Anzeige

Sadomaso: "Ich führe ein Doppelleben - weil mich Schmerzen erregen"

Sadomaso: "Ich führe ein Doppelleben - weil mich Schmerzen erregen"
© Lightbown/cultura/Corbis
Per Kontaktanzeige hat Eva einen "Gebieter ihrer Lust" gefunden. Ein Gespräch mit der Mutter von drei Kindern über ihre Lust an Unterwerfung.

Eva B. öffnet die Tür des Hotelzimmers in Köln. Eine zierliche Frau mit dunklen Locken. Ihr Händedruck ist leicht, ihr Lächeln offen. Barfuß und in schwarzen Jeans mit engem T-Shirt wirkt die 52-Jährige sehr mädchenhaft.

BRIGITTE.de: Frau B., Sie waren 49, als Sie Ihre Kontaktanzeige aufgaben. Hatten Sie vorher schon masochistische Erfahrungen?

Eva B.: Nein, nur Fantasien - und zwar mein Leben lang. Aber die hatten nichts mit der Realität zu tun. Ich bin eine emanzipierte Frau und konnte mir nicht vorstellen, dass ich sexuell dominiert werden möchte.

Warum dann die Anzeige?

Mit Ende 40 wurden meine Fantasien stärker. Mich erregte der Gedanke, ausgeliefert zu sein. Ich stellte mir vor, wie ein Mann mich fesselt, mich so oft nimmt, wie er will, und später auspeitscht. Irgendwann wollte ich einfach wissen, was an diesen Träumen dran war. Ich musste es ausprobieren.

Gab es dafür einen Auslöser?

Nach meiner Scheidung hatte ich mich verliebt, und zwar so heftig wie nie zuvor. Aber dieser Mann erkrankte an Krebs und starb. Eine furchtbare Zeit. Ich zog mich zurück, wollte allein sein mit meiner Trauer und versuchte, neue Ziele zu finden. Währenddessen wurden meine Fantasien immer stärker. Beim Schreiben der Anzeige habe ich nicht nachgedacht, es floss einfach aus mir heraus. In dem Moment habe ich etwas zugelassen, was schon immer in mir war.

Sie bekamen über 150 Zuschriften. Wonach wählten Sie die Männer aus, die Sie trafen?

Alle, die gebunden waren, habe ich aussortiert, denn ich wollte keine Familien zerstören und keine Heimlichkeiten. Ungefähr 15 Briefe zogen mich magisch an, weil in ihnen Niveau, Erfahrung und vor allem Dominanz zu spüren waren.

Sie lasen die Briefe heimlich und schlossen sich zum Telefonieren ein, weil Sie nicht wollten, dass Ihr damals 16-jähriger Sohn etwas mitbekommt.

Ich als Mutter verhielt mich plötzlich wie meine pubertierenden Kinder. Das war nicht immer ein gutes Gefühl.

Weil Sie mit einem Geheimnis leben?

Eine Frau, die so veranlagt ist wie ich, trägt immer eine Maske, hinter der sie einen Teil von sich versteckt. Schon in meiner Ehe hatte ich das Gefühl, ein Doppelleben zu führen.

Warum denn das?

Weil ich meine Fantasien vor meinem damaligen Mann verheimlichte. In unserer Ehe kriselte es. Mehrere Jahre hatte ich wenig Sex, obwohl ich sehr sinnlich bin. Ich flüchtete in meine Fantasien und onanierte viel. Sogar beim Sex mit meinem Mann stellte ich mir vor, dass er mich festhält und ich wehrlos bin. Aber ich habe nie gewagt, mit irgendjemanden darüber zu sprechen.

Aus Ihrer Fantasie wurde nach der Kontaktanzeige Realität. Hatten Sie keine Angst vorm ersten Mal?

Ich hatte nie Angst vor den Männern oder dass mir etwas passiert. Nach den ersten Gesprächen am Telefon und einem Kennenlern-Treffen im Café wusste ich, wem ich trauen kann, weil ich eine gute Menschenkenntnis habe. Insgesamt habe ich mich mit fünf Männern auf SM-Sex eingelassen, bis ich den Partner gefunden hatte, der wirklich zur mir passt.

