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Online verlieben? Ich treff Männer, die nur Sex wollen

Online verlieben? Ich treff Männer, die nur Sex wollen
© Getty Images
Sie sucht online nach einem Partner. Sie findet Männer, die nur Sex wollen. Und ist hin und weg, als sich endlich einer ernsthaft für sie zu interessieren scheint.

Eigentlich finde ich Online-Dating bescheuert. Ich mag die Shopping-Attitüde nicht, zu der es einlädt. Profile lassen sich abrufen wie Produkte. Der Begriff dafür ist "stöbern", so als lägen wir auf dem Wühltisch in der Resteecke eines Kaufhauses.

Trotzdem melde ich mich bei einer Partnerbörse an, weil ich mir sehnlich einen Freund wünsche, und der ist mir weder im Job noch im Supermarkt über den Weg gelaufen. Es kommt zu Treffen, von denen einige im Bett enden. Meine Frage nach einem Wiedersehen wird grundsätzlich mit "Wozu?" beantwortet. Ein Mann erzählt offen, dass er, wenn er wollte, jeden Abend eine andere "richtig gute Frau" treffen könne. Ja, er hätte es schön gefunden mit mir, aber nee, noch mal verabreden will er sich nicht. Wozu auch, wenn es so viel Frischfleisch gibt? Der Ehemann, der mit Erlaubnis seiner Frau einen Seitensprung sucht, ist unterm Strich die netteste Begegnung. Freundinnen von mir machen ähnliche Erfahrungen. Die, die Sex hinauszögern, werden spätestens nach Vollzug abserviert. Die, die sich schon halb in einer Beziehung wähnen, werden ohne Erklärung stehen gelassen. Die Online-Typen verschwinden dahin, wo sie hergekommen sind: ins Nichts.

Eine Freundin sagt: "Die wollen nur das Geld für eine Nutte sparen." So krass sehe ich das nicht, auch wenn mich die Abgebrühtheit der Männer mit den aufwendig gestalteten Profilen jedes Mal neu irritiert. Wozu geben sie vor, ernsthaft jemanden zu suchen, wenn es ihnen nur darum geht, möglichst viele Frauen auszuprobieren? Wären sie von vornherein ehrlich, könnte es eine Win-win-Situation sein: eine schöne Nacht für beide, ohne sich verzweifelt in eine verrauchte Bar stellen und jemanden anbaggern zu müssen. Nach kurzer Zeit habe ich nur noch wenige Illusionen und bin schwer auf der Hut.

Eines Tages lese ich: "Ich finde dein Profil und deine Fotos toll. Wenn das auf Gegenseitigkeit beruht, schreib mir." Sein Profil ist kurz und knapp: 1,90 Meter, 44, athletisch, Master, raucht nicht, keine Drogen, spricht Englisch. Ein Foto im Halbprofil mit schwarzen Haaren, leicht grauen Schläfen, schön geschwungenen Augenbrauen, gerader Nase und einer etwas dicken Unterlippe. Das kann komisch aussehen oder gerade gut. Ich schreibe zurück, wir kommen ins "Gespräch": Ihm fehle in Deutschland die Sonne und dass die Leute lächeln. Ich antworte: "Sie lächeln vielleicht nicht so oft in der Öffentlichkeit, aber dafür im Privaten." Er schreibt, dass er mich treffen will, um mich lächeln zu sehen.

Er sieht viel toller aus

Wir verabreden uns in einem Café. Er kommt rein, strahlt, sieht viel toller aus als auf dem Foto. Groß, gut gebaut, geschmackvolle, unspießige Klamotten, ein gewinnendes Lachen. Er geht auf mich zu, als wäre ich sein Hauptgewinn. Etwas in meinem Hirn setzt aus, alle schlechten Erfahrungen sind vergessen. "Setz dich doch so, dass du einen schönen Blick aus dem Fenster hast", schlage ich vor. "Du bist der Ausblick", kontert er, fixiert mich, stellt Fragen: ob ich Filme mag, ob wir mal zusammen ins Kino gehen? Das wievielte Kind ich sei, was ich beruflich machte?

So offensiv hat mich noch keiner ausgefragt. Dabei hört er nicht auf, mich anzusehen und anzulachen. Ich zweifle keine Sekunde daran, dass er sich wahnsinnig für mich interessiert. Ich frage, ob er schon viele Frauen getroffen hat. "Du bist die Erste!" Ich sage laut: "Wirklich?" und denke still: Juhu! Kaum zu glauben, aber ich habe mich gerade aus dem Stand in einen wildfremden Mann "aus dem Internet" verliebt.

