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Verfluchtes Klischee: Seine Neue - eine Jüngere

Verfluchtes Klischee: Seine Neue - eine Jüngere
© Katharina Lütscher / sonstige
BRIGITTE WOMAN-Autorin Milena Moser ist getrennt. Was besonders schmerzt: Seine Neue ist eine jüngere Frau.

Ich sitze in einer Piano-Bar in der Nähe des Hauptbahnhofs vor einem Glas Champagner. Meine Hände sind kalt, aber von meinem Brustbein steigt das vertraute Gefühl einer Hitzewelle auf. Bloß jetzt nicht, denke ich. Ich habe mich gegen meine Gewohnheit geschminkt. Ich hätte es besser wissen müssen. Ich nehme meinen Schal ab, obwohl ein Schweizer Stilberater vor Kurzem in seiner Zeitschriftenkolumne Frauen über 40 empfohlen hat, ihr Dekolleté zu bedecken, um keinen "Gammelfleischskandal" zu provozieren. Gammelfleisch, denke ich. Passt doch. Hier sitze ich und warte auf die neue oder eben nicht so neue Freundin meines Ex-Mannes. Sie ist jünger als ich. Natürlich ist sie jünger als ich.

"Wie viel jünger ist sie denn?" Das ist immer die erste Frage. Nicht: "Ist sie jünger?" Das versteht sich von selbst. Nein: "Wie viel jünger ist sie?" Je häufiger diese Frage gestellt wird, desto mehr Bedeutung bekommt sie. So wird das komplexe, traumatische Ende einer Ehe zusammengefasst. Wie viel jünger? 15 Jahre. Das gilt unter Heterosexuellen schon fast als gleichaltrig. Zumindest dann, wenn die Frau die Jüngere ist.

"Ich bin zu alt für dich!" Das war das Erste, was ich zu ihm sagte, als ich ihn kennen lernte. Ich war 29, er 27, doch er wirkte damals schon viel jünger, mit seinem jungenhaften Charme, seiner Verweigerung alles Erwachsenen.

Der Altersunterschied zwischen uns wurde optisch immer deutlicher. Ich hatte mit Mitte 30 schon so viele Lachfalten, dass ich bei Lesungen auf sie angesprochen wurde. Er blieb faltenlos und dunkelhaarig. Meine Haare dagegen wurden grau. Irgendwann hörte ich auf, sie zu färben. "Das hätte mein Mann mir nicht erlaubt", sagte meine Schwiegermutter halb wehmütig, halb bewundernd. Meiner erlaubte es. Er behauptete sogar, es gefiele ihm.

Unsere Beziehung war von Anfang an heftig, schwierig, kämpferisch, aber auch leidenschaftlich. 18 Jahre waren wir zusammen, mit zwei Unterbrechungen. Einmal hatte ich mich in jemand anderen verliebt, einmal er. Wir führten keine bürgerliche Ehe - so glaubte ich wenigstens. Die letzten fünf Jahre waren die schwierigsten und die letzten 15 Monate die Hölle. Ausgelöst wurde diese letzte große Krise durch eine seiner Reisen als Fotojournalist. Nach seiner Rückkehr brach ein zweitägiger Streit aus, der damit endete, dass ich mir vor Verzweiflung das Gesicht zerkratzte. Ich zog für eine Woche aus. Danach war klar: Jetzt muss es anders werden, oder wir trennen uns. Ich schlug eine Paartherapie vor. Er meinte, ich solle erst mal allein hingehen. Das machte Sinn, denn ich war ja die Neurotische, die Schwierige, die, die sich selbst zerstört.

Später las ich irgendwo, dass Männer, die fremdgehen, vermehrt an ihren Partnerinnen herumnörgeln, während Frauen in der Situation eher entspannt und mit weniger Ansprüchen nach Hause kommen.

Ich reagierte sofort ablehnend.

