Anzeige

Leben nach der Trennung

Frau in Cabrio auf Highway
© Ollyy / Shutterstock
Viele Frauen fallen bei einer Scheidung in ein Loch. Doch sie vermissen nicht den Mann, sondern den Alltag mit ihm, die Freunde, die Gewohnheiten, die Rituale.

Keine einzige Träne weinte die 38-jährige Steuerfachangestellte Marie Sander*, als die Möbelpacker ihre Sachen aus der Wohnung räumten, in der sie die letzten elf Jahre als vermeintlich glücklich verheiratete Frau verbracht hatte. Völlig gefasst blieb sie auch, als sie die Scheidungsurkunde unterschrieb und danach in ihre kleine Singlewohnung einzog. Auf zu neuen Ufern, dachte sie fast euphorisch, als die letzte Kiste ausgepackt war. Marie Sander hatte auf einer Scheidung bestanden, als sie die Tatsache nicht mehr verdrängen konnte, dass Claus, ihr Ehemann, zwar nicht auf seine Ehe, aber auch nicht auf seine Geliebte verzichten wollte.

Meine Ehe fühlte sich an wie eine Eiterbeule.

15 verzweifelte Monate hatte sie um ihn gekämpft, sich klein gemacht, noch kleiner – und sich dabei immer mehr verloren. Sogar das Baby hatte sie akzeptiert, das ihm, wie er sich ausdrückte, mit der anderen "leider passiert war". "Ich war ein Nichts, ich war gar nicht mehr da", sagt sie heute. Auf dem absoluten Tiefpunkt, als sie betrunken im Bett lag, während Claus zur Geburt seines Sohnes gerufen wurde, wusste sie, dass Schluss war. Es war sein erstes Kind, sie war nie schwanger geworden, und der Schmerz darüber war so gewaltig, dass er jede Entscheidungsschwäche verdrängte. "Meine Ehe fühlte sich zum Schluss wie eine Eiterbeule an", sagt Marie, "die ich ausdrücken musste, damit sie mein Leben nicht mehr vergiften konnte."

Und dann stand sie drei Monate nach der Scheidung an der Rezeption des Skihotels in der Schweiz, in dem sie mit Claus und vier Freundespaaren immer Silvester gefeiert hatten, und der Besitzer fragte erstaunt: "Ein Einzelzimmer? Was ist passiert?" – "Wir haben uns getrennt", sagte Marie und schaffte es, dass ihre Stimme natürlich klang. Was sie allerdings nicht schaffte: ihren Freunden vorzutäuschen, wie normal diese Situation doch sei. Jede Minute bis zu ihrer Rückreise fühlte sich wie ein Nadelstich an. Das Frühstück, allein unter Paaren. Die Doppelkopfrunde mit einem fremden vierten Mann. Selbst das Käsefondue zu Silvester, das sie sonst so liebte, schmeckte schal und freudlos. "Ich will Claus nicht wieder zurück", wunderte sich Marie, "warum tut es trotzdem so weh, dass wir getrennt sind?"

Scheidung: Aus eins wird wieder zwei

Der Mensch ist ein Bindungswesen, das zwei Extremzustände kennt: sich verlieben und sich trennen. Jedes Mal werden alle unsere Gefühlsatome durcheinander gewirbelt und neu wieder zusammengesetzt. Aus eins wird zwei – und umgekehrt. Das kann Befreiung sein oder Amputation, Aufbruch oder Untergang. Wer sich verliebt, verschmilzt mit dem Partner; wird aus Verliebtheit dann Liebe, entstehen Gemeinsamkeiten, Gewohnheiten, Rituale, Frotzeleien, Geschichten. Daraus weben wir ein dichtes Geflecht. Wer sich trennt, stellt oft fest, dass er die Trennung vom Partner leichter verschmerzt als die Trennung vom gemeinsamen Leben. Zu erkennen, wie abhängig wir vom Gewohnten sind, wirkt wie ein Schock. Die Liebe ist vorbei; nicht aber das Netz, das sie gewoben hat. Denn jeder Mensch, der in unserem Leben eine gefühlsmäßige Bedeutung hat, hinterlässt ein Abbild in unserer Seele, das bleibt. Auch wenn die Person gegangen ist.