Wir erzählen einander von uns. Ich bin eine Couch-Potato, er das totale Gegenteil. Kommt mit fünf oder sechs Stunden Schlaf pro Nacht aus, arbeitet in der Immobilienbranche, läuft mehrmals die Woche um den Schlachtensee, geht ins Fitness-Studio - und hat eine hohe Meinung von seiner Effizienz: "Ich bin in zehn Minuten mit dem durch, wofür andere eine Stunde brauchen." In Kombination mit der Charme-Offensive finde ich nicht einmal so viel Selbstherrlichkeit abstoßend. Er sinniert über unsere gemeinsame Zukunft: "Du auf dem Sofa, ich auf dem Laufband, vor uns der Fernseher." Als er auf seine drei Kinder zu sprechen kommt, die er alle zwei Wochen in seinem Heimatland besucht, werde ich blass. Er sagt, dass er von der Mutter getrennt ist.

Nach zwei Stunden bringt er mich zur U-Bahn, vor der Station küssen wir uns. Er fasst meinen Hals an und meine Haare. Sein Parfüm riecht köstlich, sein schwarzer Kaschmirpulli ist weich, seine Haut glatt, in meinem Kopf nur noch Watte. 20 Minuten später erzählt er, dass er für zehn Tage in sein Heimatland fliegt. Ausgerechnet jetzt? Wir knutschen weiter. Zum Abschied verspricht er: "Ich rufe an, sobald ich wieder da bin. Aber tu mir den Gefallen: Kontaktiere mich nicht über diese Plattform." Ich bin erleichtert, weil ich mich dort von Anfang an unwohl gefühlt habe. Am nächsten Tag schreibe ich ihm, wie schön ich es fand. Er reagiert sofort. Er hätte es auch sehr genossen: "Dicker Kuss, wir sehen uns bald."

Nachdem die zehn Tage vorbei sind, beginne ich, nervös zu werden, weil das Telefon nicht klingelt. Immerhin, wir haben Nachrichten ausgetauscht, die immer die Worte "Küsse" und "Ich freu mich auf dich!" enthielten. Als ich es nicht länger aushalte, schreibe ich ihm - gegen alle Vernunft: "Es kam mir zu keinem Zeitpunkt in den Sinn, dir nicht zu vertrauen. Ich muss dich falsch verstanden haben. Dein Verhalten. Deine Worte." Das Telefon klingelt. "Ich bin gerade gelandet. Was schreibst du da? Was meinst du? Wann sehen wir uns?"

Ich warte den ganzen Abend auf seinen Anruf

Ich fühle mich erlöst, es ist nicht vorbei. Wir machen aus, dass er mich abholt. Er kommt rein und raunt mir ins Ohr, wie schön es ist, mich wiederzusehen, wie sehr er mich vermisst hat. Er hält mich fest und steuert auf die Couch zu, überraschend forsch. "Zieh dich aus. Setz dich auf mich." Auch wenn ich den Wandel vom planvollen Verführer zum fordernden Macho ziemlich abrupt finde, bin ich schon wieder auf Endorphinen. Ich bilde mir ein, das hier ist der Anfang von etwas Großem. Wir landen im Bett.

Um Mitternacht sieht er auf sein Handy und springt auf: "Ich muss ins Büro. Meine Mitarbeiter haben einen Fehler gemacht." Bevor er geht, fragt er, wann wir uns wiedersehen. Am Wochenende fliegt er zu den Kindern, am Montag nach Düsseldorf. Dienstag kann ich nicht, also Mittwoch.

Aus dem Treffen wird nichts. Ich warte den ganzen Mittwoch auf seinen Anruf und rufe ihn selbst an, als ich bis zum Abend nichts von ihm höre: "Ein spätes Meeting, bis mindestens 22 Uhr." Dann: Er sei erschöpft und müsse ins Bett. Er melde sich morgen. Wieder warte ich vergeblich. Abends reicht es mir: "Du musst dich nicht melden, wenn du nicht magst! Ich will nur Bescheid wissen, damit ich nicht warte." Er ruft an: "Wer sagt, dass ich nicht will?" Freitag fliegt er nach Frankfurt, Samstag kommt er zurück, dann! Ich möchte alles glauben, aber langsam werde ich mürbe, komme ins Grübeln: "Komisch, wenn er wollte, könnte er doch auch nach einem späten Meeting zu mir kommen." In mir keimt ein Verdacht.

Ich richte ein Fake-Profil ein

Ich richte ein Profil mit dem Foto einer sehr hübschen Frau Mitte 30 ein, nenne sie Julia. Freitag, spätabends, ruft er an, er sei doch nicht geflogen: "Sehen wir uns Samstag?" Er nennt mich "Darling", sagt, wie gut es tue, meine Stimme zu hören. Plötzlich: "Ich muss auflegen, ich melde mich gleich wieder." Während ich zum x-ten Mal auf ihn warte, schreibt er an Julia. Was für ein tolles Foto, ob sie Lust habe, sich morgen im besten Frühstückscafé der Stadt mit ihm zu treffen?

Ich zittere. Als Julia schreibe ich ihm, ich suche Liebe. Er antwortet, genau das suche er auch. Er wolle eine echte Beziehung. Sie sei seine erste Verabredung. Julia, misstrauisch: Es seien viele dreiste Abzocker auf Dating-Seiten unterwegs. Nicht alle Männer seien so, macht er ihr Mut. Während ich weiter auf den Rückruf warte, hat Julia die Wahl, ob sie ihn morgens oder abends sehen möchte. Dazwischen kann er nicht. Julia lässt sich auf den Vorschlag mit dem Frühstück ein. Ich frage ihn per SMS, ob er mit mir spiele.

Ich schlafe kaum. Ich überlege, was morgen passieren wird, wenn er Julia erwartet und ich vor ihm stehe. Was werde ich sagen? Meine Fantasien gehen von Beschimpfungen über "Kann ich bitte noch mal mit dir schlafen?" bis hin zu "Du bist ein Phänomen! Du weißt ja, ich bin Journalistin: Darf ich dich interviewen?". Während er auf Julia wartet, antwortet er mir: "Glaub mir, ich interessiere mich ernsthaft für dich!" Er sitzt im schwarzen T-Shirt, das seine Oberarme betont, am ersten Tisch. Ein echter Lacher ist das dicke Buch über den britischen Geheimdienst MI6, das vor ihm auf dem Tisch liegt. Mir hat er erzählt, er komme vor lauter Arbeit nie zum Lesen. Ich nehme alle Kraft zusammen, setze mich und sage: "Hallo." Schwer zu beschreiben, wie er guckt. Wenig erfreut, würde ich sagen. Um den Schreck zu überspielen, nimmt er sein Telefon und spricht, ohne mich eines Blickes zu würdigen, zehn Minuten in seiner Sprache, legt auf und sagt sehr kleinlaut: "Ich bin, was ich bin."

Er versucht, mir zu suggerieren, dass ich der wahre Freak bin, wo ich doch ein Fake-Profil erstellt habe - und was ich denn eigentlich von ihm wollen würde? Ich sage, dass ich mich in ihn verliebt habe. Er küsst mich. Wir verbringen zwei Stunden zusammen. Ich weiß, dass es unser letztes Treffen ist. Zum Abschied sagt er: "Ich rufe dich nachher an."

Ich erstelle ein drittes Profil mit dem Foto einer noch schöneren, noch jüngeren Frau. Ich klicke sein Profil einmal an, schon meldet er sich bei ihr - begeistert wie nie. Mich wollte er bloß zum Lächeln bringen. Ihr sagt er: "Du wirst nicht aufhören zu lachen, wenn du mich triffst. Ich suche nur die eine, meine bessere Hälfte, nicht die vielen." Plötzlich hat er nur zwei Kinder, und als er am Wochenende nicht kann, ist es ein wichtiges Meeting und nicht die obligatorische Reise in die Heimat.

Ob die anderen ihm ebenso verfallen wie ich? Wie hätte ich darauf kommen sollen, dass er nicht mich meint? Ist es sein Hobby, Frauen zu erobern? Wann hat er genug? Oder ist er ein Frauenhasser? Ein krankhafter Lügner? Ich kann nur spekulieren. Ich bin sehr verletzt. Ich komme mir vor wie eine alte Schachtel, die auf einen Heiratsschwindler hereingefallen ist. Nur, dass er nicht mein Konto leer geräumt hat, sondern mein Herz.

Text: Anna AltenbokumBRIGITTE woman 07/2014

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