Wie war das erste Mal?

Nach der ersten Begegnung war ich fassungslos. Ich hatte mich demütigen und schlagen lassen. Und die Befehle, die Erniedrigung, die Schmerzen - hatten mich erregt. Mehr als alles in meinem Leben zuvor.

Wie sind Sie mit Ihren Gefühlen umgegangen?

Ich konnte mit niemandem darüber sprechen, habe mich nicht mal getraut, meiner besten Freundin davon zu erzählen. Um meine unfassbaren Erlebnisse zu verarbeiten, fing ich an, Tagebuch zu schreiben.

Hatten Sie ein schlechtes Gewissen?

Was mein Sexleben angeht, nicht. Was mir zu schaffen macht, ist, dass ich meinen Kindern etwas vorgelogen habe, wenn ich zu meinen Verabredungen fuhr. Ihnen habe ich vermittelt, dass Ehrlichkeit, Offenheit und Absprachen hohe Werte sind - und dann sage ausgerechnet ich die Unwahrheit.

Sie sind Mutter von zwei erwachsenen Töchtern und einem Teenager, arbeiten Vollzeit, schreiben nebenher Fachbücher und geben Seminare - und am Wochenende lassen Sie sich schlagen. Belastet Sie dieses Doppelleben nicht?

Die Form der Erotik allein macht doch kein Doppelleben aus! Jetzt habe ich die Veranlagung in mein Leben integriert. Ich lebe sie mit meinem Partner, und er ist Teil meiner Familie.

Hatte Ihr Partner vorher schon SM-Erfahrungen?

Nicht in seinen beiden Ehen. Aber er war immer auf der Suche danach, und über Anzeigen fand er Frauen, mit denen er seine Neigung stundenweise ausleben konnte. Doch danach fühlte er sich leer. Denn er suchte nicht nur Erotik, sondern auch eine Bindung. Er sagt, bei mir sei er endlich angekommen.

Leben Sie zusammen?

Nein, wir haben eine Mischform gefunden. In meinem Haus gibt es ein gemeinsames Schlafzimmer, und er hat seine Wohnung behalten. Dort leben wir unsere Lust. Bei mir feiern wir Weihnachten und alle Familienfeste.

Bei Ihnen haben Sie also Ihr soziales Leben und . . .

 . . . und unsere Erotik leben wir bei ihm aus.

Trennen Sie Erotik und Alltag?

Meine Lust an der Unterwerfung gehört nicht in mein Alltagsleben. Wir wachen bewusst darüber, die Bereiche nicht zu vermischen. Früher wusste ich nichts über die beiden Facetten meiner Persönlichkeit: die Sklavin und die emanzipierte Frau. Darum haben mich immer die falschen Männer angezogen. Männer, die mich bevormunden wollten, eifersüchtig waren oder meine Meinung nicht stehen lassen konnten. Heute merke ich, wenn mir etwas begegnet, worauf die Sklavin reagiert. Dann kann die Frau die Kontrolle übernehmen.

Masochismus gilt immer noch als psychosexuelle Störung, deren Ursache in der Familiengeschichte zu suchen ist.

Was Experten analysieren, ist mit gleichgültig. Wichtig ist, dass ich den Schlüssel gefunden habe, mich selbst zu verstehen. Außerdem greift diese Theorie bei mir nicht.

Wieso nicht?

Ich hatte eine unbeschwerte Kindheit, konnte mit meinen Eltern immer sprechen. Trotzdem hatte ich schon als Kind Fantasien, in denen ich entführt und von vielen Händen gepackt wurde. Und später, mit elf, habe ich mit einer Freundin jeden Nachmittag Sklavin und Kaiser gespielt. Wir verkleideten uns und malten uns aus, was wir miteinander machen würden. Die Sklavin wurde eingesperrt, gefesselt, entkleidet und ausgepeitscht. Das Ende war immer gleich: Der Kaiser war so angetan von der Hingabe der Sklavin, dass er sie zur Frau nahm.

