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Warum Respekt in der Partnerschaft so wichtig ist

Warum Respekt in der Partnerschaft so wichtig ist
© Dragon Images/shutterstock
Wir fallen uns ins Wort, kanzeln uns ab, hören nicht zu: In der Partnerschaft behandeln wir die Menschen, die wir am meisten lieben, oft mit überraschend wenig Respekt.

Es sollte ein netter Abend zu viert werden, aber für die 48-jährige Grundschullehrerin Dagmar Gessler* wurde es der reinste Stress. Ihre beste Freundin Anja hatte sich mit 51 Jahren frisch verliebt und wollte den neuen Mann an ihrer Seite vorstellen. Also saßen sie sich gegenüber – das alte Ehepaar Dagmar und Wolfgang und das junge Liebesglück Anja und Peter. Das Ehepaar auf Abstand, wenig Blickkontakt, kaum Berührungen, warum auch, man kannte sich schließlich schon länger. Das Liebespaar eine menschliche Brezel, nonstop zärtliche Blicke und Gesten.

"Nie war mir so sehr aufgefallen, wie unhöflich und unaufmerksam mein Mann und ich miteinander umgingen", sagt Dagmar, "bis Wolfgang an mir vorbei zum Salz griff, dabei mein Rotweinglas umkippte und ich ihn mit 'Pass doch auf, du Depp' anraunzte. Und das fiel mir nur deshalb so krass auf, weil Peter gerade sein Jackett auszog, um es Anja umzulegen. Und vorher seine Sachen aus den Taschen entfernte, damit es nicht zu schwer für sie war. Wow, dachte ich, so was gibt es also auch."

Bis dahin hatte Dagmar den Umgangston in ihrer Ehe für völlig normal gehalten. Sie waren schließlich kein frisch verliebtes junges Paar mehr. Sie hatten drei Kinder großgezogen, ein Haus gekauft, ein Geschäft aufgebaut und wieder verloren. Sie hatten sich betrogen und verziehen. Er hatte ihre Hand gehalten, als sie erfuhr, dass es doch kein Brustkrebs war. Sie kaufte ihm Kürbiskernpillen zur Vorbeugung gegen Prostatavergrößerung. Ein Bett ohne ihn darin war für sie nicht vorstellbar. Ein Leben ohne ihn noch weniger.

Fehlt etwas in der Partnerschaft, wenn es keinen Respekt gibt?

Doch war das wirklich genug? Plötzlich gab es Fragen. Wann hatte Wolfgang ihr zuletzt die Autotür aufgehalten? Wann sie die Zeitung nach dem Lesen wieder zusammengefaltet, weil er "unordentliche" Zeitungen so hasste? Wann hatte sie das letzte Mal über seine Witze gelacht? Wann hatte er zum letzten Mal ihre Rinderroulade gelobt? Ihr überhaupt ein Kompliment gemacht? Sie ihn zärtlich berührt, weil sie seine Haut so gern anfasste? Und die Hauptfrage: Warum eigentlich behandeln wir die Menschen, die wir am meisten lieben, oft schlechter als völlig Fremde? Warum zeigen wir uns verständnisvoll, wenn ein Kollege sich verspätet, und reagieren gereizt mit "Ich finde das rücksichtslos von dir!", wenn der Partner es tut? Gähnen ungeniert, wenn er aus der Firma berichtet, und hängen dann stundenlang mit unserer besten Freundin am Telefon?

"Weil wir glauben, es uns leisten zu können", sagt die Hamburger Verhaltenstherapeutin Petra Ohlsen-Andresen, "und weil wir im Beruf oft so gestresst sind, dass wir nicht auch noch an unserer Beziehung arbeiten wollen. Wir halten die Liebe für einen Selbstgänger. Aber sie ist nicht so strapazierfähig, wie wir sie gern hätten. Und es sind häufig nicht die großen Vertrauensbrüche, wie Fremdgehen, die sie kaputt machen, sondern die Anhäufung vieler kleiner Dinge."

Dagmar war klar, dass nach 24 Ehejahren "romantisch die Luft raus war", wie sie es nannte. Es wäre ihr deshalb albern vorgekommen, Wolfgang plötzlich kleine Liebesbotschaften in den Aktenkoffer zu schmuggeln oder ihn abends im schwarzen Nachthemd zu begrüßen. Was sie auf einmal viel mehr störte, waren die kleinen Lieb- und Achtlosigkeiten, die sich nach und nach in ihre Ehe eingeschlichen hatten, von der sie doch einmal vor dem Altar geschworen hatten, "sich zu lieben und zu ehren, bis dass der Tod uns scheidet".

Seit die Kinder aus dem Haus waren, hatten sie es sich angewöhnt, vor dem Fernseher zu essen, geredet wurde dabei kaum. Nur für zwei lohnte sich die Kocherei nicht mehr, also gab es Dinner aus der Mikrowelle oder ein Käsebrot. Danach schlief Wolfgang oft auf dem Sofa ein. Dagmar ging dann schon ins Bett. Morgens beim Frühstück las jeder die Zeitung. Unnötig zu betonen, dass ihre Sexualfrequenz nicht mehr messbar war. Dagmar liebte ihren Mann und fühlte sich auch von ihm geliebt. Doch war es wirklich noch Liebe, dieses laue, unaufmerksame Miteinander? Auf ihrem Kühlschrank klebte ein Sticker, auf dem stand: "Glück finden in der Reduzierung von Glückserwartung!" Klang schlau, der Spruch, aber auch irgendwie deprimierend. Genauso wie der abrupte Stimmwechsel, wenn der Ehemann zu Hause herumnörgelte, aber dann, wenn der Chef anrief, die Freundlichkeit in Person war. "Aber auch ich reagierte im Stressfall bei Wolfgang viel gereizter als bei jedem anderen Menschen."

Liebe muss man sich verdienen

Mit der Ehe ist es wie mit dem Älterwerden: Änderungen passieren schleichend, über Jahre und Jahrzehnte, und lange können wir verdrängen, dass nichts mehr so ist, wie es einmal war. Wenn wir eine Beziehung anfangen, sagt Ohlsen-Andresen, "dann halten wir gegenseitiges Vertrauen, Achtung und Fairness für selbstverständlich, und wir glauben, dass wir all das verdient haben. Aber das stimmt nicht: Liebe muss man sich verdienen. Jeden Tag aufs Neue. Wir müssen aufmerksam sein, hinhören, hingucken. Man darf nie nachlassen und muss seinen Partner behandeln, wie man selbst von ihm behandelt werden will."

Und genau das vergessen wir im Alltag. Wir lassen uns gehen, innerlich und äußerlich. Wir laufen, wie die 43-jährige Hausfrau und Mutter Corinna Seifert, im schlabbrigen Mutti-T-Shirt und bequemen Jogginghosen herum. Wir halten nicht die Hand vor den Mund, wenn wir gähnen, wir putzen gemeinsam unsere Zähne über dem Waschbecken, stippen mit dem feuchten Zeigefinger die Krümel vom Teller, und wenn uns ein Rülpser entfleucht, ist es uns nicht mehr peinlich. "Du läufst im Morgenrock herum, ziehst dich zum Essen nicht mal um, dein Haar, da baumeln kreuz und quer die Lockenwickler hin und her", singt Charles Aznavour in seinem unvergesslichen Chanson "Du lässt dich gehen". Und obwohl es Corinna selbst stört, wenn Ehemann Helmut auf dem Badewannenrand sitzt und seine Fußnägel schneidet, hält es sie nicht davon ab, ihre Achselhaare dabei zu rasieren.

"Es sind die beiden Seiten der Beziehungsmedaille", sagt Ohlsen-Andresen, "die positive: Ich habe keine Angst, dass du mich verlässt. Und die negative: Ich streng mich nicht mehr an für dich. Wobei wir allerdings auch darauf achten müssen, dass wir uns nicht zu sehr auf die Pelle rücken. Freiräume sind ganz wichtig."

Das Absterben der Liebe bemerken wir überhaupt nicht

Begreifen wir unsere Liebe als etwas Kostbares, mit dem wir sehr sorgfältig umgehen müssen, damit es nicht kaputt geht? Nein, das tun wir nicht. Wenn Liebe länger dauert, wird sie so selbstverständlich wie die Luft zum Atmen. Immer da. Nicht der Rede wert. Ihr schleichendes Absterben bemerken wir überhaupt nicht. Wir fallen uns ins Wort, kanzeln uns ab, hören uns nicht zu. Wir meinen das alles nicht böse. So ist sie halt, die Liebe, sie wird müde, sie schleift sich ab, dagegen ist man doch einfach machtlos, oder? "Nein, ist man nicht, wenn einem bewusst ist, dass jede Beziehung gepflegt werden muss", sagt Ohlsen-Andresen, "Liebe darf nicht nur diffus gefühlt, sie muss auch aktiv ausgedrückt werden."

Das ist oft leichter, als wir es uns vorstellen oder befürchten. Wir müssen nur unsere Trägheit überwinden. Zum Beispiel mit dem Partner frühstücken, statt sich im Bett noch einmal umzudrehen und weiterzuschlafen. Uns wirklich miteinander unterhalten, statt beim Essen die Zeitung zu lesen. "Ich habe Wolfgang zum ersten Mal seit Jahren keinen Gutschein zum Geburtstag geschenkt, sondern die Geschäfte nach einer Lederjacke abgeklappert", sagt Dagmar, "er hat sich riesig darüber gefreut. War ein schönes Gefühl."

Wir wissen, dass eine gute Beziehung nicht nur aus Luft und Liebe besteht, sondern auch aus dem Verkraften von Desillusionierungen. Niemand ist einem so nah, tut einem so gut, aber niemand kann einen auch so enttäuschen und verletzen.

"Was tun Sie, damit es besser wird?", fragt Petra Ohlsen- Andresen, wenn ihr eins dieser Paare gegenübersitzt, die an ihrer Ehe arbeiten wollen. Und sie rät beiden, nicht immer nur darauf zu warten, was der andere tut. Denn so eskaliert der Ehefrust. Besser ist es, gemeinsam einzusehen: "Ja, wir sind respektlos miteinander. Wir haben gemerkt, dass unsere Beziehung ausfasert. Aber wir verzeihen uns den Murks und die Altlasten der letzten Jahre, wir gehen wieder aufgeräumter aufeinander zu."

* alle Namen von der Redaktion geändert

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