dem ersten Tag verwandelte ich mich wieder in ein Lämmlein und gleich danach wurde ich sehr anlehnungsbedürftig.

Jetzt aber sprangen mich meine Launen und Lüste oder besser Nicht-Lüste an wie unberechenbare Tiere. Ich fühlte mich, als hätte man mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Worauf sollte ich mich noch verlassen? Der Moment jedenfalls, den ich immer herbeigesehnt hatte, wenn mein Liebhaber klingelte, wurde zum Horror. Kaum hatte er sich auf mein Bett gelegt, wurde ich hundemüde. Wenn er mich verführen wollte, bekam ich Angst vor der Erfolglosigkeit seines Bemühens, und ich schämte mich. "Wieder ein kleiner", ich hasste es, das zu hören. Und noch mehr, es zu fühlen.

Ich versuchte es als Erstes mit der psychologischen Kur. War ja eigentlich klar, dass unser Sex nicht mehr gut war. Er war schließlich verheiratet und unsere dreijährige Affäre war - mal abgesehen vom Sex - eher schmerzlich. Vor allem für mich. Sicher wollte mir das Schicksal sagen, dass es so nicht weitergehen konnte. Wir trennten uns.

Das Glück war mir hold, und schon bald lernte ich einen ungebundenen Mann kennen. Doch die psychologische Begründung für meinen Libido-Verlust stellte sich als falsch heraus. Manchmal war es unverhofft wunderbar, so wie früher. Doch dann wieder, ohne Vorwarnung, war alle Liebesmüh vergeblich. Konzentrationsschwierigkeiten, Hysterie oder Aggression - mit all dem, was außerdem mit den Wechseljahren einherging, hätte ich leben können. Nur nicht mit dem einen: dem Ende meines befriedigenden Sexuallebens.

Freundinnen reagierten seltsam. "Du immer mit deinem Sex", sagten sie abweisend. Oder: "Ich habe da überhaupt keine Probleme." Eine andere berichtete mir, dass sie "darauf einfach keinen Bock mehr" habe. Nachts im Ehebett versuche sie, es komplett zu vermeiden, dass ihr Mann sie berühre. Schließlich haben wir uns wegen des Themas entzweit. Nachdem ich gewagt hatte zu fragen, ob sie sich denn noch selbst befriedige, wenn sie schon nicht mehr mit ihrem Mann schlafe. "Peinlich" nannte sie mich. Und ich sie "frigide".

So ging ich weiter auf die Suche nach Hilfe. Meine Gynäkologin empfahl mir Östrogencreme gegen die Trockenheit. Doch die Creme fühlte sich eher unangenehm an und bewirkte nichts.

Ich versuchte Schüssler Salze, Mönchspfeffer, Phytohormone, Ginsengwurzel, Sojamittelchen aus der Apotheke. Ein anderer Heilpraktiker mischte mir meine ureigenen Tröpfchen, die ich auch eifrig nahm, außerdem verzichtete ich monatelang auf Kaffee. Zu guter Letzt nahm ich einen Cocktail aus unzähligen Substanzen, doch sie bewirkten nichts. Schließlich landete ich im Hormonzentrum, wo der Arzt Progesteronmangel diagnostizierte.

Das natürliche Progesteron, das ich seither nehme, hat mich - zunächst rein körperlich - gerettet. Schon nach zwei Wochen konnte ich mich wieder besser konzentrieren, und irgendwann wurde mir eine neue Art von Orgasmus beschert.

Ja, er ist wieder da. Lange und ausgiebig, und er lässt keine Wünsche offen. Trotzdem ist er anders. Ich werde nicht mehr von oben überschüttet wie Goldmarie, sondern von ganz tief innen nach oben gezogen. Die einstigen Methoden funktionieren nicht mehr, Stimulation musste plötzlich von innen kommen. Mein Freund und ich mussten rumprobieren und neue Ideen entwickeln, wie wir mit mir umgehen. Es war nicht mehr so schlicht und klassisch. Manchmal artete es richtig in Arbeit aus.

Auch das war mir peinlich. Ich wollte es ihm nicht zumuten. Jedenfalls nicht so oft. Ich wollte mich lieber nur um ihn kümmern. Aber dann war ich doch frustriert. Und immer noch fühlte ich dasselbe, was ich seit dem grässlichen Nachmittag vor fast sieben Jahren empfunden hatte. Unzulänglichkeit. Eine Art von Kastration.

Seit heute Morgen bin ich plötzlich sicher: Ich habe noch eine Sexualität. Und es gibt ein Leben nach den Wechseljahren. Sie dauern sieben Jahre, habe ich einmal gelesen. Im November 2013 ist diese Zeit vorbei. Und bis dahin und auch danach werden mein Freund und ich noch viele Feiertage wie heute erleben. Aber Feiertage sind eben Feiertage und kommen nicht jedes Wochenende.

Text: Dorothee Hansen BRIGITTE Woman 07/2013

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