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Jugendliebe - zurück auf Anfang

Jugendliebe: Paar am See
© Standret / Shutterstock
Vor mehr als 30 Jahren verknallte sich BRIGITTE-Autorin Gerlinde Unverzagt in einen australischen Surfer-Boy, den sie bald aus den Augen verlor. Vor zwei Jahren traf sie ihn wieder - und verliebte sich noch mehr. Kann das gut gehen? 

Der alte Traum ist wieder da. Die Legende von der Liebe ohne Ende - bin ich gerade mittendrin, oder fliege ich gerade raus? Der zimtfarbene Klecks im Meer 10 000 Meter unter mir muss Sri Lanka sein. So fliege ich seit Stunden durch die Welt, Sydney im Rücken, Berlin vor Augen. In die andere Richtung bin ich vor vier Wochen aufgebrochen. Wegen dieses Mannes, in den ich mich vor mehr als 30 Jahren zum ersten Mal verliebt habe. Und vor zwei Jahren, mit Mitte 50, zum zweiten Mal. 

Das erste Mal in ihn verliebt und wieder aus den Augen verloren

Als ich ihn das erste Mal sah, stand er vor unserem besetzten Haus und wollte seinen Freund Jens besuchen. Ich warf den Schlüssel hinunter, er kam hoch. "Hi!", sagte er, strahlte mich an und gab mir den Haustürschlüssel zurück. Dabei berührten seine Fingerspitzen meine Handinnenfläche. Der wummernde Bass in meinem Ohr muss mein Puls gewesen sein. Die tiefe Stimme gab mir den Rest. "Hi. Und Jens ist nicht da."

Diese Augen, verdammt. Und dann war er noch  so lässig, muskulös, supersexy. Genauso, wie ich mir immer einen dieser coolen australischen Surfer-Boys vorgestellt habe, der er ja auch war. Im Berlin der 80er-Jahre kamen solche Typen eher selten vor. 

Und dann passierte - nicht viel. Verstohlene Blicke, ja, ein betrunkener Kuss im Morgengrauen nach einer durchtanzten Fete. Alles hätte, aber nichts ist daraus geworden. Wenn man jung ist, gibt’s nur alles oder nichts. Erst in späten Jahren bastelt man an Versuchen, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen. Ich war damals die Freundin eines anderen, des zukünftigen Vaters meiner Kinder. Wir lebten alle miteinander in der großen WG im besetzten Haus, verputzten Wände, demonstrierten gegen Abriss und Luxussanierung, kifften zum Frühstück und diskutierten auf dem Plenum über Hofbegrünung und Katzenklos. Nach vier Monaten zog John weiter nach Frankreich, und irgendwann kehrte er nach Sydney zurück. Da verliert sich die Spur. 

Nach 30 Jahren: zum zweiten Mal in ihn verliebt - Eine neue alte Liebe

Zum 30. Jahrestag der Hausbesetzung die Riesenparty: Fast 300 alte Hausbesetzer im angestammten Biotop ihrer Jugend, auf dem Dachboden ein einziger weich gespülter Wiedersehenstaumel, der Sentimental-Journey-Modus von Iggy Pop, Ton Steine Scherben, Hans-A-Plast untermalt. Ich habe ihn gleich an seinen leuchtenden Augen wiedererkannt. Als wir uns das letzte Mal sahen, hatte er noch viele rotblonde Haare auf dem Kopf, keinen runden Bauch, und ich hatte noch keine Brille auf der Nase. Auch meine Haarfarbe war damals noch echt und die Gemeinheiten der Schwerkraft noch kein Thema. 

Und dann hat’s richtig geknallt. Vulkan, Lava, Tsunami. Als ob alle nicht gewagten Umarmungen, alle nicht geküssten Küsse und alle nicht gemachten Witze plötzlich aus dreißigjährigem Dornröschenschlaf erwachten. Auf einen Schlag war die Jugend zurück. Wir waren Hausbesetzer. Wir waren cool. Wir waren unsterblich, jung und frech. Weißt du noch? Vergessen hatte ich ihn nie, wenn auch in den Jahren hin und wieder mal an andere gedacht. Aber nur mit der früheren Liebe kann man über alte Zeiten reden und fühlt diese tiefe Vertrautheit - sogar, wenn man sich seit 30 Jahren nicht mehr gesehen hat. Diese neue alte Liebe reifte über drei Nächte zur intensivsten Romanze, die ich jemals erlebt hatte. Am liebsten wäre ich nie wieder von seiner Seite gewichen. 