Auf dieser Reise hatte er eine junge Frau fotografiert, die dort ein Projekt verfolgte. Als er mir diese Bilder zeigte, reagierte ich sofort ablehnend: Wie die mit ihrer Guccibrille in den Trümmern steht - Tussi im Geröll, dachte ich. Und wie sie in die Kamera schaut. Dieser wissende Blick, dieses halbe Lächeln: Ich weiß, dass du auf mich stehst. Und wie zärtlich die Kamera sie einfängt... "Was ist denn da passiert?", fragte ich. "Nichts, warum?" "Komm schon, die schaut ja richtig verliebt in die Kamera!" "Du spinnst." Ich glaubte ihm. Auch weil die Frau so gar nicht sein Typ war. Aggressiv zur Schau gestellte Sexualität, künstliche Haare, Nägel - alles, was er nicht mochte. Und doch kam in den folgenden schrecklichen 15 Monaten immer wieder dieser Verdacht hoch: Er hat eine andere. Wenn nicht die, dann sonst eine. Irgendeine. Ich konnte es ihm nicht verübeln: Wir waren beide zermürbt. Dass man sich nicht einfach so verliebt, wusste ich aus eigener Erfahrung. Dass sich niemand von außen in eine wirklich glückliche Liebesbeziehung drängen kann, wusste ich auch.

Eine Kälte breitete sich zwischen uns aus, eine Distanz, die ich nicht kannte und die ich nicht anders erklären konnte als damit: Es muss eine andere geben. Das meinten meine Freundinnen auch. Aber ich hatte ihn doch gefragt! Nicht einmal, hundertmal! Auf den Knien, unter Tränen hatte ich ihn angefleht: "Sag es mir doch einfach. Gib mir den Gnadenschuss!"

Der Gedanke, dass er mich anlügen könnte, immer wieder, konsequent, eiskalt, war mir nie gekommen

Er reagierte empört. "Das hättest du wohl gern", sagte er. "Das würde es für dich einfacher machen." Das stimmt, spürte ich. Das würde es für mich einfacher machen. Und ich schämte mich für diese grundlose, neurotische, irgendwie feige Eifersucht, die immer wieder aufflammte. Der Gedanke, er könnte mich anlügen, immer wieder, konsequent, eiskalt, kam mir nie. Warum auch? Es gab keinen Grund dafür. Wir konnten doch über alles reden. Wir lebten doch keine kleinbürgerliche Lebenslüge. Nichts verachtete er mehr.

Eine meiner Freundinnen wurde von ihrem Mann betrogen, sie blieb aber bei ihm. Das machte mich wütender, als angemessen war. Da hat sie einen perfekten Grund zu gehen, und sie geht nicht, dachte ich. Und dann: Wenn ich so fühle, muss ich gehen. Ganz ohne Grund.

Ich nahm die ganze Verantwortung auf mich. In der Familie, im Dorf, in der Öffentlichkeit. "Ich bin einfach unzumutbar", erklärte ich in einem Interview das Scheitern meiner Ehe. Ein halbes Jahr lang weinte ich jeden Tag. Aber ich zweifelte nie an meinem Entschluss. Ich war gegangen, um meine Haut zu retten.

Er wollte zur Therapie

Nach der Trennung bestand mein Ex-Mann plötzlich auf der Paartherapie, die er vorher verweigert hatte. In fünf qualvollen Sitzungen sezierten wir meine grundlose Eifersucht, mit der ich ihn geradezu "in die Arme einer jüngeren Frau treiben" würde. Er erklärte, warum er mich nicht mehr begehren konnte: weil ich solche Mühe mit dem Älterwerden hatte, dass ich mich selbst nicht mehr schön finden konnte. Stimmte das?, fragte ich mich, fragte ich mich ganz ehrlich. Oder fand ich mich nicht mehr schön, weil er mich nicht mehr begehrte? In meiner Verzweiflung hatte ich ihn manchmal gefragt: "Bin ich dir zu alt? Sind es die Haare? Soll ich mir die Haare färben?" Hätte ich es getan, wenn er mich darum gebeten hätte? Gleich noch die Augen geliftet, Botox gespritzt? Hätte er mich wieder begehren können - oder erst recht nicht? Hätte ich diese Art von Begehren überhaupt gewollt? Plötzlich erinnerte ich mich an eine unglückliche Zeit in meiner Jugend, als ich in einen bisexuellen Mann verliebt war, und dachte: Ich kann ebenso wenig wieder jung sein, wie ich ein Mann sein kann.

Indem ich sichtbar älter wurde, machte ich meinen Mann älter. Ich nahm ihm die Illusion, ewig jung zu bleiben. Wie lange sollte ich dafür noch bestraft werden? Mein Alter war tatsächlich ein wichtiger Teil der Trennung. Es trieb mich an, es machte mich radikaler, kompromissloser.

