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Szenen einer Ehe

200 000 Ehepaare lassen sich jedes Jahr scheiden. Dazu kommen ungezählte Trennungen. Woran scheitert eine Ehe? Ein Ex-Paar erzählt - stellvertretend für viele Tausende.

Warum ER die Scheidung wollte Stefan Bachmann, 55: "Mit Nora, das war Liebe auf den ersten Blick, als wir uns vor 20 Jahren kennen lernten. Die Firma, für die ich als Produktionsleiter arbeitete, hatte Verhandlungen mit amerikanischen Kunden zu führen; Nora war als Übersetzerin engagiert. Rein äußerlich war sie nicht mein Typ, doch ihr Wesen faszinierte mich: Sie war so fröhlich und sprudelte vor Energie, auch noch am Ende eines langen Arbeitstages. Ich bin eher zurückhaltend, sachlich, rational. Ein Techniker eben. Gegensätze ziehen sich an, heißt es ja. Schon vier Monate später waren wir verheiratet, kauften uns ein Haus im Grünen und träumten von gemeinsamen Kindern.

Ich war glücklich. Wahrscheinlich wäre ich es heute noch, hätte Nora nicht ständig versucht, mich zu verändern. Es störte sie zum Beispiel, dass ich abends immer sehr müde war. Ihr ist wohl überhaupt nicht klar gewesen, was ich im Job zu leisten hatte. Und ich habe immer 150 Prozent gegeben, ich bin eben ein Arbeitstier und kann nicht anders. Abends war ich wie ausgelaugt und wollte nur meine Ruhe haben.

Mit der Zeit ist es meiner Frau offenbar zu langweilig geworden. Ich war abends und am Wochenende ja zu nichts mehr zu gebrauchen und mit den Gedanken oft immer noch bei der Arbeit. Nora klagte, sie müsse sich zu Hause allein um alles kümmern. Darum gab es endlose Diskussionen, die aber zu nichts führten.

Mit der Zeit stritten wir immer häufiger, meist wegen Kleinigkeiten: weil sie während langer Autofahrten gern viel redet und ich lieber schweige zum Beispiel. Und sicher hat es unsere Beziehung auch belastet, dass unser Kinderwunsch nicht in Erfüllung ging. Nora konnte sich einfach nicht damit abfinden, wollte immer wieder mit mir darüber sprechen und warf mir vor, nicht auf ihren Kummer einzugehen. Aber man muss doch auch mal mit etwas abschließen können.

Die Paartherapie hat uns nicht geholfen

Keine schöne Phase. Aber deshalb sich gleich trennen? Niemals, dafür habe ich meine Frau viel zu sehr geliebt. Und es war ja auch nicht ständig schlechte Stimmung bei uns. Wenn ich an unsere herrlichen Urlaube denke, wie wir einfach losgefahren sind und Halt gemacht haben, wo es uns gefiel. Gut, der Alltag war manchmal grau. Vielleicht hat Nora mehr darunter gelitten als ich. Auf ihren Vorschlag sind wir zu einem Paartherapeuten gegangen. Viel gebracht hat das nicht: Kurze Zeit haben wir mehr miteinander geredet, und es lief besser zwischen uns. Dann fing Nora wieder an mit den Vorwürfen. Konnte sie keine Ruhe geben? Sollte ich mich ihr zuliebe verbiegen?

Trotzdem wollten wir beide unsere Beziehung unbedingt retten, uns wieder näher kommen, mehr Zeit miteinander verbringen. Wir haben zusammen mit dem Laufen angefangen. Weil ich dabei gut abschalten konnte, trainierte ich mit der Zeit immer mehr. Und Nora hatte wieder einen Grund zum Meckern: meinen Sport.

Das Aus kam an einem Sonntag vor fünf Jahren. Da sagte Nora plötzlich, sie hielte es nicht länger aus und wir müssten uns trennen. Für mich war das wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Wir saßen den ganzen Nachmittag auf dem Sofa, haben abwechselnd zusammen geweint und gestritten.

Ein Neustart statt Scheidung?

Als ich dann allein wohnte, fehlte mir Nora sehr. Nach ein paar Monaten Funkstille nahmen wir wieder Kontakt auf. Wir trafen uns regelmäßig, besuchten gemeinsam unsere Eltern und feierten unsere Geburtstage zusammen.

Im vergangenen Jahr wollten wir dann einen Neustart wagen und unseren 20. Hochzeitstag auf Mallorca feiern. Ich habe mir so sehr gewünscht, dass wir wieder zusammenkommen. Bis mir auf der Fahrt zum Hotel auf einmal bewusst wurde: Es geht nicht mehr, es ist vorbei. Erst nach ein paar Tagen fand ich den Mut, es Nora zu sagen. Für sie ist eine Welt zusammengebrochen.

Ich bin erleichtert, dass es jetzt endlich vorbei ist, und ich wünsche mir wieder eine Beziehung – mit einer Frau, die mich so nimmt, wie ich bin."

Wie SIE ihre Ehe empfandNora Bachmann, 48: "Ich dachte, mit Stefan würde ich ein Leben lang glücklich sein. Er war so warmherzig, ich fühlte mich geborgen bei ihm. Heute frage ich mich oft: Hätte ich mehr Kompromisse machen, öfter den Mund halten sollen?

Ich war immer die Aktivere von uns beiden, organisierte unser Privatleben, hielt den Kontakt zur Verwandtschaft und zu den Freunden. Und ich sorgte dafür, dass wir es zu Hause schön hatten, kochte, putzte, räumte auf. Anfangs hat mir das nichts ausgemacht. Doch mit den Jahren habe ich gemerkt, wie viel Kraft diese Rolle kostet. Und ich sah nicht ein, dass die ganze Hausarbeit an mir hängen blieb, obwohl wir doch beide tagsüber arbeiteten. Unsere Gespräche gingen schließlich vor allem um dieses Thema. Weil ich nicht lockerließ, haben wir eine Haushaltshilfe engagiert. Natürlich musste ich mich darum kümmern. Stefan war es egal, wer kommt, Hauptsache, ich ließ ihn mit der Hausarbeit in Ruhe. Wenn ich ihn doch einmal um etwas bat, ließ er es einfach liegen – bis ich es dann doch selbst machte.

An unserer Liebe habe ich dennoch nie gezweifelt. Dass Stefan aber im Grunde mit seiner Arbeit verheiratet war und nicht mit mir, wurde mir nach zehn Jahren bewusst. Da hatten wir unsere erste große Krise. Ich wollte endlich mehr vom Leben haben als arbeiten, Haushalt und schlafen. Aber mit Stefan war abends ja nichts mehr anzufangen. Sein Job hat ihn so beschäftigt, dass er sogar im Schlaf davon gesprochen hat. Wahrscheinlich wäre das aber auch so gewesen, wenn er als Parkwächter gearbeitet hätte. Jede Arbeit würde ihn stressen, weil er wie besessen davon ist, alles perfekt zu machen.

Ich fühlte mich allein gelassen und überfordert

Ich wusste, dass er nicht anders kann. Enttäuscht war ich trotzdem. Wenn wir mal in Ruhe miteinander sprachen, ging es meist um Stefan und seine Probleme. Hätte er nicht auch mal auf mich eingehen können? Oder wenigstens abschalten, sich fallen lassen, ganz im Hier und Jetzt sein? Im Urlaub konnte er das. Dann erlebten wir unsere glücklichsten Momente. Diesen Strandspaziergang in Frankreich zum Beispiel. Stundenlang sind wir Hand in Hand gegangen, haben die klare Meerluft eingeatmet, hin und wieder Muscheln gesammelt und schweigend den Tag genossen.

Doch zu Hause holte mich alles wieder ein. Ich war so traurig darüber, dass ich nicht schwanger wurde. Als meine Schwester mir am Telefon voll Freude erzählte, dass sie ihr drittes Kind erwartete, musste ich weinen. Mit meinem Mann habe ich darüber gar nicht erst gesprochen, er hätte sowieso gleich abgeblockt. Für ihn war das Thema Kinder längst erledigt. Ich fühlte mich allein gelassen und überfordert. Wir haben es dann mit einer Paartherapie versucht. Der Psychologe empfahl uns, mehr auf die Bedürfnisse des anderen einzugehen. Stefan bemühte sich, doch bald war alles wieder wie früher.

Der Entschluss zur Scheidung kam plötzlich

Irgendwann hatte auch ich mich damit abgefunden, dass wir keine Kinder bekommen. Ich wollte unsere Beziehung wieder mit Leben füllen und schlug vor, regelmäßig laufen zu gehen. Stefan willigte ein. Anfangs machte das Joggen so viel Spaß, dass wir uns vornahmen, an einem Marathon in Neuseeland teilzunehmen. Es war ein großes gemeinsames Ziel, auf das wir beide hinarbeiteten. Aber bald wurde ein Konkurrenzkampf daraus, weil mein Mann immer schneller und besser sein wollte als ich. Hinzu kam: Die Zeit, die ich mit Training verbrachte, fehlte mir für die Gartenarbeit und den Haushalt – es blieb ja nach wie vor alles an mir hängen.

Mein Entschluss zur Trennung kam plötzlich, eines Morgens. Ich lag im Bett, konnte mich nicht mehr bewegen und hatte das Gefühl, innerlich zu verbrennen. In dem Moment wusste ich, dass es so nicht weitergehen kann. Ich habe Stefan gesagt, dass wir uns trennen müssen. Dabei liebte ich ihn noch immer und hoffte auf einen Neuanfang.

Bis heute ist mir unbegreiflich, dass Stefan drei Jahre später mit mir noch einmal in den Urlaub nach Mallorca geflogen ist, um sich dort endgültig von mir zu trennen. Und dass er erst geredet hat, als ich ihn fragte, was mit ihm los sei. Hätte er nicht wenigstens diesen letzten entscheidenden Satz von sich aus sagen können?"

Interview mit dem Paartherapeuten Klaus Heer

Wie Abwasch, Einkaufen und Gartenarbeit zur Scheidung führen können, erklärt der Schweizer Paartherapeut und Buchautor Dr. Klaus Heer.

BRIGITTE-woman.de: Alltag und Hausarbeit als Beziehungskiller, wie kommt das?

Klaus Heer: Ganz einfach. Paare wie die Bachmanns gibt es zu Hunderttausenden: Beide haben einen Vollzeitjob, aber er legt zu Hause die Beine hoch, während sie die ganze Arbeit macht. So etwas können Männer heute nicht mehr bringen, es ist eine Zumutung, und die Frauen rebellieren ganz zu Recht. Besser wäre allerdings, sie würden sich das gar nicht erst bieten lassen.

BRIGITTE-woman.de: Warum tun sie das, heute noch, im 21. Jahrhundert? Warum sind Frauen so blöd?

Klaus Heer: Viele versäumen es, gleich zum Anfang der Beziehung auszuhandeln, wie die Alltagsarbeit verteilt wird. Spätestens, wenn es um das Zusammenziehen geht, muss das passieren. Wenn Kinder im Gespräch sind und die Frau dann immer noch nicht verhandelt, hat sie womöglich ihre letzte Chance verspielt.

BRIGITTE-woman.de: Klingt dramatisch . . .

Klaus Heer: . . . ist es auch. Etwa, wenn Frauen wegen der Familie im Beruf zu lange aussetzen und den Anschluss verlieren. Wenn das Paar gemeinsam so entschieden hat und sich beide mit der traditionellen Rollenverteilung wohl fühlen, kann das gut gehen. Aber Frauen wollen heute gleichberechtigt sein.