Sydney - Berlin: Fernbeziehung? Nein Danke!

Keine Chance: Seine Kinder, meine Kinder, seine Arbeit, meine Arbeit, sein Leben, mein Leben - das alles lässt sich kaum mal eben von Sydney nach Berlin umtopfen. Er schien genauso wenig geneigt, sich in eine neue Beziehung zu stürzen, wie ich mein hart erkämpftes Single-Dasein aufgeben wollte. Das Wording: Three-Night-Stand! Ein reifes Entgleisen! Man muss sich ja keine Kuh kaufen, wenn man mal ein Glas Milch trinken möchte. Zum Abschied taten wir cool. Fernbeziehung? Rund um die halbe Welt? Vergiss es, sagt der Verstand. Phh, macht das Herz. Wer nicht will, sucht Gründe. Wer will, sucht Wege. 

Danach brach die Sehnsucht aus wie ein Fieber. Wir feuerten Hunderte Mails und Tausende SMS aufeinander ab, telefonierten stundenlang und schmachteten beim Skypen. Es war höllisch aufregend, ihn ganz nah auf dem Bildschirm zu sehen, aber danach wurde die Sehnsucht unerträglich und die nächsten Stunden schwer wie Blei. Dann die SMS von ihm: Just a theoretical question. Could you manage to come to Hongkong later this year? Eine Stunde später habe ich ein Ticket gekauft. 

Von Zweifeln geprägt - Einfach voneinander lassen, gar nicht so leicht ...

Eine Woche war ich näher am Himmel als je, im 36. Stock des "Harbour Grand Hongkong". Auf dem Rückflug habe ich bis Teheran geweint, dann schnell den Reiseführer quergelesen, damit ich meinen fast erwachsenen bis erwachsenen Kindern erzählen kann, was es in Hongkong alles zu sehen gibt. Als ich einmal tief Luft hole, schaut der Jüngste seine Geschwister an und sagt: Mama lügt. In den nächsten Wochen nutzen sie jede Gelegenheit, mir ihren Standpunkt klarzumachen - kaum wohlwollend. Aber auch bei mir: Zweifel. Wir haben ein Feuer entfacht, aber können wir es auch am Brennen halten? Vielleicht liebe ich ihn falsch. Vielleicht halte ich nur an einer Vorstellung von etwas fest, was es so nie gab? 

Was macht den Zauber einer wieder erwachten Jugendliebe aus? "Im Blut verliebter Teenager kreisen große Mengen der Hormone Oxytocin und Vasopressin. Diese Stoffe formen emotionale und sexuelle Erinnerungen im Gehirn", erklärt Nancy Kalish, Professorin für Psychologie an der California State University die stoffliche Grundlage möglicher Wunder. Es beginnt meist so: "Wenn die Verlorenen einander wiedertreffen, werden diese Erinnerungen wieder wachgerufen - durch den vertrauten Anblick, den Duft, die Berührung oder den Klang der Stimme des anderen. Diese Gefühle sind vertraut und angenehm und, wie viele meiner Teilnehmer berichteten, sexuell und emotional erregend." Nancy Kalish hat über das Phänomen der wieder erwachten Jugendliebe seit mehr als 20 Jahren unzählige Geschichten gesammelt, mehr als 3000 ausgefüllte Fragebögen sind ihre Datenbasis. 