Unter Erwachsenen soll ein Viertel aller Frauen masochistische Fantasien haben.

Ich glaube, es sind noch mehr. Und wissen Sie, wie viele Paare kleine Fesselspiele machen? Oder wie viele Männer der Frau die Arme über dem Kopf zusammenhalten? Die Übergänge sind fließend. Wo setzt man die Grenze?

Eine Grenze sieht man eindeutig . . .

Die Striemen?

Ja. Sie lassen sich von Ihrem Partner so schlagen, dass Striemen entstehen.

Am liebsten habe ich frische Baumgerten. Die machen ein aufregend pfeifendes Geräusch.

Bluten Sie dann nicht?

Nein, auf der Haut entstehen nur wunderschöne rote Zeichnungen.

Gehen Sie damit auch in die Sauna oder zum Schwimmen?

Sauna und Schwimmbäder mochte ich noch nie. Und für den Sport ziehe ich mich vorher um. Gehe ich zum Frauenarzt, verzichten wir ein Wochenende vorher.

Was bedeuten Ihnen diese Striemen?

Ich trage sie wie andere Frauen ihren Ehering. Wenn ich sie sehe und drüberstreiche, fühle ich ihn.

Was genau erregt Sie?

Es ist nicht der Schmerz, sondern die damit verbundene Hingabe, die bis zur Selbstauflösung führt. Und dass mein Partner über mich verfügt. Er sagt mir, ich soll mich umdrehen oder hinknien. Er nimmt mich so oft und wo er möchte. An jedem Wochenende bin ich einmal an die Balken in seiner Wohnung gefesselt. Meine Augen sind verbunden, so dass ich nicht weiß, was kommt. Er streichelt und schlägt mich abwechselnd. Die Gerte ist am intensivsten und hinterlässt die Striemen, die auch meine Seele berühren.

Tun Ihnen die Schläge weh?

Natürlich! Ich habe ein ganz gesundes Schmerzempfinden. Ich lasse auch nicht beim Zahnarzt meine masochistische Ader raushängen. Ich brauche genauso meine Spritze wie jeder andere auch.

Verschieben sich eigentlich die Grenzen mit der Zeit?

Bis jetzt nicht. Ich bin eher schmerzempfindlicher geworden - wahrscheinlich weil die Aufregung wegfällt.

Ist der Sex denn noch so aufregend wie am Anfang? Immerhin leben Sie Ihre masochistische Sexualität mit Ihrem Partner schon seit drei Jahren.

Wir machen es noch genauso oft wie früher. Aber natürlich hat sich etwas verändert: Es ist nicht mehr so neu, und die Liebe ist dazugekommen. Außerdem teilen wir unser Leben. Er ist Unternehmensberater, und ich gehe mit zu seinen Betriebsessen, wir treffen Freunde, sind bei der Familie. Wir versuchen trotzdem, wenigstens den Samstag für uns zu retten. Wenn ich unser Lustfest - so nenne ich das - nicht habe, dann fehlt mir was.

Woher wissen Sie, dass er aufhört?

Viele Paare vereinbaren dafür ein Codewort. Aber wir nicht. Mein Partner spürt genau, wie viele Schläge ich brauche.

Erregt es ihn, Ihnen Schmerzen zuzufügen?

Es geht nicht um die Schmerzen, sondern um die Tatsache, dass er mich beherrschen will. Der Akt des Schlagens und die Tatsache, dass ich die Schläge hinnehme, zeigen ihm, wie sehr ich mich unterwerfe. Er genießt die Macht, die er über mich hat, und dass er mich zu dieser Hingabe führen kann.

Haben Sie eigentlich auch mal das, was man als normalen Sex bezeichnet?

Na klar! Das Schlagen ist nur eine Facette unserer Erotik. Wir tauschen auch innigste Zärtlichkeiten aus. Aber es gibt auch ein anderes Element: Mein Partner kann Sex mit mir haben, wann immer er will. Doch er achtet genau darauf, ob ich auch wirklich dafür bereit bin. Wenn ich von außen stark gefordert werde oder meine Kinder mich brauchen, würde er von sich aus keinen Sex wollen.