BRIGITTE-woman.de: Und was wollen die Männer?

Klaus Heer: Nach meiner ganz privaten Schätzung haben 80 Prozent noch immer ein antiquiertes Frauenbild: Mann kommt nach Hause, Frau hat das Essen fertig. So kennen zumindest die Älteren es von ihrer Mutter, so finden sie es bequem. Und von diesen Privilegien geben sie freiwillig nichts ab. Deshalb müssen die Frauen sich gegen die alte Rolle wehren, statt sie stillschweigend zu übernehmen . . .

BRIGITTE-woman.de: . . .wie es die meisten ja tun. Und dann sitzen sie in der Falle und müssen weiterleiden oder den Mann vor die Tür setzen?

Klaus Heer: Moment, ganz so ist es nicht. Der Mann sitzt genauso in der Falle, denn auch er muss den Preis für sein Verhalten zahlen: Die Frau ist unzufrieden, es gibt Streit, die Beziehung geht den Bach runter. Damit ist kein Mann auf Dauer glücklich. Und an diesem Punkt, wenn sich bei beiden ein Leidensdruck aufgebaut hat, können sie etwas ändern . . .

BRIGITTE-woman.de: . . .und sich zum Beispiel bei einem Therapeuten Hilfe holen. Das tun die meisten aber erst, wenn ihre Beziehung bereits tiefe Risse hat und es kritisch wird. Wie könnten Paare denn vorbeugen?

Klaus Heer: Wichtig ist, sich klarzumachen, dass Liebe allein auf Dauer nicht genügt. Beide müssen in die Partnerschaft investieren, zu gleichen Teilen, wie in ein Wirtschaftsunternehmen.

BRIGITTE-woman.de: Damit wären wir wieder bei der Aufgabenteilung. Im Alltag ein gutes Team zu sein, ist das tatsächlich schon alles?

Klaus Heer: Es ist bereits sehr viel. Eine Liebesbeziehung wird im Alltag geführt, auf der Erde, nicht im Himmel. Wir sind keine Traumprinzen und -prinzessinnen, sondern Menschen mit Eigenheiten, die wir unserem Partner zumuten. Und wir machen Fehler, auch ihm gegenüber. Wenn er uns das sagt, sollten wir es aushalten können.

<frage name = "BRIGITTE-woman.de">

BRIGITTE-woman.de: Vorwürfe hört aber keiner gern.

Klaus Heer: Vorwürfe sind eigentlich nichts anderes als unappetitlich verpackte Wünsche. Oft steckt die Sehnsucht nach mehr Nähe zum Partner dahinter. Leider gelingt es vielen nicht, diese Botschaften herauszuhören. Stattdessen schließen sie lieber die Ohren.

BRIGITTE-woman.de: Bei den Bachmanns kam dazu, dass die Frau sich mit ihrem Kummer über den unerfüllten Kinderwunsch von ihrem Mann allein gelassen fühlte.

Klaus Heer: Auch das ist typisch: Die meisten Männer ertragen solche intimen Themen nicht und blocken Gespräche darüber zu schnell ab.

BRIGITTE-woman.de: Männer reden eben nicht über Gefühle . . .

Klaus Heer: Das wiederum ist mir zu pauschal. Männer sind nicht grundsätzlich Beziehungsidioten und Frauen nicht von vornherein kommunikativer. Es geht mir auch nicht so sehr um das Reden, sondern vor allem um das Zuhören. Verstehen, was der Partner wirklich meint, sich Dinge sagen lassen, sie annehmen können. Aufmerksam sein für den Partner, ihn wahrnehmen. Da müssen beide, Männer wie Frauen, noch viel lernen.

Zum Weiterlesen: Klaus Heer: Paarlauf. Wie einsam ist die Zweisamkeit? Salis-Verlag, 360 Seiten, 12,90 Euro

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