"The good old friend from Germany" - Der Aha-Moment

Die erste Liebe, die beendet und wieder aufgenommen wird, rostet demnach offenbar nicht so leicht: 78 Prozent der Paare nannten sich glücklich und bekundeten, dass die Liebe hält. Wiedervereinigte Paare hatten eine Scheidungsrate von 1,5 Prozent. Gemeinsam war allen, dass sie sich aus äußeren Gründen getrennt hatten - etwa wegen der Eltern, die gegen diese Liebe waren, oder weil sie umgezogen, auf die Universität oder zum Militär gegangen waren. "Sie hatten sich nicht getrennt, weil sie nicht harmonierten. Sie waren einfach zu jung", sagt Nancy Kalish. "Je länger die Partner getrennt waren und je älter sie bei ihrem Wiedertreffen waren, desto besser klappte es. Sie alle sagten, dass ihre wiedergefundenen Geliebten ihre Seelenverwandten seien." Ich wagte, das Fest der Liebe wörtlich zu nehmen und lud John über Weihnachten ein. Und hier in Berlin war er dann so charmant, humorvoll, klug, aufmerksam ... 

"Hör auf", schrie meine Freundin Christiane und hielt sich die Ohren zu. "Hier ein King, und in Sydney? Vielleicht nur ein Mann mit Bauch!", mahnte sie, die mit vernunftgestählten Argusaugen über das wachte, was sie meine "Märchenstunde" nannte. Dass ich sehr gern dem steingrauen Berliner Winter entkommen und mich in der Frühlingssonne am Bondi Beach rekeln wollte, während sie hier Eis von den Scheiben kratzen, hatte ich nicht extra erwähnt. Denn John hatte mir vorgeschlagen, einen ganzen Monat bei ihm in Sydney zu verbringen. Wir waren zur Hochzeit seiner Nichte eingeladen. Als der Brautstrauß auf mich zuflog, habe ich reflexhaft zugegriffen. Der Blick von Johns 20-jähriger Tochter verhieß nichts Gutes: fassungsloses Entsetzen, kaum gemildert von Johns hektischen Beschwichtigungsversuchen, in denen er ihr beteuerte, dass es keine Pläne in diese Richtung gäbe und niemals geben würde und ich nur seine "good old friend from Germany" sei. 

Schlagartig wurde mir klar, dass ich John nur als vermeintlichen Surfer-Boy kannte, aber nicht als praktizierenden Papa! Wie er mich auch nicht als Mutter! Die mehr als 30 Jahre dazwischen haben uns verändert. Wie denn auch nicht? Vor meinen Augen verwandelte sich der Traummann in einen Vater, der in grundlosem Glück seine Tochter anhimmelt, es kaum fassen kann, die gleiche Luft wie dieser Engel atmen zu dürfen, und sich jederzeit, überall, beständig und supergern zum Affen mit selbsttätig zuckender Kreditkarte macht. 

"There’s a crack in everything. That’s how the light gets in", sang Leonard Cohen gut hörbar in meinem Kopf. Dieser Moment hat das australische Abenteuer in ein Davor und ein Danach geteilt und meinen Blick auf John verändert. Erstaunt, aber noch nicht verstört, stelle ich fest, dass er an den Nägeln kaut. Wie oft er zu seinen Lieblingsthemen (Klimawandel, Trump, Plastikmüll) doziert, ohne Pausen für Einwände zu lassen. Wie machohaft er auftritt. Und wie hingebungsvoll er sich in Sachen schwierige Kindheit, körperliche Gebrechen oder gescheiterte Ehe bemitleidet. 

Die neue alte Liebe - Eine wiedergefundene Liebe, eine Fortsetzung

Es tut meiner Liebe keinen Abbruch. Nancy Kalish hat für den Unterschied zwischen einer neuen und einer alten neuen Liebe eine Erklärung gefunden: "Diese wiedergefundene Liebe hat nichts mit Sex zu tun, es ist keine Midlife-Crisis. Die anfängliche Liebes-Euphorie hält an. Sie ist real und kein Symbol für etwas, das in der Vergangenheit nicht gelöst wurde. Sie wird nicht vergehen, wenn man einfach über sie hinweggeht, sondern andauern. Die wiedergefundene Liebe ist die Fortsetzung einer Liebe, die unterbrochen wurde." "Don’t cry", rief der freundliche Polizist am Flughafen in Sydney beim Anblick meines tränenüberströmten Gesichts: "Smile, you’ll be back!"

Brigitte 11/2018

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