Also ein sehr liebevoller, aufmerksamer Mann?

Ja. Und nicht nur beim Sex, sondern auch im Alltag. Mir hat noch nie ein Mann so die Wünsche von den Augen abgelesen. Und noch keiner hat so viel mit mir gesprochen. Ich kann ihm alles erzählen. Und er zeigt mir seine Liebe auf fantasievolle Weise: Zum Frühstück schneidet er mir Gurken und Radieschen in Herzform auf den Teller.

Viele Frauen in Ihrem Alter haben Probleme beim Sex. Sie nicht?

Ich hatte auch Probleme mit trockenen Schleimhäuten, Schweißausbrüchen, Stimmungsschwankungen. Aber durch die Sexualität ist mein Körper so in Wallung geraten, dass sich die Wechseljahre verzögert haben. Sogar meine Periode hat wieder eingesetzt.

20 Orgasmen an einem Wochenende sind für Sie nichts Ungewöhnliches. Das hört sich schrecklich anstrengend an.

Fürchterlich! Aber es führt mich genau zu der Erschöpfung, die ich so liebe. Früher habe ich unglaublich extreme Reisen gemacht, bin zum Beispiel 20 Kilometer am Tag durch die Wüste gewandert. Das macht man ja auch nur, wenn man dabei irgendeinen Lustgewinn hat.

Warum ist SM Ihrer Ansicht nach immer noch so ein großes Tabu?

Weil man damit Gewalt assoziiert - und weil, wie Sie eben gesagt haben, es als abnormal und pervers gilt. Dabei ist das mit der Gewalt ein großes Vorurteil.

Was ist denn im Spiel, wenn nicht Gewalt?

Gegenseitige Bedürfniserfüllung! Soll ich es Gewalt nennen, dass mir ein Mann die Wünsche an meinen Körperreaktionen abliest? Soll ich es Gewalt nennen, dass er mir das schenkt, wonach ich mich am meisten sehne? Er tut nur das, was ich möchte. Die Einvernehmlichkeit ist entscheidend.

Ist Angst bei dieser Art von Erotik ein zusätzlicher Kick?

Angst ist kein Kick! Vertrauen ist der Kick. Ich vertraue dem anderen, dass er nur das tut, was ich möchte. Wenn Angst im Spiel ist, sind wir schon nahe bei der Gewalt. Das Einzige, was mir wirklich Angst gemacht hat, war mein ungeheures Bedürfnis nach Unterwürfigkeit.

Gab es einen Moment, an dem Sie überlegt haben, die Suche nach Ihrem "Gebieter" zu beenden?

Nein. Ich konnte nicht mehr zurück. Ich stand an einem Wendepunkt in meinem Leben. Und heute bin ich unendlich froh, dass ich diesen Weg gegangen bin. Ich bin angekommen - bei mir selbst und bei dem Mann, den ich gesucht habe. Aber ankommen heißt nicht stehen bleiben. Ich entwickle ich mich weiter.

Inwiefern?

Je länger ich meine Veranlagung lebe, desto wichtiger wird mir, das Thema aus der Tabuzone herauszuholen. Ich möchte mich auch mit meiner Person dazu stellen. Ich will sagen: "Ihr kennt mich! Nichts hat sich verändert, ich bin die Gleiche geblieben." Aber ich traue mich noch nicht.

Warum nicht?

Besonders schwer wird es dadurch, dass ich meine sexuellen Erfahrungen sehr detailliert beschrieben und als Buch* veröffentlicht habe. Wenn ich mich jetzt oute, weiß jeder genau, was ich im Bett mache. Ich habe Angst, dass meine Kinder damit nicht zurechtkommen, dass mein Vater einen Herzinfarkt bekommen könnte oder ich meinen Job verliere. Doch ein Teil in mir gibt keine Ruhe, und ich weiß, irgendwann wird der richtige Zeitpunkt kommen, mit meiner Familie darüber zu sprechen. Genauso, wie er kam, um mich meinen beiden besten Freunden anzuvertrauen.

Text: Silke Kienecker

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel