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Experte erklärt: So hält die Liebe auch im Alltag!

Termindruck, Mehrfachbelastung, Alltagsärger: Eine dauerhaft glückliche Beziehung zu führen ist heute nicht leicht. Wie Liebe ohne Stress funktioniert, erklärt der bekannte Paarforscher Guy Bodenmann.

BRIGITTE WOMAN: Herr Professor Bodenmann, wie lange sind Sie verheiratet? GUY BODENMANN: 27 Jahre. Und noch immer glücklich.

Machen Sie als Psychologieprofessor einfach weniger Fehler? Oder haben Sie das Geheimnis einer langjährigen glücklichen Beziehung gefunden? (lacht) Man lernt schon viel aus der Therapie und der Forschung, was man im eigenen Alltag anwenden kann.

Zum Beispiel? Warum wird denn heute jede zweite Ehe geschieden? Auslöser sind oft Veränderungen, die einschneidenden Einfluss auf das Leben haben: berufliche Neuorientierung, Umzug, Auszug der Kinder, Pensionierung, Untreue. Diese stressigen Ereignisse stoßen eine Scheidung an - aber nur, wenn die Partner ohnehin schon unzufrieden mit ihrer Beziehung sind.

Woher kommt die Unzufriedenheit, welche Rolle spielt Stress? Der nimmt ja für uns alle im Alltag offenbar ständig zu. Wir unterscheiden zwei Formen von Stress: Mikrostress, also den alltäglichen Stress, und Makro-stress, das sind intensive, tiefgreifende Lebensereignisse. Letztere schweißen ein Paar entweder noch stärker zusammen, oder sie lassen die Beziehung endgültig zerbrechen. Der Alltagsstress erodiert dagegen alle Partnerschaften. Die Paare leiden unter der Anhäufung von Stress. Vor allem 30- bis 50-Jährige stecken in diesem Stresskorsett. Irgendwann ist der Wurm in der Partnerschaft. Dann gehen, wie wir in Studien sehen, sogar Paare auseinander, die gut miteinander funktionieren könnten, weil der Stress ihre Beziehung unterminiert hat.

Guy Bodenmann
Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit hat Guy Bodenmann ein Programm für Paare zur Stressbewältigung und Pflege der Partnerschaft entwickelt. Informationen zu diesen "Paarlife"-Kursen unter www.paarlife.de

Zum Weiterlesen: "Was Paare stark macht" von Guy Bodenmann und Caroline Fux (224 S., 33,90 Euro, Beobachter-Edition 2013); "Stark gegen Stress" von Guy Bodenmann und Christine Klingler (256 S., 33,90 Euro, Beobachter-Edition 2013)
© Anne Gabriel-Jürgens

Warum richtet Stress so viel Schaden in Beziehungen an? Chronischer Stress führt dazu, dass die Partner keine Zeit mehr füreinander haben, keine gemeinsamen Erlebnisse, um ihre Paarbiografie zu stärken. Jeder lebt sein eigenes Leben, darunter leidet das Wir-Gefühl, das wesentlich für das Gelingen einer Partnerschaft ist. Zeitmangel verändert aber auch die Kommunikation. Wir brausen schneller auf, machen sarkastische Bemerkungen, sind intoleranter, verschlossener. Wir tauschen uns seltener aus, wenn wir gestresst sind, suchen nach schnellen Lösungen für Probleme und unterlassen es, das anzusprechen, was uns wirklich plagt und beschäftigt.

Viele Frauen beklagen sich darüber, dass ihr Mann ihnen nie zuhört. Weil sie nörgeln. Das nervt Männer. Die erhöhte Stimmlage löst bei ihnen eine unangenehme Erregung aus, sie ziehen sich zurück, kommen später nach Hause, verschwinden vor den Fernseher. Frauen nörgeln dann noch mehr, ein Teufelskreis. Stress zeigt vermehrt unsere schlechten Seiten, wir werden dominant, rigide. Plötzlich sehen wir beim Partner diese anderen Seiten aufbrechen, das Negative in der Partnerschaft nimmt zu, Positives ab.

Weniger nette Gesten, weniger Lob, weniger Sex. Weniger Komplimente, weniger Umarmungen, kein Kuss zum Abschied. Das freundliche Verhalten, das frisch verliebte Paare exzessiv an den Tag legen, verkümmert. Durch destruktives Verhalten wird eine Beziehung aber ungemütlich. Und mit der Zeit leiden das körperliche und seelische Wohlbefinden und die Sexualität.

Weil der Stress die Lust zerstört? Männer bauen durch Sexualität häufig Stress ab. Aber Frauen fehlt bei Stress die Lust. Dann wäre ein Gespräch gut, um den Stressknoten zu lösen. Erst danach kann eine Frau Sex genießen, sonst wird er für sie zum Pflichtprogramm, ist vielleicht sogar schmerzhaft. Sexualität wird negativ besetzt, die Frequenz nimmt noch weiter ab, die Unzufriedenheit noch weiter zu. Sexualität ist ein sensitiver Gradmesser für die Qualität einer Beziehung. Fehlende Libido, speziell der Frau, eine Flaute im Bett, die nicht organisch bedingt ist, sind immer Warnsignale.