* Namen von der Redaktion geändert

Die Apothekerin Iris Zimmermann*, 51, hat die Auflösung ihrer fast 25-jährigen Ehe als so traumatisch erlebt, dass sie am Tag der bitterbösen Scheidung ein "Befreiungsfest" mit ihren Freundinnen gefeiert hat. "Unsere Trennung war wie ein schlechter Film", erinnert sie sich, "morgens hat er sich noch zärtlich von mir verabschiedet, abends kam ein verdruckstes ,Du, ich muss dir was sagen'." Dann packte er die Koffer und zog endgültig in die Wohnung, die er seit zwei Jahren bereits mit seiner "verletzend" jungen Geliebten aus St. Petersburg teilte. "Es lebe das Klischee", sagt Iris Zimmermann.

Mit ihm ist auch ein Teil von mir weggebrochen.

Die Trennung, fand sie heraus, hatte ihr Mann von langer Hand geplant, sein Konto gesperrt, das Haus bereits verkauft. Ihr Hass auf ihn war damals so stark, dass er sie über die nächsten Monate trug. Sie zog zu einer Freundin, dann merkte sie allmählich, wie ihr Leben immer kleiner wurde. Gemeinsame Freunde zogen sich zurück, "auf die soziale Speckseite", wie sie hinzufügt, denn im Gegensatz zu ihrem Ex hatte sie kein Haus auf Mallorca zu bieten, keine Segelyacht in Dänemark. "Er fehlt mir nicht, weil ich ihn etwa noch liebe", sagt Iris Zimmermann, "sondern weil mit ihm auch der Teil von mir weggebrochen ist, der ich nur mit ihm sein konnte."

Und das war ein guter Teil. Die wohl versorgte Gattin. Die großzügige Gastgeberin. Die entspannte Ratgeberin. "Ich fühlte mich wie gehäutet", sagt Iris, "die alte Haut war weg, eine neue noch nicht nachgewachsen." Mit dem Partner verschwindet für viele Frauen ein Stück vom alten Leben, das man vielleicht manchmal für langweilig, immer aber für selbstverständlich hielt. Und das man nun schmerzlich vermisst, obwohl man glaubte, sich mit der Trennung abgefunden zu haben. "Wie sehr ich an meinem oft als öde empfundenen Leben mit Joseph noch hing, hab ich erst gemerkt, als es vorbei war", erinnert sich die 46-jährige Erzieherin Karin Linke*. "Mir wurde plötzlich klar, dass ich auf Joseph gut verzichten konnte, aber nur sehr schwer auf unser Eheleben. Nicht auf unsere Wochenenden an der Schlei, auf die frischen Fische, die wir abends mit den Nachbarn grillten. Nicht auf die Sonnenuntergänge von unserem Schlafzimmerbalkon aus. Nicht auf Mollie. Denn so nannte mich sonst keiner."

Verlust von Freundschaft und vertrauten Ritualen

Dabei spielt es keine Rolle, ob die Trennung gewollt oder ungewollt war. "Meine Freunde haben es mir sehr übel genommen, dass ich sie vor vollendete Tatsachen gestellt habe", sagt Karin Linke, "aber es ging nicht anders. Joseph und ich hatten einen so engen Freundeskreis, wir machten so viel zusammen, die hätten mir die Scheidung mit Sicherheit ausreden wollen. Liebe, Leidenschaft, der ganz große Wahnsinn? Den hatte doch keiner von uns mehr auf dem Zettel." Als es Karin deshalb so unerwartet wie heftig erwischte, mit einer Urlaubsbekanntschaft, lebte sie ihre Liebe ohne Vorwarnung an den Rest der Welt. Die reagierte mit Rückzug und Empörung. "Plötzlich stand ich allein da", sagt sie, "alle rieten mir ab. Es gab nur noch mich und ihn." Und kurz darauf nur noch sie – die neue Liebe zerbrach drei Monate nach ihrer Scheidung. Gern wäre sie jetzt in ihr altes Leben zurückgeschlüpft, zwar nicht unter die eheliche Bettdecke, aber in ihre alten Freundschaften und all die schönen, vertrauten Rituale.