Zehn Monate nach der Trennung saß er auf meinem Balkon. Er war sehr blass. "Ich muss mit dir reden." Er hatte eine Frau kennen gelernt, es wurde Ernst. Ich empfand tiefe Erleichterung. Endlich konnte ich meine Schuld ablegen! Ich freute mich. Umarmte ihn. Er war immer noch sehr blass. Und dann fragte ich ihn ganz nebenbei, wie er sie denn kennen gelernt habe.

"Muss ich das wirklich erzählen?", sagte er. "Auf dieser Reise vor zwei Jahren, du hast doch damals die Bilder gesehen..."

Ich hatte also die ganze Zeit recht gehabt? Ich war also überhaupt nicht neurotisch, unzumutbar, krankhaft eifersüchtig? Die Erleichterung, die ich darüber hätte empfinden müssen, blieb aus. Stattdessen wurde mir schlecht. Ich schickte ihn weg. Und reichte die Scheidung ein.

"Ach, erzähl mir doch mal was Neues! Etwas, was ich nicht schon hundertmal gehört habe!" Sogar mein Friseur ist gelangweilt. Ich bin ein Klischee geworden. Die schlimmste Zeit meines Lebens reduziert sich auf einen billigen Midlife-Krisen-Witz. Sagt der Mann zu seiner Frau: "Ich bin doch nie davon ausgegangen, dass du mir glaubst!"

Alle Männer lügen doch.

Wirklich wahr. Das hat er gesagt. Doch mein Friseur ist nicht beeindruckt. "Na und? Alle Männer lügen, das weiß man doch. Das ist genetisch." Und dann stellt er die Frage, die alle stellen, egal wie ich die Geschichte erzähle. Die Frage, auf die es immer hinausläuft: "Wie viel jünger ist sie denn?"

Hier sitze ich und warte auf sie. Wir wollen uns aussprechen. Sie findet, ich habe "die Wahrheit" verdient. Dabei weiß ich gar nicht, ob ich sie überhaupt noch hören will. Endlich kommt sie angestöckelt. Mit gerecktem Kinn schaut sie sich in der Bar um. Arrogante Tussi, denke ich noch - doch im selben Moment schmilzt etwas in mir. Ich weiß: Es ist für sie viel schwieriger als für mich. Sie liebt ihn noch. Ich nicht. Vollkommen unerwartet erfüllt mich die Erleichterung, auf die ich so lange gewartet habe. Diese Erleichterung macht mich großzügig. Ich stehe auf und umarme sie. "Du bist ja viel schöner als auf diesen Fotos", sage ich. Und meine es auch. Sie hat offene Augen, einen klaren Blick, ein ansteckendes Lachen. Im Verlauf unseres Gesprächs merke ich auch, dass sie klüger ist, vorsichtiger und pragmatischer, als ich erwartet hätte. Oder als ich es je war.

"Meinst du, er hat eine Midlife-Krise?", fragt sie irgendwann. "Sieht so aus." Doch die geht mich nichts mehr an.

Obwohl auch sie ein paarmal zusammenzuckt, als wir unsere Geschichten austauschen, steckt sie viel mehr weg als ich. "So sind sie doch einfach, die Männer", sagt sie. "Gewisse Dinge kann man nicht von ihnen erwarten."

Doch, denke ich. Doch, das kann man. Natürlich kann man das! Ich habe zwei Söhne. Ich erwarte alles von ihnen. Und vom Rest meines Lebens. Die Welt ist voll großer und großartiger Männer, die ich theoretisch noch kennen lernen könnte. Warum denn nicht? Ich bin nicht zerstört, wird mir bewusst. Ich glaube immer noch an alles. An die große Liebe, die vielleicht noch kommt oder auch nicht. Daran, dass ich allein sehr glücklich sein kann, dass ich sieben Liebhaber oder sieben Bücher mit ins Bett nehmen kann.

Ich mag graue Haare haben, Falten, Hitzewellen, aber ich habe nicht resigniert. Ich halte immer noch alles für möglich, in jedem Moment. In meinem Herzen bin ich noch ganz jung. Jünger als sie. Wie viel jünger?

Milena Moser,

49, lebt in Aarau im Schweizer Kanton Aargau. Mehr über ihr Leben, ihre Arbeit, ihre Bücher auf www.milenamoser.com

BRIGITTE WOMAN 02/13

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