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Seine Wohnung - ihr Albtraum

Ein Blick sagt mehr als 1000 Worte: der Blick in die Wohnung eines allein lebenden Mannes. Anhand seiner Einrichtung lässt sich seine Psyche mit etwas Übung analysieren.

Sie ist Single, sie freut sich über eine neue Bekanntschaft, sie flirtet, was das Zeug hält. Die Bars sind abgeklappert, alle Kinos besucht, und nun lädt er zu sich nach Hause ein. Endlich. Die Stunde der Wahrheit! Sicher, es ist einem Mann leicht möglich, bei einem zivilisierten Dinner in einem Trend-Restaurant großen Charme zu entfalten und seine Vorzüge bei amüsanter Konversation im Kerzenlicht scheinen zu lassen. Aber kaum ist der Schlüssel zu seiner Tür umgedreht, betritt die Frau ein ganz besonderes Reich der Merkwürdigkeiten. Planet Single-Mann. Sie fühlt sich wie ein Alien, der aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. So also richtet er sich ein! Wie interessant! Wie exotisch! Wie nicht nachvollziehbar!

Und hier beginnt die Arbeit der Frau als Amateur-Hausdetektivin, eine Rolle, die ihr wie auf den Leib geschrieben ist. Nichts lieben Frauen mehr als knifflige Aufgaben und Geheimnisse, gerade weil sie selbst gern welche haben, andererseits aber die von Männern unbedingt ergründen wollen. Wen haben wir denn hier? Vielleicht den 38-jährigen ewigen Studenten in der Einzimmerwohnung, der gleichzeitig Computerfreak ist? Seine Klamotten sind überall am Boden verstreut, die Technik blinkt wie auf einer Raumfahrtstation, und bei drei Monitoren, sechs Lautsprechern und mehreren Kilo Kabelsalat ist nie und nimmer Platz genug für eine Romanze. Davon abgesehen gibt es genügend Frauen, die nicht mal im Traum daran denken würden, in einem Bett mit "Star Wars"- oder "Superman"-Bettbezügen zu landen.

Die männliche Wohnkultur verdient das Wort Einrichtung nicht

Ganz anders der geschiedene begüterte Architekt mit dem Penthouse, das er sich ausschließlich in Stahlrohr und Schwarz-Weiß-Optik eingerichtet hat – so gemütlich wie ein Ausstellungsraum in einem Möbelgeschäft. Aber immer noch besser als der Schmutzfink mit überquellendem Mülleimer, der kreativ-chaotische Künstler im farbbefleckten Loft oder der alternde "Playboy"-Leser in seiner plüschigen weiß-goldenen Lasterhöhle.

Fest steht: Auf dem Planeten Single-Mann gibt es selten blaue Gästeseife in Seepferdchenform, keine weißen Lilien in dekorativen Vasen, keine Berge von Kissen aus seltenen Stoffen, keine Lichterketten um den Badezimmerspiegel und keine seidigen Vorhänge, die sich sanft im Abendwind bauschen und Mango-Kokos-Duft verteilen. Genauso fest steht, dass die meisten Männer kein Dekorations-Gen haben und ins Schwimmen geraten ohne ihre Freundin oder Putzfrau, die alles platziert und putzt, damit die vier Stil-Killer aus der Welt der männlichen Wohnkultur getilgt werden können: ausgefranst, schmuddelig, steif und bröckelig.

Nahezu Klassiker in der stilistischen Gruselzone sind nach wie vor breit gerippte Cordsamt-Couchen in Braun oder Orange mit abgewetzten Wildlederkissen, die ärmlichen WG-Charme verströmen. Dazu passt gut das dunkelrot gestrichene Klo, auf dem ein vergilbtes Poster von einem alten Rolling-Stones-Konzert in Köln hängt. Auf dem Boden liegen alte "Spiegel", ein "Geo" von 1990 und ein "Werner"-Comic, und das brettharte, ausgefranste Gästehandtuch hat dekorative schwarze Handabdrücke.

Es gibt verschiedene Plätze der Investigation, aber wohl nichts ist aussagekräftiger als der Gang ins Badezimmer. Man kann dort völlig legitim allein hingehen, so lange bleiben, wie man will, und sogar die Tür abschließen. Kein Single, der sich romantische Eskapaden erhofft, würde wagen, wild an die Tür zu klopfen und zu fragen: "Was machst du da?" Unersetzlich wie auch unwiderstehlich ist der Blick in den Badezimmerschrank. Ist die Glasplatte sauber? Gibt es verdächtige Salben, Potenzpillen oder suchterzeugende Medikamente? Hat er einen Nasenhaarclipper oder gar alle Produkte einer Männerserie in schwarzer Aufmachung, eine argverklebte Zahnpastatube und Kosmetikartikel, die ganz bestimmt nicht seiner Mutter gehören?

Doch was können wir davon ableiten? Gibt es einen todsicheren Geschmackscode, der da vorschlägt: Orange und Hellgrün gleich wertloser Mensch? Teakholz und 70er-Jahre-Retro gleich heimlicher Streber, 50er-Jahre-Küchenkitsch gleich retardierter Elvis-Fan? Sammeltassen-Sortiment gleich verwöhntes Muttersöhnchen? Alles ist Geschmackssache im Bereich der Liebes- und Lusttöter. Was für die eine seine ausgetretenen Hausschlappen sind, sind für die andere die verkrustete Herdplatte und die angeschlagenen Souvenir-Kaffeebecher. Küchendinge sind nämlich auch Herzensdinge. Es gibt ihn schon, den Hobbykoch mit 16-teiligem Messerset, Nespresso-Maschine und rotem Kenwood-Mixer in der trendigen Granitküche.

Rarer ist der Mann mit einem kompletten Service im Schrank, es sei denn, er hat so ein schönes altes mit Goldrändern und handgemalten Veilchen von der Oma geerbt. Wobei das natürlich der totale Overkill wäre, denn so ein 24-teiliges Kleinod mit Butterdose und je zwei verschiedenen Terrinen, Saucieren und Milchkännchen ist in einem Junggesellenhaushalt so überflüssig wie gepolsterte Kleiderbügel mit Schleifchen und schwimmende Duftkerzen in Rosenform.

Die meisten Männer wissen: Ihre Einrichtung sabotiert jede Romanze

Auf jeden Fall hat man sofort eine emotionale Reaktion zur Atmosphäre und zum Stil, die die eigene Befindlichkeit reflektiert oder sogar mit negativen Erinnerungen belastet ist. Natürlich sind Neugier und kleine Schnüffelaktionen nicht nur auf Männer und ihren kuriosen Geschmack beschränkt. Es ist absolut faszinierend, sich bei Freunden und Fremden gleichermaßen in der Wohnung ein wenig unauffällig umzuschauen. Und man ist zwischendurch auch selbst Opfer.

Freundinnen, sicherlich die unerschrockensten Ermittlerinnen an der Fashion-Front, beäugen gern alle Objekte an der Garderobe, während man sich zum Gehen fertig macht, und kommentieren die mit unnötigen Schnallen überladene Handtasche, die mehr wiegt als ein Sack Kartoffeln, und den falschen Schnitt des zu körpernahen Mini-Trenchcoats. Genauso werden Schränke in der Küche aufgemacht und gestaunt: "Ach, du trinkst immer noch Caro-Kaffee und hast Spargelcremesuppe in der Tüte, wie süß!", oder es wird die teure Anti-Falten-Creme im Bad inspiziert, ausprobiert und streng kritisiert. So was machen Männer nicht, aber natürlich reden auch sie untereinander und geben sich Dating-Tipps.

Die meisten ahnen allerdings nicht, dass es ihre Wohnung ist, die jede Romanze sabotiert. Sie wissen wohl, dass es sich bei den Frauen auch um Schnüffelliesen handeln kann, bringen brav den Müll weg, saugen die Hundehaare auf und hoffen darauf, alle liebesfeindlichen Elemente zu vernichten, wissen aber nicht genau, was denn nun etwas Negatives über ihren Charakter aussagt. Die ein wenig herausstehende Spirale auf dem Sperrmüllsofa? Nein, wieso denn? Die drei großen Kartons mit der Aufschrift "CDs, Platten und alte Tapes" im Flur? "Ach, Sie sind gerade erst eingezogen?" ist dann auch ein beliebter Satz, oft nicht ohne beißende Ironie ausgesprochen, die allerdings nicht immer wahrgenommen wird. Oder es ist doch wieder die schreckliche Stasi-Scheinwerferbeleuchtung, gegen die sehr viele Frauen allergischer sind als gegen altes Knabbergebäck in einem Glasschälchen.

Dafür findet man bei Männern keine Ansammlungen von Stofftieren oder Puppen auf dem Bett, etwas, das für sie nervige Niedlichkeit und den Unwillen, erwachsen zu werden, signalisiert.

Immer wieder unterhaltsam: die CD-Sammlung

Auch immer wieder unterhaltsam ist der Blick in die CD-Sammlung. Die Stones, Led Zeppelin, Jimi Hendrix, The Who – die Klassiker, sehr gut. John Coltrane, Billie Holiday – exzellenter Geschmack! Alles von Neil Young, Bob Dylan und Joni Mitchell – ewiger Hippie, warum nicht? Aber was haben Supertramp, die Filmmusik von "Für eine Handvoll Dollar" und Neil Sedakas "Greatest Hits" in einem anständigen Haushalt verloren?

Ich kenne eine Frau, die kramte im Musikschrank eines neuen Mannes und fand CDs von Katie Melua und James Blunt. Sie beendete sofort die zart keimende Freundschaft. Verständlich. Auch was an der Wand hängt, sagt mehr aus, als dem Dekorateur lieb ist. Das gewagte Clown-Gemälde und Elvis als Wandteppich bedürfen keines Kommentars, aber was ist mit so unterschiedlichen Poster-Personen wie James Bond, Che Guevara, Farrah Fawcett aus "Charly's Angels" und einem mit Goldketten behängten Gangsta Rapper?

Nur was macht man mit den ganz schlimmen Geschmacks-Banausen? Erfahrung lehrt, dass Männer die Welt ohne schmückenden Zierrat sehen. Also weglaufen oder bleiben, den Kompromiss suchen oder geduldig warten, bis sie die "herrlich eingesessene" Ledercouch, die wie Hagenbecks ältestes Rhinozeros aussieht, einer Hobby-Rockband für die Garage spendieren? Am besten, jeder hat seine eigene Wohnung, dann kann man sogar Sieben-Zwerge-Laubsäge-Garderobenhaken wirklich komisch finden...

Text: Sabine ReichelFoto: Getty Images

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