Wie sehr sie die vermisste, spürte sie jeden Freitag, wenn sie auf dem Wochenmarkt einkaufte. "Krabben mit Rührei, das war unser Wochenendauftakt, Freunde kamen vorbei, wir pulten gemeinsam bergeweise Krabben aus, jemand brachte ein Schwarzbrot mit." Nie wieder Krabbenbrot mit Rührei, dachte sie am Fischstand, und der Kummer überwältigte sie so sehr, dass sie anfing zu heulen. "Dieses blöde Krabbenbrot war emotional für mich so aufgeladen, dass ich monatelang darauf verzichtet habe", sagt sie, "ich habe den Markt gemieden wie die Pest."

Das Herz ist ein hartnäckiger kleiner Muskel.

Richtig so, findet BRIGITTE WOMAN-Psychologe Oskar Holzberg, denn bei einer Trennung müssen die alten Rituale "entritualisiert" oder neue geschaffen werden. "Wir sind Gewohnheitstiere", sagt er, "wenn wir uns von einem Partner lösen müssen oder wollen, dann flammt alles noch einmal auf, wir wollen dann genau das, was sich uns entzieht, wir sind süchtig nach dem Gewohnten und Vertrauten, obwohl wir wissen, dass es uns nicht gut tut. Es ist wie ein Suchtverhalten, mit dem Unterschied, dass die Droge, nach der wir süchtig sind, nicht zu der Belohnung führt, die wir erwarten." Nichts kann deshalb schädlicher für die wunde Seele sein als das, was so gern als "Sex mit dem Ex" postuliert wird: die unüberlegte Dosis vom alten Leben, die man sich nimmt, aus Nostalgie, Sehnsucht oder weil man glaubt, man habe seine Gefühle längst im Griff. Hat man leider länger nicht, als man für möglich hält, denn das Herz ist, wie Woody Allen einmal feststellte, "ein äußerst hartnäckiger kleiner Muskel". Und unsere Brille taucht die Vergangenheit hartnäckig in Rosarot.

Als der Ex von Marie eines Nachts vor ihrer Tür stand, weil die junge Russin ihn verlassen hatte, ließ sie ihn wieder in ihr Bett – und in ihr Herz. "Es fühlte sich zwar von Anfang an falsch an", sagt sie, "aber plötzlich war zumindest der Hass auf ihn weg, und ich konnte ihn später in Frieden gehen lassen." Oft erlangen Dinge erst im Verlust die Bedeutung, die sie zuvor nie hatten. "Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe", steht in einem Liebesgedicht von Erich Fried, "nicht nichts, aber weniger und weniger".

Nach der Scheidung wird die Vergangenheit generalverklärt

Oft sind es kleine, blöde Dinge wie ein Käsefondue, Krabbenbrot oder wie die zweite Zahnbürste, die jetzt im Glas fehlt. Das Wissen "Nie wieder!" macht in diesem Stadium jede Erinnerung kostbar. Nie wieder Frühstück im Bett mit Krümelpiksen und Zeitunglesen! Nie wieder sein genervtes Gesicht, wenn seine Mutter ihm über die Haare streicht und "Das waren ja auch schon mal mehr" seufzt. Nie wieder lauwarmer Sex, aber auch nie wieder göttliche Fußmassagen. Die Vergangenheit wird generalverklärt in der Sekunde, in der wir sie verlassen. Und dann kommt die Frage, die Angst macht: Wer bin ich ohne ihn? Eine Komödie, eine Tragödie, eine Farce? "Mein erfolgreicher Exmann hat mich in den Augen meiner Eltern sehr aufgewertet", sagt Iris, "er hat die hohen Leistungsanforderungen für mich miterfüllt. Als Single stehe ich ungeschützt vor der Familienfront, denn für sie bin ich jetzt eine Versagerin."