Woran können Paare noch erkennen, dass Stress ihre Beziehung in Gefahr bringt? Wenn sie feststellen, dass sie sich entfremdet haben, ist das immer ein ernstes Zeichen. Das Gefährliche beim Alltagsstress ist, dass Paare lange nicht bemerken, in welcher Dynamik sie stecken. Das Anhäufen negativer Erfahrungen ist ein schleichender Prozess. Das Nörgeln der Frau ist deshalb ein wichtiger Indikator: Partnerschaften, in denen die Frau sich nie kritisch äußert, haben ein hohes Scheidungsrisiko. Die angemessene Kritik der Frau ist längerfristig günstig, weil sie Veränderungen will.

Also hat das Nörgeln eine Funktion. Ja. Und je früher man realisiert, dass etwas schiefläuft, umso besser. Ist die Beziehung zu festgefahren, sieht man alles nur noch durch eine negative Brille. Dann kann der Partner machen, was er will. Kommt er zum Beispiel mit Blumen nach Hause, denkt die Frau sofort, er tue dies aus schlechtem Gewissen.

Was empfehlen Sie Paaren, damit es gar nicht erst so weit kommt? Sie sollten versuchen, in ihrer Partnerschaft besser mit Stress umzugehen. Der meiste Stress hat nichts mit der Beziehung zu tun, wir bringen ihn mit nach Hause, aus dem Büro, von der Straße. Doch dieser paarexterne Stress erzeugt häufig paarinternen Stress. Wenn der Partner merkt, dass der andere gereizt nach Hause kommt, denkt er: Er oder sie liebt mich nicht mehr. Eine fatale Fehleinschätzung.

Also nicht jede schlechte Laune auf sich beziehen, sondern nachfragen, was los war. Ja, aber nicht oberflächlich. Oft erzählen Menschen nur vom aktuellen Auslöser ihres Stresses und nicht davon, was wirklich dahintersteckt. Dann geht es nicht darum, dass der Chef eine kritische Bemerkung gemacht hat. Sie aktiviert ein persönliches Schema, einen wunden Punkt: "Ich genüge nie. Immer mache ich alles falsch. Die Bewertungen der anderen sind wichtig." Im Grunde geht es um mich und mein Thema. Wenn der Partner dann beschwichtigt oder vorschnell mit vermeintlich guten Ratschlägen reagiert, ist das wie eine Ohrfeige. Wir fühlen uns vom anderen nicht getragen, gehen auf Distanz und driften so mehr und mehr auseinander.

Und schließlich verursachen banale Kleinigkeiten die große Krise. Die nicht zugedrehte Zahnpastatube wird zum Scheidungsgrund. Bei Stress innerhalb der Partnerschaft dreht es sich meistens genau um diese kleinen Dinge. Doch es geht nicht wirklich um eine Banalität, sondern um etwas ganz Substanzielles. Auch hier wird ein wunder Punkt aktiviert. Die nicht zugedrehte Zahnpastatube wird als mangelnde Wertschätzung gesehen. "Ich zähle überhaupt nicht. Ich werde nicht respektiert. Ihm oder ihr ist es nicht wichtig, das für mich zu tun." Die scheinbare Banalität ist substanziell, bedroht den Selbstwert. Und jemand, der ein schwaches Selbstwertgefühl hat, nimmt diese Zahnpasta-Geschichte viel persönlicher als jemand, der ein gutes eigenes Fundament hat.

Was meinen Sie mit "Fundament"? Stellen Sie sich die Widerstandskraft gegen Stress wie ein Haus mit mehreren Stockwerken vor. Die erste Etage steht für Wertschätzung und Anerkennung durch andere und mich selbst. Der zweite Stock beherbergt die Leistungs-, Liebes-und Genussfähigkeit. Darüber sind die Strategien, Stress zu bewältigen, angesiedelt. Und das Dachgeschoss entspricht den eigenen Werten, die Halt und Orientierung im Leben geben. Maßgeblich für die Stabilität und Qualität dieses Hauses ist jedoch ein stabiles, tragfähiges Fundament. Ohne dieses würde das "Stresshaus" einstürzen. Dieses Fundament entspricht dem Selbstwert, dessen Grundstein in der Kindheit gelegt wird. Ein guter Selbstwert verleiht psychische Stabilität und Stressresistenz. Doch solange die Aktivierung wunder Punkte dieses Fundament erschüttern kann, helfen bei Stress die besten Entspannungsmethoden nicht.

Muss jeder Partner für sich sein eigenes "Stresshaus" pflegen? Oder ist es möglich, in einer Beziehung ein gemeinsames Haus zu bauen? Zunächst einmal braucht jeder ein möglichst stabiles eigenes Haus. Ohne Eigenidentität kann die Paaridentität nicht funktionieren. Allerdings kann man auch zwei Häuser zusammen bauen. Wenn ein Partner ein schwaches, wackeliges, der andere ein solides, robustes Gebäude hat, kann das eine das andere stabilisieren, stützen. Vorausgesetzt, beide stehen nicht nur nebeneinander, sondern bilden eine Einheit, ein "Wir". Gemeinsam Stress zu bewältigen erhöht das Zusammengehörigkeitsgefühl.

Wer sind die besseren Unterstützer - Frauen oder Männer? Frauen denken von sich, sie seien empathischer als Männer, und die Männer halten Frauen ebenfalls dafür. Dieses Stereotyp stimmt nicht. Wohlwollend nachfragen und empathisch reagieren, das können Männer genauso gut wie Frauen. Gute Unterstützer senken, unabhängig vom Geschlecht, beim Partner den Spiegel des Stresshormons Kortisol. Männer sind allerdings weniger belastbar, und wenn sie selbst gestresst sind, können sie ihre Partnerin nicht mehr angemessen unterstützen. Frauen suchen auch eher als Männer eine Lösung im Gespräch, äußern ihren Stress. Aber über tiefere Gefühle zu reden ist für beide ungewohnt und schwierig.

Wie können Paare, außer im Gespräch, ihren alltäglichen Stress abbauen? Da gibt es viele Dinge, zum Beispiel gemeinsame Aktivitäten wie Tennis spielen, joggen, Rad fahren, tanzen, etwas Kreatives tun, spielen, meditieren. Ganz wichtig ist, zu zweit lustvoll zu genießen, ein gutes Essen, Musik, Spaziergänge, Reisen. Zusammen genießen zu können zeigt die Qualität der Beziehung.

Experte erklärt: So hält die Liebe auch im Alltag!
© Ralf Nietmann

Das fällt vielen angesichts prall gefüllter Terminkalender zunehmend schwer. Stress ist heute Statussymbol. Zerbrechen Beziehungen deshalb häufiger als früher? Der selbst gemachte Stress ist ein wesentlicher Grund. In Restaurants sieht man häufig Paare, die sich schweigend gegenübersitzen und sichtbar unwohl fühlen. Sie wissen gar nicht, was sie miteinander anfangen sollen. Sie haben die Muße verloren. Still auf einer Bank zu sitzen wird als unangenehm empfunden. Es muss ständig Aktionismus geben, um sich wichtig zu fühlen. Das ist eine negative Entwicklung. Wir müssen dringend entschleunigen und bewusster entscheiden, wofür wir unsere Zeit wirklich einsetzen wollen: für die Karriere oder für den Partner. Wir haben nicht für alles Ressourcen.

Das heißt, jeder muss in seinem "Stresshaus" auch Platz für den anderen schaffen? Gemeinsame Räume in jedem Stockwerk sind ebenso wichtig wie eigene, um sich selbst weiterzuentwickeln und um Nähe und Distanz auszutarieren. Jede Beziehung kennt Wellenbewegungen, mal sucht man Nähe, mal Distanz. Das ist unkompliziert, wenn beide synchron diese Bedürfnisse haben. Aber häufig wünscht sich ein Partner Distanz, während der andere Nähe möchte. Sind beide ständig asynchron, gibt es keine gemeinsamen "Zimmer" mehr.

Gelingt es deswegen so vielen Menschen nicht, auf Dauer eine gute Beziehung zu führen? Unsere Gesellschaft neigt zur Individualisierung; jeder ist sich selbst wichtiger als der andere. So gehen wir Kompromisse, die wir in der Partnerschaft schließen müssten, nicht ein. Die Bereitschaft, sich für die Beziehung einzusetzen, das Commitment, fehlt. Sich für die Liebe zu engagieren erscheint als zu aufwendig, zu anstrengend. Doch wenn zwei in einem Boot sitzen, jeder mit einem Ruder in der Hand, und nur einer rudert, dreht es sich im Kreis. Nur wenn beide mit gleicher Kraft das Boot vorantreiben, gelingt die Reise.

Sind unsere Erwartungen an Beziehungen zu hoch? Eine Beziehung ist heute ein völlig überfrachtetes Gefäß. Vor 150 Jahren sollte sie die Existenz sichern, Kinder großziehen - ein realistischeres Projekt. Heute sind die Erwartungen so hoch, dass sie kaum erfüllt werden können. 23 Prozent der Paare, die an und für sich zufrieden sind, lassen sich trotzdem scheiden. Die haben häufig 20, 30 Jahre Beziehungsgeschichte hinter sich, noch mal die gleiche Spanne an Lebenserwartung vor sich und wollen etwas Neues haben, statt ins Alte zu investieren. Das Überflussdenken, das Nicht-Sorge-tragen-Müssen unserer Konsum- und Wegwerfgesellschaft hat auf unsere Beziehungen abgefärbt. Man geht auf entsprechende Plattformen im Internet, und dort bieten sich tausende verlockende Perspektiven.

Hat das Modell einer langjährigen Partnerschaft überhaupt noch Zukunft? Ich denke schon. Stabilität ist ein wichtiges Grundbedürfnis. Je mehr Globalisierung und Entfremdung in der Welt herrschen, desto dringender brauchen wir Partnerschaft und Familie als Gegengewicht.

Interview: Monika Murphy-WittBRIGITTE woman 04/2014

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