Das alte Leben mit der Neuen weiterleben.

Wer sich trennt, zerreißt das Netz, fühlt sich schutzlos, nackt, wie ein unbeschriebenes Blatt. "Ich wusste nicht mehr, wer ich war", erinnert sich Marie, "weil wir uns trotz häufiger Streite auch ergänzt haben. Er kann gut kochen, ich esse gern. Ich bin kontaktfreudig, er ist ein Sozialmuffel. Ohne ihn muss ich all das wieder werden, was er mir abgenommen hat." Wer sich trennt, häutet sich, im Guten, im Anstrengenden. Ein neues Leben lockt, aber erst wenn die Wunden vernarbt sind. Männer "docken" nach einer Trennung auch deshalb oft schneller wieder an, weil sie unfähiger sind, eigene soziale Netze zu knüpfen. "Mein Ex lebt mit seiner ganz Neuen unser altes Leben einfach weiter", staunt Iris, "gleicher Tennisclub, gleiches Hotel auf Korsika, er nennt sie sogar Spätzelchen, so wie früher mich."

Wie kann er nur? "Männer haben diesen vorwärts drängenden Pragmatismus", sagt Oskar Holzberg,"der bedingt ist durch ihre Ungeübtheit in seelischen Auseinandersetzungen. Sie leben eine neue Liebe, auch wenn die alte noch längst nicht verarbeitet ist. Das Fazit: Sie sind nie wirklich in der neuen Beziehung." Wenn Männer verlassen, gibt es zwei Varianten, die es Frauen schwer machen, den endgültigen Strich zu ziehen – sie bleiben entweder versorgend und zugewandt, versuchen den Spagat zwischen alter und neuer Liebe.

"Ich glaube, in jedem Mann steckt ein mehr oder weniger gut unterdrückter Haremswunsch", glaubt Marie, "am schönsten wäre es für sie, wenn sich die alte und die neue Frau gut verstehen, er stressfrei hinund herpendeln kann." Oder sie sind vernichtend und auslöschend, nach dem Motto: Ich mach mein Spielzeug lieber kaputt, bevor ein anderer damit spielen kann. "Joseph hat unseren Freundeskreis regelrecht gegen mich vergiftet", sagt Karin Linke, "lange blieb ich die Böse und litt. Dann rief ich alle an, die mir wichtig waren, und sagte: ,Ihr könnt uns doch beide in eurem Leben behalten. Ladet uns einfach so lange umschichtig ein, bis Gras über die Scheidung gewachsen ist.' Das hat so gut geklappt, dass wir jetzt wieder zusammen eingeladen werden, mit oder ohne neue Partner."

Scheidung bedeutet nicht den Verlust des Lebens

Denn wenn aufgeschoben aufgehoben bleibt, gibt es keinen neuen Anfang, kein neues Leben. Jede Trennung, sagt der Paar-Psychologe Oskar Holzberg, verläuft erst im Innen und dann im Außen. Das dauert und tut weh und muss ausgehalten werden. Wir müssen einen Sinn in ihr finden, sonst bleiben alte Ängste und vergiften unser neues Leben. Denn genau das bedeutet eine Scheidung: Wir verlieren einen Teil unserer Welt, aber nicht unser Leben. Marie Sander hat kürzlich ihre schlimmste Angst überwunden, die Angst, wie sie reagieren würde, wenn sie ihren Mann mit seinem Kind sieht. Sie hat an ihren Lieblingssatz von Goethe gedacht: "Handeln enthält Magie, Anmut und Kraft" und ihren Ex mit Frau und Kind zum Kaffee eingeladen. "Im Laufe des Nachmittags habe ich das Baby in den Arm genommen und dem Vater Glück gewünscht. Das war sauschwer, aber jetzt bin ich frei."

Text: Evelyn Holst

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel